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[82][83]Gesa Lindemann

Natur versus Kultur: Was ist der Gegenstand der Soziologie?

Die Termini Natur und Kultur sind nicht eindeutig und sie sind auch nicht eindeutig aufeinander bezogen. Das Verhältnis von Natur und Kultur lässt sich auf dreierlei Weise verstehen:

1.das normative Verständnis,
2.das zivilisatorische Verständnis,
3.das methodische Verständnis.

Ad 1: Die normative Position begreift Natur und Kultur als zwei voneinander getrennte Bereiche, die sich folgendermaßen voneinander unterscheiden: »Natur« sei rein deskriptiv bzw. kognitiv zu erfassen, und sie folgt einheitlichen Gesetzmäßigkeiten. Im Unterschied dazu ist »Kultur« als der Bereich der Werte bzw. der von Menschen frei gesetzten Zwecke zu begreifen. Kulturelle Ordnungen einschließlich ihrer Werte gelten als die Produkte menschlichen Handelns, die deshalb auch von Menschen verändert werden können. Wenn man die Bereiche derart strikt gegeneinander absetzt, folgt daraus, dass aus dem natürlichen Sein nicht abgeleitet werden kann, an welchen kulturell erzeugten Werten bzw. Normen sich das Handeln von Menschen orientieren sollte.

Ad 2: Dem zivilisatorischen Verständnis zufolge stehen Natur und Kultur in einem zeitlichen Verhältnis zueinander und sind zunehmend ineinander verflochten. Natur bezeichnet den Ausgangszustand menschlicher Entwicklung, welcher durch zivilisatorische Anstrengungen überwinden wird bzw. überwunden werden soll. Die Zivilisierung bezieht sich sowohl auf die Kultivierung der äußeren Natur (Ackerbau, Werkzeuge, Industrie) als auch auf die Kultivierung der Natur des Menschen durch gesellschaftliche Institutionen. Die Kultivierung der Natur kann dabei positiv im Sinne eines kontinuierlichen Fortschritts oder negativ im Sinne einer zerstörenden Verfügbarmachung begriffen werden.

Ad 3: Im Rahmen des methodischen Verständnisses werden Natur und Kultur nicht als zwei fest voneinander getrennte Bereiche aufgefasst, sondern als das Ergebnis unterschiedlicher methodischer Zugänge zur Welt. Wenn man die Welt als einen Zusammenhang begreift, der durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten erklärt werden kann, erscheint sie als einheitliche Natur. Wenn man sich der Welt dagegen vermittels der Methode des Verstehens zuwendet, erscheint diese als Kultur, bzw. als differenziert in eine Vielzahl von Kulturen. Das Verstehen richtet sich auf die innere Struktur einzelner Kulturen bzw. auf die Unterschiede zwischen einzelnen Kulturen.

Die drei Verständnisse der Natur-Kultur-Unterscheidung lassen sich nicht exakt einzelnen Autoren zuordnen, denn die Differenz zwischen Natur und Kultur wird oft mehrdeutig verwendet. Umso wichtiger ist es, nachvollziehen zu können, in welchem Sinn ein Autor die Natur-Kultur-Unterscheidung jeweils versteht. Um dies genau herauszuarbeiten, ist es sinnvoll, sich zunächst der Philosophie Immanuel Kants zuzuwenden. Kant selbst hatte nicht zwischen Natur und Kultur unterschieden, er stellte vielmehr die Differenz zwischen Naturerkenntnis und Moralbegründung in den Mittelpunkt. Aber die Natur-Kultur-Unterscheidung, wie sie in den [84]Geistes- und Sozialwissenschaften (G-SW) bestimmend geworden ist, schließt an die kantische Unterscheidung zumindest implizit und oft auch explizit an. Aus diesem Grund soll zunächst Kants Unterscheidung zwischen Naturerkenntnis und Moralbegründung dargestellt werden; sodann werde ich herausarbeiten, wie sich die einzelnen Positionen der Natur-Kultur-Unterscheidung darauf beziehen.

1.Kant: Naturerkenntnis und Moralbegründung

Kant verfolgte ein doppeltes Problem. Zum einen ging es ihm darum, wie es möglich ist, dass Menschen eine geordnete Welt wahrnehmen, die rational, d. h. wissenschaftlich, erforscht werden kann. Zum anderen versuchte er nachzuweisen, dass es möglich ist, rational zu begründen, an welchen Werten wir uns als Vernunftwesen moralisch orientieren sollten. Die daraus resultierende Begründung von Moral erhebt den Anspruch für alle Menschen, d. h. universell, gültig zu sein.

Kants Analyse zufolge ist eine rationale Begründung wissenschaftlicher Naturerkenntnis nur dann möglich, wenn die subjektiven Bedingungen der Wahrnehmung der Natur in den Blick genommen werden. Dass Menschen eine geordnete Welt wahrnehmen, sei darauf zurückzuführen, dass das wahrnehmende Subjekt seine Sinneseindrücke anhand von Formen ordnet. Die Formen der Anschauung könnten nicht aus der sinnlichen Erfahrung gewonnen werden, sondern seien der Wahrnehmung vorgeordnet; sie sind apriorisch, wie Kant sagt. Wenn Menschen äußere Gegenstände als räumlich ausgedehnt wahrnehmen, wird eine Vielzahl sinnlicher Eindrücke in eine Form gebracht. Die sinnlichen Eindrücke werden dreidimensional als »Raum« geordnet. Gleiches gilt für die Zeit, durch diese werden die Sinneseindrücke in die Ordnung eines Nacheinander von Zeitpunkten gebracht (vgl. Kant 1787/1956: 66–83). Erst die Anwendung der Anschauungsformen von Raum und Zeit ermöglicht es, die eintreffenden Sinneseindrücke so zu strukturieren, dass man z. B. sagen kann, jetzt steht der Tisch neben der Wand. Wie das Verhältnis einzelner Gegenstände zueinander wahrgenommen wird bzw. wie wahrgenommen wird, dass Gegenstände aufeinander wirken, sei durch die Kategorien des wahrnehmenden Verstandes bestimmt. Zu diesen gehören etwa Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung). Insgesamt sei Wahrnehmung als Formung von Sinneseindrücken durch Anschauungsformen und Kategorien zu begreifen. Die Sinne (z. B. Augen und Ohren) werden durch äußere Reize erregt und die so empfangenden Sinneseindrücke werden gemäß den vorgeordneten Formen wie etwa Raum, Zeit und Kausalität in eine Ordnung gebracht. Die so geordnete Wahrnehmung erscheint als die äußere Natur. Am Beispiel einer rollenden Kugel lässt sich dies verdeutlichen: Eine Kugel rollt eine schräge Ebene hinunter, stößt an eine andere Kugel, bleibt liegen und die andere Kugel rollt in eine bestimmte Richtung. Dies ist zunächst nur eine Abfolge von Sinneseindrücken. Diese Sinneseindrücke werden räumlich und zeitlich geordnet: Die Kugel ist zum Zeitpunkt t-1 am Ort O-1 und an t-2 an O-2 usw., sie rollt bis zum Zeitpunkt t-9 und befindet sich an O-9. Die Ausdehnung von O-9 berührt die Ausdehnung von O-10; O-10 wird von einer zweiten Kugel ausgefüllt, diese rollt an einen anderen Ort. Wenn man das Kausalschema auf diese Abfolge anwendet, wird daraus die Aussage, dass die rollende Kugel die ruhende Kugel angestoßen und damit die Bewegung der zweiten Kugel bewirkt hat. Die Kategorien des Verstandes ermöglichen es, die Abfolge von sinnlichen Eindrücken, die von Zeitpunkt zu Zeitpunkt variieren, in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. An dem Beispiel wird zugleich deutlich, dass die Anwendung des Kausalschemas eine zeitliche Ordnung beinhaltet: Die Ursache geht der Wirkung voraus.

