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Prozessgestaltung

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Basierend auf der Einordung in diesem Prozesskontinuum ergeben sich unterschiedliche Herausforderungen und Zielrichtungen für die optimale Prozessgestaltung.51

Bei der Gestaltung von Massenprozessen, die (weitgehend) gleichartig und in großer Zahl ablaufen, stehen Effizienzziele im Vordergrund. Aufgrund der Häufigkeit ist es in solchen Fällen sinnvoll, die Aktivitätenfolge im Vorfeld möglichst perfekt zu planen bzw. zu definieren und dann standardisiert, automatisiert und fehlerfrei durchlaufen zu lassen. Wichtig ist typischerweise auch die Skalierbarkeit, d. h. die Möglichkeit der Anpassung an veränderte Mengen.

Die Gestaltung von Massenprozessen hat sich in den letzten gut 100 Jahren stark gewandelt. Mit der Erfindung des Fließbandes wurden solche Prozesse in der Ära von HENRY FORD zunächst vermessen, dann optimiert und anschließend standardisiert. Auf Basis von standardisierten Prozessen und Massenproduktion nach dem Fließbandprinzip konnte die Effizienz massiv erhöht werden. Seit den 1970ern ist im Zuge der sich ausbreitenden und immer besser werdenden Informationstechnologie eine zunehmende Automatisierung der (standardisierten) Prozesse zu erkennen, was die Effizienz weiter erhöht hat. Seit ein paar Jahren zeichnet sich nun eine dritte Stufe der Optimierung von Massenprozessen ab. Denn vor dem Hintergrund der VUCA-Umwelt, neuen technologischen Möglichkeiten (z. B. Nutzung von Echtzeitdaten und künstlicher Intelligenz52) und unterschiedlichen Kundenbedürfnissen bzw. -wünschen streben immer mehr Unternehmen flexiblere Prozesse an, die sich automatisiert an wechselnde und spezifische Kundenbedürfnisse anpassen können (adaptive Prozesse) – ohne zum Prozessmodell der Manufaktur zu wechseln. In den Speed Factories von ADIDAS53 bspw. werden in einem hochgradig automatisierten Prozess unter Nutzung von 3D-Druckern und spezifischen Kundendaten individuelle Schuhmodelle produziert. Die Häufigkeit der Produktion eines blauen Sportschuhs vom Typ X mit einem individuellen Fußprofil ist zwar gering bzw. gar einmalig, aber der zugrunde liegende Prozess läuft trotzdem standardisiert und automatisiert ab. Die gleiche Grundlogik findet sich bei den Empfehlungen auf den Webseiten von AMAZON, die automatisiert erscheinen, aber für jeden Nutzer individuell („hyperpersonalisiert“) sind. Und intelligente Chatbots ermöglichen eine aus Sicht des Unternehmens automatisierte, aber für den einzelnen Kunden individuelle Kommunikation zwischen Kunde und Unternehmen. Somit führt die Digitalisierung in der Logik von Abbildung 11 zu einer Verschiebung nach rechts. Immer mehr (Hybrid-)Prozesse können wie Massenprozesse gestaltet werden.

Bei einmaligen Aufgaben bzw. Aufgaben, die jedes Mal unterschiedlich ablaufen, spielen die Aspekte Standardisierung, Automatisierung, Fehlerfreiheit und Skalierbarkeit dagegen kaum eine Rolle. Es geht hier nicht darum, einen optimalen Prozess zu definieren, der mehrmals bzw. gar massenhaft durchlaufen wird, sondern darum, die Aufgabe unter Berücksichtigung von Zeit- und Finanzrestriktionen bestmöglich zu erfüllen. Hier wird zwar auch Effizienz angestrebt, aber es ist deutlich wichtiger, dass überhaupt „das richtige Prozessergebnis“ dabei herauskommt (Effektivität). Solche „echten“ Einzelprozesse werden auch gerne als Projekte bezeichnet.

Ein Projekt ist ein einmaliges, zeitlich begrenztes, zielorientiertes Vorhaben. Oft geht es um komplizierte oder komplexe, neuartige und interdisziplinäre Aufgabenstellungen. In der Regel wird für ein Projekt eine eigene, zeitlich begrenzte Projektstruktur gebildet.54

Während bei Massenprozessen die inhaltlichen Prozessschritte ganz konkret definiert werden, wird bei Einzelprozessen bzw. Projekten meist mit Metaprozessmodellen gearbeitet, die das grundsätzliche Vorgehen regeln, aber zu Beginn jedes neuen (Projekt-)Prozesses spezifisch inhaltlich auszugestalten sind. Ein klassisches Metaprozessmodell ist der Wasserfall-Ansatz in der Softwareentwicklung.55 In diesem werden die Projekte in mehrere Prozessphasen bzw. -stufen unterteilt, die aufeinander aufbauen und in einer vorher festgelegten Reihenfolge linear bzw. kaskadenartig durchgeführt werden. Typische Phasen sind dabei beispielsweise Planung/Konzeption, Design, technische Umsetzung, Roll-out und Support. Am Ende jeder Prozessphase steht ein vorher definierter Meilenstein, der bindende Vorgaben für die nächste Phase definiert. Eine Rückkopplung auf frühere Phasen ist nicht vorgesehen bzw. nur eingeschränkt möglich. Dementsprechend ist die Planungsphase am Anfang extrem wichtig und lang. Wenn es möglich ist und gelingt, vorab einen passenden Plan zu entwickeln, können die Umsetzungsphasen sehr geordnet und effizient ablaufen. Bestehen aber Unsicherheiten, ändern sich im Projektverlauf die Anforderungen und sind immer wieder Anpassungen nötig, ist ein solcher Wasserfall-Ansatz wenig sinnvoll. Daher wird in der Softwareentwicklung, bei der typischerweise große Unsicherheiten bestehen, bspw. seit einigen Jahren primär mit anderen, agileren Metaprozessmodellen gearbeitet, am häufigsten mit der in Kapitel 6.3 vorgestellten Scrum-Methode.

