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EIN KURZES GLÜCK

SUNIL MANN

Sie schläft, endlich schläft sie. Schwer liegt ihr Kopf auf meiner Brust, sie murmelt im Traum, wie sie es früher oft getan hat, die Atmung gleichmässig und tief. Regen klopft monoton aufs Fensterbrett, und die schräg gestellten Jalousien klappern leise, wenn Wind aufkommt. Durch die Lamellen flackert Strassenlampenlicht und lässt schemenhafte Umrisse aus der Dunkelheit treten: Möbelstücke, ihr Reisekoffer, mein Anzug, der über einem Kleiderbügel am Schrank hängt. Wir sind ziemlich herumgekommen, sie und ich sowieso. Doch in diesem Moment gibt es nur noch uns, endlich wieder vereint in diesem schäbigen Hotelzimmer. Ein kurzes Glück nur. Seit ich hier bin, breitet sich ein Frieden in mir aus, der mir die Tränen in die Augen treibt. Ich weine lautlos, froh, dass sie mich nicht sehen kann. Der Duft ihrer Haare erinnert mich an früher, an schwerelose Tage. An jene Nächte in Erstfeld, als wir uns noch fremd waren und uns Nacht für Nacht erforschten, die Leidenschaft, die grosse, die ewige Liebe, wie ich glaubte. Was war ich jung. Und so unglaublich naiv.

Natürlich sagten sie: «Was denkst du dir bloss, so eine wie sie mit einem wie dir? Sieh euch doch an, das kann ja nicht gut gehen!»

Mutter schüttelte den Kopf, während sie Zwiebeln hackte, Vater zog an seiner Pfeife und schwieg wie immer. Doch ich konnte an seinen missbilligenden Blicken erkennen, dass er nicht viel von Gloria hielt. Die wenigen Freunde, die ich hatte, reagierten ähnlich.

«Die nimmt dich doch nur aus!», warnten sie mich, wenn wir uns samstags im «Havanna» in Altdorf trafen und zogen Gloria dabei mit ihren Augen aus.

Sie hatte Kurven, eine richtige Latina halt, und dass wir uns in Erstfeld im «La Rosa» kennengelernt hatten, wussten auch alle, da hatte ich nie ein Geheimnis draus gemacht. Ich war bei Weitem nicht der einzige, der regelmässig dort verkehrte, viele fuhren nach Feierabend oder häufiger noch an den Wochenenden die kurze Strecke über die Gotthardroute nach Süden, parkten in einer verschwiegenen Seitengasse des Dörfchens und gingen dann die paar hundert Meter zum Etablissement zu Fuss. Tranken etwas an der Bar und liessen sich, noch ehe das Glas leer war, von der auserkorenen Dame in eines der schmuddeligen Zimmer in den oberen Stockwerken führen, wo sie für einen Lappen bekamen, wonach sie gierten. Während des Tunnelbaus hatte sich das Rotlichtmilieu hier angesiedelt und konnte sich halten, nachdem die Arbeiter verschwunden waren. Zumindest eine Zeitlang.

In jener Nacht hatte ich wie immer erst eine Zigarette geraucht, den Kragen meiner Windjacke hochgeschlagen und konnte mich einmal mehr nicht zwischen der «Taverne» und dem «La Rosa» entscheiden. Am Ende schritt ich auf das letztere zu, und als ich eintrat, stand sie dort an der Bar und lehnte sich vertraulich zu einem massigen Kerl hinüber. Ein Lastwagenchauffeur vielleicht oder ein Motorradfahrer auf der Durchreise. Er hatte wässerige Augen, graumelierte Locken und sah kräftig aus, trug abgewetzte Jeans, dazu ein kariertes Hemd und schwere Stiefel. Gloria rückte sofort von ihm ab, als sie mich entdeckte, und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Dunkle Haare fielen über ihre Schultern, hohe Wangenknochen und die Lippen rot wie Cocktailkirschen. Katzenaugen und lange Wimpern. Ich konnte mich nicht sattsehen an ihr. Ich war mir sicher, dass ich sie hier noch nie angetroffen hatte, denn dass sie mir nicht aufgefallen wäre, war schlicht unmöglich. Sie lächelte mich herausfordernd an, und ich spürte, wie das Blut in meinen Unterleib schoss. In dieser Nacht fielen wir wie Tiere übereinander her, und als wir fertig waren, gewährte sie mir eine Extrarunde ohne Aufpreis. Viel später erzählte sie mir, dass sie in diesem ersten Moment an der Bar etwas in mir gesehen hatte, etwas ganz Besonderes. Es sei eine Art Erkennen gewesen, wie es nur ganz selten geschehe, sie hätte sofort gewusst, dass wir zusammengehörten. Und ich, ich war vom ersten Augenblick an verliebt.

