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Kappungen und ihre Konsequenzen für Baumbiologie und -statik

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Tree topping and consequences for tree growth and tree statics

von Henrik Weiß

Zusammenfassung

Kappungen verändern das Wachstum und haben mittel- und langfristig Folgen für Bruch- und damit Verkehrssicherheit von Bäumen. Die großen Wunden, der Kronenverlust und deren Folgen führen zu einer ungünstigen Kronenentwicklung und zum erhöhten Risiko für Wurzel- und Holzfäulen. Deshalb erhöht sich der künftige Aufwand zur Pflege und zum verkehrssicheren Erhalt gekappter Bäume. Die baumpflegerische Nachbehandlung von vor kurzem gekappten Bäumen zielt entweder auf eine ständig klein bleibende Krone oder auf die frühzeitige Ständervereinzelung in Verbindung mit der Wiederherstellung der Kronenhierarchie. Bei Individuen, die vor längerer Zeit gekappt wurden, ist der Einbau von Kronensicherungen oft die einzige verbleibende Möglichkeit (als Alternative zum starken Rückschnitt), um mittelfristig die Verkehrssicherheit wieder herzustellen.

Summary

Tree topping (“rounding over”, “hat-racking” or “heading”) changes the way trees grow and in the long run causes problems with break safety and traffic safety. Large pruning wounds and the removal of major parts of the tree crown make trees more prone to pathogens which may engender wood decay. Therefore time and effort for tree care increase. If topped trees are maintained, such developments have to be counteracted as early as possible. The tree care after-treatment of recently topped trees aims either at maintaining a permanently small crown or at the early thinning of main branches in connection with the restoration of the crown hierarchy. Installations of crown stabilization systems often are the only option for re-establishing safety at medium term to prevent accidents through trees.

1 Einleitung

Sinn und Nutzen von Kappungen werden immer wieder kontrovers diskutiert, obwohl auf Grundlage der Erkenntnisse zum Wund- und Abschottungsverhalten und einer Betonung der gestalterischen Funktion von Bäumen mit einem natürlichen Habitus in der Fachwelt schon seit Langem Konsens über die strikte Ablehnung dieser „nicht fachgerechte[n] Schnittmaßnahme“ besteht (FLL 2001; BRELOER 2003; KLUG 2003; WÄLDCHEN 2003; FLL 2006b; KLUG 2006). Seit einer heftig geführten Diskussion zur Neufassung des Vorgängers (FLL 2001) der jetzt gültigen Fassung der ZTV Baumpflege hat sich diese Auffassung folgerichtig auch in den neuesten Regelwerken zur Baumpflege durchgesetzt (FLL 2004; 2006a).

Dennoch sieht man heute immer wieder gekappte Bäume oder Bäume mit kappungsähnlich eingekürzten Ästen sowohl auf öffentlichen als auch privaten Grundstücken.

Vielmals ist es die Angst vor großen Bäumen mit ihrer Beschattung und auch möglichen Problemen für die Verkehrssicherheit kombiniert mit der Überzeugung, dass ein einmaliger „Radikalschnitt“ künftig weniger Pflegeaufwand und -kosten verursacht, die zu solchen Baumverstümmelungen führt. Weil die gekappten Bäume manchmal auch Jahre nach dem Eingriff wüchsig und vital erscheinen, kann der Eindruck entstehen, dass die in dieser Weise behandelten Individuen gesund seien.

Die stark veränderte optische Erscheinung wird andererseits oft als deutlicher Verlust der vormaligen optischen (gestalterisch-architektonischen, ortsbildprägenden) Baumfunktion wahrgenommen und ist deshalb häufig Anlass für deutliche Kritik an der Maßnahme. Die gesamte Tragweite der Auswirkungen für den Baum ist aber immer noch nicht allen Ausführenden klar, weil sich beispielsweise das veränderte Wachstum und mögliche Probleme für die Bruch- und Standsicherheit erst sehr viel später zeigen.

Ehemals gekappte Bäume sind langfristig schwierige „Pflegefälle“, von denen sogar eine große Gefahr ausgehen kann. Von der Fachwelt wird deshalb gefordert, durch richtige Baumpflegemaßnahmen die Entwicklung von Bäumen zu fördern und deren Erhalt zu sichern. Daran sollten sich alle Maßnahmen am Baum selbst und in seinem Umfeld messen lassen, wenn mit Hilfe einer fachgerechten Baumpflege der langfristige Baumerhalt an dem jeweiligen Standort erreicht werden soll. Die Kappung erfüllt diese Forderung nicht.

2 Begriffe

2.1 Wachstum und Habitus

Für Bäume als ortsgebundene und langlebige Lebewesen ist die Bedeutung ihres Standortes und der dort auftretenden Umwelteinflüsse ungleich größer als für andere Pflanzen oder gar Tiere. Im natürlichen Konkurrenzkampf können sie sich normalerweise an vielen Standorten deshalb durchsetzen, weil sie rasch große Wuchshöhen und ein relativ hohes Alter erreichen können. Dabei überleben sie nicht selten jahrhundertelang ortsfest alle Umwelteinflüsse und Veränderungen (Klimaschwankungen, Jahreszeiten, Stürme, Krankheiten, Wassermangel und -überschuss, Beschattung u. ä.), weil sie von vornherein seit früher Jugend einerseits hinreichend angepasst und andererseits im Vergleich zu anderen Organismengruppen auch besonders anpassungsfähig (im Laufe des meist langen Lebens) sind (ROLOFF 2004).

Auf die Vielzahl von äußeren Einflüssen reagieren Bäume zeitverzögert und langsam durch Änderungen beim Wachstum. Dies wird durch innere Prozesse gesteuert, bei denen chemische Botenstoffe (pflanzliche Hormone = Phytohormone) die wesentliche Rolle spielen – ein Nervensystem fehlt den Pflanzen.

Ein wesentliches Ergebnis, die Ausbildung des arttypischen Kronenaufbaus (Verzweigungsmuster), ist zwar zunächst genetisch fixiert. Die Ausprägung wird aber beim Wachstum durch die Wirkung einzelner Hormone und deren Wechselwirkung gesteuert (Abbildung 1). Hierbei sind noch nicht alle Phänomene bis in das letzte Detail erforscht, jedoch können einige grundlegende Mechanismen als gesichert gelten.

Eines der wichtigsten Phytohormone, das Auxin (Indol-3-Essigsäure, IAA), fördert das Spitzenwachstum und reguliert damit maßgeblich den Kronenaufbau. Dabei ist aber nicht die Auxinkonzentration allein wichtig, sondern das artspezifische Verhältnis der Konzentrationen verschiedener Hormongruppen, welches die Entstehung von Kronenhierarchie und Habitus eines Baumes steuert.