Kants Argument hat eine wichtige Implikation. Die äußere Welt wird nicht so erkannt, wie sie selbst ist, sondern so, wie sie gemäß den subjektiven Erkenntnisbedingungen erkannt werden [85]kann. Eine andere als die menschliche Wahrnehmung, die z. B. nicht durch die Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität bestimmt wäre, würde die Sinneseindrücke in anderer Weise ordnen. Hieraus resultiert eine Differenz, die Kant mit der Unterscheidung zwischen Erscheinung für das Subjekt und »Ding an sich« zu fassen versucht. Das Ding an sich bleibt unerkennbar (vgl. Kant 1787/1956: 84–92). Die menschliche Wahrnehmung erfasst die Ordnung der sinnlichen Erscheinungen, sie erkennt aber nicht die Dinge, wie sie an sich sind. Aufgrund dieser Differenz ist jede Erkenntnis der Natur vorläufig. Denn was die Gegenstände der Natur selbst sind, bleibt offen.

Davon zu unterscheiden ist das Reich der Zwecksetzung aus Freiheit. Hier geht es Kant um die Analyse des Sollens: Ist es möglich, rational auszuweisen, dass Menschen unbedingt einer moralischen Forderung folgen sollen (für das folgende vgl. Kant 1785/1974: 35–41)? Kants Argument lautet, dass es nicht möglich, auf der Grundlage empirischer Forschung zu begründen, warum Menschen in einer bestimmten Weise handeln sollen. Eine empirische Forschung könne zeigen, wie ein Mensch gegenwärtig erscheint. Sie könne zeigen, dass aus dem Zustand X (= bestimmte Zusammensetzung der Magensäfte, die von einem Hungergefühl begleitet werden), die Handlung Y (ein Stück Fleisch braten und essen) folgt. Aus der beobachtbaren Abfolge von Zustand X und Handlung Y folgt aber nicht, dass ein Mensch in dieser Weise handeln soll. Wenn ein Mensch sich fragt, ob er dieses oder jenes tun soll, beinhaltet dies, dass er nicht vollständig durch seine empirischen Antriebe beherrscht wird. Wenn er sich fragt, ob er weiter Fleisch essen oder sich nur noch von Pflanzen ernähren soll, muss er sich die Freiheit zugestehen, selbst entscheiden zu können, wie er handelt. Er muss für sich in Anspruch nehmen, dass er die Freiheit hat, seine Handlung selbst zu bestimmen. Nur wenn es diese Freiheit gibt, ist es sinnvoll, davon zu sprechen, dass ein Mensch etwas tun soll. Nur wenn der Mensch frei ist, kann er sich also dazu entscheiden, der Verpflichtung zu folgen, die das Sollen ausdrückt.

Die inhaltliche Bestimmung des moralischen Sollens erfolgt bei Kant rein formal. Um herauszufinden, ob das Handeln an einem Wert orientiert sein soll, muss diese Wertorientierung so begründet werden, dass es alle einsehen können. Die Garantie dieser Einsicht ergibt sich, wenn die Orientierung an diesem Wert rational begründet werden kann. Um dies zu gewährleisten, schlägt Kant ein Reflexionsverfahren vor, das er als »kategorischen Imperativ« bezeichnet: Ein Mensch sei dann unbedingt genötigt, einem Wert zu folgen, wenn sich begründen lässt, dass alle Menschen dieser moralischen Forderung folgen sollten (Kant 1785/1974: 51f).

Menschen sind nicht rein vernunftgesteuert, sondern zugleich sinnliche Wesen, welche von ihren Bedürfnissen angetrieben werden. Aus diesem Grund folgen Menschen einer rational gewonnenen Einsicht nicht automatisch, vielmehr stellt das Sollen für Menschen eine Nötigung dar (Kant 1785/1974: 41f), der sie folgen können, aber nicht alternativlos folgen müssen. Der Mensch kann auch zulassen, dass ihn seine empirischen Antriebe oder seine Gewohnheiten bestimmen. Aber die Einsicht in das Ergebnis seines Reflexionsverfahrens nötigt ihn, anders zu handeln. Ob ein Mensch dieser Nötigung folgt, ist seine Entscheidung.

2.Das normative Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung

Kant führt die Reflexion auf die subjektiven Bedingungen von Naturerkenntnis und Moralbegründung so durch, als handele es sich um eine individuelle Reflexion. Im Rahmen der Diskussion um das Verhältnis von Natur und Kultur wird die subjektive Reflexion als ein kommunikativer Prozess gedeutet. Karl-Otto Apel (1973) und Jürgen Habermas (1981/1995) schließen in diesem Sinn direkt an Kant an. Sie stellen die Einsicht in den Mittelpunkt, dass es unterschiedliche Subjekte gibt, die sich kommunikativ darüber verständigen müssen, wie die Welt wahrgenommen und [86]wie moralisch richtiges Handeln begründet werden kann. Das wesentliche Kennzeichen der Kommunikation besteht darin, dass sich die beteiligten Subjekte gegenseitig der Nötigung aussetzen, ihr Handeln rational zu begründen. Die Rationalität besteht darin, dass jeder der an Kommunikation Beteiligten akzeptiert, dass sein Handeln kritisiert werden kann und dass er sich gegenüber der Kritik zu rechtfertigen hat. Apel (1979) hebt hervor, dass in solchen kommunikativen Prozessen auch die Grundsätze bzw. die Verfahren der Naturerkenntnis entwickelt und begründet werden. In der durch wechselseitige Kritik gekennzeichneten Kommunikation werden auch die Normen formuliert, an denen sich Menschen orientieren sollten. Dass Apel und Habermas die Differenz der Subjekte einführen, hat eine wichtige Konsequenz. Kant konnte davon ausgehen, dass die Einsicht in die Bedingung von Naturerkenntnis und Moralbegründung unmittelbar für alle vernünftigen Wesen, d. h. für alle Menschen gilt. Wenn man die Differenz der Subjekte anerkennt, ist das nicht der Fall. Wenn es unterschiedliche Subjekte gibt, die in unterschiedlichen kommunikativen Kulturen leben, bedarf es eines historischen Lernprozesses, damit immer mehr Menschen rational einsehen können, wie Naturerkenntnis erfolgen und welche moralischen Orientierungen gelten sollten. Habermas legt dabei besonderen Wert darauf, dass eine dauerhafte Spannung zwischen dem Menschen als Naturwesen, das seinen eigenen Nutzen verfolgt, und der rationalen Aushandlung von Normen vorliegt. In seiner kommunikationstheoretischen Grundlegung der Sozialwissenschaften versucht er den Punkt zu bestimmen, an dem es für Individuen möglich wird, Normen rational einzusehen (Habermas 1981/1995, Bd. 2: Kap. 59ff).

