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Der Baum des Jahres 2016: Die Winter-Linde (Tilia cordata MILL.)

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– Biologie, Ökologie und Verwendung

Tree of the year 2016: small-leaved lime – biology, ecology and uses

von Andreas Roloff

Zusammenfassung

Im Jahr 2016 steht eine der bekanntesten, schönsten und beliebtesten Baumarten unseres Landes im Mittelpunkt: die Winter-Linde (Tilia cordata). Wer kennt sie nicht, die Linden? Neben Kastanien und Eichen sind sie eine der drei bekanntesten Gattungen durch die markante herzförmige Blattform. Beliebt sind die Linden wegen ihres Blütenduftes, ihrer schönen Blattform und ihrer attraktiven Kronenform. Die Winter-Linde ist etwas zierlicher als die Sommer-Linde und hoch angesehen in der Forstwirtschaft wie auch als Stadt-/​Straßenbaum.

Summary

Tree of the year 2016 is the small-leaved lime (Tilia cordata), a tree species which is well known, very beautiful and most beloved. Who does not know the lime trees? Beside chestnut and oak they are the best known tree genus, because of their characteristic leaf shape. They are popular for the smell of their flowers, leaf shape and attractive crown outline. Small-leaved lime is very popular in forestry and as an urban and road-side tree.

1 Charakteristika und Erkennungsmerkmale

Fangen wir mit dem Habitus an: Da er bei den Linden mit der Blattform übereinstimmt und einem Herz ähnelt (die Spitze oben), hat sie dies in der Vergangenheit und Mythologie zum Baum der Liebe/​nden und besonders beliebt gemacht. Daran kann man allerdings Winter- und Sommer-Linde nicht unterscheiden, denn das gilt für beide gleichermaßen. Unterschiede und die Art erkennt man gut bei genauerem Hinsehen (Tabelle 1).


Abbildung 1: Herzförmiger Kronenhabitus

Tabelle 1: Unterscheidungsmerkmale Winter-und Sommer-Linde

Winter-Linde Sommer-Linde
Blätter unterseits in den Nervenwinkeln rostrot-bärtig ± glatt weißbärtig Nerven hervortretend
Knospenschuppen 2 (selten 3) 3 (selten 2)
Blüten/​Früchte je Blütenstand 5 – 12 2 – 5
Reife Früchte glatt, zerdrückbar mit Längsrippen, steinhart
Jahrestriebe & Blattstiele kahl behaart
Austrieb, Blüte später 2 Wochen früher
Ansprüche (Licht-, Wasser-, Nährstoffversorgung) geringer höher

Abbildung 2: Herzförmige Blattform, kahle Blattunterseite und rötliche Achselbärte

Dabei sind die wichtigsten/​hilfreichsten Unterscheidungsmerkmale die schon im Frühsommer kahlen Triebe und Blattstiele sowie die Blüten-/​Fruchtzahl (5 – 12) und die zerdrückbaren Früchte. Zwischen beiden Linden gibt es auch einen Kreuzungsbastard, dessen Merkmale variabel zwischen beiden Eltern stehen. Diese Holländische Linde (Tilia x europaea) ist in Sorten (z. B. „Kaiser-Linde“) einer der beliebtesten gepflanzten Stadt- und Straßenbäume und daher in der Stadt häufiger zu finden. Von Natur aus kreuzen sich beide Mutterarten kaum wegen des um zwei Wochen unterschiedlichen Blütezeitraums.

Bei der Recherche nach Winterlinden-Naturdenkmalen war es leider so, dass sich von neun aufgesuchten Exemplaren drei als Sommer-Linden herausstellten. Auch in einigen Baumbüchern über besonders alte und dicke Bäume wird z. T. nicht die Art benannt, sondern nur von der Linde geschrieben. Dabei sind sie nicht so schwierig zu unterscheiden (s. oben). Genau dafür ist die Aktion „Baum des Jahres“ auch da: um die Artenkenntnisse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu verbessern. Die Herbstfärbung der Winter-Linde kann sich sehen lassen: goldgelb im Oktober.