Im Unterschied zur Synthese des Auxins, das in erster Linie im Apikalmeristem (Terminalknospe) von Sprossen und jungen Blättern gebildet wird, ist der Syntheseort der anderen beiden wichtigen Hormongruppen Cytokinine und Gibberelline an anderen Stellen im Baum zu finden (RAVEN et al. 2006; BÖHLMANN 2013).

Derzeit gibt es eine Reihe von Hinweisen, dass wahrscheinlich Wurzelspitzen Orte der Cytokininsynthese sind (RAVEN et al. 2006). Bei Wachstumsprozessen wirken die Cytokinine zu Auxin antagonistisch. Sie können durch ein erhöhtes Auftreten die Auxinproduktion stören oder hemmen und Seitentriebe zum Austreiben bringen (BÖHLMANN 2013).

Als weitere wachstumssteuernde Phytohormone werden die Gibberelline (nach dem Schlauchpilz Fusarium heterosporum = Syn. Gibberella fuikoroi) in den Blattanlagen, jungen Blättern, in den Embryonen von unreifen Samen und Früchten sowie in Pollenkörnern und Wurzelmeristemen gebildet und von dort meist ungerichtet in der Pflanze verteilt. Bemerkenswert ist hierbei, dass (im Gegensatz zum Auxin) Gibberelline auch in Wurzeln synthetisiert werden. Sie fördern das Streckungswachstum und sind ganz wesentlich an der Zellteilung des Kambiums beteiligt. Dies erfolgt im Zusammenspiel mit Auxinen, wobei bei Überwiegen von Auxin (IAA) die Bildung von Zellen des Holzteiles, bei Verschiebung zugunsten von Gibberellin die Bildung von Zellen des Bastes (Rinde) erfolgt (BÖHLMANN 2013).


Abbildung 1: Phytohormone mit wesentlichem Einfluss auf das Wachstum von Bäumen und deren hemmende bzw. fördernde Wirkungen

Alle weiteren Phytohormone wie z. B. Abscisin (wachstums- und austriebshemmend sowie wichtig für die „echte Winterruhe“) und Ethylen (Gravitropismus, Fruchtreife, Kommunikation) wirken z. T. ebenfalls in Wechselwirkung mit den drei anderen Hormonen wachstumssteuernd.

2.1.1 Apikaldominanz, Apikalkontrolle

Beim akrotonen (spitzenbetontem) Wuchs beeinflussen die Auxine in den Terminal(End)knospen am Haupttrieb (Apikalmeristem) Austriebszeitpunkt, Wuchsrichtung und Zuwachs der Seitenknospen und -triebe. Besonders im ersten Jahr führt der hemmende Einfluss, den die Spitzenknospe ausübt, zur strengen Apikaldominanz und verhindert den Austrieb der weiter unterhalb gelegenen Seitenknospen im selben Jahr vollständig. In der nächsten Vegetationsperiode wirkt diese Austriebshemmung meist nicht mehr.

Selten kann sich an vitalen Zweigen ein Seitenspross gleichzeitig mit dem Hauptspross entwickeln (Syllepsis). Aber auch dann bleiben diese sylleptischen Seitentriebe wie auch die ein Jahr später austreibenden regulären Seitentriebe mit ihrer Länge zunächst hinter dem Spitzentrieb zurück und entwickeln sich mehr oder weniger waagerecht.

Der Einfluss, den ein zentraler Leittrieb über mehrere Jahre bzw. sogar lebenslang auf seine Seitenachsen ausübt (Apikalkontrolle), verschwindet, sobald die Terminalknospe beschädigt oder entfernt wird. Dann richten sich die obersten Seitenzweige auf und es beginnt ein Konkurrenzkampf um die Apikalkontrolle, der entweder wieder zu einer Spitze – die anderen Zweige wachsen dann wieder waagerecht – oder zur Mehrstämmigkeit führt.

Ein durch die Apikalkontrolle beeinflusster Kronenaufbau ist ein wichtiges (Prüf-)Kriterium für den habitusgerechten Baumschnitt. Bei falschem Kronenschnitt, z. B. bei Kappungen oder Schnitten im Internodialbereich (statt an einer Astgabel) oder beim „Rasierschnitt“ aller Äste der Oberkrone auf eine gleichmäßige Höhe ist bei entsprechend vitalen Bäumen ein „unkontrolliertes“ Seitentriebwachstum und Austreiben die Folge. Hier ist der Folgeaufwand für die Baumpflege oft deutlich höher als bei Bäumen, die unter Beachtung der ursprünglichen Kronenhierarchie geschnitten wurden.

2.1.2 Kronenaufbau durch Stämmlinge und Ständer

Als Stämmling bezeichnet man einen „aus dem Stammkopf heraus, überwiegend aufrecht wachsenden kronenbildenden Teil eines Baumes“ (FLL 2006b). Diese Definition charakterisiert im Wesentlichen kronenbildende Teile von Laubbäumen. Bei den meisten Nadelbäumen bildet die Gipfelknospe in jeder Vegetationsperiode einen Jahrestrieb. So bilden sich i. d. R. keine konkurrierenden Stämmlinge, nur an der Gipfelknospe wächst normalerweise (genetisch bedingt) in jeder Vegetationsperiode ein dominanter aufrechter Jahrestrieb (durchgehende Hauptachse), während die Seitenzweige in der Regel untergeordnet mehr oder weniger horizontal vom Hauptstamm abstehen und erst an ihrer Spitze aufwärts gekrümmt sind.

Viele Laubbäume wachsen als Jungpflanzen zunächst ähnlich. Durch die Apikalkontrolle der Gipfelknospe bildet der Haupttrieb in der Jugend einen durchlaufenden Stamm so z. B. bei Trauben-Eiche (Quercus petraea LIEBL.), Gemeine Esche (Fraxinus excelsior L.) und Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus L.). Später lässt die Apikalkontrolle des Haupttriebes nach, die Seitenzweige werden zu Konkurrenten – die strenge Kronenhierarchie der Jugend wird aufgegeben. Die Hauptachse stellt früher ihr Höhenwachstum ein, sodass die Seitenäste den Haupttrieb übergipfeln können (BRAUN 1982). Am alten Laubbaum wird die Krone aus mehreren mehr oder weniger gleichrangigen Hauptachsen (Stämmlingen) gebildet (Abb. 2 links), die in gewisser Weise autonome Architektureinheiten bilden (PFISTERER 1999). Die Stämmlinge entwickeln sich also als reguläre Achsen (Haupttrieb mit regulären Seitenästen) und sind deshalb untereinander statisch günstig (stabil) verbunden.