Neben diesem direkten Anschluss an die kantische Theoriearchitektur ist das normative Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung aber noch in einer indirekten Weise relevant geworden. Es gehört zu den zentralen impliziten theoretischen Annahmen soziologischer bzw. kulturwissenschaftlicher Forschung, dass aus der Natur bzw. natürlichen Vorgaben und Annahmen keine Konsequenzen für die normative Bewertung von Menschen bzw. für normative Ansprüche, die an Menschen gestellt werden, folgen sollen. Weil Menschen »so« sind, folge daraus nicht, dass sie moralisch minderwertig sind bzw. dass ein bestimmtes Verhalten normativ von ihnen zu fordern ist. Die paradigmatischen Fälle für die moralische Bewertung von Menschen aufgrund ihrer empirisch beobachtbaren Natur sind »Rassismus« und »Sexismus«. Hier werden Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer »Rasse« oder zu einem »Geschlecht« normativ bewertet und es werden normative Handlungsanforderungen an sie gestellt, die sich aus ihrer Natur ergeben sollen. Die Kritik etwa am Sexismus lautet: Aus der Tatsache, dass Frauen Kinder gebären und deren Erziehung hauptsächlich tragen, folgt nicht, dass dies die natürliche Aufgabe von Frauen ist. Aus der »Natur der Frau« lässt sich nicht das Gebot ableiten, dass sie im Haus zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern habe – denn eine solche Natur gibt es nicht (vgl. Beauvoir 1949/1968). Wenn eine derartige Festlegung in Form von normativ vorgegebenen Geschlechterrollen erfolge, handele es sich nicht um Natur, sondern um eine unzulässige Naturalisierung.1

[87]Gemäß dieser Denkfigur ist Natur in einem doppelten Sinn zu verstehen, einerseits als diejenige Natur, die in angemessener Weise erforscht wird und andererseits als diejenige Natur, die das Ergebnis von Naturalisierung darstellt. Letzteres bezeichnet eine moralisch aufgeladene Natur, die den Individuen vorschreibt, wie sie sich selbst moralisch zu verstehen haben und handeln sollen. Die moralisch aufgeladene naturalisierte Natur ist das Ergebnis von Kultur und sichert eine bestehende gesellschaftliche Ordnung. In dieser Weise sind weitgehend alle Aussagen über die Natur »der Frau« bzw. »des Mannes« durch Kritik aufgelöst worden. In der Perspektive der Naturalisierungskritik kann es fraglich werden, ob es überhaupt noch möglich ist, zwischen deskriptiv zu erfassender Natur und naturalisierter Natur zu unterscheiden. Damit wird die Unterscheidung zu einer solchen, die im Verschwinden begriffen ist, ohne verschwinden zu können. Vor allem in der Geschlechterforschung gibt es Autorinnen, die entsprechend argumentieren. Danach sei es sinnlos, zwischen biologischer Natur und kulturellen Handlungsanforderungen (Rollen) zu trennen. Denn bereits die Tatsache, dass zwischen den Geschlechtern unterschieden wird, würde diese in ein asymmetrisches Machtverhältnis bringen. Entsprechend wird »Natur« als ein Effekt von Herrschaftssicherung begriffen. Damit wird Natur als ein eigenständiger und unabhängig von Normen gemäß dem Kausalprinzip zu untersuchender Bereich tendenziell in die Analyse von Normbildung aufgelöst. Trotzdem hält man auch in dieser Diskussion an der Natur-Kultur-Unterscheidung fest. Wenn eine kulturelle Ordnung dadurch gestützt wird, dass sie als natürliche Ordnung »getarnt« ist, handelt es sich um einen Vorgang, den es kritisch aufzuklären gilt. Die Enttarnung der Natur als naturalisierte Natur ist nur dann ein sinnvolles Vorgehen, wenn die normative Natur-Kultur-Unterscheidung als Hintergrundannahme aufrechterhalten wird, die festlegt, dass es falsch ist, Kultur als Natur auszugegeben. Die Theorie reflexiver Modernisierung situiert diese besondere Variante der normativen Natur-Kultur-Unterscheidung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit würden gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten, die zuvor als durch Natur vorgegeben galten, zunehmend in die Kritik geraten. »Natur« wird nun als Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse begriffen, es würde also offensichtlich, dass es sich um naturalisierte Natur handelt (Lau/Keller 2001).

Die sich daraus ergebenden Probleme sind vor allem in der feministischen Diskussion auf sehr hohem Niveau verhandelt worden. Die Spannung zwischen Natur und naturalisierter Natur ist im Fall des Rassismus nahezu vollständig zugunsten der naturalisierten Natur aufgelöst worden. Niemand behauptet ernsthaft, dass es sinnvoll sei, rassenbezogene Unterschiede zwischen Menschen zu machen. Im Fall der Geschlechterunterscheidung liegt der Fall anders. Hier bleibt es eine offene Frage, ob Natur vollständig in naturalisierte Natur aufgelöst werden kann.2

3.Die zivilisatorische Bedeutung der Natur-Kultur-Unterscheidung

Das zivilisatorische Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung geht zurück auf Gustav Klemm3 und wird zunächst in der Anthropologie über Edward B. Tylor vermittelt (Kroeber/Kluckholm 1952: 19) und später auch in der Soziologie prominent. Kultur wird hier als etwas Universelles zum Menschsein Gehöriges verstanden und bezeichnet den Grad der Kultivierung, den Menschen bzw. eine Gruppe von Menschen erreicht haben (Kroeber/Kluckholm 1952: 19). In diesem Verständnis [88]wird Kultur synonym mit Zivilisation verwandt und bezeichnet ein komplexes Ganzes. »Culture or Civilization, taken in its wide ethnographic sense is that complex whole which includes knowledge, belief, art, law, morals, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society.« (Tylor 1871: 1) Kultur in diesem Verständnis sei eine kollektive Schöpfung des Menschen, »die einer fortschreitenden Bewegung zur Vervollkommnung unterliegt« (Descola 2011: 121). In dieser Perspektive werden Gesellschaften daraufhin untersucht, wie sie sich vom Naturzustand entfernen und inwiefern ihre jeweiligen kulturellen Institutionen eine zunehmende Vervollkommnung zeigen. Der Mensch und die natürliche Umwelt des Menschen werden nicht nur als gestaltbar verstanden, sondern sie entwickeln sich zu immer höheren und anspruchsvolleren Gestaltungen. Diese Konzeption prägt das Gesellschaftsverständnis der Anthropologie und der Soziologie im 19. und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.

Bereits Klemm hatte Kultur auch in einem materiellen Sinn verstanden, sie schließt nämlich die Kultivierung des Bodens, den Ackerbau und damit insgesamt dasjenige ein, was später als »materielle Kultur« (Braudel 1979/1990: 16) bezeichnet wird. Dieser Ansatz bestimmt im Grundsatz auch das Gesellschaftsverständnis von Marx und später von Durkheim. Beide beziehen explizit die materielle Infrastruktur der Vergesellschaftung ein (Durkheim 1895/1991: 113f, Marx 1890/1977: Kap. 13). Insofern unterlaufen sie die kantische Unterscheidung, denn Natur ist als zu kultivierende Natur bzw. als für Kultivierung offene Natur eng mit Kultur verbunden. Kulturelle Ordnungen werden getragen durch einen Prozess, den Marx als »Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur« bezeichnet (Marx 1890/1977: 57).