Von da an trafen wir uns regelmässig, auch ausserhalb des Milieus. Und als sie eines Morgens, nach einer stürmischen Nacht in meiner kleinen Mietwohnung an der Blumenfeldgasse, ihren Slip und das im Bett getragene T-Shirt in den Korb mit der Schmutzwäsche schmiss, anstatt die Kleidungsstücke wie zuvor wieder mitzunehmen, ahnte ich, dass es etwas Ernstes würde.

Bereits nach zwei Monaten konnte ich mir ein Leben ohne Gloria nicht mehr vorstellen. Ich ging wie auf Wolken, und sie, sie schien stets zu wissen, was mich gerade umtrieb, wonach mir der Sinn stand. Als wäre ich ein offenes Buch für sie. Man könnte jetzt monieren, dass es kein Kunststück sei, die Bedürfnisse eines Mannes zu erraten, aber sie gab mir tatsächlich das Gefühl, mir meine Wünsche von den Lippen abzulesen. Zudem war sie eine fabelhafte Köchin, wie ich bereits bei ihrem ersten Carne asada mit hausgemachter Chimichurrisauce feststellte. Zwar arbeitete Gloria weiterhin im «La Rosa», doch tagsüber kümmerte sie sich um den Haushalt, tätigte Einkäufe und hielt die Wohnung in Schuss.

Und als sie mit ihrem Rollkoffer einzog, ging ich meinen Chef bei der Raiffeisenbank um eine Gehaltserhöhung an, schliesslich hatte ich drei Jahre lang zum selben Lohn und ohne Aussicht auf einen besseren Posten am Schalter gearbeitet. Er wand sich und verwies auf die schlechte Wirtschaftslage, den tiefen Dollarkurs, die in einer Krise steckende Branche. Was Vorgesetzte immer anführen, wenn es um mehr Geld geht. Am Ende holte ich zwar weniger heraus, als ich mir erhofft hatte, doch es reichte gerade, damit Gloria nur noch an den Wochenenden anschaffen musste. Von Montag bis Freitagnachmittag waren wir nun ein ganz normales Paar, und ich blendete gekonnt aus, was Gloria in der restlichen Zeit tat.

Das Unheil ereilte uns an einem lauschigen Abend im September. Gloria hatte nach dem Nachtessen einen Spaziergang vorgeschlagen, und Arm in Arm schlenderten wir durch Altdorf. Vor dem Tell-Denkmal erzählte ich ihr die Sage um den Schweizer Volkshelden, danach flanierten wir durch die Marktgasse und besahen uns die hell erleuchteten Schaufenster. Ich zeigte ihr, wo am Lehnplatz ich arbeitete, und als es kühler wurde, kehrten wir auf einen Schlummertrunk in die nahe gelegene Buena Vista Bar ein. Wir waren in einer sehr romantischen Stimmung. Gloria lachte viel, sie strahlte irgendwie von innen, und mir hätte es genügt, sie einfach anzusehen. Dazusitzen und sie zu bewundern, in alle Ewigkeit. Sie trug an diesem Abend ein enges, samtgrünes Kleid, das ihre Figur betonte, und hochhackige Schuhe wie immer. Und während sie die Blicke aller Männer im Lokal auf sich zog, wurde mir bewusst, wie glücklich sie mich machte - und wie stolz. Sie gehört mir, sie ist mein, dachte ich und betrachtete uns im Wandspiegel hinter den Regalen mit den Flaschen. Schon seltsam, einer wie ich mit einer wie ihr. Farblos und langweilig nannten mich meine Arbeitskolleginnen hinter meinem Rücken. Einer, den keiner richtig wahrnahm. Und Gloria? Sie war immer der Mittelpunkt, alle Augen hafteten an ihr. Manchmal, in stillen Momenten, fragte ich mich, was sie in mir sah. Weshalb sie bei mir blieb. Doch ich schob die Antwort immer schnell von mir, ich wollte sie nicht kennen.