Als Ständer bezeichnet man aufrecht wachsende Äste, die sich insbesondere an Kappstellen entwickeln (FLL 2006b). Die aus schlafenden Knospen und/​oder aus (traumatisch, d. h. nach Verletzung) neu gebildeten Knospen hervorgegangenen Achsen sind statisch ungünstig nur in der Querschnittsperipherie am Stamm angebunden und dadurch deutlich stärker ausbruchgefährdet als reguläre Äste. Zudem entwickeln sie sich ohne den kontrollierenden Einfluss eines Wipfeltriebes von Anfang an als selbstständige Teilkronen, sodass bei Betrachtung der gesamten Sekundärkrone keine Kronenhierarchie feststellbar ist. Das Wachstum dieser Ständer kann in den ersten Jahren sehr rasant erfolgen, die Lichtkonkurrenz bewirkt dabei zunächst ein schnelleres Höhenwachstum, das sich im relativ hohen Höhen-Durchmesser-Verhältnis (h/​d-Verhältnis1, Schlankheitsgrad) der Ständer widerspiegelt (Abbildung 2 rechts).

2.2 Versorgungsast

Werden bei der Baumpflege Äste abgeschnitten (eingekürzt), so kann dies entweder fachgerecht an einer Astgabel oder inmitten eines unverzweigten Achsenabschnitts (internodial) erfolgen. Nach den Regelwerken für einen fachgerechten Baumschnitt (z. B. Hamburger Schnittmethode, STOBBE et al. 1998; FLL 2006b) müssen diese bei fachgerechter Ausführung grundsätzlich auf einen ausreichend dimensionierten Versorgungsast („Zugast“ mit mind. 1/​3 Durchmesser der Schnittstelle) abgeleitet werden (Abbildung 3) (STOBBE et al. 1998; FLL 2006b). Dieser verbleibende Ast dient dazu, die Stoffflüsse und damit die Lebensvorgänge des gekürzten Astes aufrecht zu erhalten und vor allem die Wunde mit den zur Abschottung und Überwallung erforderlichen Assimilaten zu versorgen (ROLOFF 2004). Zudem unterbleibt auf diese Weise die Bildung mehrerer unerwünschter Neutriebe nahe der Schnittstelle.


Abbildung 2: Kronenaufbau aus mehreren gleichrangigen Stämmlingen einer ca. 200-jährigen Flatter-Ulme (links); ca. 50 Jahre alte Ständer einer ehemals gekappten Linde (Stämmlingskappung)

Untersuchungen in zwei Diplomarbeiten an Ahorn und Esche in Dresden haben bestätigt, dass die Gesamtbiomasse der neuen Austriebe maßgeblich von dem Vorhandensein eines Versorgungsastes und vom Verhältnis Basisdurchmesser Versorgungsast zum Durchmesser der Schnittwunde abhängt (RICHTER 2009; SCHNEIDER 2009). Ist kein Versorgungsast vorhanden, treiben bei vitalen Bäumen an der Kappstelle viele neue Triebe aus, die zudem in den Anfangsjahren sehr schnell (explorativ) in die Höhe (Länge) wachsen (Abbildung 4). Hieraus können sich auch statische Probleme ergeben (Ausbruchgefahr). Die Kronenhierarchie ist meist langfristig gestört und nur mit Hilfe häufiger und aufwändiger Pflegeschnitte annähernd wieder herstellbar. Diese Erscheinung ist bei einem vorhandenen Versorgungsast deutlich weniger ausgeprägt, wobei bei stärkeren Versorgungsästen das Austriebsverhalten stärker gedämpft wird (Abbildung 5).


Abbildung 3: Fachgerechte Einkürzung: Aststubben schneiden und einzukürzende Äste auf Versorgungsast ableiten (d = Durchmesser des Versorgungsastes)


Abbildung 4: Erneutes Einkürzen von Ständern eines ehemals gekappten Spitz-Ahorns, z. T. internodial bzw. ohne ausreichend dimensionierte Versorgungsäste (links) führt zu vielen explorativen Trieben an allen geschnittenen Achsen (rechts)

2.3 Kappen

Kappen (Köpfen) ist ein schon seit langem verwendeter Begriff für „abschneiden, die Spitze wegschneiden“ oder „die Krone oder die Zweige um die Spitze abhauen“ bei Bäumen (GRIMM & GRIMM 1854 – 1960). Heute steht in der Fachwelt fest: „Kappung ist das Absetzen des größten Teils oder der gesamten Krone eines Baumes ohne Rücksicht auf den Habitus oder physiologische Erfordernisse bei einem Altbaum.“ (KOWOL 1998). Oder Kappung gilt als „umfangreiches, baumzerstörendes Absetzen der Krone ohne Rücksicht auf Habitus und physiologische Erfordernisse (keine fachgerechte Maßnahme!)“ (FLL 2006b).

Bei der Stammkappung wird die gesamte Krone abgesetzt und es bleibt vom Baum nur der Stamm übrig (Abbildung 6 links). Gelegentlich wird für den Zustand unmittelbar nach der Kappung in Anlehnung an die Forstwirtschaft die Bezeichnung „Hochstubben“ verwendet – wenn man die negative zukünftige Entwicklung des Baumes berücksichtigt, ist das beinahe zutreffend. Die Stämmlingskappung („Stümmelschnitt“) belässt neben dem Stamm auch einige basale Reststücke der stärksten Äste: Stämmlinge (Abbildung 6 rechts).


Abbildung 5: Gesamtes Wachstum (Produkt aus mittlerer Anzahl und mittlerem jährlichen Zuwachs aller Reiterate je Schnittstelle an eingekürzten Ständern von ehemals gekappten Eschen) in den Klassen des Verhältnisses von Versorgungsast und Schnitt (RICHTER 2009)


Abbildung 6: Links: Stammkappung an Säulen-Pappel; hier wurde nicht nur der Stamm gekappt, sondern anschließend auch sehr „gewissenhaft“ jeder Ast am verbleibenden Stammstück entfernt. Rechts: Stämmlingskappung an einer solitären Linde mit wichtiger gestalterischer Funktion für das Grundstück. Der Baum kann diese optische Wirkung sicher nie mehr erreichen.


Abbildung 7: Reiteration am Berg-Ahorn nach nicht fachgerechter Kappung von Starkästen, unmittelbar nach der Schnittmaßnahme (1), 1 Jahr (2) bzw. 3 Jahre (3) und ausgedehnte Rindennekrosen an Kappungsstellen 3 Jahre nach dem Schnitt (4). Der Baum starb wenige Jahre später ab.

Kronenschnittmaßnahmen, die in Unkenntnis wachstumsbeeinflussender Prozesse oder entgegen den Erkenntnissen über Verletzung, Wund- und Abschottungsreaktion im Starkastbereich und ohne Rücksicht auf entsprechend dimensionierte Versorgungsäste ausgeführt werden, bewirken auch eine Zerstörung des arttypischen Kronenhabitus (Abbildung 7). Sind die so behandelten Bäume relativ vital, wird sich durch die unkontrollierte Reiteration eine stark pflegebedürftige Sekundärkrone entwickeln – oder der Baum stirbt Jahre später ab. Solche falschen Schnittmaßnahmen können, wenn auch in abgeschwächter Form, den Kappungen gleichgesetzt werden.

