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7 Gender als Grundkonzept einer diskursiven, hermeneutischen Religionswissenschaft

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Aus meiner Sicht kann man das Dilemma nur auf der wissenschaftsethischen und der hermeneutischen Ebene lösen.25 Es geht um die ständige kritische Reflexion über den Standpunkt und die Vorverständnisse, aus denen man sich Forschungsfeldern annähert und über die Werte und Normen, die den wissenschaftlichen Zugang überhaupt ermöglichen und regulieren.26 Solche Regulierungen ergeben sich aus dem disziplinären und interdisziplinären Austausch und werden in einer academic community ausgehandelt.27 Zur Wahrnehmung und Beschreibung eines Rahmens, in welchem eine angemessene Distanz für wissenschaftliche Beschreibungen, Analysen und Interpretationen möglich ist, scheinen mir folgende Aspekte von Bedeutung: Das Nachdenken über die Spannung zwischen wissenschaftlicher Distanz und Verankerung im eigenen historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Rahmen stellt eine erste, zentrale Ebene in diesem Zusammenhang dar. Dazu gehören tiefe Kenntnisse der eigenen (religiösen) Tradition, von deren Welt- und Menschenbild man zwingendermaßen geprägt ist. Nur so ist es möglich, die Voreingenommenheit des eigenen Blickes wahrzunehmen, kritisch zu hinterfragen und für die wissenschaftliche Arbeit fruchtbar zu machen.28

Zweitens stellt die Reflexion über die Spannung zwischen einem allgemeinen, globalisierten wissenschaftlichen Diskurs und den kontextuellen Verankerungen der theoretischen und methodischen Positionen, die die Vielfalt der Religionswissenschaft ausmachen, einen weiteren unverzichtbaren Schritt dar.29 Die Förderung und Unterstützung des Dialogs zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Betrachtungsweisen ist das Instrument, das das Umreißen der wissenschaftlichen Distanz erst erlaubt.30

Als Drittes möchte ich die Wahrnehmung der Spannung zwischen Distanz und Nähe sowohl in der religionshistorischen als auch in der empirisch ausgerichteten Untersuchung von religiösen Symbolsystemen hervorheben.31 Interesse und wissenschaftliche Neugier bedingen eine Annäherung an Personen und Themen: Zeitliche, sprachliche, kulturelle und religiöse Grenzen werden relativiert, man begibt sich möglichst in die Mitte des zu untersuchenden Umfeldes. Andererseits gilt es, Beobachtungen und Interpretationserfahrungen nicht unreflektiert mitzuteilen, sondern durch geeignete Analyseinstrumente die erreichte Nähe kritisch zu hinterfragen und darzulegen, sodass die wissenschaftliche, sich im Werten zurückhaltende Beschreibung und Analyse durchgeführt werden kann.32

Schließlich sei auf das Nachdenken über die Spannung zwischen dem Erbe der »objektiven« Sicht auf Religionen und den ethischen Werten, die diese Art von Wissenschaft erst ermöglicht haben, wie die Autonomie des Individuums, die Freiheit der Forschung und das Recht auf Wissen hingewiesen.33 Wie interagieren diese Werte mit dem Anspruch, möglichst zurückhaltend zu werten?

Dies sind Überlegungen, die die Rolle der Wechselwirkung zwischen der wissenschaftlichen Tradition und dem historischen und gesellschaftlichen Kontext, den sie geformt haben, hervorheben. Somit kann die Definition der Akteure und Akteurinnen der Forschung und der Themen, die fokussiert werden, sachlicher debattiert werden. Die Rezeption der im feministischen Umfeld gestarteten Auseinandersetzung mit androzentrischen Vorgehensweisen und ihre selbstständige Weiterführung und Erweiterung innerhalb der Religionswissenschaft hat sehr viel in diese Richtung geleistet. Diese Auseinandersetzung hat insbesondere das Nachdenken über die Unmöglichkeit einer unvoreingenommenen Brille unterstützt. Außerdem hat sie den einst als Gegenstände der Forschung Bezeichneten den Status von Subjekten eines hermeneutisch komplexen, dialogischen Interpretationsprozesses zugesprochen. Dies hat eine beträchtliche und kostbare Erweiterung in die religionswissenschaftliche Arbeit hineingebracht.34

Sowohl die Artikulation der Geschlechterunterschiede innerhalb religiöser Symbolsysteme als auch die Interaktion zwischen den Geschlechterdifferenzen unter den Forschenden können von vielen verschiedenen Perspektiven wahrgenommen und fokussiert werden.35 Obwohl in diesem Zusammenhang bereits viel geleistet wurde,36 bedarf es noch einiges an Engagement und Arbeit, um diese clusters von Fragen der religionswissenschaftlichen Forschung zu erschließen.

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