Abbildung 3: Goldgelbe Herbstfärbung bis in den November


Abbildung 4: Starker Altbaum mit zerfallendem Stamm und Selbstklonierung


Abbildung 5: Häufige Stammknollen und -austriebe

Die Wipfeltriebe der Linden wachsen zunächst (wie bei der Buche) waagerecht und richten sich erst im folgenden Herbst auf – wenn der Baum ausreichend Licht erhält. Dies weist bereits auf die hohe Schattentoleranz hin, denn das zunächst horizontale Wachstum verhindert die gegenseitige Beschattung der Blätter am selben Jahrestrieb. Zudem sind bei den Linden die schwingenden, hängenden Seitenäste im unteren Kronenbereich charakteristisch und schön anzusehen, sie geben der Krone „Schwung“ und werden Schleppen genannt; bei anderen Lindenarten ist dies z. T. noch ausgeprägter.

Die Rinde entwickelt sich zu einer ausgeprägten Netzborke, wobei man bei genauerer Betrachtung sehr interessante Strukturen finden kann: An älteren Bäumen gibt es oft turbulente Bereiche, in denen die Dynamik des Stammdickenwachstums sehr schön sichtbar wird. Denn der Stamm kann bei den Linden bis zu 6 m dick werden, das gab es noch nie bei den Bäumen des Jahres. Dabei wird die Sommer-Linde allerdings meistens noch dicker als die Winter-Linde. So sind auch alle dicksten Linden Deutschlands Sommer-Linden, z. B. das Riesenexemplar in Heede im Emsland mit 18 m Stammumfang. Die stärkste mir persönlich bekannte Winter-Linde hat einen Stammumfang von 9,10 m (in 1,3 m Höhe, sog. BHU = Brusthöhenumfang) und steht bei Rochlitz/​Mittelsachsen.

Beim Umfangmessen machen die häufigen Stammknollen der Linden oft Probleme, sie erhöhen natürlich das Messergebnis, was sich aber nicht ändern lässt. Diese Maserknollen am Stamm vieler Linden entstehen um frühere Astansätze herum, indem dort kleinräumige Zuwachssteigerungen stattfinden. Oft ist dies verbunden mit dem Austreiben zahlreicher schlafender Knospen, so dass es an diesen Knollen auch zu dichten Zweigbüscheln kommt.

Wird die Winter-Linde abgesägt, treibt sie sofort wieder intensiv aus dem Stock oder Stamm aus. Dieses ausgeprägte Überlebenspotenzial trägt sicher auch zu ihrem hohen Lebensalter bei.

Die älteste Linde Europas soll eine Winter-Linde bei Gloucester in England sein. Sie ist – von Baumexperten/​Dendrologen seriös datiert – über 2.000 Jahre alt, wurde allerdings immer wieder auf den Stock gesetzt (= am Stammfuß abgesägt), mit einen Durchmesser der Stockrudimente von inzwischen über 16 m. Allerdings existiert schon länger kein einzelner dicker Stamm mehr, sondern nur ein „Ensemble“ von 60 jüngeren Linden, die alle aus den Stockresten des alten Mutterbaumes ausgetrieben sind. Solche Klonbäume können mit dieser Strategie theoretisch immer weiterleben, sie sind dadurch also sozusagen unsterblich – bis sie von einer Krankheit oder einem anderen Naturereignis zum Absterben gebracht werden. Dabei stellt sich die interessante Frage, wie man das Baumalter zählt, wenn der Vorgänger nach seinem Absägen wieder aus dem Stock ausgetrieben ist? (Was wir ja bei vielen alten Linden heute gar nicht sicher wissen.) Zählt bei dem Alter der jetzigen Bäume auch das Alter des Vorgängers mit? Es ist ja immer noch derselbe Baum. Es besteht einigermaßen Einigkeit, dass nur der jetzt lebende oberirdische Baum berücksichtigt wird. Auch die Umfangmessung ist bei solchen Baumkränzen/​-gruppen natürlich problematisch bzw. unmöglich – man kann ja nicht einfach um alle 60 Einzelindividuen der Gruppe herum messen.


Abbildung 6: Innenwurzeln im hohlen Stamm


Abbildung 7: Attraktive, intensiv nach Honig duftende Blüten

Oft bilden sich im Stamm dickerer Linden bis in größere Höhen Innenwurzeln, die sich vom zersetzenden eigenen Holz des Baumes ernähren. Sie treten in Erscheinung, wenn der Stamm aufreißt oder hohl wird und können beeindruckende Stärken und den Boden erreichen. Wenn man darauf achtet, wird man welche finden.

