Читать книгу Theater in Afrika II - Theaterpraktiken in Begegnung - Группа авторов - Страница 11
ОглавлениеDarstellende Künste in Tansania
Traditionelle Performancepraktiken und der koloniale Einfluss am Beispiel des TaSUBa Instituts
Nkwabi Elias Ng’hangasamala
Résumé en français: page 33
Afrikanische Performancekunst geht über das (Theater-)Stück im westlichen Sinne hinaus: Es ist eine Form, die sich durch Bewegung ausdrückt und von traditionellen darstellenden Künsten ableitet und somit tief mit dem kulturellen Erbe Tansanias verbunden ist. Die traditionelle Performancekunst begann sich nach der Ankunft der Kolonialmächte immer weiter aus dem kollektiven Gedächtnis der tansanischen Gesellschaft zu lösen, da durch die Zwangsmissionierung jede Form von Performance, die mit traditionellen Riten und Festen verbunden war, aktiv aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wurde. Seit der Unabhängigkeit 1961 existieren Projekte, die traditionelle Formen der tansanischen Theaterkunst wieder beleben. Dieser Artikel soll einen Überblick der Performancepraktiken Tansanias geben und, am Bespiel des TaSUBa Kunst- und Kulturinstituts, Möglichkeiten und Herausforderungen aufzeigen, die Verbreitung von traditionellen Theaterpraktiken zu fördern.
Damit eine Performance einer Gemeinschaft vermittelt werden kann, braucht es Performer*innen, einen Aufführungsort und eine Zuschauer*innenschaft, die auf das Gesehene reagiert. Daher ist die afrikanische Theaterkunst von vier Aspekten gekennzeichnet: einer Grundidee oder einem Performancekonzept, das gespielt werden soll, um etwas zu vermitteln, den Performer*innen (die Figuren verkörpern), einem Performanceort und dem Publikum. Die präkoloniale afrikanische Performance, also Theater- oder Performancekunst vor dem Einfluss der Europäer*innen, kann in fünf Bereiche eingeteilt werden, die ich im Folgenden weiter ausführen werde: Traditionelle Feste/Initiationen, Traditionelle Tänze, Story Telling, Rituale und Rezitationen.
Präkoloniale Theater- und Performancepraktiken
In Tansania spielte und spielt die afrikanische Performance- und Tanzkunst bei der Initiation eines Gemeinschaftsmitglieds von einer Altersgruppe in die nächste eine große Rolle. Besonders im Stamm der Massai hatten und haben performative Praktiken einen hohen Stellenwert: So werden künstlerische Mittel z. B. während des mehrtägigen Beschneidungsfestes genutzt, um den Beschnittenen kollektives Wissen für den neuen Lebensabschnitt zu vermitteln und sie ins Erwachsenenalter zu überführen. In der Vergangenheit handelte es sich bei Initiationen um wichtige Gesellschaftsereignisse, die einen hohen Stellenwert hatten und von farbenprächtigen Festen begleitet wurden.
Bei traditionellen Tänzen stand das kunstvolle Bewegen und Verdrehen der Körper sowie die Musik im Vordergrund. Die Tänze wurden bei gesellschaftlichen Ereignissen praktiziert, wie z. B. bei der Beschneidung und bei Initiationsfesten. Traditionelle Tänze wurden aber auch zur Unterhaltung und manchmal zur Motivation der Gemeinschaft, beispielsweise während der Feldarbeit, praktiziert.
In Afrika und insbesondere in Tansania gibt es eine Reihe traditioneller Erzählungen und Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. In der Vergangenheit war Story Telling ein fester Bestandteil des Alltags. Nach der täglichen Arbeit setzten sich alle Familienmitglieder um das Feuer, wobei sich alle Generationen und Geschlechter vermischten. Die Großeltern (Großmütter und/oder Großväter gleichermaßen) übernahmen die Rolle der Storyteller. Die Protagonisten der Geschichten, die vorgetragen wurden, waren Tiere, Vögel, Menschen, Götter und magische Wesen wie Dämonen oder Satan. Damit wurden nicht nur moralische Werte an die nachfolgenden Generationen weitergetragen, sondern auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeinschaft gestärkt. Die Kunst des Story Telling hatte einen besonderen Erziehungscharakter innerhalb der Familienstrukturen. Die mündliche Weitergabe von Wissen und Werten hatte einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft und wurde daher oft in performativer Form praktiziert, um die Relevanz der Inhalte zu unterstreichen und sie für die Zuhörerschaft einprägsamer und anschaulicher zu gestalten.
In den traditionellen Gesellschaften von Tansania waren Rituale wie rituelle Gebete ein fester Bestandteil von Problemlösungsstrategien. Diese Riten beinhalten zahlreiche performative Praktiken und wurden besonders dann für bestimmte Götter ausgerichtet, wenn sich die Ursache der Schwierigkeiten dem sichtbaren Bereich der Lebenswelt entzog und die Gemeinschaft vor erhebliche Herausforderungen stellte. Dazu gehörten Dürren, Krankheiten, Reproduktionsschwierigkeiten und Schicksalsschläge.
Eine Form von traditioneller Performancekunst für die Öffentlichkeit war die Rezitation. Dabei wurden Erzählungen über persönliche, besonders heldenhafte Taten wiedergegeben. Ursprünglich wurden diese Rezitationen in Versform vorgetragen, wobei narrativ-performative Elemente mit lyrischen Elementen gemischt wurden. Diese öffentliche Performancepraxis sollte die Gemeinschaft dazu ermutigen, in Kämpfen stets höchste Leistungen zu erbringen.
