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Thomas Le Blanc: Der Irrtum

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Wenn wir unseren Status rekapitulierten, dann hatten wir uns auf den Begriff geeinigt, dass wir komfortabel gestrandet waren. Unser Raumschiff war zwar nicht mehr fähig, zu starten und vom Planeten abzuheben, geschweige denn im All zu navigieren. Der Antigravgenerator war in Tausende von Einzelteilen zerborsten und zerschmolzen, die damit verbundenen Hyperraumfühler waren ausgebrannt und die meisten Steuerungselemente nur noch als Schlackebrocken vorhanden. Und da uns der Hyperraum versperrt war, konnten wir auch keinen Funkspruch absetzen, der einen von Menschen besiedelten Planeten in weniger als einem Jahrtausend erreichte – falls wir überhaupt feststellen konnten, in welchem Hinterhof der Galaxis wir uns befanden. Aber wir waren im Gleitflug sanft auf diesem Planeten gelandet, keiner war verletzt worden, unser Raumschiff lag nur geringfügig an der Hülle beschädigt auf der Seite, und wir hatten den überwiegenden Teil unserer Überlebenstechnik weiterhin zur Verfügung.

So konnten wir rasch mithilfe von umgebauten Frachtcontainern einen kleinen Außenposten neben dem Raumschiff errichten, der fortan als Kern einer Siedlung diente. Außerdem richteten wir uns in einer nahe gelegenen, sehr geräumigen natürlichen Höhle ein, wobei wir bei der Funktionalität von Raumaufteilung und Möblierung gleich darauf achteten, dass eine gewisse Wohnlichkeit entstand. Wir wussten, dass wir vermutlich auf immer hier bleiben würden, also sollte keinem Wohnraum der Charakter eines Provisoriums anhaften. Natürlich zogen es einige von uns vor, weiterhin die Annehmlichkeiten der Kabinen im Innern des Raumschiffs zu nutzen. Solange die Energieversorgung intakt blieb, war das eine bequeme Option.

Die nach der Strandung sofort eingeleiteten biologischen Untersuchungen des Planeten hatten äußerst erfreuliche Daten geliefert. Die Luft war atembar und ohne nachweisbare schädliche Komponenten, Luftdruck und Schwere und Temperatur waren nahe dem Erdstandard, Wasser war in großer Fülle vorhanden, sogar ergiebiges Quellwasser ohne den menschlichen Organismus schädigende Beistoffe. Unweit der Siedlung befand sich ein See mit einem breiten Sandstrand; vielleicht war es sogar ein Süßwassermeer, da wir das gegenseitige Ufer nicht ausmachen konnten. Die Pflanzenwelt war etwas karg, obwohl der Boden sowohl nährstoffreich als auch voller Organismen war, Insekten, Würmer und kleine Reptilien gab es reichlich, auch Vögel und ein paar mausgroße Nagetierarten. Im See lebten Fische, durch das klare Wasser hindurch sahen wir jedoch größere Raubfische kreisen, sodass wir es zunächst nicht für angezeigt hielten, im See schwimmen zu gehen. Größere Landtiere hatten wir noch nicht gesichtet; vielleicht war die Evolution auf diesem Planeten noch nicht so weit. Zivilisatorische Anzeichen hatten wir auch keine entdeckt, also machten wir keinen intelligenten Ureinwohnern ihren Planeten streitig.

Dennoch schützten wir unsere Behausungen vor möglichen und insbesondere plötzlichen Gefahren, vor Unwettern, Staubwinden, Insektenschwärmen sowie Angriffen von Fressfeinden. Wir errichteten Messstationen und stellten bewaffnete Beobachtungsposten auf, und wir ließen mit allerlei Sensoren ausgerüstete Drohnen in wachsenden konzentrischen Kreisen die Umgebung unserer Siedlung abfliegen. Außerdem begannen wir Samen aus unserem Biobestand aufzutauen; jedes Raumschiff, das auf Erkundung im All unterwegs war, verfügte über einen strategischen Notvorrat, um Kartoffeln, Getreide, einige Gemüsesorten und schnellwachsende Obststräucher in fremder Erde anbauen zu können.