Als wir ausgetrunken hatten, bemerkte ich, dass sich nur noch eine einzige Zigarette im Päckchen befand, dabei war ich mir sicher, dass es am Morgen noch beinahe voll gewesen war. Gloria meinte, ich solle mich nicht so anstellen, unten neben den Toiletten gäbe es einen Automaten. Sie nahm sich die letzte Zigarette und küsste mich auf den Mund.

«Ich warte draussen auf dich, mi amor», hauchte sie, und ihre letzten beiden Worte brannten sich in mein Herz.

So fühlt sich Glück an, sagte ich mir, während ich Münzen in den Automaten warf. Ich grinste immer noch, als ich in den Schankraum zurückkehrte.

Gloria stand vor der Bar und rauchte. Als hätte sie meinen Blick gespürt, wandte sie sich um und winkte mir durch die Fensterscheibe zu. Der Lieferwagen schoss von rechts ins Bild, er bremste hart ab und gleichzeitig glitt die seitliche Schiebetür auf. Zwei Arme packten Gloria, die vor der Bar stand, sie schrie auf und versuchte sich zu wehren, doch sie hatte keine Chance. Die Zigarette fiel zu Boden, da schloss sich die Wagentür schon wieder. Das Ganze war so schnell abgelaufen, dass die meisten Barbesucher den Vorfall gar nicht mitbekommen hatten. Ich stürzte hinaus, die Kehle wie zugeschnürt, doch der Camion raste bereits über den Rathausplatz, bog dann rechts ab und verschwand in der Einfahrt zum Kapuzinerweg. Jetzt erst brüllte ich auf und rannte dem Fahrzeug hinterher, bis ich die Zwecklosigkeit darin erkannte, und als ich verzweifelt zurückkehrte, glomm auf dem Trottoir immer noch Glorias Zigarette, ein feiner Rauchkringel stieg auf, während die Glut langsam verlöschte.

Ich taumelte und musste mich an der Hauswand abstützen. Mir war, als fiele ich ins Bodenlose. Kaum bemerkte ich die Tränen, die mir übers Gesicht liefen, als ich benommen zum Telefon griff, um die Polizei zu alarmieren. In diesem Augenblick vermeldete das Gerät einen eingehenden Anruf. Eine unterdrückte Nummer. Mit zitterigem Finger strich ich über das grüne Symbol auf dem Display und hörte als Erstes Motorenlärm und Gloria, die im Hintergrund verängstigt schrie.

«Keine Polizei, wenn du sie wiedersehen willst», knurrte eine raue Männerstimme mit italienischem Akzent. «Du redest mit niemandem und gehst jetzt direkt nach Hause. Wir rufen dich gleich wieder an.»

Ich rannte den ganzen Weg bis in die Blumenfeldgasse. Atemlos stürzte ich in mein Appartement, da begann der Festnetzanschluss schon zu klingeln. Ich nahm ab und lauschte keuchend den Anweisungen.

Ich würde am nächsten Tag einen Umschlag finden, erklärte mir dieselbe Männerstimme ohne Umschweife, und zwar im nah gelegenen Schattdorf, wo sich mitten im Industriegebiet ein Shoppingcenter befinde. Tellpark hiess das Einkaufsparadies, natürlich kannte ich es.

«Im Mülleimer, der direkt neben der Rolltreppe steht, die in den ersten Stock führt. Der Umschlag klebt am Rand. Kannst du dir das merken?», wollte der Typ wissen.

Ich bejahte, und er nannte mir die Adresse eines Restaurants im Thurgau, wohin ich den Umschlag bringen sollte.

«Du fährst sofort dorthin. Du machst das Couvert nicht auf, kein Zwischenhalt, kein Telefongespräch, nichts. Du gehst ins Lokal und übergibst den Umschlag Mario, Mario Lombardi, dem Besitzer, nur ihm und niemandem sonst.»

«Und wenn er nicht da ist?», wollte ich wissen.

«Er wird da sein. Du musst unbedingt vor zehn Uhr eintreffen, dann ist er allein im Lokal. Du wirst ihm den Umschlag geben, sagst kein Wort und gehst gleich wieder.»

«Und was ist mit Gloria?»

«Siehst du wieder, wenn wir zufrieden sind mit dir.»