Der koloniale Einfluss auf die Performancekünste in Tansania
Die traditionelle Performancekunst in Tansania begann sich nach der Ankunft der Kolonialmächte, vor allem der Briten, zu verändern. Diese besetzten kurz nach dem Ersten Weltkrieg Tansania und lösten damit Deutschland als Kolonialmacht ab. Bis zur Unabhängigkeit 1961 nahmen die britischen Kolonialherren starken Einfluss auf die Theaterlandschaft in Tansania, da sie unter anderem die stücktextbasierte Bühnenkunst einführten, eine rein westliche Kunstform, die bis dahin in Tansania nicht existierte. Die Dramen wurden hauptsächlich in Schulen aufgeführt und ausschließlich von Ausländern vermittelt. Die Aufführungen in den Schulen waren als Unterhaltung und Zeitvertreib für die europäischen Besatzer gedacht. Die Einführung der ausländischen Stücke führte dazu, dass das Publikum der traditionellen Theater schwand, da sich die meisten Tansanier zunächst mehr für die ausländischen Inszenierungen interessierten; die neue Form der Darstellung, zusammen mit der Lichttechnik, den aufwendigen Kostümen und anderer Theatermittel beeindrucken das tansanische Publikum. Diese hinterließen jedoch keinen direkten Einfluss auf sie, da sie ihrer Kultur zu fern waren.
Anders wirkte sich das Aufkommen der fremden Religion auf die traditionellen Künste der Afrikaner aus, denn die Idee der europäischen Besatzer bestand darin, den „schwarzen Kontinent“ Afrika und insbesondere Tansania zu „zivilisieren“. Sie sahen die vorhandene Kultur, einschließlich der performativen Formen und darstellenden Künste, als unzivilisiert an. Unsere traditionellen Kunstformen wurden als „heidnisch“ bezeichnet; dazu gehörten Beschneidungen und Initiationen, traditionelle Tänze und Rituale. Jeder, der diese Kunstformen ausübte, wurde als Sünder stigmatisiert. Durch diese erzwungene Entwertung der traditionellen Theaterkünste verloren die Praktiken im Kolonialismus ihre Bedeutung.
Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1961 erkannte die erste Regierung Tanganjikas1 unter der Führung des damaligen Premierministers und späteren Präsidenten unserer Nation, Julius Kambarage Nyerere2, die massive Schwächung der traditionellen tansanischen Kultur im Allgemeinen und der Performancekunst im Besonderen. Nyerere etablierte das Ministerium für Kultur und Jugend, um die Künste und die tansanische Kultur wiederzubeleben, zu fördern und aufrechtzuerhalten. Es wurden Initiativen von Künstler*innengruppen gebildet, die Theaterkunst, traditionellen Tanz und Akrobatik wieder praktisch ausübten. Ab 1980 wurden die einzelnen Initiativen im Bagamoyo College of Arts gebündelt. Am Bagamoyo College erhielten Künstler*innen erstmals institutionalisierte Ausbildungen in tansanischen Kunstformen wie traditionellen Tanz, Musik, Theater (Schauspiel) oder Akrobatik und wurden nach ihrem Abschluss von der Regierung als Kulturbeauftrage zur Förderung der traditionellen Künste in weiten Teilen des Landes angestellt. Die Arbeit der Absolvent*innen fand großen Zuspruch und die anhaltende Nachfrage auf dem regionalen und globalen Markt nach den Künstler*innen führte zur stetigen Weiterentwicklung des Ausbildungssystems. Im Jahr 2007 fand die letzte größere Umstrukturierung statt, als die Kunsthochschule in das Kunst- und Kulturinstitut Bagamoyo TaSUBa (Taasisi ya Sanaa na Utamaduni Bagamoyo) umgewandelt wurde, die seitdem viele bekannte Künster*innen ausbildete. Trotz des anhaltenden Erfolgs des Konzepts der TaSUBa Hochschule gibt es globalisierungsbedingte Herausforderungen an das aktuelle Ausbildungssystem. So ist die junge Generation in Tansania sehr stark von ausländischen Kunstformen beeinflusst und interessiert sich weniger für die traditionellen Formen. Den Künstler*innen genügen die traditionellen Künste als alleiniger Ausbildungsinhalt oft nicht. Weiterhin steht die Film- und Fernsehindustrie in starker Konkurrenz zur Ausbildung im Schauspiel und Theater, diese Angebote wirken auf die Künstler*innen oft attraktiver. Die meisten Inhalte (das gilt besonders für die Themenbereiche Liebe und Partnerschaft), insbesondere in der Musik, werden in der populären Kultur auf westliche Weise dargestellt, konträr zur tansanischen Kultur. Zuletzt kümmern sich Künstler*innen, auch wenn sie und das Publikum die Teilhabe an traditionellen Kunstformen befürworten, weniger um die Qualität der darstellenden Kunst, sondern agieren ausschließlich profitorientiert.
1Die Republik Tanganjika umfasste einen Großteil des heutigen Festlandes von Tansania und wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Großbritannien verwaltet.
2Nyerere war antikolonialer Aktivist, einflussreicher Politiker, Theoretiker, Autor und Künstler. Er war der erste Präsident von Tanganjika, der die ehemaligen britischen Kolonien Tanganjika und Sansibar und später die Vereinigung des modernen Tansanias anführte.