Ein dem Planeten innewohnendes physikalisches Phänomen beeinträchtigte uns jedoch beträchtlich: Die Atmosphäre war stark elektrisch aufgeladen, und die Feldstärke variierte in noch nicht ergründeten Rhythmen. Zunächst war das lediglich unangenehm, unsere Körper luden sich langsam, aber stetig auf und entluden sich dann unregelmäßig bei Berührungen. Dem konnten wir mit eigens gefertigten Metallgürteln und Ableitungen über auf dem Boden schleifende Metallstreifen begegnen. Lästig zwar, aber hinnehmbar. Doch unsere Biologen warnten vor mittelfristigen extremen Auswirkungen auf die Biochemie in unseren Körpern: Letztlich könnte sich diese starke Elektrizität auf den Zusammenhalt der körpereigenen Moleküle auswirken und damit existenziell werden. Abschirmen ließe sich die atmosphärische Elektrizität nur, wenn wir in unseren Raumschiffen hinter Metallkäfigen blieben – aber das hieße, auf ewig gefangen zu sein.

Deshalb entwickelten wir mehrere Meter hohe Kondensatoren, die die elektrische Energie aus der Atmosphäre aufnahmen und in die Raumschiffakkumulatoren weiterleiteten und dort speicherten. Wir konstruierten sie bis zu zwölf Meter hoch, aufrecht stehend, mit Radialplatten, dünnbäuchig, versehen mit ausladenden waagerechten Armen. Ganz oben wurde eine spitz zulaufende Kugel montiert, die sich ausrichten ließ, um – sobald der Kondensator voll aufgeladen war – die Energie in die Außenkontakte unserer Raumschiffakkumulatoren wieder zu entladen. Das geschah per Dichtstrahl, der sich laut donnernd und rotblitzend manifestierte.

Wir stellten die Geräte zunächst um unsere Siedlung herum auf, dann radial in weiterer Entfernung und platzierten einen dieser hohen Masten auch im See. Um der Lärmentwicklung zu begegnen – die Einschläge der Dichtstrahlen hallten durch das gesamte Raumschiff –, positionierten wir einen Zwischenempfänger auf einem Hügel in einiger Entfernung, von wo aus die Energie dann per Starkstromkabel in die Raumschiffakkumulatoren abfloss.

Damit hatten wir sogar eine praktische Energiequelle gewonnen, die das Leben im Raumschiff absicherte. Einer unserer Ingenieure arbeitete auch eine Fernsteuerung der Strahlen aus, denn die Kugel am Kopf der Akkumulatoren ließ sich drehen, und damit besaßen wir eine recht wirkungsvolle Energiewaffe. Wir planten zwar aktuell nicht, sie zu irgendetwas einzusetzen, aber es beruhigte uns ungemein, so etwas zu besitzen.

Das System funktionierte so gut, dass wir wieder ohne die unpraktischen Gürtel herumlaufen konnten, dass einige Dauermigränen verschwanden und dass die Gefahr für unsere Körperchemie gebannt war.

Doch nach einigen Wochen störungsfreiem Betrieb zeigten sich plötzlich unerklärliche Ausfallerscheinungen, zwar immer nur kurzzeitig für ein paar Sekunden, aber doch messbar. Immer mal wieder überlud sich einer der Kondensatoren: Kurz bevor er seine elektrische Ladung per Dichtstrahl abgeben sollte, also kurz vor Erreichen seiner Maximalladung nahm er eine zusätzliche Ladungsspitze auf, die wie aus dem Nichts gekommen war. Unsere Techniker kalibrierten die Kondensatoren neu, auf dass sie ihre Ladung schon deutlich unterhalb der Maximalkapazität abgaben. Wenn dann eine solche zusätzliche Ladungsspitze eintraf, folgte daraus jedenfalls keine Überladung.