Das schaffe ich, dachte ich erleichtert, nachdem ich aufgelegt hatte, und am nächsten Morgen verfiel ich auf der Fahrt nach Schattdorf seltsamerweise in eine wohlige Aufregung. Ich hatte mich bei der Bank krank gemeldet und für einen kurzen Moment schien mir dieser mysteriöse Auftrag so viel aufregender als meine eintönige Arbeit am Schalter. Doch als ich das Einkaufszentrum betrat, pochte mein Puls bis zum Hals, und die Hände waren schweissnass. Die Angst lähmte mich, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, während ich auf die Rolltreppe zusteuerte. Früher Morgen, der Tellpark hatte eben erst geöffnet, und es hielten sich glücklicherweise noch kaum Kunden darin auf. Ich wartete kurz ab und liess zwei ältere Frauen passieren. Erst als ich sicher war, dass mich keiner beachtete, langte ich in den Abfalleimer. Der Umschlag war mit Klebeband am Rand des Behälters festgeklebt, so wie der Mann am Telefon es gesagt hatte, ich ertastete ihn auf Anhieb. Rasch nahm ich ihn an mich und trabte immer schneller werdend auf den Ausgang zu. Kaum sass ich im Wagen, startete ich den Motor, doch dann fiel mein Blick auf das Couvert auf dem Beifahrersitz und ich griff danach. Was wohl darin sein mag, rätselte ich, doch ehe ich die Frage zu Ende denken konnte, klingelte mein Handy.

«Konzentrier dich auf deinen Auftrag, sonst siehst du Gloria nie wieder», sagte sie Stimme.

«Kann ich mir ihr sprechen?»

«Auf gar keinen Fall», antwortete der Mann. Doch ich konnte Gloria in seiner Nähe hören, sie wimmerte verhalten, als ob sie geknebelt wäre.

«Je schneller du den Auftrag erfüllst, desto eher lassen wir sie frei.»

Ich drückte aufs Gaspedal und fuhr in den Thurgau.

Wortlos übergab ich Mario Lombardi den Umschlag und raste wieder nach Hause, wo ich auf weitere Anweisungen wartete. Doch der Typ mit dem italienischen Akzent rief den ganzen Tag nicht mehr an, und auch Gloria tauchte nicht auf. Vor Sorge um sie wurde mir ganz elend, und ich tigerte rastlos durch die Wohnung, setzte mich schliesslich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein.

Die Briefbombe hatte dem italienischen Restaurantbesitzer einen Arm abgerissen, vermeldete die Nachrichtensprecherin, die Polizei vermute, dass die Mafia dafür verantwortlich sei.

Im selben Moment kam ein Anruf über mein Handy herein.

«Gute Arbeit», sagte die Stimme.

«Seid ihr wahnsinnig?», schrie ich. «Was wäre passiert, wenn ich den Umschlag aus Neugier geöffnet hätte? Was da hätte geschehen können!»

«Wir haben auf dich aufgepasst.» Der Mann am andern Ende der Verbindung lachte leise.

«Und der arme Mann erst! Wenn ich gewusst hätte … Ich bin total gegen Gewalt!»

Der Mann lachte immer noch.

«Und wegen euch werde ich jetzt von der Polizei gesucht!»

«Deswegen meldest du dich auch noch ein paar weitere Tage krank. Wir sind uns sicher, dass sich Mario Lombardi nicht an dich erinnern wird.»

«Aber er hat mich doch gesehen!»

«Ganz kurz nur.»

«Sie werden ein Phantombild anfertigen und dann bin ich dran!» Ich war ausser mir über seine Gleichgültigkeit.

«Nach unseren Informationen konnte er dich kaum beschreiben», beruhigte mich die Stimme. «Genau darum haben wir dich ja auch ausgewählt.»

«Ausgewählt?», hakte ich nach.

«Für den Auftrag. Du bist so unscheinbar, dass dich jeder gleich vergisst.»

«Danke schön», machte ich trocken.

«Du bist perfekt für unsere Zwecke. Deshalb hörst du auch bald wieder von uns.»

«Was?»

«Es gibt noch viel zu tun.»

«Aber ihr … Und Gloria? Ihr habt versprochen …» Ich schnappte nach Luft, und es knackte in der Verbindung, dann vernahm ich Glorias Stimme ganz nah an meinem Ohr: «Mi amor, tu, was sie sagen, bitte!»

