Читать книгу Theater in Afrika II - Theaterpraktiken in Begegnung - Группа авторов - Страница 7
Berichte, Kooperationen, Bestandsaufnahme Comptes rendus, coopérations, états des lieux Auf den Spuren des Kaisers Ein Rechercheprojekt zur deutsch-togoischen Kolonialgeschichte
ОглавлениеElisa Elwert & Jonas Pätzold
Résumé en français: page 20
Seit 2009 arbeitet das Theater Konstanz eng mit der Compagnie Louxor de Lomé in Togo zusammen. Die Compagnie existiert seit 1996, ist als eingetragener Verein organisiert und formiert sich je nach Projekt aus einem Pool von verschiedenen Künstler*innen. Sie ist in der Hauptstadt Lomé, im ländlichen Raum um die Hauptstadt und überregional tätig.
Das Theater Konstanz und die Compagnie Louxor kooperierten in den vergangenen zehn Jahren in zahlreichen Projekten und Gastspielen in Deutschland und in Togo. Ramsès Alfa, der Leiter der Compagnie, inszenierte in Konstanz bereits im Jahr 2009 Ein Bericht für eine Akademie (von Franz Kafka) und brachte zuletzt im Winter 2019 Ngunza – Der Prophet (von Rafael David Kohn) zur Uraufführung. Derzeit entsteht in Lomé auf einem durch den Verein Theater in Afrika e.V. finanzierten Grundstück ein Gebäude, das Probe- und Aufführungsräume für die Compagnie Louxor und assoziierte Künstler*innen bereitstellt. Als Schauspieler arbeitet Ramsès Alfa regelmäßig mit unterschiedlichen Regisseuren. In Lomé fanden wiederholt Kooperationen der beiden Theater statt: 2010 eine Inszenierung von Warten auf Godot in internationaler Besetzung, 2011 das Projekt Kinderkreuzzug, das sich auf brechtscher Basis thematisch mit Gewalt gegen Kinder und mit Kinderhandel auseinandersetzte, und zuletzt 2015 – 2020 das Projekt One coup for Kaiser, das sich mit der togoisch-deutschen Kolonialgeschichte auseinandersetzt und das im Fokus dieses Berichtes steht. Elisa Elwert hat es in der Wiederaufnahme als Dramaturgin und Projektleiterin betreut und Jonas Pätzold war als Schauspieler Teil des Projektes.
Akassimé (Lomé), 10. Dezember 2016
Während die Sonne erbarmungslos auf den weiten Platz herunterbrennt, stehe ich umringt von freilaufenden Hühnern und Ziegen und warte auf meinen Auftritt. Der weiße Anzug – für die Premiere noch einmal gereinigt und gebügelt – ist schon gezeichnet von den Spuren des schwarzen Staubs, der unseren Spielort, einen ehemaligen Kohlenmarkt, bedeckt. Direkt neben mir auf dem Boden kocht eine Frau über einem Feuer ein einfaches Abendessen. Immer wieder schaut sie mich mit einem merkwürdig ausdruckslosen Gesicht an. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft hier in Lomé fühle ich mich völlig fehl am Platze und hoffe einfach, dass sie begreift, dass ich Teil einer Theateraufführung bin. Und auch, wenn die Deutschen in Togo anscheinend ein gutes Ansehen genießen, ist es mir wahnsinnig unangenehm, im Kolonialanzug samt Tropenhelm hier zu stehen.
Rund um die gemeinsame Geschichte Togos und Deutschlands initiierte Ramsès Alfa das Kooperationsprojekt. Im Sommer 2015 entstand ein Theatertext, im Jahr darauf eine Straßentheaterinszenierung zur Auseinandersetzung mit dem Einfluss der gewaltsamen Kolonialregierung Deutschlands in Togo.
Das Stück wurde 2016 in Togo mit den sechs togoischen Schauspieler*innen Akofa Kougbenou, Joseph Koffi Bessan, Jean Touglo, Marléne Douty, Sonia Akou Novinyo, Raoul Ketehouli und dem deutschen Schauspieler Jonas Pätzold vom Konstanzer Ensemble inszeniert. Regie führte Ramsès Alfa, die dramaturgische Betreuung lag bei Asmara Lechner (Theater Konstanz). Parallel zu den Proben fand eine theaterpädagogische Arbeit mit Kindern statt, die anschließend in die Inszenierung integriert wurden. Weiterhin waren Statist*innen an den Proben und am Inszenierungsprozess beteiligt, die unter der Leitung des Choreographen Raouf Tchakondo tänzerisch in die Inszenierung eingebunden wurden.