2.4 Kopfform, Kopfbaum

Das Köpfen und der Rückschnitt von Formgehölzen oder von Bäumen in Gehölzgruppen mit gestalterischer Formvorgabe (Abbildung 8 links) sind von der oben beschriebenen Kappung strikt zu unterscheiden. Auch historische Nutzungsformen bestimmter Baumarten führ(t)en durch den regelmäßigen Schnitt ab dem Jungbaumstadium zu Kopfbäumen (Abbildung 8 Mitte).

Das Kleinhalten der Baumkronen durch den regelmäßigen Schnitt in derselben Höhe hatte ursprünglich praktische Gründe. Bestimmte Baumarten (verschiedene Salix-Arten und -Sorten) dienten dabei als Quelle für junge Zweige als Material für die Korb- und Möbelflechterei (Abbildung 8 Mitte). Da sich die Schnittmaßnahmen in kurzen Abständen wiederholen (müssen!), sind die hierbei entstehenden Wunden klein und können vom Baum gut verkraftet werden. Im Gegenteil, die regelmäßige Überwallung der vielen kleinen Schnittwunden führt sogar zu festen und pilzresistenten (dauerhaften) Stammköpfen. Diese Schnittmaßnahme hat also nichts mit dem Absägen der Hauptäste oder ganzer Kronen bei den Kappungen zu tun (BELTZ 1999).

Heute besteht meist kaum noch Bedarf an Flechtruten und die Ständer alter Kopfbäume sind oft überaltert. Dies hat zur Folge, dass sich bei diesen Bäumen ähnliche statische Probleme wie an gekappten Bäumen entwickeln (Abbildung 8 rechts).


Abbildung 8: Kopfplatanen als Gestaltungsmittel (links); Kopfweiden in freier Landschaft mit jungen Reiteraten (Mitte) und lange Zeit nicht geschnitten (rechts)

Da sich Gehölze durch bestimmte Schnittmaßnahmen in unterschiedlichste Formen bringen und dann dauerhaft halten lassen, sind Formgehölze auch ein wichtiges Mittel der Gartengestaltung. Beinahe noch wichtiger als bei den nutzungsbedingten Kopfbäumen ist bei Formgehölzen der regelmäßige Schnitt im Schwachastbereich. Verjüngungsversuche alter Formgehölze durch radikale Entfernung von Starkästen führen auch hier, ähnlich wie bei den Kappungen, zu Baumruinen (BELTZ 1999; EHSEN 2002).

2.5 Kronensicherungsschnitt

Die Definition des Kronensicherungsschnittes (KSS) lautet: „Bei schwer geschädigten Bäumen, oftmals mit nur noch kurzer Lebenserwartung, die trotzdem erhalten werden sollen, sind entsprechend den Erfordernissen zur Herstellung der Verkehrssicherheit Kronenteile oder die gesamte Krone im Grob- und Starkastbereich einzukürzen“ (FLL 2006b). Der Kronensicherungsschnitt führt aus statischer Sicht (sehr starke Entlastung) und leider auch beim Erscheinungsbild oftmals zu einem ähnlichen Ergebnis wie eine Kappung – aber bei einem stark geschädigten Baum aus gutem Grund. Kappungen erfolgen dagegen oft an vorher gesunden und weitgehend intakten Bäumen ohne vernünftigen Grund.

Manche Bäume erfüllen nicht nur durch ihre optische Wirkung wichtige Funktionen, sondern sie können auch aus naturschutzfachlichen, denkmalpflegerischen oder kulturhistorischen Gründen von wichtiger Bedeutung sein. Das Streben, den Baum (wenn auch nur als Torso) zu erhalten, dient dann vorrangig anderen Zielen und nicht unbedingt dem Wunsch nach einer nachhaltigen Entwicklung des Baums mit einem natürlichen Habitus. Aber auch dann sollte der Schnitt unter Berücksichtigung eines Mindestmaßes baumbiologischer Grundsätze erfolgen, denn nur so kann der Baum auch mit stark verändertem Habitus noch möglichst lange als Lebensraum für seltene xylobionte Insekten oder als Baumdenkmal usw. verkehrssicher erhalten werden. Bei der Sondermaßnahme KSS wird i. d. R. gleichzeitig alles bruchgefährdete Totholz aus der Baumkrone entfernt. Manchmal kann es aber erwünscht sein, dass auch abgestorbene, aber noch statisch feste Starkäste – je nach Baumart und Sicherheitserwartung am Standort – in der Krone (evtl. eingekürzt) belassen werden. Sie stellen einen besonders raren Lebensraum für seltene holzbewohnende Insekten dar (AMMER 2004; ZABRANSKY 2004).

3 Auswirkungen von Kappungen

Auf die rigorose Schnittmaßnahme und den Verlust großer Kronenteile reagieren die betroffenen Bäume in Abhängigkeit von der Art, dem Standort und ihrer Vitalität sehr unterschiedlich. Bestimmte Erscheinungen sind jedoch an allen Bäumen gleich.


Abbildung 9: Auswirkungen von Kronenkappungen

Kappung bedeutet immer den Verlust des größten Teils oder sogar der gesamten Blattmasse. Deshalb kann der Baum nach der Schnittmaßnahme zunächst keine Photosynthese mehr betreiben. Parallel dazu wird der Baum die verbliebenen Reserven vorrangig für den Neuaustrieb und den Wundverschluss verbrauchen. Der Verlust der Blattmasse hat aber auch noch weitere Auswirkungen (vgl. auch Abb. 9):

 Die großen Schnittflächen sind erhebliche Wunden, an denen Luft in das Wasserleitsystem eintritt. Die Embolien in den Gefäßen zerstören oder verringern den wasserleitenden Querschnitt.

 Der Wegfall der transpirierenden Blattoberfläche bringt den Transpirationssog als wesentlichen „Motor“ des Wassertransports zum Erliegen.

 Wegen der Zerstörung des Schutzes durch die Borke entsteht ein erhöhtes Risiko des Befalls durch Pathogene, bei obligatorischen Kernholzbildnern können sich Kernfäuleerreger etablieren.

 Das hormonelle Ungleichgewicht bewirkt eine langfristige Veränderung hormonell gesteuerter Vorgänge, wie die vormals spitzendominierte Kronenhierarchie und das Wurzelwachstum.