Die Blüten stehen bei der Winter-Linde zu 5 – 12 in Trugdolden (d. h. sie stehen in einer etwas gewölbten Ebene, die Blütenachsen entspringen aber nicht wie bei einer echten Dolde von einem Punkt), sind 5-zählig (mit je fünf gelbgrünen Kelch- und Kronblättern und zahlreichen Staubblättern) und sehen von Nahem schön aus. Sie öffnen sich zu Massen an jedem Baum erst im Juli, bei der Spät-Linde (zweiter deutscher Name der Winter-Linde) zwei Wochen später als bei der Sommer-Linde, und werden erst im Frühjahr vor dem Austreiben angelegt. Damit gehören sie zu den Spätblühern. Von denen gibt es nicht allzu viele unter den einheimischen Baumarten, weshalb die Linden bei Imkern und Naturschützern so beliebt sind (Lindenblütenhonig). Was gleich deutlich macht, dass die Bestäubung von Bienen (und Hummeln) übernommen wird. Wenn Linden blühen, kann man das (mit etwas Übung) unverwechselbar auch am Honigduft bis zu 200 m weit riechen. Diesen Duft mögen eigentlich alle Menschen.

Aus den Blüten entwickeln sich als Früchte kleine gestielte Nüsschen und das zum Blütenstand gehörige und mit seiner Achse verwachsene auffällige, längliche Tragblatt fördert die Windverbreitung bis zu 150 m weit. Die Früchte bleiben lange am Baum hängen (bis in den Winter) und dienen Vögeln und Kleinsäugern als Nahrung.

Die Wurzeln entwickeln ein Herzwurzelsystem bis etwa 1,5 m Tiefe. Bei entsprechenden Bodenverhältnissen kann es zur Bildung eines Flachwurzelsystems und bei großen Bäumen zu Bodenbelagshebungen durch oberflächennahe Wurzeln kommen.

2 Ökologie und Vorkommen

Das Heimatareal der Winter-Linde erstreckt sich über ganz Europa, mit Ausnahme des höheren Nordens, und bis nach Russland. Es reicht deutlich weiter nach Norden und Osten als das der Sommer-Linde und sie bildet dort sogar natürliche Reinbestände. Ihr Vorkommen ist vor allem im Berg- und Hügelland und im Auenbereich größerer Flüsse, wobei Schwerpunkte die Regenschatten-Bereiche von Harz, Rhön und Erzgebirge sind sowie Auenwälder an Elbe, Rhein, Saale und Oder. Nur im Gebirge bleibt sie hinter der Sommer-Linde zurück, die höher steigt (Winter-Linde in den Alpen bis 1200 m, Sommer-Linde bis 1700 m).

Die beiden Lindenarten unterscheiden sich deutlich in ihren Ansprüchen an Licht, Wasser, Wärme und Nährstoffe: Grundsätzlich ist die Sommer-Linde anspruchsvoller. Ihre größeren Blätter führen zu einer gröberen Verzweigung als die der Winter-Linde. Das fällt einem allerdings nur auf, wenn sie direkt nebeneinander stehen, sonst nimmt man den Unterschied nicht wahr. Im Englischen heißen die beiden daher small-leaved lime (Winter-L.) und large-leaved lime (Sommer-L.).

Die Winter-Linde ist eine Schattenbaumart, d. h. sie erträgt bis ins Alter Beschattung – einer der großen Vorteile im Wald und in Parkanlagen, da sie auch unter Altbäumen gepflanzt werden und aufwachsen kann und dort kaum kümmert wie fast alle anderen Baumarten.