Lomé, 29. November 2016
Die sogenannten Statisten sind integraler Bestandteil der Inszenierung. Die meisten von ihnen sind professionelle Musiker oder Tänzer und bringen eine wunderbare Energie und Dynamik in die sonst für ein Straßentheater recht textlastige Aufführung. Mich fasziniert es, mit welch unermüdlicher Freude die Kollegen trotz der herausfordernden Probenbedingungen die Choreographien wiederholen. Ich bin schon nach dem gemeinsamen Aufwärmen schweißgebadet und suche mir immer sofort ein Schattenplätzchen, von dem aus ich zuschauen kann, wenn ich nicht selbst dran bin. Während sich die Probenarbeit an den Spielszenen zunächst nicht groß von der in Deutschland unterschieden hat, kommen nun durch Musik und Tanz neue Elemente dazu, die dem Ganzen etwas Lebendiges und oft auch herrlich Groteskes verleihen. Ich merke, wie ich die Kolleg*innen etwas neidisch beobachte. Ich darf in meiner Rolle die meiste Zeit nur als stocksteifer deutscher Kolonialbeamter herumbrüllen und frage mich insgeheim, ob diese Darstellung überzogen ist oder nicht doch der damaligen Realität entspricht. Wie werden die togoischen Zuschauer wohl auf meine Rolle und die Inszenierung reagieren?
Kurz vor Aufbruch zur Tournee in den Norden des Landes mit One coup for Kaiser. / Peu avant le départ en tournée dans le nord du pays avec One coup for Kaiser. Foto: Moïse Pak
Der kaiserliche Verwalter mit seinem Übersetzer und der lokalen Bevölkerung kurz vor seiner Flucht vor der Wut der Dorfbewohner. / L’administrateur impérial avec son traducteur et la population locale peu avant sa fuite devant la fureur des villageois.
Foto: Moïse Pak
Die Premiere fand am 10. Dezember 2016 statt und wurde in und rund um Lomé mehrmals aufgeführt. Mit dem Ziel, das Projekt auch auf die abgelegeneren Regionen auszudehnen, wurde das Stück im März und April des Jahres 2019 wiederaufgenommen und ging auf Tournee. Die Reise führte weit in den Norden Togos, Spielorte waren ausschließlich Straßen und öffentliche Plätze in den größeren Städten Sokodé, Sotouboua, Atakpamé, Kpalimé, Assahoun und Lomé. An den einzelnen Orten fand eine enge Zusammenarbeit mit den lokalen Ansprechpartnern statt, was für die Mobilisierung und Generierung von Aufmerksamkeit auf das Theaterstück von zentraler Bedeutung war, genauso wie für die Akquise der Kinderstatist*innen. Über die Arbeit mit den Kindern kamen auch die Eltern in Kontakt mit dem Projekt und wurden zu interessierten Zuschauer*innen. Zu Beginn der Vorstellungen bestand das Publikum meist nur aus einigen wenigen Personen, im Verlauf der Aufführung wurden sukzessive Bewohner*innen und Passant*innen aus der unmittelbaren Umgebung aufmerksam – gegen Ende der Vorstellung hatten sich jedes Mal mehrere hundert Personen als Publikum versammelt.
Sokodé, 02. April 2019
Immer wieder spähe ich im Off durch die Bastmatten, die uns als Kulissen dienen und kann kaum glauben, dass immer noch mehr Menschen hinzuströmen und stehen bleiben. Auch wenn ich dieses Phänomen von den Vorstellungen meines ersten Aufenthaltes schon kenne, wundere ich mich, ob die hinteren Zuschauer, die teilweise in die Bäume geklettert sind, um besser zu sehen, überhaupt noch etwas verstehen können. Die Stimmung ist unglaublich ausgelassen und die Zuschauer reagieren unmittelbar und lautstark auf das Bühnengeschehen. Sie lachen, grölen, empören sich, rufen dazwischen, feuern an … An einigen Stellen ist das Lachen des Publikums so ansteckend, dass ich mich auf der Bühne sehr zusammen nehmen muss, um nicht aus der Rolle zu fallen.