3.1 Direkte Folgen der Schnittwunde

Direkte Folge einer Kappung ist in jedem Fall eine sehr große Wunde und der Verlust der schützenden Borke an der Kappungsstelle. Die Verwundung führt unmittelbar in den wasserleitenden Gefäßen und Tracheiden des Splintholzes durch Lufteintritt zu Embolien. Das traumatische Ereignis führt zur großflächigen irreparablen Zerstörung des Wasserleitsystems, sodass auch bei zerstreutporigen Baumarten und bei verzögerter Kernholzbildung (Splintholzarten) erst die Neubildung von Jahrringen wieder zu einer funktionierenden Wasserleitung führt.

Nachfolgend werden sich, je nach Jahreszeit, zunächst Schimmel-, später holzzersetzende Pilze ansiedeln. Bei Baumarten mit Kernholz wird dieses bei der Kappung freigelegt. Im Kernholz sind (im Gegensatz zum Splintholz) alle Zellen abgestorben. Hier besteht also keine Möglichkeit mehr, auf die Verwundung zu reagieren und durch aktive Prozesse ein Ausbreiten von Kernfäuleerregern einzuschränken. Kernholzfäulen an den Kappungsstellen breiten sich deshalb langfristig ungehindert im gesamten Stamm aus.

Natürlich stehen vitalen Bäumen aktive schadensminimierende Mechanismen zur Verfügung, um (kleine) Wunden zunächst gegenüber dem restlichen Holzkörper abzuschotten. Geschwindigkeit und Effektivität dieser Kompartimentierung sind außer von der genetisch fixierten, arttypischen Konstitution vor allem von der Verfügbarkeit energiereicher Kohlenstoffverbindungen als Stoffwechselgrundlage der lebenden Parenchymzellen abhängig. Gekappte Bäume können mangels Blattmasse und Zusammenbruch der Photosyntheseleistung nur auf die verbliebenen Speicherstoffe (Reserve) zurückgreifen.

Vor allem wegen der Wundgröße nach einem Kappungsschnitt erfolgt kein schneller und effektiver Verschluss der Wunde. Die vollständige Einkapselung der Fäule durch komplette Überwallung (Phase 4 des CODIT-Prinzips als effektivste Strategie des Baums gegen die Verletzungsfolgen, vgl. DUJESIEFKEN & LIESE 2008) wird nicht erreicht.

3.2 Gestörte Kronen- und Wurzelentwicklung

Mit dem Verlust der Krone sind auch die spezifischen Konzentrationsverhältnisse der verschiedenen wachstumssteuernden Hormone langfristig gestört. Die Produktion des Auxins kommt plötzlich vollständig zum Erliegen und auch die Synthese der Gibberelline wird stark eingeschränkt. Die Wurzeln produzieren aber weiterhin Cytokinine, das führt vor allem zu einer extremen Verschiebung des Auxin/​Cytokinin-Verhältnisses. Der Cytokininüberschuss fördert nun Austrieb, Knospenbildung und Streckungswachstum, also überlebenswichtige Wachstumsprozesse für die Kronenregeneration und zur Bildung einer Sekundärkrone. Dies erklärt die verstärkte Bildung traumatischer Knospen und das anschließende rasante Höhenwachstum der Austriebe bei kürzlich gekappten Bäumen.

Zwischen den zunächst voneinander unabhängig austreibenden Reiteraten beginnt ein starker Konkurrenzkampf. Wegen ihrer starken Höhenentwicklung und dem gleichzeitig eher untergeordneten Dickenwachstum haben die Ständer hohe Schlankheitsgrade.

Die Konkurrenz der Austriebe führt zwar zu einer gewissen Differenzierung, sodass nicht alle Austriebe an der mittelfristigen Oberkronenentwicklung beteiligt sind, jedoch kommt es insbesondere bei Laubbäumen im Prinzip nie mehr zu einer arttypischen Kronenhierarchie. Ein Teil der Ständer konkurriert zeitlebens miteinander.

3.3 Unterversorgung von Stamm und Wurzel

In jedem Fall ist nach der Kappung das während der langen Baumentwicklung zuvor entstandene optimale Verhältnis von Kronen- und Wurzelvolumen gestört (meist noch nach vielen Jahren). Große Teile des Sprosses und (mit weitaus schwerwiegenderen Folgen) der Wurzel werden nicht mehr ausreichend mit Assimilaten versorgt. Die Unterversorgung kann zum Absterben eines Teils der Wurzeln führen. Der Kronenschnitteinfluss wurde unter anderem auch im Obstbau näher untersucht und es wurde festgestellt, dass stark geschnittene Bäume kleinere Wurzelsysteme ausbilden (FRIEDRCH & FISCHER 2000). Da die Wurzeln aufgrund fehlender eigener Auxinbildung gegenüber den Trieben und Früchten benachteiligt sind, wird ihr Wachstum in Phasen starken Trieb- und Fruchtwachstums eingeschränkt und kann weitgehend zum Stillstand kommen. Dies könnte bei gekappten Bäumen also neben dem Absterbeprozess wegen der Unterversorgung in der Phase des starken Neuaustriebes zusätzlich zur Einschränkung des Wurzelwachstums führen.

Auch das sekundäre Dickenwachstum des Stammes fällt in den Jahren nach der Kappung vergleichsweise geringer aus. An gekappten Linden, die drei Jahre zuvor an den ca. 50-jährigen Ständern stark eingekürzt worden waren, konnte in den Folgejahren ein starker Einbruch im Radialzuwachs nachgewiesen werden (SCHADEBERG 2003). Mit zunehmender Regeneration der Krone erholt sich auch der Dickenzuwachs allmählich, allerdings sehr unterschiedlich in den verschiedenen Stammhöhen. Die Jahrringbreiten im oberen Kronenbereich erreichen schneller wieder das vorherige Niveau als im unteren Stammbereich. Dafür kann auch der lange Zeit fehlende Spannungsreiz am für die zunächst nur kleine Krone „überdimensionierten“ (und somit wenig biegebeanspruchten) Stamm die Ursache sein.

3.4 Langfristige Einschränkung der Verkehrssicherheit

Gekappte Bäume erscheinen zwar durch die üppige Belaubung, die dichte Verzweigung und das rasante Wachstum der ggf. entstandenen Austriebe zunächst vital. Die abgestorbenen Wurzeln und die großen Schnittwunden im Stammbereich werden jedoch von Pilzen besiedelt, die in der Folge das Holz zersetzen. Dieser i. d. R. erst viel später wahrgenommene Prozess wirkt über einen langen Zeitraum und beeinflusst wesentlich die ungünstige Entwicklung der Bruch- und Standsicherheit der gekappten Bäume.

