Читать книгу 24 neue kurze Albträume - Группа авторов - Страница 3

Sabine Frambach

»Wir jagen nicht. Der letzte Jäger kehrte nie zurück. Wenn wir jagen, sind wir nicht besser als das Ungetüm. Unsere Alten sagen, dass er die Jäger verzehrt. Bislang hat er sie alle aufgefressen. Wir lassen uns nicht vom Blutdurst treiben. Bleiben im Dorf, halten uns von den Bergen fern und schützen uns selbst. Nur wenn der Sněgowy jemals im Dorf auftauchen sollte, werden wir ihn töten!« Der Schmied stocherte im Feuer. »Brennende Pfeile werde ich auf dieses Ungetüm schießen!«

Feiglinge. »Ihr seid nicht bereit, mir bei der Jagd zu helfen? Dann gehe ich allein«, antwortete Jagar und nahm das scharfe Messer. Wenig später begann er mit dem Aufstieg. Golden leuchtete die Spitze des Wjelikan. Der Schnee tanzte wie gepudert, doch mit jedem Schritt sank Jagar tiefer ein. Um ihn herum flirrendes Weiß, über ihm blendendes Licht. Er ruhte in einer Höhle, die nach Bären roch, doch verlassen war.

In der dritten Stunde entdeckte er Spuren, ein Bär vielleicht. Zwei nebeneinanderliegende Pranken. Aufrechter Gang. Jagar folgte der Fährte bis zu einer Senke. Die tief stehende Sonne blendete ihn; nur einen Umriss erkannte er, ein weißes Ungetüm inmitten des Schnees. Der Sněgowy, ein kalter Riese, der in den Bergen hauste.

»Mein Bruder ist nie zurückgekehrt, doch ich habe dich gefunden, und ich werde dich töten! Až do kšwě!« Jagar hielt sein Messer, warf sich in den Schnee, eine riesige Kralle fuhr über ihn hinweg. Keuchend blieb Jagar liegen, lauschte und kroch durch die Kälte, robbte voran, bis er sich hinter dem Ungetüm wähnte. Schreiend sprang er hervor und stach zu, immer wieder, bis der Sněgowy stürzte. Leichter als erwartet. Rot färbte sich der Schnee.

Wie kalt es war. Jagars Rachsucht verflog, inmitten des Schnees fiel die Wut von ihm ab. Kälte schnitt in seine Finger, betäubte die Haut, zerrte an seinen zitternden Beinen. Wie Blei so schwer fühlten sich die Glieder an. Niemals konnte er den Sněgowy bis ins Dorf tragen. Und doch musste er es tun, er musste den Feiglingen seine Beute zeigen. Schließlich nahm er das Messer, schnitt dem weißen Ungetüm den Kopf ab, löste das Fell vom Fleisch und legte sich die Beute um. Dieser Umhang wärmte. Das Fell wärmte seine Arme, seinen Rücken, er zitterte nicht mehr. Schwer ruhte der Kopf des Ungetüms auf seinen Schultern. Er würde es den Männern im Dorf beweisen. Er, Jagar, hatte seinen Bruder gerächt, hatte das Ungetüm erlegt, den Schneemenschen besiegt.

Es graute bereits.

Aufrecht stapfte Jagar in Richtung des Dorfes.

In der Dämmerung sah er aus wie der Sněgowy.