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2 Besondere Situationen der Einwilligungsfähigkeit – Einwilligung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen in medizinische Maßnahmen

Valentina A. Tesky, Julia Haberstroh, Ulrich C. Liener, Daphne Eschbach, Norbert H. Müller und Johannes Pantel

Hintergrund und rechtliche Grundlagen

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt verschiedene Aspekte zur Einwilligungsfähigkeit. Orientiert an der S2k-Leitlinie »Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen« (DGG, DGPPN und DGN 2020) werden im Folgenden die rechtlichen Vorgaben aufgeführt, die als klinisch-relevant für die Bereiche der Alterstraumatologie und Orthogeriatrie angesehen werden. Im Anschluss werden Empfehlungen dargelegt, die zur Sicherung der Handlungsfähigkeit von Menschen mit Demenz in Entscheidungssituationen über medizinische Maßnahmen im Rahmen der AWMF-Leitlinienentwicklung konsentiert wurden.

Die Einwilligungsfähigkeit eines volljährigen Patienten wird grundsätzlich unterstellt. Bei Zweifeln ist die Einwilligungsfähigkeit für jede spezifische medizinische Maßnahme gesondert zu prüfen. Die Prüfung muss im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der geplanten medizinischen Maßnahme erfolgen. Ergeben sich Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit, muss vor jeder medizinischen Maßnahme festgestellt werden, ob für die geplante ärztliche Maßnahme die Einwilligungsfähigkeit gegeben ist. Dies ist Voraussetzung, um nach vorausgehender Aufklärung eine rechtswirksame Einwilligung zu erhalten.

Die Aufklärung selbst muss den Patienten in die Lage versetzen, trotz fehlender medizinischer Fachkenntnisse selbst umfassend die Vorteile und Risiken einer ärztlichen Behandlung abwägen zu können. Hierbei sind dann die sprachlichen, kognitiven und emotionalen Kompetenzen des Patienten zu berücksichtigen. Soweit vor der Aufklärung die Einwilligungsfähigkeit festgestellt wird, muss dies dann auch in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang dokumentiert werden.

Die Notwendigkeit der Aufklärung und Einwilligung kann allenfalls in unaufschiebbaren Notfallsituationen entbehrlich sein, wobei die Unaufschiebbarkeit der Maßnahme sich nur aus medizinischen und nicht aus zeitlich-organisatorischen Gründen ergeben darf. Die medizinischen Maßnahmen sind dabei im Zweifel immer auf die Erhaltung des Lebens und bestmögliche medizinische und pflegerische Versorgung gerichtet, soweit sie für die unmittelbare Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Patienten erforderlich sind. Dies gilt dann nicht, wenn der entgegenstehende Wille des Patienten bekannt und/oder durch Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten dokumentiert ist.

Soweit es sich nicht um Notfallbehandlungen handelt, muss bei Einwilligungsunfähigkeit des Patienten der mutmaßliche Wille entweder aus einer vorliegenden gesundheitlichen Versorgungsplanung und/oder einer Patientenverfügung ersichtlich sein. Ist dies nicht der Fall oder die Bestimmungen regeln nicht die konkrete medizinische Situation, bedarf es der Einwilligung eines Stellvertreters, welcher sich aus einer Vorsorgevollmacht ergeben kann. Anderenfalls ist eine gerichtliche Entscheidung einzuholen. Bei stellvertretenden Entscheidungen sollten persönliche Wertvorstellungen sowie religiöse, spirituelle und weltanschauliche Überzeugungen des Menschen mit Demenz berücksichtigt werden.

Aufklärung und Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit

Die Reihenfolge der im Folgenden dargelegten Empfehlungen orientiert sich an der praktischen Relevanz und weicht daher an einigen Stellen von der ursprünglichen Auflistung in der Leitlinie ab.

Aufzuklären ist über Anlass, Dringlichkeit, Umfang, Schwere typischer Risiken, Art, Folgen und mögliche Nebenwirkungen des geplanten Eingriffs, seine Heilungs- und Besserungschancen, Folgen einer Nichtbehandlung und Behandlungsalternativen. Für Menschen mit Demenz soll eine an die kognitiven Ressourcen und Defizite angepasste Aufklärung erfolgen. Daher müssen dem Patienten nicht alle Einzelheiten des Verlaufs eines Eingriffs bekannt sein. Es reicht eine Information über das Wesen des Eingriffs im Großen und Ganzen aus.

Merke:

Die Diagnose einer Demenz allein schließt die Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich nicht aus.