In günstigen Fällen etablieren sich zunächst hauptsächlich wenig aggressive Wundfolgeparasiten (z. B. Trameten, Rauchporling, Hochthronender Schüppling u. a.). Diese, für manche gefährlicheren, holzzersetzenden Pilze antagonistisch wirkenden Organismen vermögen dann einen gefährlich schnellen Holzabbau zu verzögern. Andererseits besteht immer die Gefahr einer Infektion durch gefährlichere Holzzersetzer, die sich auch sonst an Stammkopfwunden oder großen Astungswunden etablieren (z. B. Echter Zunderschwamm, Schuppiger Porling, Zottiger Schillerporling, verschiedene Feuerschwämme, Buckeltramete usw.) oder sogar durch vorrangig Stammfuß- bzw. Wurzelfäule erregende Pilze (z. B. Hallimasch, Brandkrustenpilz).

Für die künftige Beurteilung der Verkehrssicherheit der aus Ständern bestehenden Sekundärkrone ist die zeitliche Entwicklung von Anzahl und Dimension der Austriebe besonders wichtig. Bei Linde wurden wenige Jahre nach der Kappung häufig nur drei Reiterate pro Kappungsstelle beobachtet, deren Konkurrenzkraft innerhalb der Sekundärkrone groß genug ist, um auch mittelfristig zu überleben (SCHADEBERG 2003). In anderen Untersuchungen zeigte sich an bereits vor ca. acht Jahren gekappten Linden ebenfalls eine deutliche Differenzierung (GRÄFE 2004; WEISS et al. 2005). Bei anderen Baumarten lassen sich dagegen z. T. deutlich mehr kronenbildende Ständer auch Jahrzehnte nach einer Kappung beobachten, z. B. durchschnittlich acht bei vor 35 Jahren gekappten Spitz-Ahornbäumen (RICHTER 2009). Der Prozess der Differenzierung ist bei manchen Baumarten in den ersten Jahren entweder besonders dynamisch (z. B. bei Linde) oder die gleichrangige Entwicklung dauert lange an (z. B. bei Ahorn).


Abbildung 10: Ständerausbruch an einer vor wenigen Jahren gekappten Weide (links), Detail der Holzverbindung Ständer/​Stamm (rechts)

Tabelle 1: Ständeranzahl und -dimension an verschieden alten Linden mit verschieden alten Ständern (Zeitpunkt der Kappung liegt unterschiedlich lange zurück) Quellen: SCHADEBERG 2003; GRÄFE 2004

Alter Anzahl Basisdurchmesser Höhe
3 Jahre 5 dominante 5 cm (dominante) 2,6 m
8 Jahre 23 dominante: 3 4 cm dominante: 9 cm 6 m
50 Jahre 2 21 cm 9,4 m
90 Jahre 1 47 cm 23,3 m

Die Ständer entwickeln dabei aber immer wegen des überproportional starken Längenwachstums aus statischer Sicht ungünstige Schlankheitsgrade. Gleichzeitig sind sie wegen ihrer Entstehung aus schlafenden oder aus im Wundkallus traumatisch neu gebildeten Knospen statisch viel schlechter (nämlich zunächst nur im Stammmantel) mit dem Holz der tragenden Achse verbunden als reguläre Seitenäste oder Stämmlinge. Dies erhöht ihre Ausbruchgefahr deutlich und besonders bei weniger stabilen Holzarten mit sehr wüchsigen Austrieben (z. B. Pappel, Weide vgl. Abbildung 10) brechen sogar bereits junge Reiterate.

Trotz des proportional schwächeren Dickenwachstums besitzen (baumartenabhängig) Ständer bereits wenige Jahre nach der Kappung Basisdurchmesser, die den für Schnittmaßnahmen an effektiv abschottenden Baumarten geltenden kritischen Astdurchmesser von 10 cm überschreiten (z. B. bei Linden vgl. Tabelle 1). Die Entnahme von alten Ständern ist deshalb i. d. R. (auch an anderen Baumgattungen) nicht mehr ohne Folgeschäden möglich.

Bei umfangreichen, vergleichenden, intensiven visuellen Untersuchungen an Linden mit länger zurückliegenden Kappungen und ungeschnittenen Bäumen wurden Stammmerkmale mit Auswirkungen auf die Baumstatik besonders häufig an gekappten Bäumen festgestellt (GRÄFE 2004; WEISS et al. 2005; RICHTER 2009; SCHNEIDER 2009). Unabhängig vom Pflegezustand besitzen vor längerem gekappte Bäume signifikant mehr großräumige Morschungen und Höhlungen. Oft sind zwischen den dicht stehenden Ständern an den Kappungsstellen Druckzwiesel (V-Zwiesel) mit entsprechend erhöhtem Ausbruchsrisiko festzustellen. Dies bestätigt Angaben aus der Literatur (ROLOFF & DUJESIEFKEN 2003), wonach in ungepflegten gekappten Kronen häufig V-Zwiesel anzutreffen sind. Stammlängsrisse sind an den gekappten Linden im Vergleich zu nicht geschnittenen Bäumen etwa doppelt so häufig festzustellen (Abbildung 11). Langfristig rufen Kappungen ein erhöhtes Risiko der Bildung von Stammlängsrissen hervor, die dann besonders in Verbindung mit Morschungen ein Gefahrensignal sind.

Bei vergleichenden eingehenden gerätetechnischen Untersuchungen mit dem Schalltomografen stellte sich heraus, dass die nicht gekappten Vergleichsbäume erheblich weniger zersetztes Holz im Stammquerschnitt aufweisen (Abbildung 12). Bäume, die vor sehr langer Zeit gekappt wurden, sind also in der Regel stark in ihrer Verkehrssicherheit eingeschränkt.


Abbildung 11: Anteil des Gefahrenpotenzials durch Stammlängsrisse (Daten aus GRÄFE 2004)


Abbildung 12: Anteil von zersetztem Stammholz in 2 m Höhe (schalltomografische Untersuchung, Daten aus GRÄFE 2004)

3.5 Verlust der Baumfunktion

Besonders einzeln stehende Solitärbäume wirken nach der Kappung optisch häufig völlig anders als mit ihrer artgemäß entwickelten Krone. Die bei der Baumpflanzung ursprünglich gewünschte gestalterische Aufgabe kann ein gekappter Baum dann meist nicht mehr erfüllen. Wenn von vornherein ein Baum mit kleiner, geformter Krone erwünscht ist, muss bereits frühzeitig im Baumleben mit dem regelmäßigen Schnitt und der Erziehung eines Kopfbaumes begonnen werden.

3.6 Eingriff in den Naturhaushalt

Für den Erhalt und den Schutz von Gehölzen im öffentlichem Interesse dienen in Anlehnung an die Eingriffsregelung (§§ 13 – 19 BNatSchG) auch im Innenbereich („innerorts“) die Grundsätze in der Abstufung „Vermeidung – Ausgleich – Ersatz – Ersatzzahlung“ als Maßstab, wenn bauplanungsrechtlich nichts anderes festgelegt ist (vgl. § 18 Abs. 2 BNatSchG). Für die Praxis des Baumschutzes und der Baumpflege insbesondere im Außenbereich („außerorts“) ist als „Allgemeiner Grundsatz“ (in § 13 BNatSchG) von Bedeutung: „Erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind vom Verursacher vorrangig zu vermeiden. Nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder, soweit dies nicht möglich ist, durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren.“ Nach § 9 SächsNatSchG (10.) gilt bspw. auch die Beseitigung von landschaftsprägenden Hecken, Baumreihen, Alleen, Feldrainen und sonstigen Flurgehölzen als Eingriff.

