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Unnützlich – die Botschaft ist Form

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„The Form is the Message“ hat Brian LLOYD (2014) einen Aufsatz über die Songform-Innovationen Bob Dylans betitelt. Die Form ist Botschaft, das trifft im Prinzip auf jede Musik zu. Beim Antipop jedoch gilt der Satz auch umgedreht: Die Botschaft ist Form. Man kann Antipop nicht hören, ohne dass einem die Mikro- und Makrostrukturen der Musik buchstäblich ins Ohr springen. Braxtons Gesamtwerk hat Ähnlichkeiten mit einem architektonischen Bauwerk (nicht umsonst heißt sein eigenes Label New Braxton House). Jede Begehung, gleichgültig von welcher Seite man das Gesamtgebilde betritt, gleicht einer Exploration. Die hochgradig verschachtelte musikalische Architektur enthält keine Fertigbauteile und keine gebräuchlichen Funktionsräume, dafür allerhand Geheimgänge, Nischen und weiträumig unvertrautes Gelände. Die Wege und Winkel, die Orte und Ornamente dieser Musik wollen achtsam erkundet werden, im lässigen Vorbeischlendern findet man keinen Zugang. Anstrengend, sagen die einen, atemberaubend, sagen die anderen. In ihrer Performance „Schrei X“ jagt Diamanda Galás die unbegleitete Stimme einmal quer durch die Hölle auf Erden. In keinem Laut liegt Trost. Was an der musikalischen Form als versöhnlich, heiter oder angenehm empfunden wird – vertraute, überschaubare Strukturen, leichte Melodien, gewohnte Harmonien, gefällige Rhythmen uam. –, fehlt hier in äußerster Konsequenz und quälender Kompromisslosigkeit. Fürchterlich, sagen die einen, faszinierend, sagen die anderen. Im Drone-Donnerwerk von SunnO))) ist jeder Akkordwechsel ein Ereignis, das auf der Bühne wie in einer schwarzen Messe zelebriert wird. Die extrem wirkende Verlangsamung dieser Musik ist aber noch gar nichts verglichen mit John Cages’ Orgelkomposition „Organ2/ASLSP“. Die Dauer dieses Stücks ist in der St. Burchardi-Kirche in Halberstadt auf 639 Jahre angelegt. Mit dem nächsten Akkordwechsel ist im Jahr 2020 zu rechnen. Langweilig, sagen die einen, aufregend, sagen die anderen.

Wenn wir also auf Musik stoßen, die nachdrücklich auf die eigene Konstruktion und Machart hinweist, haben wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Antipop zu tun. An dieser notorischen Selbstbezüglichkeit können Antipop-Freunde einen Narren fressen, weil sie sich an der künstlerischen Form und Formgebung, am Prozesscharakter und den Gestaltungsprinzipien von Musik begeistern. Hartgesottenen Pop2-Fans hingegen, die andere Vorlieben und Hörerwartungen haben, verdirbt die Selbstreferenz rasch die Laune.

Selbstreferentialität reizt den Verstand, öffnet Augen und Ohren, schafft Distanz, kurz: sie wirkt dysfunktional. Musik aus der Familie des Antipop lässt sich deshalb – abgesehen vom gespannten Zuhören – praktisch zu nichts richtig gebrauchen, jedenfalls nicht (oder nur gewaltsam) zum Stimmung machen, Schunkeln, Tanzen, Headbanging und auch nicht (oder höchstens in Ausnahmefällen) zur Untermalung, Einkehr, Andacht oder worin immer der Nutzen und Gebrauchswert von Musik bestehen mag. Unberechenbarkeit, Widerspenstigkeit, Extremismus und Eigenwilligkeit, diese vier basalen Merkmale des Antipop, verhindern dessen Verzweckung. Unbequeme Musik, die einen nicht für dumm verkauft, ist jedoch für gänzlich Nutzloses bestens geeignet. „Wirkliche Kunst hat die Eigenschaft, uns nervös zu machen“ (SONTAG 1982, 16). Antipop macht nervös und mehr als das: er regt an, er regt auf, er bildet.

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