Wie eng Natur und Kultur als miteinander verbunden gedacht werden, zeigt sich auch daran, wie Durkheim Moral begreift. In seinen Schriften zur Moral schließt er direkt an die kantische Differenzierung zwischen dem Menschen als Naturwesen und als sittliches normorientiertes Wesen an. Die Existenz verbindlicher moralischer Regeln definiert Durkheim über zwei Momente, nämlich »das Gute und die Pflicht« (1924/1976: 85). Bezogen auf den Pflichtcharakter der moralischen Regel bezieht sich Durkheim explizit auf Kant, ergänzt dessen Auffassung aber dahingehend, dass eine moralische Regel auch dasjenige bestimme, was erstrebenswert ist. Dass moralische Regeln einen verpflichtenden Charakter hätten, führt Durkheim darauf zurück, dass sie Elemente des gesellschaftlichen Kollektivbewusstseins seien, das Letztere sei dem individuellen Bewusstsein äußerlich und wirke auf es wie eine externe nötigende Kraft. Das individuelle Bewusstsein sei dadurch gekennzeichnet, dass es seine individuellen egoistischen Interessen verfolge. Damit eine Gesellschaft Bestand habe, müsse auf das Individuum Zwang ausgeübt werden. Die Legitimität dieses Zwanges ergibt sich für Durkheim daraus, dass lediglich der Sachverhalt der Vergesellschaftung den Menschen zu einem denkenden (Durkheim 1912/1984: 586) und moralischen (Durkheim 1924/1976: 105) Wesen mache. Durch Vergesellschaftung erhebt sich der Mensch über den Naturzustand, er kultiviert sich selbst als gesellschaftliches Wesen.

Die Evolution der gesellschaftlichen Arbeitsteilung führe, so Durkheim, zu einer immer weitgehenderen Differenzierung der Gesellschaft. Es entstünden unterschiedliche Professionen, ausdifferenzierte gesellschaftliche Untergruppen, die auf je unterschiedliche Weise zur gesellschaftlichen Arbeit beitragen und damit voneinander abhängig werden (Durkheim 1930/1992: 238). Die Individuen gehörten in einer solchen Gesellschaft mehreren Untergruppen an. Er ist Vater, Arzt und gehört einer politischen Gruppierung an usw. In allen Handlungsfeldern muss er unterschiedlichen Handlungsanforderungen gerecht werden und sich an den jeweiligen bereichsspezifischen moralischen Normen orientieren.

Unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen komme dem Individuum die Aufgabe zu, selbstständig die verschiedenen moralischen Handlungsorientierungen zu vermitteln. Das Individuum [89]werde so zu einem strukturellen Knotenpunkt der Vermittlung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Deshalb würde das Individuum selbst zum Gegenstand eines Kults (Durkheim 1930/1992: 227). Je weiter die Arbeitsteilung sich entwickele, »desto größeres Gewicht erlangt die Würde der Person« (Durkheim 1950/1999: 84). Damit tritt der bei Durkheim angelegte Fortschrittsgedanke deutlich hervor. Die geschichtliche Entwicklung geht dahin, durch Kultivierung der Natur zunehmend die Würde der individuellen Person durchzusetzen.4

Diese optimistische Sichtweise, die auch Durkheims Vorgänger Auguste Comte teilte, war bereits von Marx, wenn auch zurückhaltend, in Zweifel gezogen worden. Seine Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses unter Einbeziehung der Landwirtschaft führte ihn zu dem Ergebnis: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (Marx 1890/1977: 529f) Die sich darin andeutende Relativierung des Fortschrittsoptimismus gewinnt in der marxistisch inspirierten Kritischen Theorie erheblich an Bedeutung. Die Beziehung des Menschen zur Natur wird im Sinne einer »Dialektik der Aufklärung« (Horkheimer/Adorno 1947/1971) gedeutet, wobei die problematische Kehrseite der Aufklärung in den Vordergrund gerückt wird: die Notwendigkeit der Beherrschung der äußeren Natur und vor allem auch der inneren Triebnatur des Menschen. Die zerstörerischen Tendenzen der Naturbeherrschung kommen für Horkheimer und Adorno nicht zuletzt in der von den deutschen Nationalsozialisten ins Werk gesetzten Vernichtung all derjenigen zum Ausdruck, die sie als rassisch minderwertig deklarierten: Juden, Sinti und Roma sowie Menschen mit Behinderung. Dass die Kultivierung der Natur eine Fortschrittsgeschichte ist, die zu einer immer höheren Achtung vor dem menschlichen Individuum führt, sei seit dem Nationalsozialismus nicht mehr haltbar.

Wenn man den Faschismus als eine deutsche Angelegenheit begreift, wird es fraglich, ob die Lehren Adornos und Horkheimers notwendigerweise auf das westliche von den USA, England und Frankreich repräsentierte Fortschrittsmodell zu übertragen sind. Dieses wurde erst seit den 1970er-Jahren einer breiteren Kritik unterworfen. Sie bezieht sich auf die Zerstörung der Natur durch den erhöhten und sich exponentiell steigernden Ressourcenverbrauch bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung und den steigenden Lebensstandard (Meadows 1972). Andererseits gerät das Fortschrittsmodell der Kultivierung auch deshalb in die Kritik, weil es dazu gedient habe und dienen würde, den Anspruch auf Überlegenheit und Führung von weißen Europäern und Amerikanern gegenüber den kolonisierten Ländern Afrikas und Asiens zu legitimieren und durchzusetzen (Said 1978/1981).

Die Skepsis gegenüber der kultivierend-technischen Beherrschung der Natur prägt auch die bioethische Debatte um die Frage, ob es moralisch problematisch sei, Menschen biotechnisch zu optimieren (Habermas 2001). In dieser Diskussion spielt der Begriff der »Unverfügbarkeit« der Natur eine zentrale Rolle (Barkhaus/Fleig 2002, Manzei 2003, 2005), der doppeldeutig zwischen einer deskriptiven und moralischen Bedeutung oszilliert. Denn einerseits wird die Unverfügbarkeit des Körpers als ein Faktum begriffen, in diesem Sinn kann der menschliche Körper gar nicht vollständig durch einen technisch-kultivierenden Eingriff verfügbar gemacht werden. Andererseits ist diese Aussage auch normativ zu verstehen. Der Körper sollte auch gar nicht vollständig [90]verfügbar gemacht werden (Joas 2004: Kap. 10). Damit gelangt die Debatte zu einem moralisch aufgeladenen natürlichen Körper als Begründung ihrer Kritik. Ein derart moralisch aufgeladener Körper widerspricht aber den Grundlagen der normativen Natur-Kultur-Unterscheidung. In dieser Perspektive wäre der moralisch aufgeladene Körper als naturalisierte Natur zu begreifen, die ihrerseits wiederum einer Kritik unterzogen werden müsste. An diesem Beispiel wird ein allgemeines Problem vor allem der linken Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen deutlich. Dem normativen Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung liegt eine rationale, erkenntniskritische Trennung der beiden Bereiche zugrunde. Sie begründet die Kritik an unzulässigen Naturalisierungen. Eine normative Aufladung des natürlichen Körpers ist damit ausgeschlossen. Diese bildet wiederum die Begründung der Kritik am kultivierend-technischen Zugriff auf die Natur. Wenn beide Denkfiguren gleichzeitig als Grundlage der Kritik gesellschaftlicher Prozesse verwendet werden, führt dies in ein Dilemma. Dies ist bislang kaum bemerkt, geschweige denn als Problem reflektiert worden.