Die Kronenpflege oder statisch begründete fachgerechte Kroneneinkürzungen zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit gelten nach Auffassung von Juristen nicht als erhebliche Beeinträchtigung (KERN 2011), sie dienen ja dem Erhalt des Baumes. Nicht fachgerechte Kappungen sind dagegen als erhebliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Einzelbaums und damit auch des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes zu betrachten (Abbildung 13).

4 Möglichkeiten zum Baumerhalt bei ehemals gekappten Bäumen

Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich ableiten, dass ehemals gekappte Bäume in vielerlei Hinsicht schwierige „Problemfälle“ sind. Dennoch wird häufig der Erhalt der geschädigten Bäume angestrebt. Die für die Erhaltung und für die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht notwendigen Maßnahmen an gekappten Individuen hängen u. a. davon ab, wie die Bruch- und Standsicherheit eingeschätzt wird, wie gut sich der Baum regeneriert hat und wie lange die Kappung zurückliegt (ROLOFF & DUJESIEFKEN 2003). Falls der Baum genügend standsicher ist, sich ausreichend regeneriert hat und auch der Wille besteht, die erforderlichen Pflegekosten zu tragen, können baumpflegerische Maßnahmen innerhalb der neu entstandenen Sekundärkrone in Betracht gezogen werden. Wenn die genannten Voraussetzungen aber nur teilweise oder überhaupt nicht gegeben sind, sollte der gekappte Baum durch eine Neupflanzung ersetzt werden.


Abbildung 13: Fachgerechte Kroneneinkürzungen (KE) erhalten weitgehend den ursprünglichen Baumhabitus (links, unterschiedliche Schnittstärke bei zwei benachbarten Rot-Buchen); die Kappung ganzer Baumreihen verändert dagegen das Landschaftsbild erheblich und führt künftig zu erheblichen Problemen am Einzelbaum (rechts).

4.1 Baumpflege an vor kurzem gekappten Bäumen

Soll ein vor kurzer Zeit gekappter Baum erhalten bleiben, gibt es zwei grundlegend verschiedene Möglichkeiten für die Gestaltung der neu entstandenen Krone:

4.1.1 Kopfbaumähnlicher Schnitt

Mit einer regelmäßig alle 1 bis 3 Jahre durchgeführten Entfernung der neu gebildeten Austriebe würde die Krone in eine Form überführt werden, die der eines Kopfbaumes ähnelt. Diese Möglichkeit bietet sich besonders bei kürzlich erfolgten Stammkappungen an. Eine derartige Vorgehensweise an Bäumen mit mehreren gekappten Stämmlingen hätte eine Kandelaberform zur Folge. Allerdings können auf diese Weise nur vitale Individuen reiterationsfreudiger Baumgattungen (z. B. Aesculus, Platanus, Tilia oder Salix) behandelt werden, da nach jeder Schnittmaßnahme neue Austriebe gebildet werden müssen. Dieser „nachträgliche Kopfbaumschnitt“ an gekappten Bäumen führt nicht zu „echten“ Kopfbäumen, weil dem Baum durch die Kappung eine große Verletzung zugefügt wurde (PFISTERER 1999; KLUG 2003). Wenn von vornherein ein Baum mit geformter Krone erwünscht ist, muss bereits frühzeitig im Baumleben mit dem regelmäßigen Schnitt begonnen werden, sodass erst gar keine großen Schnittwunden entstehen.

Das Austriebsverhalten vormals vitaler Bäume erfordert unmittelbar nach der Kappung ein sehr kurzes Pflegeintervall. Nur langsam wird sich wieder ein normales Kronen-Wurzelverhältnis einstellen, dann wird auch die Wachstumsintensität der Reiterate nachlassen. Trotzdem müssen solche Bäume regelmäßig geschnitten werden.

4.1.2 Aufbau einer artgerechten Sekundärkrone

Um eine Hierarchie in der zunächst besenförmig erscheinenden Krone herzustellen, müssen Austriebe entfernt oder eingekürzt werden (FLL 2006b). Diese Vorgehensweise ist besonders für Stämmlings- und Starkastkappungen, aber auch bei länger zurückliegenden Stammkappungen mit bereits großen Ständern geeignet. Soll eine Ständervereinzelung erfolgen, ist bei gut abschottenden Baumgattungen (z. B. Platanus, Tilia) drei bis maximal vier Jahre nach der Kappung eine erste Schnittmaßnahme notwendig, um eine effektive Kompartimentierung der Wunden zu ermöglichen. An schwachen Kompartimentierern, wie z. B. Salix, muss der erste Pflegeeingriff nach der Kappung sogar meist früher durchgeführt werden.


Abbildung 14: Kappungsstelle einer vor kurzem gekappten Linde, a) vor der Vereinzelung, b) nach der Vereinzelung

Schwächere, insbesondere geneigte oder horizontal wachsende Austriebe können bei der ersten Pflegemaßnahme belassen werden. Damit wird erreicht, dass der geschwächte Baum etwas weniger Wunden kompartimentieren muss und mit einer größeren Menge an Assimilaten versorgt wird. Alle anderen starken Austriebe sollten bereits mit dem ersten Pflegeeingriff entfernt werden (Abbildung 14).

Fehlt ein unter der Kappungsstelle entspringender (alter) Steilast zum Aufbau eines neuen Wipfels, sollte von den stärksten Austrieben der am besten die Stammachse fortsetzende (zentrale) Trieb für den Kronenaufbau ausgewählt und bis zu einem geeigneten Versorgungsast eingekürzt werden. Bei der Auswahl dieses künftigen Wipfeltriebes sind aufrechte Reiterate mit ausgeprägter Verzweigung zu bevorzugen. Gleichzeitig werden wenige erhaltenswerte Austriebe, die relativ weit voneinander entfernt und fest mit dem Stamm bzw. Stämmling verbunden sind, deutlich stärker eingekürzt (ähnlich wie in Abbildung 15). Damit wird frühzeitig für die zentrale Stammverlängerung (künftiger Wipfeltrieb) ein Konkurrenzvorteil geschaffen und eine Hierarchie innerhalb der Sekundärkrone aufgebaut. Im Idealfall wird die Apikalkontrolle der Terminalknospe des künftigen Wipfeltriebes das Wachstum der anderen Ständer dämpfen.