Bei genauem Hinsehen findet man im Juli unter blühenden Linden sterbende Hummeln auf dem Boden, dies tritt am wenigsten bei Sommer-Linden auf, häufiger bei den später blühenden Winter-Linden und am häufigsten bei den noch später blühenden Silber-Linden (T. tomentosa), eine in der Stadt verwendete Lindenart aus Südosteuropa. Anfangs dachte man, dass der Nektar der nichtheimischen Silber-Linden für die Hummeln giftig wäre. Bei eingehenden Untersuchungen hat sich jedoch im Gegenteil herausgestellt, dass man die sterbenden Hummeln mit dem Nektar wieder zum Weiterleben animieren kann. Es liegt also nicht am Nektar, sondern daran, dass spät blühende Linden eine starke Lockwirkung auf die dann nach den versiegenden Nahrungsquellen suchenden Hummeln haben. Diese fliegen daher massenweise zu den Linden und dann reicht der Nektar der Bäume nicht mehr für die vielen Hummeln. Abhilfe kann nur geschaffen werden, indem für mehr Nektarquellen im Sommer gesorgt wird wie sie in Wildwiesen vorkommen, nicht jedoch in Golfrasen. Es sollten also noch viel mehr Winter-Linden gepflanzt werden, auch um den Hummeln zu helfen.

Die Krone ist ein sehr beliebter Lebensraum bei Vögeln, zum einen als Nistplatz, zum anderen wegen der Früchte im Winter als Nahrungsquelle. Unter den Pilzen sind häufig am Stamm(fuß) Lackporlinge, Austernseitling und Brandkrustenpilz zu finden. Auch die Laubholz-Mistel fühlt sich wohl in Lindenkronen.


Abbildung 8: Laubholz-Mistel in einer Lindenkrone

3 Nutzung, Verwendung, Heilkunde

Die Winter-Linde ist ein gleichermaßen sehr beliebter Wald- und Stadtbaum. Im Wald trägt dazu ihre Schattentoleranz und ihre Holzqualität bei, in der Stadt ihre Genügsamkeit, Heilwirkungen und Robustheit. In der Forstwirtschaft macht sie sich außerdem sehr viele Freunde als „dienende Baumart“ unter Eichen und Eschen, indem sie deren Stämme beschattet und so zur schnelleren Astreinigung führt, was bessere Holzqualitäten und damit höhere Verkaufspreise zur Folge hat.

Das schlichte Lindenholz hat eine weißliche bis gelbliche, dabei öfters etwas hellbraune bis leicht rötliche Färbung. Die Jahrringe sind schwer zu erkennen und die Längsflächen sind entsprechend nur leicht gefladert. Es ist relativ leicht, in getrocknetem Zustand halb so schwer wie Eichenholz. Das Holz von Sommer- und Winter-Linde ist mit herkömmlichen Methoden nicht unterscheidbar. Es ist das beste Schnitzholz, da es sehr weich ist und nicht splittert. Viele Kasperlepuppen und Krippenfiguren bestehen daher aus Lindenholz, ebenso die meisten Altar- und Wandfiguren in Kirchen – es wird deshalb auch als Sakral- oder „Heiligenholz“ (Lignum sanctum) bezeichnet. Man kann sogar ganz zarte Holzblüten daraus herstellen. Weiter findet es in der Drechslerei und Bildhauerei und in leichten Musikinstrumenten, z. B. in preiswerten Gitarren, für die Decke oder den Boden Verwendung.

Der Rindenbast wurde früher für Schnüre (Schnürsenkel), Kleidung, Taschen und Schuhe verwendet, bis heute als „Gärtnerbast“ – wegen seiner Reißfestigkeit. Daran merkt man, dass die Linde nah mit der Jutepflanze verwandt ist.

In der Stadt hat die Winter-Linde große Vorteile und

Vorzüge (Tab. 2).

Tabelle 2: Positive Eigenschaften der Winter-Linde als Stadtbaum

+ sehr gute Kompartimentierung (Abschottung bei Verletzungen und Pilzbefall)

+ sehr hohe Reiterationsfreudigkeit (Wiederaustrieb nach Verletzungen und Schnitt)

+ wichtiges Bienen-/​Hummelgehölz

+ späte, aromatisch duftende Blüte

+ anspruchslos und tolerant

+ kaum Krankheiten und Schäden

+ hohes Lebensalter bis 1.000 Jahre

Die Linden sind in den meisten Städten Mitteleuropas die häufigsten Bäume (nur Ahorne sind noch ähnlich verbreitet). Dazu trägt neben ihrem guten Anpassungsvermögen auch ihre Reaktionsfähigkeit auf Stammverletzungen und ihre hohe Schnitt-Toleranz bei. Selbst Verstümmelungen durch Kappungen überleben sie meist, allerdings nur mit der Folge erheblicher und lange anhaltender Stammfäulen (infolge der dann einige Jahre fehlenden Blätter, so dass es zur Unterversorgung mit Kohlenhydraten kommt). Leider war das Kappen von Linden vor Jahrzehnten sehr in Mode, die negativen Folgen wirken oft noch bis heute. Trotzdem wird es auch heutzutage noch häufig gemacht und dann gelegentlich als Regenerations- oder Verjüngungsschnitt bezeichnet.