4.Das methodische Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung

Das methodische Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung entwickelte sich im Rahmen der Auseinandersetzung um die Wissenschaftlichkeit der G-SW bzw. der Kultur- und Sozialwissenschaften. Für diese Wissenschaftsgruppe stellte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Frage nach der Begründung ihres spezifischen Erkenntniszugangs zur Welt. Diese Diskussion ist als Erklären-Verstehen-Kontroverse bekannt geworden. Gemäß Apel (1979) lassen sich drei Phasen unterscheiden. Für die erste war die Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie Kants prägend.5 Das Problem war, ob und inwiefern die kritisch-erkenntnistheoretische Begründung der physikalisch-naturwissenschaftlichen Forschung, die Kant anerkanntermaßen mit der »Kritik der reinen Vernunft« (Kant 1787/1956) geleistet hatte (s. o.), für alle Wissenschaften gelten sollte oder nicht. Genauer: Sollte diese erkenntniskritische Begründung von Wissenschaft nicht nur für die Naturwissenschaften gelten, sondern auch für die im 19. Jahrhundert entstehende historisch-geisteswissenschaftliche Forschung und damit im Weiteren auch für die Soziologie? Das Argument lautet: Die Gegenstände der (Sozial- und) Geisteswissenschaften würden einen prinzipiell anderen methodischen Zugang erfordern, der sich durch »Verstehen« auszeichnet (vgl. Dilthey 1900/1924).

Die Frage ist nun, inwiefern die Methode des »Verstehens« einen eigenständigen Erkenntniszugang zur Welt begründet, der einer grundlegend anderen Rationalität folgt, als das an allgemeinen Gesetzmäßigkeiten orientierte Erklären. Die Differenz dieser Zugänge lässt sich so zusammenfassen. Erklären heißt, dass der Beobachter einen sinnhaften Zusammenhang konstruiert, [91]etwa im Sinne eines Kausalverhältnisses (s. o.). Er beobachtet äußere Phänomene und untersucht, ob die beobachteten Elemente sich gemäß der von ihm postulierten Annahme verhalten. Die Kontrolle über die Situation wird durch die Konstruktion von Experimenten gesteigert. In diesem Fall schafft man eine materielle Anordnung, in der ein Ereignis bzw. eine Abfolge von Ereignissen ausgelöst wird. Zu prüfen wäre dann, ob die ausgelösten Ereignisse gemäß der durch den Forscher postulierten Annahme stattfinden. Dies kann eine reflexive Wendung auf den Beobachter einschließen. Denn die Konstruktion des Experiments stellt einen praktischen Eingriff in das zu untersuchende Feld dar, welcher den weiteren Ablauf der zu beobachtenden Ereignisse bestimmt. Dies muss berücksichtigt werden, wenn es um die Begrenzung der Gültigkeit experimenteller Aussagen geht.6 Für die Sozialwissenschaften gilt zudem, dass die Formulierung von Kausalaussagen aus methodischen Gründen anthropologische Minimalannahmen erfordert. Diese laufen in der Regel darauf hinaus, dass Akteure unter der Bedingung von Mangel versuchen, den eigenen Nutzen zu maximieren. Diese Annahme funktioniert forschungspraktisch wie eine an das Feld herangetragene gesetzesförmige Regel.7

Ein verstehender Zugang zur Welt fordert andere forschungsleitende Annahmen. Danach gibt es Akteure, die für die Forscherin als ein anderes Ich erscheinen, welches seinem Inneren Ausdruck verleiht. Diese Individuen gilt es zu verstehen. Die Konzeption des Verstehens verschiebt sich, wenn die Forschung von einer Pluralität von Akteuren ausgeht, die einander als ein anderes Ich wahrnehmen und einander verstehen. Solche Akteure bilden einen geordneten Ausdruckszusammenhang, der als solcher zu verstehen ist. In den frühen Fassungen des Verstehens liegt der Schwerpunkt darauf, dass der Forscher/Historiker andere Individuen versteht. Bereits bei Dilthey und Misch, sowie später in der verstehenden Soziologie und den Kulturwissenschaften wird der Schwerpunkt anders gesetzt. Es geht darum, dass die Akteure des Feldes einander verstehen und in ihren wechselseitigen Bezügen Regeln hervorbringen, die ihr wechselseitiges Verstehen regulieren. Der Schwerpunkt der Analyse liegt nicht darauf, einzelne Individuen in ihrer Individualität zu verstehen, sondern die Regelhaftigkeit des Handlungs-, Interaktions- oder Kommunikationszusammenhangs. Verstehen heißt, die Regeln des wechselseitigen Verstehens zwischen den Akteuren des Feldes sinnhaft zu rekonstruieren (Misch 1929–30/1967).8

Der besondere Erkenntniszugang der soziologisch-kulturwissenschaftlichen Forschung kann auf zwei unterschiedliche Weisen begründet werden. Einige Autoren schließen direkt an die kantische Unterscheidung von Natur und Normorientierung an, während andere die Grenzziehung zwischen diesen Bereichen zum Ausgangspunkt machen.

[92]4.1Die methodische Befestigung Natur-Kultur-Unterscheidung

Historisch einflussreicher ist zunächst der erste Vorschlag gewesen. In diesem Sinne hatte Rickert (1898/1921) hervorgehoben, dass sich das Verstehen darauf richten müsse, an welchen Werten sich eine Kultur ausrichte. Rickert geht von universalen Werten aus, wobei einzelne Kulturen jeweils einer für sie spezifischen Wertorientierung folgen würden. In diesem Sinne könne man Kulturen anhand ihrer unterschiedlichen Wertorientierungen differenzieren, ohne dass es möglich ist, sie in ein wertendes Verhältnis zueinander zu setzen. In der soziologischen Adaption dieses Gedankens wurde nicht nur die Wertorientierung, sondern auch die Werte selbst als historisch kontingent aufgefasst. Die Werte, an denen sich Gesellschaften orientieren, seien selbst das Ergebnis historisch-gesellschaftlicher Prozesse, die es zu analysieren gelte. Die theoretischen Grundlagen hierfür werden von Georg Simmel (1908/1983: 22f) und Max Weber (1904/1988a, b) formuliert. In diesem Sinn wäre etwa die protestantische Ethik bzw. die Orientierung daran, Gewinne zu investieren, um noch mehr Gewinn zu machen, eine Wertorientierung. Diese Werte sind aber Weber zufolge nicht Elemente einer Gruppe universaler Werte, sondern sie sind als Werte selbst in einer historischen Situation entstanden. Andere Menschengruppen haben sich an anderen ebenso kontingenten Werten orientiert (Weber 1920/1986).

Während das zivilisatorische Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung beide Bereiche eng miteinander gebunden hatte, wird im methodischen Verständnis dieser Unterscheidung Kultur von ihrem Bezug zur Natur abgekoppelt. Es gibt eine einheitliche durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten bestimmte Natur; von dieser ist der Bereich der Kultur abzugrenzen, der sich durch eine interne Differenzierung in unterschiedliche Kulturen auszeichnet. Damit ist der Gedanke verabschiedet, dass es eine Kultur gibt, die in einer einheitlichen Perspektive fortschreitender Kultivierung untersucht werden kann. Das methodische Verständnis der Unterscheidung trennt Natur und Kultur und vermeidet es gerade dadurch, Kulturen in eine einheitliche Entwicklungsperspektive fortschreitender Kultivierung einzuordnen und entsprechend dem Grad ihrer Vervollkommnung zu bewerten. Alle von Menschen geschaffenen Kulturen sind in dieser Perspektive als im Prinzip gleichwertig anzusehen. Dieses Verständnis von Natur und Kultur ist, über Franz Boas vermittelt, prägend für die amerikanische Kulturanthropologie und allgemein für die anthropologische Forschung geworden (Descola 2011: 120–128).

