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Die Entsorgerin
ОглавлениеBettina Döblitz
„Mensch Alte, lass die Tasche los, oder muss ich erst zuschlagen?“ Edith Auersbach bleibt nichts anderes übrig, als ihre Tasche dem jungen Mann auszuhändigen. Fassungslos steht sie daneben, und sieht zu, wie er den Inhalt auf den regennassen Bürgersteig kippt.
Der junge Mann wird wütend, weil er nur 15 Euro im Portemonnaie findet. Achtlos trampelt er auf all ihren kleinen Erinnerungsstücken herum. Ihr Schminkdöschen zerbricht unter seinen groben Sohlen in tausend Stücke. Das Pillendöschen platzt auf und ihre tägliche Tablettenration wird unbrauchbar.
Edith will das vergilbte Foto ihres verstorbenen Erwin noch schnell aufheben, doch der Typ stößt sie grob zu Boden und tritt das Bild einfach in den Matsch. Edith schluchzt auf.
Nicht nur, weil sie sich beim Sturz wehgetan hat, sondern weil das Bild unwiederbringlich zerstört ist. Wieder ein gemeiner Mensch!
„Das ist doch nicht Alles! Du hast doch noch mehr Kohle!,“ drohend steht er vor ihr.
„Komm, steh’ auf Oma. Jetzt gehen wir zu dir nach Hause.“ Er hebt ihren Schlüssel auf und wirft ihn in ihren Schoß „Und mach jetzt bloß keine Faxen sonst kriegst’e was aufs Maul, kapiert!“
Edith rappelt sich mühsam wieder hoch und läuft mit schmerzenden Beinen neben dem Mann her. Er stößt sie immer weiter vorwärts, die Welheimer Mark hoch an den Feldern vorbei Richtung Haverkamp.
Es regnet in Strömen und niemand ist zu sehen. Wer geht bei so einem Unwetter auch schon freiwillig vor die Tür. Die vereinzelten Autofahrer, die vorbeifahren, konzentrieren sich auf die regennasse Straße und nicht auf irgendwelche Passanten.
Im Gegenteil: Bei den ganzen Schlaglöchern muss man noch aufpassen, dass man nicht von einem Schwall Pfützenwasser getroffen wird.
Die Szenerie wird durch das blaue Licht der Emscherfaultürme beleuchtet, das durch die Regenschleier diffus-verwaschen erscheint.
In ihrem kleinen Häuschen am Haverkamp angekommen drückt er sie auf einen Stuhl und durchsucht die Schrankschubladen.
Verstohlen beobachtet sie ihn.
„Wo ist dein Geld, los sag schon!“ Er schüttelt Edith und tritt wütend vor den Schrank.
„Und Schmuck, was is’ mit Schmuck? So’ne Trulla wie du hat doch bestimmt ein paar Klunker rumliegen. Soll ich erst alle Schubladen rausreißen?“
„Im … im Bad. Oben auf dem Boiler. Da steht eine Dose!“, antwortet sie schluchzend.
Der Typ stürzt ins Bad und Edith folgt ihm langsam.
Er steigt auf den Wannenrand und greift nach der Dose. Er muss sich richtig strecken um heranzukommen.
Das ist die Gelegenheit!
Ein dumpfer Knall ertönt. Wie in Zeitlupe sackt er nach hinten in die Wanne. Er röchelt und zuckt.
Sein Blick wird glasig. Dann verstummt er …
„Na, endlich!“ Edith sieht sich den Toten an und schraubt den Schalldämpfer von der Waffe.
„Diesmal werden 30 Liter wohl reichen!“ Sie geht drei Mal in den Keller, um je zwei Fünf-Liter Kanister Schwefelsäure zu holen.
Sie kippt den Inhalt über die Leiche und lässt alles einwirken.
„Ach Erwin, jetzt haben deine Chemikalien doch noch eine sinnvolle Verwendung“, verfällt sie in einen Monolog, „Was war ich damals sauer, als du deine Restbestände von etlichen Chemikalien im Keller lagern wolltest. Du hattest ja so Recht. Als deine kleine Vertriebs-Firma Konkurs anmeldete, musstest du ja irgendwohin damit! – ‚Irgendwann können wir sie schon noch gebrauchen!‘, hast du immer gesagt – Wie Recht du hattest, Liebling!“
Edith zieht sich die Gummihandschuhe über und schüttet den Inhalt eines Tütchens in die Wanne. Darin befindet sich mittlerweile eine richtig stinkige, schlammige Brühe. Erwin hat immer gesagt, Säure muss neutralisiert werden!
Sie zieht den Stöpsel und entsorgt alles in die Kanalisation.
Die groben Reste spült Edith sorgfältig mit Wasser ab bringt sie in den Stall. Diese mischt sie unter das Futter von Max und Moritz, ihren beiden Hausschweinen.
Die beiden sind ziemlich verfressen und lieben die Abwechslung auf dem Speiseplan …
Edith säubert gründlich die Wanne. Danach setzt sie sich ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher ein – Ihre Lieblingssendung läuft: Agatha Christie.
Dabei reinigt sie gewissenhaft den Revolver und versteckt ihn wieder auf dem Buchregal hinter der Bibel.
Dann geht sie ins Schlafzimmer, nimmt eine neue Handtasche und legt ein Foto von Erwin, ein Pillendöschen und den Schlüssel hinein.
Im Bett denkt sie an ihren geliebten Mann, der viel zu früh an den Folgen eines brutalen Überfalles gestorben ist.
„Ich habe heute wieder einen erledigt, Liebling. Arme alte Damen überfallen. Von wegen!
Ich werde dieses Gesindel schon noch bestrafen. Warte nur ab.“
Edith löscht das Licht und schläft zufrieden ein.