Mit den folgenden Pflegeeingriffen müssen störende, steil wachsende Reiterate entfernt sowie die Verzweigung der verbliebenen Austriebe gefördert werden. Insbesondere sollte darauf geachtet werden, dass die Dominanz der Stammverlängerung gegeben ist, damit sich die Achsen nicht gegenseitig in die Höhe treiben.


Abbildung 15: Schwache Einkürzung des zentralen Ständers eines vor ca. 35 Jahren gekappten Spitz-Ahorns (als zukünftiger Wipfel), stärkere Einkürzung aller anderen dominanten Ständer, a) vor dem Schnitt, b) nach dem Schnitt

Die Entwicklung einer hierarchisch aufgebauten Krone ist an einem vor kurzem gekappten Baum schwieriger zu verwirklichen als die Überführung in eine kleine, regelmäßig geschnittene Krone (Kopfbaum). Bei jedem Eingriff muss überprüft werden, ob die Hierarchie innerhalb der Krone noch besteht. Zudem sollte das Architekturmodell des Baumes berücksichtigt werden, um einen annähernd natürlichen Habitus wiederherzustellen (PFISTERER 1999). Mit zunehmender Kronengröße ist auch eine häufiger wiederkehrende Kontrolle der Verkehrssicherheit notwendig. Gelingt die annähernde Wiederherstellung des natürlichen Kronenhabitus, kann bei nachlassendem Wachstum die Pflege in größeren Abständen erfolgen. Falls eine dem natürlichen Habitus nahe kommende Kronenform erreicht wird, passt sich das arttypische Erscheinungsbild wieder gut in das Landschafts-, Stadt- oder Parbbild ein.

4.2 Maßnahmen an vor längerer Zeit gekappten Bäumen

Bäume, die vor sehr langer Zeit gekappt wurden, sind in der Regel stark in ihrer Verkehrssicherheit eingeschränkt. Es sollte jedoch keine Entscheidung „aus dem Bauch“ heraus getroffen werden, sondern entsprechend der abgestuften Vorgehensweise bei Baumkontrollen im Allgemeinen auch bei ehemals gekappten Bäumen eine Einzelbaumuntersuchung durchgeführt werden. Bei schweren Schäden sollte auch die Fällung und der Baumersatz in Erwägung gezogen werden. Dies kann insbesondere innerhalb denkmalgeschützter Anlagen, bei denen das ursprüngliche Pflegekonzept sehr lange nicht umgesetzt wurde, u. U. nach kontroversen Diskussionen und schwierigen Abwägungsprozessen sogar zur Kompletterneuerung ganzer Alleen führen (KOWOL & DUJESIEFKEN 2013; LÖBEL & MEYER 2013).

Entscheidet man sich für den Baumerhalt, soll vor allem die Verkehrssicherheit der gekappten Bäume wiederhergestellt werden. Angebrochene bzw. tote Äste und Ständer müssen entfernt werden. Die Entwicklung einer artgerechten Sekundärkrone kann mithilfe der gleichen Technik wie im vorherigen Kapitel beschrieben erreicht werden. Der statisch am besten mit dem Stammkopf verbundene und an der Oberkrone beteiligte Ständer wird etwas weniger als seine Nachbarständer bis zu einem geeigneten Versorgungsast eingekürzt (Abbildung 15). Alle anderen Reiterate mit geringem Durchmesser (bei gut abschottenden Baumarten bis maximal Grobastdimension) werden entnommen. Die fest angebundenen, reich verzweigten Ständer mit einem möglichst niedrigen Höhen-Durchmesser-Verhältnis können belassen und/​oder deutlich eingekürzt werden, sodass sie sich in ihrer sozialen Stellung innerhalb der Krone dem (künftigen) Wipfel unterordnen.

Liegt die Kappung schon Jahrzehnte zurück, sind sehr starke Einkürzungen und/​oder Vereinzelung der Austriebe oft sowohl aus baumbiologischer aber auch naturschutzfachlicher Sicht nicht zu rechtfertigen. Aufgrund der Schnittwundengröße käme eine Ständervereinzelung einer erneuten Kappung gleich. Die Einkürzung ist ebenfalls oft schwierig zu realisieren, da in den sehr dichten Kronen meist geeignete Versorgungsäste fehlen. Bei unbedingt erhaltenswerten Bäumen sollte in dieser Situation der Einbau von Kronensicherungen erwogen werden.

Wenn die Kappung schon lange zurückliegt, ist die Holzzersetzung unterhalb der Kappungsstellen in vielen Fällen schon weit fortgeschritten. Deshalb muss die Verkehrssicherheit dieser stärker geschädigten Bäume mindestens jährlich kontrolliert werden. Dabei ist besonders auf die Entwicklung von Zwieselrissen und den Fäulefortschritt unterhalb der Kappungsstellen zu achten.

Die Häufigkeit der Folgemaßnahmen sollte der Wuchsdynamik der Reiterate sowie der konkreten baumstatischen Situation angepasst werden.

5 Fazit

Die Auswirkungen von Kappungen sind für den Baum i. d. R. katastrophal. Nur sehr junge Bäume ertragen einen sehr zeitigen kappungsähnlichen Schnitt relativ gut und können dann mit (künstlichen) kleinen, geformten Kronen lange Zeit erhalten werden. Der langfristige verkehrssichere Erhalt von bisher natürlich gewachsenen Bäumen in der Reife- oder Alterungsphase ist nach einer Kappung oft schwierig und mit erheblichem Kontroll- und Pflegeaufwand verbunden. Liegt die Kappung schon Jahrzehnte zurück, sind Stämmlingsentnahmen oft nicht zu rechtfertigen. Aufgrund der Schnittwundengröße käme eine Ständervereinzelung einer erneuten Kappung gleich. Die Einkürzung ist ebenfalls oft schwierig zu realisieren, da in den sehr dichten Kronen meist geeignete Versorgungsäste fehlen. Deshalb sollte bei solchen Bäumen auch eine Fällung und der Baumersatz in Erwägung gezogen werden. Bei unbedingt erhaltenswerten Bäumen mit gleichzeitig deutlichen Anzeichen für ein Bruchversagen der Ständer kann aber auch eine Kombination aus differenzierter Kroneneinkürzung und Einbau von Kronensicherungen sinnvoll sein.

Wenn die Kappung bereits lange zurückliegt, ist die Holzzersetzung unterhalb der Kappungsstellen in vielen Fällen schon weit fortgeschritten. Deshalb muss die Verkehrssicherheit dieser als stark geschädigt einzuschätzenden Bäume mindestens jährlich kontrolliert werden. Dabei ist besonders auf die Entwicklung von Zwieselrissen und auf den Fäulefortschritt zu achten. Die Häufigkeit der Folgemaßnahmen sollte der Wuchsdynamik der Reiterate sowie der konkreten baumstatischen Situation angepasst werden.

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Dr. Henrik Weiß

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