«Schatz, behandeln sie dich gut?»

Ehe sie eine Antwort geben konnte, wurde die Verbindung unterbrochen. Mit düsterer Miene starrte ich auf mein Mobiltelefon.

Zwei Wochen später war ich mit einem weiteren Umschlag unterwegs. Zwar hatte ich Skrupel angemeldet, als mir die Stimme den Auftrag übermittelte, und gesagt, dass sich so etwas mit meinem Gewissen nicht vereinbaren lasse. Der Mann lachte wieder. Natürlich hatten meine Argumente nichts bewirkt, und auf der Fahrt nach Mailand verspürte ich plötzlich eine Art Kribbeln, eine verhaltene Vorfreude, wie ich bestürzt feststellte.

Ich machte meine Arbeit ausgezeichnet, wie mich die Stimme am Telefon nach dem fünften Botengang ein paar Wochen später lobte. Seit jenem ersten Mal vermied ich es, Zeitungen zu lesen und Radio oder Fernseher einzuschalten, weil mir davor graute, was ich alles angerichtet hatte. Gloria hielten sie noch immer fest, doch der Mann bezeugte mir mehrmals, wie wichtig ich sei, wie gewissenhaft ich meinen Verpflichtungen nachkäme, so einen wie mich hätten sie noch nie gehabt.

Die letzte Äusserung liess mich kurz stutzig werden, doch ich ging nicht weiter darauf ein, zu sehr schmeichelte mir das Lob, die Anerkennung, auf die ich bei der Bank jahrelang vergebens gewartet hatte.

Sie begannen, mir Geld zu überweisen. Grössere Summen, die sie auf ein eigens dafür eingerichtetes Konto einzahlten und die als Spesen für meine häufiger werdenden Auslandeinsätze an den Wochenenden gedacht waren, wie der Mann am Telefon erklärte. Doch wenn ich nach Gloria verlangte, liessen sie sie nur ganz kurz mit mir sprechen. Sie bat mich stets eindringlich zu machen, was sie von mir verlangten. Ihr mi amor liess mein Herz ganz warm und weich werden, und manchmal kamen mir die Tränen dabei.

«Wir haben dir einen neuen Wagen besorgt», sagte die Stimme eines Morgens - wir duzten uns längst. «Damit du nicht immer mit derselben Karre unterwegs bist.»

Ich schaute zum Fenster hinaus. Da stand tatsächlich ein schwarzer Alfa Romeo. Ein Gebrauchtwagen zwar, wie ich auf den zweiten Blick feststellte, aber immerhin.

«Und wir haben einen neuen Auftrag für dich», fuhr der Typ fort.

«Auf gar keinen Fall!», rief ich, nachdem er mir dargelegt hatte, worum es sich handelte. «Das kann ich nicht!»

«Dann wirst du Gloria nie mehr sehen», erwiderte die Stimme kalt, und ich hörte jemanden im Hintergrund wimmern.

«Ich will mit ihr reden, auf der Stelle!», forderte ich, und nach einigem Hin und Her hielten sie ihr das Telefon hin.

«Mi amor!», flehte sie. «Tu, was sie sagen, bitte!»

Danach brach die Verbindung ab.

Am Ende hatten sie mich doch weich gekriegt, die Sorge um Gloria liess mich Sachen tun, die ich mir nie hätte vorstellen können. Sie hatten mir eine Ledermontur besorgt, in der ich lächerlich aussah. Aber die Stimme am Telefon meinte, so würde ich keine Spuren hinterlassen. Dazu trug ich Handschuhe und eine Skimütze, die nur die Augen freiliess, Ärmel und Hosenstösse hatte ich mit Tesafilm abgeklebt. Der Auftrag klang eigentlich simpel. Mit einem Reserveschlüssel gelangte ich ins Mietshaus, schlich in den zweiten Stock und schlüpfte in die angegebene Wohnung. Es war kurz nach vier Uhr in der Früh, als ich den Kühlschrank öffnete. Lautes Schnarchen durch die Schlafzimmertür hatte mir verraten, dass der Bewohner des Appartements tief und fest schlief. Ich schüttete die Milch bis auf einen kleinen Rest aus und tröpfelte dann die klare Flüssigkeit aus dem Fläschchen hinein, das bei der Abfahrt im Handschuhfach meines Alfas lag. Danach machte ich mich geräuschlos aus dem Staub.