Das System schien sich zunächst wieder zu beruhigen, allerdings zeigten die Ladungsspitzen jetzt atmosphärische Begleiterscheinungen, die sich mit bloßem Auge beobachten ließen. Es waren kleinere und größere Staubwirbel, die sich in der Nähe der Kondensatoren aufbauten, dann sich in Richtung der Kondensatoren bewegten, sie umschlossen und sich schlagartig wieder auflösten. Offenbar erhöhte sich die wandernde Feldstärke lokal aus unbekannter Ursache, elektrisierte dabei Staub- und Sandteilchen und plusterte sie wie zu einer Windhose auf. Diese Phänomene sahen fast lustig aus, wie spielerische und örtlich begrenzte Wetterphänomene.

Kein Grund zur Besorgnis, hieß es von unseren Physikern. Bis sich plötzlich das neue Phänomen in seiner Größe und seiner Aktivität änderte.

Eine unserer zufällig am Ufer des Sees befindlichen Patrouillen beobachtete, wie aus dem See sich eine gewaltige elektrische Ladung erhob, unzählige Wassertropfen mit sich führte und zu einer Gestalt in der Größe eines der Kondensatoren anwuchs. Die Gestalt hatte nicht nur eine ähnliche Körperlichkeit, sondern am Kopf auch eine Kugel und sah damit wie ein gigantisches lebendes Wesen aus. Da es völlig aus Wassertropfen bestand, hatte es eine silbrige Farbe und war durchscheinend. Es bewegte sich zunächst auf der Wasseroberfläche etwas hin und her wie ein schwankender oder unentschlossener Tänzer, waberte in der Luft, ließ die Wassertropfen um sich tosen und steuerte dann zielstrebig auf den nächstplatzierten, am Ufer stehenden Kondensator zu. Schon als die Gestalt dem Kondensator nahe kam, überlud der sich kräftig und schoss zwei Dichtstrahlen ungezielt in die Luft, die sich an ihren Enden auch zu zwei davondriftenden Energiekugeln manifestierten. Dann umhüllte die Gestalt den Kondensator, drang von allen Seiten in ihn ein, und in einer gewaltigen Energieentladung zerbarsten beide gemeinsam, das Metall wurde in große Einzelstücke zerlegt, die zu Boden fielen, und die Wassertropfen stoben explosionsartig auseinander und verdampften. Zurück blieben eine Kondensatorruine als schwarzverbrannter Torso sowie glimmende Metallbrocken auf dem Boden in einem begrenzten Umkreis.

Danach war wieder alles ruhig. Und es blieb ruhig auf Dauer.

Was geschehen war, darüber konnten wir nur spekulieren. Allerdings waren wir uns einig darin, dass – da es ein singuläres Ereignis blieb – wir es nicht mit einem natürlichen Phänomen zu tun gehabt hatten. Wir hatten erkennbar die Aktion eines intelligenten Wesens beobachtet.

Zunächst hatten kleinere Wesen, die aus reiner Energie bestanden, Kontakt mit einem unserer Kondensatoren aufzunehmen versucht. Sie hatten sich als Energiewirbel manifestiert und waren in unsere Kondensatoren eingedrungen – ob das neugierige Kommunikationsversuche oder Attacken gewesen waren, konnten wir natürlich nicht klassifizieren.

Dann war ein größeres Wesen – so groß wie einer der Kondensatoren und damit auf Augenhöhe, also etwa gleichmächtig – auf den Plan getreten. Es hatte die Kondensatoren als neue Gäste auf seinem Planeten identifiziert und nicht uns Menschen als die Intelligenz dahinter. Deshalb richtete sich seine Kommunikation oder sein Angriff – oder seine liebende Vereinigung, wie eine unserer Sozialwissenschaftlerinnen kühn und romantisch behauptete – auch nur auf die Kondensatoren. Da diese jedoch keine Intelligenz in sich hatten, musste der Kontakt natürlich scheitern.

Die Energiewesen zogen sich nun – enttäuscht? – zurück und tauchten fortan nicht wieder auf.

Wir hatten nur die Hoffnung, dass wir in späteren Jahren einmal einen Weg zur Kontaktaufnahme finden würden. Um sie über ihren Irrtum aufzuklären.

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