Da Natur und Kultur in diesem Verständnis keine ontologisch getrennten Bereiche bilden, es sich vielmehr nur um unterschiedliche methodische Zugangsweisen zu einer Welt handelt, können menschliche Gesellschaften grundsätzlich in beiden Perspektiven untersucht werden. Es lässt sich danach fragen, wie beide Perspektiven miteinander vermittelt werden können usw. Anthropologische, soziologische bzw. kulturwissenschaftliche Forschungen unterscheiden sich danach, wie sie sich im Spannungsfeld von erklärenden und verstehenden Zugängen zur Welt situieren (Greshoff et al. 2008).

4.2Die methodische Reflexion auf die Natur-Kultur-Unterscheidung

Die Philosophie Kants bietet allerdings noch eine zweite Möglichkeit, das Verhältnis von Natur und Kultur zu denken, nämlich als Grenzziehung, die auch anders hätte ausfallen können. In diesem Sinn analysiert Plessner die methodische Aufspaltung des Weltzugangs als ein Kennzeichen des modernen westlichen Weltverständnisses. Dieses zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: 1. Es gibt eine einheitliche Natur, die kulturunabhängig nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, sowie eine Vielfalt unterschiedlicher Kulturen. 2. Zwischen Menschen und anderen [93]lebendigen Wesen besteht ein grundlegender Unterschied, denn der Mensch sei nicht nur ein natürliches Wesen, sondern zugleich auch Schöpfer von Kulturen und das Subjekt von Moral. Aufgrund seiner Bestimmung als Natursowie Kultur- und Moralwesen müsse der Mensch in einem doppelten Vergleich gesehen werden: im vertikalen Vergleich mit anderen organischen Wesen und im horizontalen Vergleich zwischen den Menschen als Produzenten unterschiedlicher kulturell-moralischer Ordnungen.

Der vertikale Vergleich begreift den Menschen als Naturwesen, d. h. als Teil der universalen einheitlichen Natur, und setzt ihn in Beziehung zu anderen Lebensformen, um so die Besonderheit der menschlichen Lebensform herauszuarbeiten. Der horizontale Vergleich begreift den Menschen als Schöpfer von Kulturen, der von seinen eigenen Produkten bestimmt wird. Die unterschiedlichen Kulturen seien als gleichwertig zu begreifen, da sie alle in gleicher Weise auf den Menschen als ihren Grund zurückgeführt werden können. Diese Matrix hat Viveiros de Castro (1998) später auf den Nenner »Mononaturalität und Multikulturalität« gebracht.

Plessner entwickelt seine Argumentation in zwei Schritten. Er formuliert eine Anthropologie gemäß dem doppelten Vergleich und bindet diese sodann in eine historisierende Reflexion ein. »Die Stufen des Organischen und der Mensch« (Plessner 1928/1975) enthalten den vertikalen Vergleich, während »Macht und menschliche Natur« (Plessner 1931/1981) den horizontalen Vergleich entfaltet (vgl. hierzu Mitscherlich 2007). Dieser doppelte Vergleich bildet die Matrix der Moderne. Bei deren Analyse kommt es Plessner darauf an, die komplexe Balance der modernen Ordnung darzustellen und gegen Vereinseitigungen Stellung zu beziehen, die diese Ordnung als eine rein gesellschaftliche oder als eine rein natürliche Ordnung begreifen.

Der doppelte Vergleich führt allerdings nicht zu einer positiven Anthropologie, sondern macht die im Vergleich gewonnene Anthropologie selbst reflexiv zum Gegenstand. Dadurch werden die anthropologische Ordnung der Moderne und das zu ihr gehörende Prinzip der Natur-Kultur-Unterscheidung insgesamt zum Gegenstand gemacht und als ordnungsbildendes Prinzip der Moderne begriffen. Daraus folgt: Wenn die beiden genannten Merkmale (Trennung von Natur und Kultur, Mensch als Kulturen schaffendes Wesen) die Ordnung der Moderne kennzeichnen, heißt das, dass andere Ordnungen möglich sind. Plessners (1928/1975, 1931/1981) Ausarbeitung der anthropologischen Ordnung der Moderne führt dazu, die Gültigkeit der Natur-Kultur-Unterscheidung und der in ihr enthaltenen Zentralstellung des Menschen auf die Moderne zu beschränken.9

Die Möglichkeit anderer Ordnungen wird in einem zweistufigen Verfahren in den Blick genommen. Die erste Stufe besteht darin, auch die Trennung zwischen Natur und Kultur ausgehend vom Menschen als schöpferischem Subjekt zu begreifen.

Von dieser Erfahrungsstellung (Mensch als schöpferisches Subjekt, GL) aus relativieren sich im Universalaspekt der den Planeten bedeckenden Völker ›ihre‹ Götter und Kulte, Staaten und Künste, Rechtsbegriffe und Sitten. Der für ›unseren‹ Aspekt sie alle umfassende Raum der Natur relativiert sich auf unser abendländisches Menschentum und gibt die Möglichkeit anderer Naturen frei. (Plessner 1931/1981: 149)

Es wird alles relativ auf den Menschen als schöpferisches Subjekt gedacht. Auch die umfassende und einheitliche moderne Natur wird zu einem Resultat der schöpferischen Kraft des Menschen [94]und kann damit auf ein bestimmtes »Menschentum« hin relativ gedacht werden, auf das abendländische Menschentum. Demnach bildet der Mensch nicht nur sich selbst zu einem bestimmten Menschentum, sondern indem er das tut, bildet er auch eine dieses Menschentum umgebende Natur.

Plessner bleibt aber nicht bei einer die vielfältigen Kulturen/Naturen ermöglichenden conditio humana stehen, sondern begreift diese selbst als ein geschichtlich gewordene Form der Welterschließung. Das Argument lautet,

dass die Selbstauffassung des Menschen als Selbst-Auffassung, als Mensch im Sinne einer ethnisch und historisch abwandelbaren ›Idee‹ selbst ein Produkt seiner Geschichte bedeutet, die Ideen Mensch, Menschlichkeit von ›Menschen‹ eroberte Konzeptionen sind, denen das Schicksal alles Geschaffenen bereitet ist, untergehen – und nicht nur außer Sicht geraten – zu können […] (Plessner 1981: 163).10

Die Theorie Plessners zeichnet sich durch eine hohe Selbstreflexivität aus. Deren Struktur lässt sich folgendermaßen skizzieren. Die Aussage – »der Mensch ist ein universales ordnungsbildendes Prinzip, auf das alle Ordnungen zurückgeführt werden können« – wird historisiert. Daraus folgt, dass es neben dem Menschen als ordnungsbildendes Prinzip noch andere ordnungsbildende Prinzipien geben kann, die auch nicht menschliche Wesen einbeziehen können. Damit relativiert sich der Mensch als ordnungsbildendes Prinzip, indem er sich neben mögliche andere Ordnungen mit anderen ordnungsbildenden Prinzipien stellt.