Probleme verursacht an warmen Frühlings- und Sommertagen der aus Lindenkronen tropfende Honigtau: Kleine Zuckerwasser-Tröpfchen machen Fahrräder, Autos und Bänke klebrig, das hat wohl jeder schon erlebt. Selbst wenn diese beim nächsten Regen wieder abgewaschen werden und absolut unschädlich sind, machen sich die Linden dadurch zunehmend unbeliebt, denn unsere Ansprüche und Empfindlichkeiten gegenüber Stadtbäumen nehmen in letzter Zeit immer mehr zu. Gelegentlich wurde deshalb von Bürgern schon das Absägen von ganzen Lindenalleen in Wohngebieten gefordert, allerdings bisher ohne Erfolg.


Abbildung 9: Sehr gute Überwallung und Abschottung bei Verwundungen und Stammfäulen

Jungbäume sind empfindlich gegen Sonnenbrand: der dunkle Stamm mit seiner noch dünnen Rinde erhitzt sich bei neu auf Freiflächen gepflanzten Linden auf über 45 °C, was zu Rindenschäden auf der Südbis Westseite des Stammes und in der Folge zu einem Absterben und Aufplatzen der Rinde führen kann. Deshalb sieht man inzwischen so viele weiß angestrichene neu gepflanzte Bäume in der Stadt.

Beide Lindenarten haben gute Eigenschaften zur Lärmminderung und tolerieren auch höhere pH-Werte über 7, wie sie in der Stadt weit verbreitet vorkommen. Die Winter-Linde wächst am besten in leichten/​sandigen oder durchlässigen Böden. Sie ist überschüttungs- und strahlungstolerant, aber immissionsempfindlich.

Als Solitärgehölz oder in Alleen kann sie ihre Wirkung besonders gut entfalten. Die Linden haben ihren festen Platz als Gehölze in Siedlungen und in der Landschaft: Sie sind als Zierbaum in Parkanlagen und Gärten, auf Dorfplätzen, vor Kirchen, um Kapellen und auf Friedhöfen sehr beliebt. Hier werden sie auch häufig traditionell als Kopfbaum beschnitten. Etwas ganz besonders Schönes sind Tanzlinden: Früher sehr verbreitet, heute nur noch in wenigen älteren Exemplaren (zu 95 % Sommer-Linden), wurden in den Kronen alter Linden die Äste so „geleitet“, dass man einen Tanzboden in die Krone einbauen konnte, mit Geländer rundherum und einer Treppe zum Hochsteigen. Dann fanden Festveranstaltungen in und unter diesen Bäumen statt. Besonders schöne alte Exemplare, in denen auch heute noch getanzt wird, stehen in Effelder (Thüringen, eine Winter-Linde) und Effeltrich (Bayern).


Abbildung 10: Tanzlinde in Effelder bei Sonneberg/​Thüringen (Winter-Linde)

Nach der unter Stadtbaumexperten bekannten KlimaArtenMatrix (KLAM) ist die Winter-Linde auch in Zukunft als Stadtbaumart sehr gut bis gut verwendbar (Bewertung Schulnotenpaar 2.1 für Trockenstress-Toleranz und Frosthärte). Leider wird sie in letzter Zeit gelegentlich schlechter eingeschätzt, was allerdings aus meiner Sicht nicht zutrifft und wohl mit daran liegt, dass es Millionen von alten Linden in Stadt und Land gibt und davon natürlich auch ein Teil altersbedingt Probleme hat. Dies bedeutet aber nicht, dass die Baumart ungeeignet ist. Linden sind vielmehr auch weiterhin geeignet für Alleen, Parkplätze, Parks, Plätze, Promenaden/​Fußgängerzonen, Entrees, große Gärten und als Hausbaum. Eine der längsten und stammreichsten Lindenalleen Deutschlands dürfte die etwa 2 km lange, vierreihige Herrenhäuser Allee in den Hannoverschen Herrenhäuser Gärten mit insgesamt 1.300 Linden sein. Als Straßenbaum macht der Linde allerdings der Salzeintrag zu schaffen, die Blätter bekommen davon braune Ränder und können vorzeitig abfallen.

