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4.2 Die PatientIn-Medikament-Beziehung

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Die medikamentöse Behandlung ist in der Psychotherapie präsent, obwohl sie die meiste Zeit eher im Hintergrund steht. In Krisenzeiten oder bei »Durchbrüchen« in der Therapie können die Medikamente in den Vordergrund rücken. So kann eine PatientIn in einer Krise mehr Medikamente benötigen und dies in der Therapie ansprechen, oder sie fühlt sich besser und denkt darüber nach, wie es wäre, keine Medikamente mehr zu brauchen. Zu diesen Zeiten wird die Einnahme von Medikamenten eine Figur. Die Beziehung, die eine PatientIn zu ihren Medikamenten hat, beeinflusst das gesamte Feld. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die TherapeutIn auf eine nicht wertende, phänomenologische Weise dabei hilft, nicht nur ins Bewusstsein zu holen, wie die Medikamente die PatientIn beeinflussen, sondern auch, welche Beziehung die PatientIn zur medikamentösen Behandlung hat.

Die PatientIn kann zwei extreme Haltungen zur medikamentösen Behandlung einnehmen oder zwischen ihnen schwanken. Einerseits kann sie davon überzeugt sein, dass sie keine Medikamente will und dass eine Psychotherapie ausreichen sollte. Möglicherweise hat sie Angst, »wenn ich Medikamente nehme, dann ist es wirklich ernst, dann bin verrückt.« Sie kann unter dem Einfluss von Introjekten stehen, z. B. »Ich muss das alleine schaffen, Medikamente können mir das nicht abnehmen« oder »Ich kann es mir doch nicht einfach leichter machen.« Solche Introjekte können darauf hindeuten, dass es für die PatientIn schwierig ist, Unterstützung von der Umwelt anzunehmen. Das Ansprechen einer medikamentösen Behandlung im Zuge therapeutischer Arbeit und auch nur die Erwähnung einer solchen Möglichkeit kann die PatientIn unsicher und beschämt machen.9 Es könnte für manche PatientInnen eine wesentliche und neue Erfahrung sein, sich bewusst auf Hilfe von außen in Form eines Medikaments zu verlassen, die eigene Schwäche zuzugeben und sich selbst zu erlauben, diese Form der Unterstützung von außen zu akzeptieren.

Eine weitere extreme Haltung könnte man bei einer PatientIn antreffen, die die medikamentöse Behandlung wünscht und durch die Medikamente unangenehme Erfahrungen in der Psychotherapie reduziert oder vermeidet. Sie kann die Verantwortung für ihren Zustand und für Veränderungen ablehnen. Solche PatientInnen können sich selbst als hilfloses Objekt wahrnehmen, »die Depression verursacht die Probleme, es ist der Serotoninmangel.« Wenn sich ihr Erleben verändert und sie sich leichter fühlt, kann sie sagen: »Dieses Prozac (Fluoxetin), das ich jetzt nehme, ist hervorragend, es hat mich komplett verändert und ich schaffe jetzt wieder dasselbe wie früher.« Sie projizieren ihre eigenen Fähigkeiten und ihre eigene Verantwortung für die Veränderung auf das Medikament. Sie können sich daran gewöhnen, auf unangenehme Erfahrungen und bei jedem Anlass für Unmut mit der Einnahme von Medikamenten zu reagieren, besonders durch sofort wirkende Benzodiazepine. Das führt dazu, dass sie das Potenzial von Situationen nicht nutzen, in denen sie mögliche Quellen ihrer eigenen Selbstunterstützung entdecken könnten.

Psychotherapie kann als Prozess verstanden werden, in dem man in jedem Moment die Fähigkeit ausbildet, Selbstunterstützung und die Akzeptanz von äußerer Unterstützung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.

Im Laufe einer Psychotherapie erarbeiten sich PatientIn und TherapeutIn eine realistische Haltung (möglichst wenig von Introjekten belastet) bezüglich der Art und Weise, wie die medikamentöse Behandlung ihre Zusammenarbeit beeinflusst. So können beide lernen, die Medikamente als eine der äußeren Unterstützungs-Quellen hier und jetzt zu akzeptieren. In Zeiten, in denen der Druck steigt, wenn die Psychotherapie nicht verfügbar ist oder wenn die PatientIn erhebliche Schwierigkeiten erlebt, hat sie die Möglichkeit, sich Unterstützung durch das Medikament zu holen. Sie kann diese Option frei und bewusst in Betracht ziehen und eine kompetente Entscheidung treffen.

Gestalttherapie in der klinischen Praxis

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