Als einen ersten empirischen Hinweis darauf, dass es unterschiedliche Ordnungen geben kann, ist die materialreiche Studie von Descola (2011) zu nennen. Diese trägt allerdings den missverständlichen Titel »Jenseits von Natur und Kultur« (Descola 2011). Tatsächlich ist aber nicht ein Jenseits der Unterscheidung gemeint, vielmehr geht es um den Versuch, einen Punkt diesseits der Unterscheidung zu denken, von dem aus die Natur-Kultur-Unterscheidung als eine mögliche Form, die Welt zu ordnen, begriffen werden kann. Die Stärke Descolas liegt darin, die ethnologische Forschung in der Perspektive der Vielfalt möglicher Weltzugänge in einer sehr umfassenden Weise aufzubereiten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich von der Ordnung des Naturalismus, die der westlichen Natur-Kultur-Unterscheidung entspricht, die Ordnungen des Animismus, Totemismus und Analogismus unterscheiden lassen. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie ohne eine Unterscheidung zwischen Natur und Kultur auskommen. Ich möchte es an dieser Stelle offen lassen, ob Descola das ethnologische Material zwanglos mit seinem viergliedrigen Ordnungsschema einfängt (s. u.), bzw. ob er diesem damit Gewalt antut. Bei aller möglichen Kritik gelingt es ihm überzeugend darzulegen, dass nicht jede Ordnung eines Weltzugangs an die Natur-Kultur-Unterscheidung gebunden ist.

4.3Gegenwärtige Ansätze diesseits von Natur und Kultur

Plessner hat mit seiner Reflexion der Matrix der Moderne eine Analyseperspektive freigelegt, die sich durch zwei Merkmale auszeichnet: Zum einen setzt sie diesseits der Natur-Kultur-Unterscheidung an und zum anderen wird der Kreis möglicher sozialer Akteure nicht auf lebende [95]Menschen beschränkt. Mit der Entfaltung dieser Analyseperspektive führt Plessners Reflexion der Matrix der Moderne in die seit den 1990er-Jahren als problematisch diskutierten Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur bzw. die Frage, wer als sozialer Akteur bzw. Aktant an der Bildung von Ordnungen partizipiert.

Was die methodische Bestimmung eines Ausgangspunktes diesseits der Natur-Kultur-Unterscheidung anbelangt, lassen sich in der gegenwärtigen Diskussion zwei Optionen unterscheiden: die holistische und die kritische. Die holistische Position wird derzeit prominent von Bruno Latour (1991/1995, 1997, 2001, 2005/2007) vertreten. Ihm zufolge gehe es darum, herauszuarbeiten, wie »Kollektive« die zu ihnen gehörenden Entitäten versammeln. Dazu gehören sowohl menschliche als nicht menschliche Entitäten, wie Artefakte, Tiere oder Pflanzen. Diese Entitäten bilden Netzwerke, deren Einheiten durch Wechselwirkungen miteinander verbunden werden, wobei es zusätzlich erforderlich ist, die sich bildenden Netzwerke auch als solche zu beschreiben. Kollektive sind ein Zusammenhang solcher Netzwerke, die durch beschriebene Wechselwirkungen zusammengehalten werden. Die Aufnahme in ein bzw. die Ausgrenzung aus einem Kollektiv erfolgt gemäß den aktuellen Erfordernissen des Kollektivs. Es gibt keinen allgemeinen Anspruch darauf, Mitglied eines Kollektivs bzw. Netzwerks zu sein. Alles ergibt sich aus den immer wieder neu auszuhandelnden Notwendigkeiten des kollektiven Zusammenhangs. Dieser stellt also ein sich stets veränderndes, aber positiv beschreibbares Ganzes dar, das sich vor dem Hintergrund einer undifferenzierten Masse von Entitäten bildet, die Latour als »Plasma« (Latour 2007: 419) bezeichnet. Aus diesem können immer wieder neue Mitglieder des Kollektivs rekrutiert und aktuelle Mitglieder wieder undifferenziert zu Plasma werden, wenn sie aus dem Kollektiv ausgesondert werden. Dieser Ansatz ist holistisch, weil er den Anspruch erhebt, Kollektive als Ganzes in ihrem Bildungs- und Umbildungsprozess positiv erfassen zu können. Wenn dies möglich ist, wird eine kritische Reflexion auf die Grenzen der eigenen Erkenntnis, d. h. eine reflexive Explikation der eigenen Erkenntnisposition, überflüssig.11

Hier liegt der Unterschied zu den kritischen Positionen von Descola (2011) und Thomas Luckmann (1980). Sie beziehen sich dabei auf eine Denkfigur Husserls, nämlich die transzendentale Reduktion. Das Ziel ist es, durch Abstraktion herauszuarbeiten, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit ein Bewusstsein seine Umgebung wahrnehmen kann. Descola geht dabei explizit von einem menschlichen Bewusstsein aus, das auf sich reflektiert und sich dabei als ein Wesen identifiziert, das aus Physikalität und Interiorität zusammengesetzt ist (Descola 2011: 176ff). Einem solchen Bewusstsein erscheint auch alles Begegnende als aus Interiorität und Physikalität zusammengesetzt. Das grundlegende Prinzip die Welt zu ordnen, bestehe darin, danach zu fragen, ob das Begegnende in gleicher Weise oder in unterschiedlicher Weise aus Physikalität und Interiorität zusammengesetzt sei. Daraus entwickelt Descola die vier Ordnungsprinzipien des Naturalismus, Animismus, Totemismus und Analogismus (Descola 2011: 189f). Die Annahme des naturalistischen Weltzugangs bestehe darin, dass alles Existierende von gleicher Physikalität ist, dass sich die Existierenden aber durch unterschiedliche Interioritäten voneinander unterscheiden. Der Animismus z. B. folge einem umgekehrten Ordnungsprinzip, alles Existierende ist im Prinzip von gleicher Interiorität, die Unterschiede werden durch differente Physikalitäten gebildet. Tiere und Pflanzen sind diesem Verständnis zufolge Wesen mit ähnlicher Interiorität, sie sind Verwandte, aber sie stecken in jeweils unterschiedlichen Hüllen (Descola 2011: 197–218).

Luckmann (1980) begreift das Bewusstsein ganz allgemein darüber, dass diesem etwas erscheinen kann. Alles, was einem Bewusstsein erscheint, würde als etwas wahrgenommen, das selbst etwas wahrnehmen könne. Folglich würde einem Bewusstsein zunächst alles Begegnende als [96]Bewusstsein erscheinen (Luckmann 1980: 63f). Luckmann erkennt genau, dass jede Einschränkung des Kreises möglicher Bewusstseine moralische Implikationen hat. Denn je weiter oder enger der Kreis derjenigen gezogen wird, die als ein Bewusstsein erscheinen, desto weiter oder enger ist der Kreis derjenigen, die moralisch zählen (Luckmann 1980: 56). Ein bloßes Ding ist moralisch nicht bedeutsam. Aber wenn es um ein anderes Bewusstsein geht, stellen sich sofort normative Fragen: Ist es beliebig, wie ich mit ihm umgehe? Darf ich es töten? Wenn Tiere in diesem Sinn Teil der moralischen Welt sind, können sie nicht einfach getötet werden und wenn sie zur Nahrungssicherung doch getötet werden, erfordert dies Bußrituale oder andere Formen, um die moralische Schuld zu bewältigen.

