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4.3 Die Therapeutln-Medikament-Beziehung

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Während einer Psychotherapie, in der auch Psychopharmaka einen Platz haben, können bei der TherapeutIn folgende Fragen auftauchen: Welchen Effekt haben die Psychopharmaka genau jetzt auf den psychotherapeutischen Prozess – verlangsamen oder beschleunigen sie ihn? Welche Funktion haben die Medikamente in einer therapeutischen Beziehung und im gesamten Feld der therapeutischen Situation? Was bedeutet es für die PatientIn, die TherapeutIn und ihre Beziehung, wenn die Medikamentendosis im Lauf der Psychotherapie reduziert oder verstärkt wird, wenn Medikamente abgesetzt oder empfohlen werden?

Damit die PsychotherapeutIn und die PatientIn frei sind, Antworten auf diese Fragen zu finden, muss sich die TherapeutIn ihrer eigenen Beziehung gegenüber Psychopharmaka bewusst sein, die ins Feld der therapeutischen Situation gebracht werden. Eine PsychotherapeutIn, die nicht reflektiert und ihre Skepsis und ihre Aversion den Medikamenten gegenüber deutlich macht, schadet ihrer PatientIn genauso wie eine ÄrztIn, die sich ausschließlich auf die psychopathologischen Symptome in komplexen Erfahrungszuständen konzentriert, vorschnell Medikamente für jedes Unwohlsein verschreibt und damit den natürlichen Fluss des psychotherapeutischen Prozess verhindert (Fain et al. 2008, in Holub 2010).

Die Einstellung zu Psychopharmaka ist bei jeder PsychotherapeutIn individuell verschieden und sie entwickelt sich auch während ihrer Praxis, abhängig vom Arbeitskontext und der Auswahl der PatientInnen. Für eine TherapeutIn ist es wichtig, sich bewusst zu machen, welche Beziehung sie zu einem bestimmten Medikament einer PatientIn hat. Sie kann folgendes Experiment versuchen: Sie setzt das Medikament auf einen leeren Stuhl und spricht zu ihm. So kann sie z. B. sagen: »Medikament, ich bin froh, dass wir einander gut ergänzen. Dank deiner Hilfe muss ich mir weniger Sorgen um den Patienten machen.« Oder sie kann sagen: »Medikament, ich mag dich nicht, weil du meine Therapie störst. Der Patient ist abhängig von dir geworden und ich würde dich wirklich gerne aus der Therapie raus haben. Aber das kann ich nicht, weil der Patient dich will. Ich fühle mich machtlos, du machst mich wütend. Er mag dich lieber als mich. Dank dir macht der Patient Fortschritte.« Vielleicht merkt die TherapeutIn, dass sie nichts über das Medikament weiß, dass sie mehr Informationen über seine Merkmale braucht, darüber lernen muss und dann ihre Beziehung zu ihm weiter erforschen kann.

Die TherapeutIn muss auch ihre Beziehung zu Medikamenten im Allgemeinen untersuchen. So kann sie z. B. von einem Introjekt bestimmt werden: »Der Beweis für eine gute Psychotherapie ist, dass die PatientIn keine Medikamente braucht.« Sie kann den Eindruck haben, dass das Medikament ihre Arbeit und sie selbst in ihrer therapeutischen Rolle entwertet. »Wenn eine PatientIn Medikamente nehmen muss, bedeutet das, dass ich als TherapeutIn nicht gut genug für sie bin.« Solch ein konkurrenzbetonter Ansatz bei der TherapeutIn wird sich notwendigerweise auch auf den therapeutischen Prozess auswirken.

Wenn eine TherapeutIn ihre Beziehung zu Medikamenten erforscht, wird wahrscheinlich die Frage nach ihrer Haltung zum medizinischen Versorgungssystem, zu Diagnosen und zu PsychiaterInnen aufkommen. Die TherapeutIn muss sich bewusst machen, wie ihre Einstellung zu diesen Themen ihre Arbeit mit einer bestimmten PatientIn beeinflusst. Sonst besteht das Risiko, dass sie ihren Ansatz (missbilligend oder bewundernd oder abhängig usw.) auf das medizinische Versorgungssystem oder das Medikament projiziert, das eine PatientIn nimmt. Die TherapeutIn muss ihrer PatientIn nichts über ihre Haltung erzählen, aber es ist notwendig, dass sie sich bewusst ist, auf welche Weise diese Haltung die therapeutischen Interventionen und die gesamte therapeutische Situation beeinflusst. Es kann nützlich für die TherapeutIn sein, sich bestimmte Fragen zu stellen: Welche Ansichten habe ich zu Psychopharmaka und zum psychiatrischen System insgesamt? Habe ich oder jemand, der mir nahesteht, persönliche Erfahrungen mit Psychopharmaka? Wie sieht diese Erfahrung aus und wie beeinflusst sie meine Haltung zu Psychopharmaka? Die Antworten auf diese Fragen bilden das Vorverständnis der TherapeutIn, sie müssen ins Bewusstsein geholt und ausgeklammert werden, damit sie nicht den natürlichen Fluss des Kontakts mit der PatientIn blockieren.

Gestalttherapie in der klinischen Praxis

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