In der traditionellen Organisationslehre wird streng unterschieden zwischen der Organisation von dauerhaften bzw. zumindest längerfristigen Aufgaben (Primärorganisation) und der Organisation von zeitlich begrenzten Aufgaben (Projektorganisation). In Organisationslehrbüchern wird dies typischerweise klar voneinander abgegrenzt und komplett separat betrachtet. Und auch in der Spezialliteratur gibt es meist eine klare Trennung von Prozessmanagement- und Projektmanagementbüchern bzw. -veröffentlichungen.Während im Projektmanagement mit Projektabläufen, Ganttdiagrammen und Netzplänen gearbeitet wird, findet man im Prozessmanagement Ansätze wie BPMN (Business Process Model and Notation), Prozessdiagramme und Folgepläne. Prozessmanager analysieren Durchlaufzeiten, Prozesskosten und First Pass Yield; Projektmanager den kritischen Pfad, Puffer oder den Burn-Down.56 Begrifflich andere Welten, in der dahinterliegenden Logik zeigen sich aber durchaus etliche Gemeinsamkeiten.

Eine strikte Trennung der Disziplinen Prozess- und Projektmanagement ist deshalb häufig künstlich und sollte in den Unternehmen und in der Wissenschaft überdacht werden. Gerade auch im agilen Umfeld sind die Grenzen fließend. Scrum bspw. lässt sich sowohl als Projekt- als auch als Prozessmanagementmethode verargumentieren bzw. einsetzen.

Wie bereits angesprochen, gibt es in der Praxis eine ganze Reihe von Prozessen, die sich zwischen diesen beiden Extremen von „echtem“ Massenprozess und „echtem“ Einzelprozess bewegen ( Hybridprozesse). Beispielsweise die kontinuierliche Optimierung von Softwareprodukten durch Updates und neue Releases. Auf der einen Seite wird dieser Prozess häufig durchlaufen, auf der anderen Seite läuft er aber jedes Mal etwas unterschiedlich ab. Hier ist es dann die Herausforderung für die Prozessgestaltung, einen geeigneten „Mittelweg“ zwischen Prozessvorausplanung und -standardisierung sowie situativer Anpassung zu wählen.

Typisch für eine klassische Prozessgestaltung ist die präsituative Planung und Festlegung der Aktivitätenfolge. Das heißt, es wird weitgehend im Voraus geplant, wie und in welcher Reihenfolge die Aktivitäten durchgeführt werden. Vor der Umsetzung steht daher eine relativ umfangreiche und umfassende Planung. Die zentrale Kernidee dahinter ist es, dass jemand mit einer Gesamtsicht und Prozessexpertise (etwas überspitzt ausgedrückt „der schlaue Prozess-Ingenieur“) den Prozess optimal aufsetzt und die einzelnen Aktivitäten dann arbeitsteilig von ungelernten oder auf bestimmte Aufgaben spezialisierten Fachkräften abgearbeitet werden. Die Koordination der verschiedenen Aktivitäten ist durch den Prozessplan gewährleistet.57

Dies ist bei einer agilen Prozessgestaltung deutlich anders. Hier werden nicht im Voraus alle Aktivitäten in eine möglichst optimale Reihenfolge gebracht (vgl. Abbildung 10), sondern die Teilaufgaben werden – in den Begriffen von Scrum (vgl. Kapitel 6.3) – in Form von Funktionalitäten bzw. User Stories in ein Backlog „gepackt“, dort auf Basis des gerade aktuellen Wissensstandes immer wieder repriorisiert und im Laufe des Prozesses passend in die Umsetzung „gezogen“. Das heißt, die Aktivitätenfolge wird nicht präsituativ geplant, nur das grundsätzliche Prozessvorgehen ist geregelt. Die Koordination erfolgt durch Abstimmungen der beteiligten Personen in verschiedenen Meetings.

Agile Methoden eignen sich insbesondere für Prozesse auf der rechten Seite des Prozesskontinuums in Abbildung 11, weil dort die Unsicherheit und Komplexität oft hoch und eine detaillierte Vorausplanung damit schwierig ist. Da es aber auch bei Massenprozessen durchaus vorkommt, dass aus verschiedensten Gründen vom Plan abgewichen wird bzw. sich im Prozessverlauf Optimierungspotenziale zeigen, können auch im linken Bereich des Prozesskontinuums z. T. agile Methoden wie Kanban (vgl. Kapitel 6.2) sinnvoll sein.

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