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Einleitung

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„Was ist Popmusik?“ Die Frage scheint unzeitgemäß, ja überflüssig, angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der gewöhnlich über Popmusik gesprochen wird. Doch der Schein trügt, setzt er doch voraus, es ließe sich auf diese Frage kurzerhand eine allgemein befriedigende Antwort geben. Dass dies keineswegs der Fall ist, zeigten nicht nur unzählige Gespräche, die die Herausgeber mit Musikerkollegen, Studierenden, wissenschaftlichen Experten und Konsumenten geführt haben. Auch musikwissenschaftliche und musikphilosophische Recherchen ergeben in diesem Punkt keine Klarheit, im Gegenteil. Das nahmen die Herausgeber zum Anlass, um an zwei Workshop-Tagungen an der Universität Kassel im Dezember 2014 und Februar 2016 die Frage nach dem „Wesen“ der Popmusik zu diskutieren. Die meisten der im vorliegenden Buch versammelten Beiträge sind aus diesen lebhaften, erkenntnisreichen und kontroversen Diskussionen hervorgegangen.

Wie kann es angehen, dass von einer scheinbar so offensichtlichen Selbstverständlichkeit wie Popmusik bei näherer Betrachtung völlig unterschiedliche Begriffe und Verständnisweisen existieren? Dafür gibt es aus unserer Sicht mehrere Erklärungen.

Da ist zunächst einmal die Schwierigkeit, das Konzept Popmusik von anderen musikalischen Konzepten abzugrenzen. Dieses Abgrenzungsproblem drückt sich etwa in folgender Frage aus: Ist Popmusik all diejenige Musik, die nicht zur klassischen Kunstmusik gehört? Das wäre ein wenig trennscharfer, lediglich negativ bestimmter Begriff von Popmusik, der von Schlager über Avantgarde-Jazz bis zu Techno und Doom Metal sehr heterogene Musikstile einschließt. Oder ist Popmusik eher der enge Kreis von Musiken, die in den Top-40 anzutreffen sind? Dann würde man den Begriff Popmusik vom Urteil des Mehrheitsgeschmacks und von Hitlistenplatzierungen abhängig machen, was sicherlich keine definitorische Glanzleistung wäre. Zur inhaltlichen Bestimmung von Popmusik trüge solch ein Begriffsverständnis ebenfalls wenig bei, da auch die Musik in den Charts, von denen es viele gibt, recht heterogen ist. Hinzu käme, dass die Unzahl an Musiken, die zwar wie Hits klingen, es jedoch nicht unter die Top-40 schaffen, nach diesem Begriffsverständnis nicht zum Kreis der Popmusik gehören würden. Oder ist Popmusik ein Oberbegriff für spezifische Genres, so dass beispielsweise Rock, Soul, Beat und Reggae zur Popmusik gehören würden, jedoch keine europäische Kunstmusik, keine Weltmusik, kein Jazz und kein Progressive-Rock? Doch wie und wo zieht man hier die Grenzen und mit welcher Begründung? Das Konzept Popmusik scheint sich wie ein Aal immer wieder zu entwinden, sobald man danach greift.

Ein anderer Weg, die Frage „Was ist Popmusik?“ zu beantworten, führt über spezifisch musikalische Kategorien. Das sich daraus ergebende Materialproblem hat folgende Frageform: Lässt sich Popmusik mit den klassischen musikalischen Material-Kategorien wie Tonalität, Rhythmus etc. adäquat bestimmen? Viele Analysen popmusikalischer Stücke, die auf diese materialen Gehalte zurückgreifen, fallen in Bezug auf Komplexität und kompositorische Differenziertheit deutlich hinter der Analyse kunstmusikalischer Werke zurück. Deshalb wird Popmusik vor dem Hintergrund dieser klassischen Kategorien häufig als mehr oder minder defizitär angesehen. Das ist jedoch unbefriedigend, da es am musikalischen Gehalt populärer Musik vorbeigeht. Müssten nicht andere materiale Kategorien herangezogen werden, die das Eigentümliche der Popmusik angemessener erfassen? In der musikwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzehnte werden in diesem Zusammenhang insbesondere drei Kandidaten diskutiert: Sound, Groove und Performance. Offen ist noch, wie sich diese Kategorien konzeptualisieren lassen und inwieweit sie sich für eine Kernbestimmung von Popmusik tatsächlich eignen.

Drittens schließlich besteht die Möglichkeit, dass Popmusik sich gar nicht durch irgendwelche genrebezogenen oder musikalischen Begriffe auszeichnet, sondern vielmehr durch eine bestimmte Kultur, das heißt durch Formen kultureller Praktiken. Dieses Kulturproblem lässt sich ebenfalls durch ein Set an Fragen umreißen: Welche Rolle spielt Popmusik in der individuellen (musikalischen) Sozialisation? Inwieweit sind Eckpunkte und zentrale soziale Bindungen der eigenen Biografie mit popmusikalischen Feldern verwoben? In welchem Umfang werden musikalische Bedürfnisse durch kulturindustrielle Einflussnahme manipuliert? Kommt Popmusik und ihren sozialen Feldern ein Widerstandspotential zu? Diese Dinge werden in den Traditionen der Kritischen Theorie und der Cultural Studies umfänglich diskutiert und haben dabei keineswegs an Aktualität eingebüßt. Allerdings gehen die genannten Fragen meistens stillschweigend davon aus, dass irgendwie klar ist, was mit Popmusik gemeint sei. Dass solch eine Klarheit nicht vorausgesetzt werden darf, haben wir festgestellt, weshalb auch diese kulturellen Ansätze nicht umhinkommen, ihr Popmusikverständnis offenzulegen.