Vor der Prüfung der Kriterien der Einwilligungsfähigkeit soll sich die aufklärende Person ein Bild über den kognitiven und psychischen Status des Patienten machen. Es soll geprüft werden, ob die Einschränkungen vorübergehenden Charakters (z. B. reversibel oder fluktuierend) sind und ob sie ggf. kurzfristig behandelt werden können. Aus einem einzelnen Test-Wert (z. B. MMST) soll keine abschließende Bewertung über die Einwilligungsfähigkeit in unterschiedlichen Entscheidungssituationen getroffen werden.

Bei der Aufklärung und Prüfung der Einwilligungsfähigkeit kann mit Einverständnis des Menschen mit Demenz eine Vertrauensperson zugegen sein. Menschen mit Demenz sollten beim Aufnehmen und Abrufen von für die Einwilligung relevanten Gedächtnisinhalten unterstützt werden. Parallele kognitive Anforderungen im Prozess der informierten Einwilligung für Menschen mit Demenz sollten reduziert bzw. vermieden werden.

Ein wertschätzender Kontext in Aufklärung und Prüfung der Einwilligungsfähigkeit soll vom Aufklärenden gestaltet werden. Informationen (z. B. Patienteninformationen) sollten in kurze Abschnitte unterteilt und schrittweise präsentiert werden. Der zeitliche Rahmen für Aufklärung und Prüfung der Einwilligungsfähigkeit soll an das Tempo des Menschen mit Demenz angepasst werden. Schriftliche Zusammenfassungen der gegebenen Informationen sollten angeboten werden (dabei hohe Lesbarkeit, z. B. Großdruck beachten). Eine klare, in der Komplexität reduzierte Sprache soll eingesetzt werden, wobei hierdurch keine Verharmlosung der Risiken entstehen darf.

Merke:

Zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit sollte die Bestimmbarkeit des Willens durch die Kriterien: Informationsverständnis, Krankheits- und Behandlungseinsicht, Urteilsvermögen und Kommunizieren einer Entscheidung beurteilt und in ein Gesamturteil mit einbezogen werden.

Einwilligungsfähigkeit besteht, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung auf Seiten des Patienten folgende Kriterien gegeben sind:

a) Informationsverständnis: Zur Prüfung des Informationsverständnisses sollte durch Verwendung geeigneter Fragen ermittelt werden, ob der Patient ein eigenes Verständnis davon entwickeln kann, worüber er zu entscheiden hat und worin die Risiken und der potenzielle Nutzen bestehen.

b) Krankheits- und Behandlungseinsicht: Zur Prüfung der Krankheits- und Behandlungseinsicht sollte durch Verwendung geeigneter Fragen ermittelt werden, ob der Patient erkennt, dass seine physische oder psychische Gesundheit eingeschränkt ist und dass Möglichkeiten zur Behandlung oder Linderung der gesundheitlichen Problematik bestehen und angeboten werden.

c) Urteilsvermögen: Zur Prüfung des Urteilsvermögens sollte durch Verwendung geeigneter Fragen ermittelt werden, ob der Patient in der Lage ist, die erhaltenen Informationen und mögliche Behandlungsfolgen mit seiner Lebenssituation, seinen Wertvorstellungen und Interessen in Verbindung zu bringen sowie diese zu gewichten und zu bewerten.

d) Kommunizieren der Entscheidung: Es sollte geprüft werden, ob der Patient eine Entscheidung treffen und kommunizieren kann. Die kommunizierte Entscheidung soll darauf hin überprüft werden, ob sie freiwillig zustande gekommen ist, bezogen auf den jeweiligen Behandlungszeitpunkt und Behandlungsschritt.

Prüfung auf Vorliegen einer Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung

Nicht nur bei einwilligungsunfähigen, sondern bei allen Patienten sollte das Vorliegen einer Patientenverfügung (nach § 1901a BGB), Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung durch den aufklärenden Arzt geprüft werden. Soweit existent, müssen Kopien hiervon der Krankendokumentation hinzugefügt werden. Ein Vertreter des Patienten (Vorsorgebevollmächtigter oder Betreuer) muss in den gesamten Behandlungsprozess von Anfang an mit einbezogen werden, wobei dies nur im Falle der Einwilligungsunfähigkeit gilt. Dies gilt auch für Notfallbehandlungen, soweit zeitlich möglich. Selbstverständlich sind Stellvertreterentscheidungen nur zulässig und nötig, wenn der Patient selbst einwilligungsunfähig ist und die medizinische Maßnahme zeitlichen Aufschub duldet. Bei Einwilligungsfähigkeit des Patienten bedarf es weder Vorsorgevollmachten noch Stellvertreterentscheidungen.

Literatur

DGGG, DGPPN, DGN (Hrsg.) (2020) Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen: Interdisziplinäre S2k-Leitlinie für die medizinische Praxis. Kohlhammer, Stuttgart.

Zu dem Themenbereich dieses Kapitels liegt eine SOP vor. Weitere Informationen siehe S. 258.

Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie

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