Es kann fast alles an der Linde in der Naturheilkunde genutzt werden. Besonders beliebt ist Tee aus Lindenblüten, er ist schweiß- und wassertreibend, krampflösend, magenstärkend und blutreinigend. Es gibt ihn in jedem größeren Supermarkt und natürlich in Apotheken. Medizinische Studien belegen seine biochemische Wirkung zur Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte, die Blüten enthalten als medizinisch wirksame Substanz das Lindenblütenöl. Dieses ätherische Öl aus den „Flóres Tiliae“ wird in Süddeutschland, Österreich, Schweiz, Belgien, Ungarn, Südrussland und in den Balkanländern gesammelt. Für heilkundliche Nutzung darf es nur aus den Blütenständen von Winter- und Sommer-Linden bestehen. Deshalb wachsen an vielen Bauernhöfen auch heute noch alte Teelinden. Der Sud aus Lindenblättern hat einen ähnlichen Effekt. Auch Umschläge aus aufgekochten Blüten haben heilende Wirkung.

Weiterhin sind Lindenblüten wie schon erwähnt eine wichtige Nahrungsquelle für Bienen, Hummeln und andere blütenbesuchende Insekten, die zur Produktion des begehrten Lindenblütenhonigs unentbehrlich sind. Auch zur Gewinnung von Ölen für kosmetische Präparate werden Lindenblüten verwendet.

Die Samen enthalten ein zitronengelbes fettes Öl, das hinsichtlich der Qualität bestem Olivenöl entspricht. Von einer technischen Produktion wurde jedoch abgesehen, da der durchschnittliche Ölanteil nur 9 – 16 % beträgt. Daneben wurde der Samen auch als Kaffeeersatz genutzt und unter Friedrich dem Großen wurde sogar versucht, Schokolade daraus herzustellen. „Lindenschokolade“ gibt es auch heute noch in Leipzig in Form eines Lindentalers aus handgeschöpfter Vollmilch-Schokolade mit Lindenblütenhonig-Sahne-Trüffelfüllung, da der Name Leipzig auf die Linde zurückgeht und sie von den dortigen Bewohnern besonders verehrt wird. Lindenblätter kann man (in „Notzeiten“) auch als Tabak rauchen.

Nach allem bisher Gesagten ist klar, dass keine andere Baumart/​-gattung so häufig und positiv in Esoterik und alternativer Heilkunde genannt wird wie die Linden. Dies wie auch das Nachfolgende erklärt ihre hohe Wertschätzung und Verehrung.


Abbildung 11: Dorftreffpunkt unter einer Winter-Linde

4 Mythologie und Brauchtum

Dorflinden, Gerichtslinden, Kirchlinden, Tanzlinden, Hofbäume, Sagen, Gebräuche und Ortsnamen zeugen von der jahrhundertelangen vielseitigen Bedeutung der Linden, auch als Grenzbäume in der Feldflur. In Mythologie und Brauchtum spielten sie eine wichtige Rolle. Der Treffpunkt unter der Linde im Ortszentrum war lange Zeit (vor Telefon und Internet) die wichtigste Kommunikations-, Informations- und Schaltzentrale für die Bevölkerung oder Treffpunkt für Verliebte.

Linden spielen zudem seit Jahrhunderten im Volksglauben und -leben, in der Religion und in der Poesie („Dichterlinden“) eine bedeutende Rolle. In slawischen und germanischen Stämmen galt der Baum als heiliger Baum der Frigga (Göttin der Fruchtbarkeit). Unter Lindenbäumen wurde gearbeitet, gespielt, getanzt, geheiratet und Gericht gehalten – „Tilialgericht“. Sie waren außerdem Talisman, Zauberbaum und Schutz gegen böse Geister und Blitze, eine Linde vor dem Haus galt als Schutzsymbol. Linden durften daher nicht gefällt werden, um die Familie vor Unglück zu bewahren.