Sowohl Descola als auch Luckmann identifizieren durch Reflexion einen Ausgangspunkt, von dem her jede Ordnungsbildung zu analysieren ist. Bei Luckmann sind es die universalen Strukturen des Bewusstseins, während es bei Descola die allgemeine Bestimmung von Menschsein als Kompositium aus Physikalität und Interiorität ist. Plessner vermeidet eine solche positive Festlegung, denn auch rein formale Bestimmungen würden immer eine Tendenz beinhalten, einzelne Formen der Ordnungsbildung als eher möglich bzw. als besser zu bewerten (Plessner 1931/1981: 155ff). Plessner steht damit an der Schwelle zu einer allgemeinen Theorie der Ordnungsbildung, die er aber selbst nicht mehr ausgearbeitet hat. Der Grund hierfür liegt darin, dass er die Perspektive einer Reflexion der Matrix der Moderne im Weiteren zugunsten einer positiven Anthropologie aufgegeben hat, die eher derjenigen von Arnold Gehlen (1940/1993) entspricht (vgl. Beaufort 2000: 217, Lindemann 2009: 92–102).12 Erst in neuerer Zeit gibt es Versuche, Plessners Reflexion der Matrix der Moderne weiterzuentwickeln, um sie für eine materiale soziologische Forschung in historisch und ethnologisch vergleichender Perspektive fruchtbar zu machen (vgl. Lindemann 2002, 2009, 2014).

5.Fazit

Während die normative und zivilisatorische Unterscheidung von Natur und Kultur mehr oder weniger zwingend zu einer normativ-kritischen Bewertung gesellschaftlicher Prozesse führt, ist das bei der methodischen Natur-Kultur-Unterscheidung nicht der Fall. Diese enthält lediglich insofern einen kritischen Anspruch, als sie es nicht zulässt, eine Rangfolge zwischen einzelnen Kultur/Natur-Ordnungen zu begründen. Dies gilt im verstärkten Maße für diejenigen Positionen, die die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur selbst historisieren. Diese Positionen sind zunächst einmal im Sinne Kants als eine Kritik der Kritik zu verstehen, denn mit der Historisierung der Natur-Kultur-Unterscheidung wird der Geltungsbereich derjenigen Kritik begrenzt, die diese Unterscheidung voraussetzt.

Abschließend gilt es festzuhalten, dass die Reflexion der Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zunehmend für die empirische Forschung und allgemein für die Analysefähigkeit der G-SW relevant wird. Denn von der Konzeptualisierung dieser Unterscheidung hängt es ab, ob die G-SW dazu in der Lage sind, zu aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen Stellung zu nehmen. Wie soll man etwa den Klimawandel begreifen, der als von Menschen gemacht gilt, dessen Wirkungsketten aber zugleich als natürlichen Gesetzmäßigkeiten folgend begriffen werden. Wie soll man die Versuche zur technischen Perfektionierung des Menschen verstehen, der in sich [97]selbst technisch eingreift, indem er z. B. die Leistung seines Gehirns technisch optimiert oder indem er sein Erbgut biotechnisch verändert. Von der Beantwortung solcher Fragen hängt es ab, wie wir zukünftig werden leben können. Zur Analyse dieser Probleme können die Sozial- und Geisteswissenschaften nur dann etwas beitragen, wenn sie die Natur-Kultur-Unterscheidung reflexiv in den Blick nehmen und konzeptuell durchdringen.

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1Direkt im Anschluss an Beauvoir vgl. etwa die Studie von Scheu (1977), die zeigt, wie Mädchen und Jungen in der frühkindlichen Sozialisation dazu gebracht werden, sich entsprechend den vorherrschenden Geschlechterklischees zu verhalten. Bereits im Vorschulalter würden auf diese Weise geschlechtsspezifische Verhaltensschemata entwickelt. Eine gute historische Darstellung der moralischen Aufladung des »natürlichen Körpers« sowie der Kritik daran findet sich bei Honegger (1991). Stilbildend für viele aktuelle Forschungen zur Naturalisierung von Geschlecht war Garfinkels Konzept der »kulturellen Genitalien« (Garfinkel 1967). Auf Garfinkels Studie geht der Ansatz des »doing gender« (West/Zimmerman 1987) zurück, der im Weiteren eine ganze Reihe von Studien zu »doing X« angestoßen hat, etwa Behinderung, Rasse, Alter usw. In allen diesen Studien werden unzulässige Naturalisierungen aufgedeckt.
2Einen guten Überblick über die Debatte findet sich in zwei Sammelbänden (vgl. Institut für Sozialforschung 1994, Wobbe/Lindemann 1994) sowie in der Überblicksarbeit von Villa 2011.
3Gustav Friedrich Klemm (1802–1867), deutscher Anthropologe. Sein Hauptwerk war die »Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit« 10 Bände 1843–1852.
4Auch Parsons Idee der Evolution von Gesellschaften hin zu funktionaler Differenzierung folgt noch diesem Fortschrittsoptimismus.
5Während der zweiten Phase stand die Diskussion um das deduktiv-nomologische Modell von Hempel und Oppenheim (1948; Hempel 1959) im Zentrum der Diskussion. Auch hier war wieder die Frage, ob dieses Modell allgemein oder für die sozialwissenschaftliche Forschung nicht oder nur in einem eng begrenzten Rahmen gelten soll. In der dritten Phase wird der Universalitätsanspruch des deduktivnomologischen Modells aus der Perspektive der analytischen Philosophie bestritten. Dabei werden Erklären und Verstehen – im Anschluss an Wittgensteins (1977) Theorie der Sprachspiele – als unterschiedliche Sprachspiele verstanden. Zu den wichtigen Autoren dieser Phase zählen Winch (1966) und Whright (1971/2008) sowie Apel (1979) selbst.
6Dieses Verständnis von Erklären baut auf der Analyse des experimentellen Handelns von Wright (1971/2008) auf und entspricht dem von Plessner (1931/1981) formulierten »Prinzip der geschlossenen Frage«.
7Klassisch findet sich dies bei Menger (1893/2004: 42ff, 78). Esser (1993) versucht, einen hermeneutisch verstehenden Rahmen um die Anwendung dieser Erklärung verbürgenden gesetzmäßigen Annahme herum zu konstruieren.
8Vgl. hierzu Apel (1979: 15f) sowie für die Soziologie Simmel (1908/1983: 22f) und Schütz’ Differenzierung zwischen Konstruktionen erster und zweiter Ordnung. Auch der Deutungsbegriff von Luhmann und sein Kommunikationsverständnis bauen auf einem solchen abstrakt formalen Verstehenskonzept auf. In der Analyse von Diskursen zielt das Verstehen darauf, die Regeln und Bedingungen des Kommunizierens und Handelns in den Mittelpunkt zu stellen, um so herauszuarbeiten, welche Möglichkeiten es für Akteure gibt, sich zu äußern bzw. zu handeln (Foucault 1966/1971).
9In der Sekundärliteratur wird die Analyse der Matrix der Moderne immer wieder im Sinne einer allgemeinen Anthropologie missdeutet (Fischer 2008). Auch die Arbeit von Mitscherlich (2007) ist nicht frei von diesem Missverständnis.
10Etwa 30 Jahre später wird Foucault (1966/1971) die Aussage vom möglichen Untergang des Menschen bzw. vom Tod des Menschen wiederholen und damit gerade in Deutschland auf heftige Kritik stoßen. Dabei war dieser Gedanke nahezu identisch bereits 1932 von Plessner formuliert worden.
11Auf die damit entstehenden Probleme hat u. a. Pels (1996) aufmerksam gemacht.
12Dass es sich hierbei um eine systematische Wende handelt, wird von einigen Autoren übersehen, weshalb sie die philosophischen Anthropologien Schelers, Gehlens und Plessners für einen einheitlichen Denkansatz halten (vgl. Fischer 2008).
Handbuch der Soziologie

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