Entsprechend der drei grundlegenden Zugangsweisen zur Frage „Was ist Popmusik?“ gliedert sich der vorliegende Band in drei Teile: Konzepte – Kategorien – Kulturen. Die Beiträge eröffnen inhaltlich, methodisch und stilistisch ein Panorama gegenwärtiger Popmusikforschung – auch in disziplinärer Hinsicht, insofern die Autoren unterschiedliche Fachrichtungen wie Philosophie, Musik-, Literatur- und Kulturwissenschaft vertreten.

Im ersten Teil – Konzepte – wird von TIMO HOYER die Problematik eines zu weit gefassten Popmusik-Begriffs (Pop1) herausgearbeitet, dem ein schärferer Begriff (Pop2) gegenübergestellt wird. Anhand der heuristischen Kategorie Antipop analysiert der Beitrag schließlich musikalische Figuren, die dem gängigen Muster von Popmusik widersprechen.

Der Beitrag von DANIEL MARTIN FEIGE nimmt eine Dreiteilung von Musik vor. Er unterscheidet eine durch Werke gekennzeichnete Musik (insbesondere klassische Kunstmusik), eine durch Performance gekennzeichnete Musik (insbesondere Jazz) und Popmusik. Charakteristisch für Popmusik ist für Feige die zentrale Bedeutung der Aufnahme.

RALF VON APPENs Analyse unterschiedlicher Konzeptualisierungen des Popmusikbegriffs führt zu dem Ergebnis, dass jedes dieser Konzepte etwas Richtiges am Phänomen Popmusik trifft, aber keines für sich allein hinreicht, es umfassend zu beschreiben. Der Beitrag plädiert dafür, diese aporetische Situation produktiv zu wenden.

Für CARSTEN KRIES hingegen zeichnet sich Popmusik gerade nicht durch ein spezifisch theoretisches Konzept, sondern vielmehr durch eine Praxis aus, womit er sie in das Aktual musikalischen Geschehens rückt, das sich zwischen Popmusik und ihrer produktiven Rezeption ereignet. In den Blickpunkt tritt die allgemeine unmittelbare Zugänglichkeit als Basis für eine popmusikalische Praxis.

Im zweiten Teil – Kategorien – arbeitet DIRK STEDEROTH ein musikästhetisches Spannungsfeld heraus, das sich zwischen strukturorientierter Musik mit den zentralen Kategorien Tonalität, Rhythmik/Metrik und Komposition auf der einen Seite und realisierungsorientierter Musik auf der anderen aufspannt. Für letztere sind die Kategorien Sound, Groove und Performance kennzeichnend, die in dem Beitrag auf eine angemessenere Analyse u.a. von Popmusik hin charakterisiert werden.

Der Text von CHRISTIANE GERISCHER arbeitet den aktuellen Stand der empirischen musikwissenschaftlichen Forschung zum Thema Groove auf und stellt Groove als basale Kategorie der Popmusikforschung heraus. Kennzeichnend für Groove ist dessen polyrhythmischer und multidimensionaler Charakter sowie dessen Bewegungsorientierung.

THOMAS PHLEPS geht in seinem Beitrag den verschlungenen Wegen des Sounds nach. Sie führen ihn von der Frage nach dessen sprachlicher Fassbarkeit über die Rezeptionsweisen bis hin zur je individuellen Sounderfahrung aufgrund der jeweiligen musikalischen Biografie.

Der individuelle Erfahrungshintergrund spielt auch in der Eröffnung des dritten Teils – Kulturen – eine zentrale Rolle. DIEDRICH DIEDERICHSEN schildert, dass sich in der eigenen Biografie nicht nur Sounderlebnisse einspielen, sondern zudem in der Auseinandersetzung mit den popmusikalischen Texten differenzierte Erfahrungsgehalte ausbilden – Glückserfahrungen.

Welche Rolle Popmusik in Zeiten von Postdemokratie und Populismus spielt oder spielen sollte, ist Thema des Essays von CHRISTOPH JACKE, der das Thema dieses Bandes an die kulturelle und politische Gegenwart zurückbindet.

Rebellion und Widerstand sind elementare popmusikalische Themen und Praktiken. Das unterstreicht am Ende dieses Buches STEFAN GREIF, der sich mit dem „Rock Power“-Autor Helmut Salzinger beschäftigt. Wir stoßen hier auf eine Ambivalenz popmusikalischer Rebellion, die, ob sie will oder nicht, mit dem Widerstand gegen unterdrückende Strukturen auch gegen ihre eigene kulturindustrielle Vermarktung rebelliert. Negiert sie sich dadurch am Ende selbst oder gehört dieser Zwiespalt zur Natur von Rockmusik?

Wir danken allen Beteiligten herzlich für das gemeinsame Nachdenken über Popmusik. Gewidmet ist das Buch Thomas Phleps, der Anfang Juni 2017 völlig unerwartet verstorben ist.

Die Herausgeber

Kassel und Karlsruhe im Juni 2017

Was ist Popmusik?

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