Читать книгу Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter - Группа авторов - Страница 15
2.2 Zentrale Begriffe
ОглавлениеNachdem in Kapitel 1 die Notwendigkeit und in Kapitel 2.1 die Entwicklungsgeschichte von Agilität kurz erläutert wurden, soll nun ein Blick auf den Begriff Agilität und dessen Bedeutung geworfen werden. Aufgrund der unzähligen Ausgestaltungsvarianten in der Praxis existiert eine Vielzahl an Begriffsbestimmungen, die sich gefühlt ungefähr mit der Zahl „agiler“ Experten und Autoren deckt. Das bringt jedoch die Gefahr mit sich, dass durch die Erfindung und exzessive Nutzung immer neuer Begriffe der Blick für den eigentlichen Kern verloren geht. Daher sollen in diesem Kapitel zunächst die dem Agilitätsverständnis zugrunde liegenden Begriffe dargestellt werden.
Laut Duden bedeutet agil „von großer Beweglichkeit zeugend, regsam und wendig“22. Agilität steht also für Beweglichkeit und Wendigkeit. Im Business-Kontext steht Agilität für Wandlungs- bzw. Anpassungsfähigkeit, also die Fähigkeit, sich schnell an Veränderungen anzupassen. Ein häufig synonym verwendeter Begriff ist Adaptivität. Im Zuge der Entwicklung des „Agile Manifesto“ im Jahre 2001 setzte sich bei einer Abstimmung über die Bezeichnung der Begriff agil mit nur einer Stimme Mehrheit gegenüber adaptiv durch. Wäre diese Abstimmung anders ausgefallen, würde dieses Buch möglicherweise den Namen „adaptive Organisation“ tragen.23 Wie Kapitel 2.1 gezeigt hat, ist die grundsätzliche Thematik bei weitem keine Neuheit des 21. Jahrhunderts, sondern wird in der Managementliteratur bereits seit langer Zeit diskutiert.24 In der Vergangenheit auch häufig unter dem Begriff Flexibilität.25
Allerdings hat sich unter dem Schlagwort Agilität in den letzten Jahren ein deutlich über die reine Anpassungsfähigkeit hinausgehendes Managementverständnis entwickelt. Agiles Management steht heute u. a. auch für ein kundenzentriertes Vorgehen und ein Empowerment der Mitarbeiter, als wesentliche Voraussetzungen für eine entsprechende Anpassungsfähigkeit (vgl. im Detail Kapitel 2.3 und 4).26 Agilität trägt dem unternehmerischen Anspruch Rechnung, in einer durch Unsicherheit und Komplexität geprägten Welt Veränderungspotenziale zu erkennen und, übertragen auf die eigene Situation, zu nutzen. Das bedeutet, Veränderung nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv zu gestalten.27 Es geht darum, auch in einer VUCA-Welt entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben.
Agilität steht für die Fähigkeit, in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umfeldern in kurzer Zeit angemessen (re)agieren zu können – strategisch, organisatorisch und kulturell.
Um eine solche Agilität in Unternehmen zu erreichen braucht es diverse Elemente. Eine gute Systematisierung dieser Elemente bzw. verschiedener zentraler agiler Begriffe liefert die auf SCHELLER basierende Abbildung 2.28 Letztlich sind Unternehmen dann als agil zu bezeichnen, wenn die handelnden Akteure agil denken und handeln. Es braucht demnach eine agile Haltung bzw. ein agiles Mindset („agil sein“). Ein solches agiles Mindset lässt sich durch normative Werte beschreiben, die sich in Prinzipien bzw. Handlungsgrundsätzen manifestieren. Umgesetzt wird das agile Mindset über einzelne agile Praktiken (methodische Bausteine, z. B. Review, Task-Board, Backlog) sowie die Kombination verschiedener Praktiken in Form von ausgearbeiteten Prozessen und Strukturen (z. B. Scrum, SAFe, Holacracy). Durch die Anwendung von agilen Praktiken und Ansätzen wird agil gehandelt („agil machen“).
Abb. 2: Elemente von Agilität29
Die linke Seite der Abbildung steht für eine agile Kultur, der rechte Teil für eine agile Organisation. Zwar ist es letztlich entscheidend und daher erstrebenswert, dass die Akteure agil denken, weil sich das Handeln dann daraus ergibt. Allerdings ist es nicht möglich, direkt an der Kultur zu drehen. Einfach ein Hochglanzplakat mit neuen Leitlinien und Werten an die Wand zu hängen ist meist wenig hilfreich. Kultur ist von Natur aus sehr komplex, träge und lässt sich nur indirekt beeinflussen. Der Weg zur Kulturveränderung führt über die Veränderung des täglichen Verhaltens der Menschen, denn das Verhalten, das sich tagtäglich in der Kommunikation und der Zusammenarbeit zwischen den Menschen innerhalb der Unternehmensgrenzen und darüber hinaus zeigt, ist Ausdruck der Kultur, macht diese sichtbar. Daher steht auch die Kulturveränderung in Richtung Agilität im permanenten Wechselspiel mit dem Einsatz und dem Erleben agiler Ansätze. Durch das Ansetzen an der rechten Seite wird die linke Seite beeinflusst und über die dynamischen Wechselwirkungen die Grundlage für eine wandlungs- und anpassungsfähige Gestaltung agiler Ansätze auf der rechten Seite geschaffen. Deshalb fokussiert das vorliegende Buch und dieser Einführungsbeitrag auf die rechte Seite der Abbildung 2, die „agile Organisation“.
Der Begriff agile Organisation steht für Prozesse und Strukturen, die es ermöglichen, in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umfeldern in kurzer Zeit angemessen (re)agieren zu können.
Diesen Fokus auf die agile Organisationsgestaltung verdeutlicht auch die Abbildung 3. In den Kernkapiteln 6-8 dieses Einführungsbeitrags werden verschiedene agile Prozessmethoden sowie Strukturansätze vorgestellt, erläutert und bewertet. Dies soll dem Leser helfen, agil zu agieren und darüber – indirekt – auch eine agile Kultur zu entwickeln. Da die Prozesse und Strukturen immer von Menschen gelebt werden und daher eine Trennung von Organisation und Kultur nie ganz trennscharf sein kann, wird der wichtige Bereich der agilen Kultur aber nicht ganz ausgenommen, sondern im folgenden Kapitel 2.3 sowie im Kapitel 9 (agile Zusammenarbeit und Führung) in den notwendigen Grundzügen betrachtet. Die Beiträge von HARTMANN und SCHULLER/FUCKER befassen sich explizit mit einer agilen Kultur, und auch in vielen anderen Beiträgen wird der Kulturaspekt angesprochen.
Abb. 3: Zusammenspiel von agiler Kultur und agiler Organisation