Ein Treffen unter Linden war etwas Besonderes, es gab Kraft, Stärke und Mut und nahm das Böse fort. Standen Linden an einem Gewässer oder einer Quelle, so wurde dem Wasser heilkräftige Wirkung nachgesagt. Mit dem Bast der Linde konnten Teufel und böse Geister gefesselt werden, mit Lindenzweigen verjagte man Hexen. Viele Sagen, Gedichte, Bilder und Lieder sind entstanden, die den Linden eine besondere Stellung verleihen („Am Brunnen vor dem Tore … “) – mir sind inzwischen alleine über 20 Lieder und Gedichte bekannt.

Es gibt so viel Schönes und Interessantes zur Mythologie bei dieser Baumart, dass es dazu sogar einige Bücher gibt (siehe Literaturverzeichnis).

5 Sonstiges Interessantes/​Wissenswertes

Beim Pflanzen einer Linde sollte man bedenken bzw. berücksichtigen, dass sie 1.000 Jahre alt werden können. So sind auch die mit einem Alter von über 700 Jahren ältesten Bäume in Deutschland zu weit über 50 % Linden, viele davon in Dörfern oder Kleinstädten. Oft tragen sie besondere Namen wie z. B. die Zwölf-Apostel-Linde in Gehrden und die Auferstehungslinde in Annaberg. Ob auch der älteste Baum Deutschlands eine Linde ist (die oft genannte Tanzlinde von Schenklengsfeld in Hessen, eine Sommer-Linde), ist unsicher, da niemand ihr genaues Alter kennt – ich schätze sie auf ca. 900 Jahre und damit etwas jünger als die sonst oft genannten über 1.000 Jahre.

Außerdem gibt es viele Flur-, Orts- und Herbergsbezeichnungen sowie Familiennamen, die auf die Linde zurückgehen, wie z. B. CARL VON LINNÉ, dem einflussreichsten schwedischen Botaniker. Sie kommt in zahlreichen Wappen vor.

Der Name Linde soll vom biegsamen, weichen = linden Holz kommen, Tilia von lat. telum = Pfahl: Lindenzweige wurden zur Römerzeit für Rebpfähle genutzt.

Die häufigste Benennung von Gaststätten in Deutschland sind nach dem Ratskeller Namen mit Linde, z. B. Gasthaus zur Linde, Lindenhof etc. (Auswertung von 56.300 Gaststätten-Namen). Auch unter den Straßennamen ist sie die häufigste Baumart (-gattung): Lindenstraße, Unter den Linden etc. (2.648 mal). Das spricht für sich (und für die Linde). Am Berliner U-Bahnhof „Unter den Linden“ ist man tatsächlich unter Linden. Dies ist allerdings erst ab 2019 wieder möglich, denn der Bahnhof wird gerade komplett neu und umgebaut.

6 Schlussbemerkung

Die Linden sind unstrittig die Baumart(en) mit den seit Jahrhunderten vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten, der höchsten Wertschätzung und der größten Bedeutung in Mythologie und Esoterik. Dazu gibt es ganze Bücher, denen man anmerkt mit wie viel Liebe viele Menschen mit der Linde verbunden sind. Diese Wertschätzung alleine ist schon eine Kostbarkeit auch für die Winter-Linde. Daher und wegen ihrer vielen günstigen Eigenschaften sind Linden die häufigsten Bäume Deutschlands und Mitteleuropas in Stadt und Landschaft.

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Autor

Prof. Dr. Andreas Roloff ist Baumbiologe und Lehrstuhlinhaber an der TU Dresden, Vorstandsmitglied der Baum des Jahres-Stiftung und war bis 2015 Vorsitzender vom Kuratorium Baum des Jahres. Er leitet das Institut für Forstbotanik und Forstzoologie sowie den Forstbotanischen Garten der TU Dresden in Tharandt, ist Fachreferent für Parks, Gärten und städtisches Grün im Rat der Dt. Dendrologischen Gesellschaft und gibt federführend die weltweit verbreitete Enzyklopädie der Holzgewächse heraus.


Institut für Forstbotanik und Forstzoologie

Pienner Str. 7

01737 Tharandt

roloff@forst.tu-dresden.de

Jahrbuch der Baumpflege 2016

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