Ich sah die Schlagzeilen zwei Tage später vor einem Kiosk, und kaufte mir entgegen meines Vorsatzes eine Boulevardzeitung. Die Freundin des Gewerkschafters hatte ihn tot vor einer halbvollen Kaffeetasse an seinem Schreibtisch gefunden. Ich starrte auf das Archivbild des Mannes und stellte entsetzt fest, wie wenig mich das berührte. Hatten mich meine Taten abstumpfen lassen? War ich schon so abgebrüht? Ich ertappte mich im Verlauf der folgenden Woche dabei, wie ich während der Arbeit immer wieder aufgeregt an meinen nächsten Auftrag dachte, wie mich eine beinahe euphorische Vorfreude packte, wenn das Telefon am Samstagmorgen klingelte. Ich war innert kurzer Zeit zum Auftragskiller aufgestiegen!

Doch dann ging etwas schief. Eigentlich eine dieser Aufgaben, die ich in der Zwischenzeit mit Links erledigte. Die Tür des Häuschen am Stadtrand liess sich mühelos aufdrücken, die Bewohnerin schlief, wie ich mich mit einem kurzen Blick ins Schlafzimmer überzeugte. Geübt dichtete ich Fensterrahmen mit Klebeband ab, vergewisserte mich, dass die Terrassentür abgeschlossen war und begab mich dann in die Küche. Ich war gerade im Begriff, den Anschlussschlauch vom Gasherd zu entfernen, als ich vom Flur her Schritte hörte. Gleich darauf stand sie hinter mir, nur mit einem Nachthemd bekleidet, das Gesicht vom Schlaf ganz verquollen.

«Was tun Sie da?», fragte sie, und ich trat entschlossen auf sie zu.

In Filmen sieht es immer so mühelos aus, wenn jemand erwürgt wird, doch in Wahrheit ist es ein Kampf. Die Frau setzte sich heftig zur Wehr, sie warf sich herum, als ich ihren Nacken packte, dann biss sie in meine Hand, die glücklicherweise behandschuht war. Endlich gelang es mir, ihr den Arm um den Hals zu legen und zuzudrücken, doch es dauerte ewig, bis ihr Körper endlich erschlaffte und sie zu Boden sank. Erst da verstummte der Lärm, und erschrocken bemerkte ich, dass ich es war, der die ganze Zeit geschrien hatte.

Von da an quälten mich Alpträume. Immer wieder sah ich die Frau vor mir, eine Richterin, wie ich aus der Zeitung erfuhr, spürte sie in meinen Armen sterben. Ich erwachte jedes Mal schweissgebadet und starrte keuchend an die Decke.

«Ich will nicht mehr», erklärte ich, als sie wieder anriefen und mich für meine «professionelle und umsichtige Handlungsweise» beglückwünschten. «Ich kann das nicht.»

Ich hatte die ganze Woche krank im Bett gelegen, in meinen Fieberträumen durchlebte ich den Mord immer und immer wieder, und nachts war mir das Gesicht der Frau erschienen, vorwurfsvoll und traurig zugleich.

«Dann wirst du Gloria nie mehr sehen», drohte mir der Typ wie so oft zuvor.

Und wie so oft zuvor wollte ich mit Gloria sprechen.

«Mi amor», flehte sie. «Tu, was sie sagen, bitte!»

Der Anruf wurde wieder unterbrochen, und da endlich begriff ich.

«Sie ist längst tot, nicht?», fragte ich mit tonloser Stimme, als sie das nächste Mal anriefen. «Sie sagt immer die gleichen Worte, und der Anruf wird daraufhin jedes Mal abgebrochen. Ihr spielt mir eine Aufnahme vor, schon seit Wochen!»

«Wir dachten, du wüsstest das längst.»

Hatte ich in meinem Eifer gar nicht bemerken wollen, dass es nicht Gloria selbst war, die mich am Telefon anflehte? Hatte ich mich dermassen in meine Aufträge hineingesteigert, dass sie mir egal geworden war?

«Womöglich habe ich etwas geahnt», gab ich mit heiserer Stimme zu.

«Trotzdem hast du mitgemacht!»