Der Text entstand im Schreibatelier mit den Schriftsteller*innen Joël Amah Ajavon, Kokouvi Dzifa Galley, Marie-José Gbegbi, Jean Kantchebe, Séli Kodjovi-Numado, Ayao Edem Modjro aus Togo und dem mit dem Theater Konstanz assoziierten Schriftsteller Rafael David Kohn aus Luxemburg. Der Text befasst sich mit der togoisch-deutschen Geschichte zu Zeiten der deutschen Kolonialherrschaft. Durch die differenzierte Zeichnung der Figuren stellt er eindrücklich die verschiedenen (macht-)politischen Interessen der lokalen Bevölkerung und der deutschen Kolonialmacht in einem humoristischen Stil dar.
Lomé, 26. November 2016
Der Text wurde im Schreibprozess komplett auf Französisch verfasst, doch schnell stellt sich bei den Proben heraus, dass sich das Nichtverstehen zwischen den Figuren nicht erklärt, wenn sowohl die Einheimischen im Stück, als auch der Deutsche und der zwischen ihnen vermittelnde Übersetzer dieselbe Sprache sprechen. Also entscheidet Ramsès, die meisten Szenen in Éwé zu spielen. Immer wieder gibt es längere Diskussionen zwischen den Spielern, wie man den ein oder anderen Satz wohl am besten formulieren kann. Die Wirkung ist jedenfalls verblüffend. Während die Szenen auf Französisch einfach nur glatt durchliefen, kringeln sich die Kollegen jetzt teilweise vor Lachen auf dem Boden. Eine Szene, die gestrichen werden sollte, bleibt nun sogar in der Inszenierung, weil sie in Éwé so gut funktioniert.
Die bewusste sprachpolitische Entscheidung, etliche Passagen bestimmter Figuren von Französisch in Éwé zu übersetzen, machte die Figurenzeichnung und ihre unterschiedlichen (Macht-)Positionen und Motivationen noch deutlicher. In den durchaus ambivalenten Figurenkonzeptionen wurden so die deutsche Kolonialvergangenheit und die bizarren Beziehungskonstellationen der unterschiedlichen Akteur*innen verhandelt. So trifft die alte Frau aus dem Dorf, Stellvertreterin für Traditionen und lokale Interessen, auf eine junge togoische Nonne, die unter dem Deckmantel der Moral und christlicher Religiosität letztlich Akzeptanz und Förderung von Seiten der Kolonialverwaltung erwirken will. Der Dorfälteste ist traditionellerweise eine der mächtigsten Personen der Region; ihm ist daran gelegen, seinen Einfluss zu erhalten und er kooperiert dafür bereitwillig mit dem Verwalter des Kaisers. Zwischen dem Verwalter und dem Dorfältesten agiert nun noch ein Übersetzer, der auf den ersten Blick von beiden Parteien hin und her gescheucht wird. Letztlich ist er aber derjenige, der die Fäden des Ganzen in der Hand hat – nur er verfügt über das nötige Wissen, um sich einen Überblick über die Situation und die einzelnen Machtinteressen zu verschaffen. Zuletzt agiert der Oberbefehlshaber, der Befehle des Verwalters an die militärische Söldnertruppe delegiert. Er zieht mit dem deutschen Verwalter an einem Strang und behält damit das Sagen über die Lokalbevölkerung.
Terrain d’Anome Atigan Copé (Lomé), 25. Januar 2020
Am Ende des Stückes vertreibt die Dorfgemeinschaft alle, die mit den Deutschen kooperiert haben – den Oberbefehlshaber Garsu, den Übersetzer Agbodaze und die Nonne Sara – und macht sich mit Gesängen auf den Weg zur Hütte des Kolonialbeamten, um an ihm Rache zu üben. Doch statt mich zu lynchen, fallen mir die Kollegen hinter der Bühne in die Arme. Freude mischt sich mit Traurigkeit. Mittlerweile sind Freundschaften entstanden, sind wir fast eine kleine Familie geworden, und uns allen ist klar, dass dies vermutlich das letzte Mal gewesen sein wird, dass wir gemeinsam One Coup for Kaiser gespielt haben. Andererseits haben wir das 2016 auch gedacht. Und 2019 … Eines ist jedenfalls sicher: Ob als Schauspieler oder als Freund – zurückkehren werde ich auf jeden Fall.
Wiederaufnahmeproben für One Coup for Kaiser, 2019. / Répétition en vue de la reprise de One Coup for Kaiser, 2019. Foto: Elisa Elwert
Spielort in Assahoun vor dem Foyer des Jeunes d’Assahoun im Bühnenbild von Yasmine Yerima. / Lieu de représentation à Assahoun devant le Foyer des Jeunes d’Assahoun, scénographie de Yasmine Yerima. Foto: Moïse Pak