Ertappt verstummte ich. Sie hatten mich Verantwortung übernehmen lassen, man hatte auf mich gebaut, meine Arbeit wurde geschätzt. Und das Ganze hatte mein Leben eine Zeitlang abenteuerlich gemacht und aufregend. Doch es gab Grenzen, die zu überschreiten ich nicht mehr gewillt war.

«Damit ist jetzt Schluss», sagte ich.

Der Mann am Telefon liess sein leises Lachen hören.

Mit schweren Schritten stieg ich die Treppe hoch. Es war weit nach Mitternacht. Eines dieser heruntergekommenen Etablissements in Frankfurts Bahnhofsviertel, es roch nach Kebab und billigem Parfüm, das Rattern einer späten Strassenbahn drang herein, und hinter manchen Türen war der laut aufgedrehte Ton von Fernsehern zu vernehmen. Ich erledigte meinen Job routiniert, unbeteiligt. Mittlerweile konnte ich mir wie von aussen dabei zusehen. Ich legte die Schlinge um seinen Hals, wartete ab, bis er zusammensackte, dann ging ich wieder durch das Treppenhaus nach unten und trank einen Schnaps in einem der schummrigen Lokale. Ich war innerlich ausgebrannt, tot, nichts machte mir noch etwas aus. Sie hatten Fotos von mir geschossen, ohne dass ich es bemerkt hatte, eindeutige Bilder. Die erwürgte Richterin in meinem Arm und andere, weit weniger pittoreske Motive. Sie hatten mich in der Hand.

Ich legte einen Schein auf den Tresen, und der Kellner nickte mir zu, bevor er träge aus seiner Ecke geschlurft kam und das Geld einstrich. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich kein Wechselgeld wollte, und als ich aus der Bar trat, zündete ich mir eine Zigarette an. Und erstarrte.

Sie stand direkt gegenüber, der Schein einer Strassenlaterne erhellte ihre Gesichtszüge. Gloria.

Ich erkannte sie sofort, und sie zuckte zusammen, als ich ihren Namen rief. Rasch flüchtete sie in den Nachtklub zurück, vor dem sie stand, doch ich holte sie bereits an der Garderobe ein.

«Ich habe gedacht, du seist tot!», rief ich ausser mir vor Freude, doch als sie sich umwandte, sah ich die Herablassung in ihrem Gesicht.

«Hau ab!», zischte sie mich an.

«Aber Gloria, ich bin es!»

«Ich sehe es!»

«Aber wir …»

«Es gibt kein Wir. Es gibt nur mich und dich. Begreifst du das noch immer nicht?»

«Du hast mit ihnen zusammengearbeitet?»

«Ich wurde gut bezahlt.»

«Und alles andere?»

«Teil des Jobs.»

Erschüttert sah ich sie an.

«Hast du echt geglaubt …? Einer wie du mit jemandem wie mir?» Gloria begann zu lachen, ein lautes, hämisches Lachen, das mir das Herz in Fetzen riss.

Sie schläft, endlich schläft sie. Schwer liegt ihr Kopf auf meiner Brust, ihr Atem ist kaum spürbar. Wir sind in Erstfeld, so wie damals, in unserer allerersten Nacht. Ich habe sie einfach mitgenommen. Mittlerweile weiss ich, wie so etwas geht. Erstfeld, damals, es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Was bin ich naiv gewesen. Sie hat mir verraten, was sie damals in mir gesehen hat, was so besonders an mir gewesen war: mein langweiliges Äusseres. Und der Hunger in meinen Augen. Sie hätte sofort geahnt, dass ein komplexbeladenes Würstchen wie ich sich perfekt für den Job eignen würde. Man hätte mir förmlich angesehen, wie ich nach Anerkennung und Lob gierte.

Sie seufzt im Schlaf. Ich weiss jetzt, wo ich die Stimme am Telefon finden kann, Gloria hat es mir auf leichten Druck hin verraten. Später werde ich dorthin fahren. Später.

Behutsam richte ich mich auf und knipse die Nachttischlampe an. Die Jalousien klappern leise. Der Duft ihrer Haare erinnert mich an früher, an Glück. Ein kurzes Glück. Ich trockne meine Tränen, und mein Blick streift das Whiskyglas neben ihr. Die Barbiturate entfalten längst ihre Wirkung. Wenn sie aufhört zu atmen, werde ich gehen.

Mord in Switzerland Band 2

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