Читать книгу Sprache und Religion - Группа авторов - Страница 7

Оглавление

[Menü]

RUDOLF HOBERG

„Es gibt wer weiß wie viele Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache“ (Paulus)

Einführende Überlegungen zu „Sprache und Religion“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht

Der Satz von Paulus (1 Kor. 14, 10), nach der Einheitsübersetzung zitiert, soll hier nicht in seinem Kontext gedeutet werden1 , sondern er wird lediglich als Überschrift gewählt, weil in ihm wichtige Aspekte meines Beitrags2 zum Ausdruck kommen.

1. Auf die These, nichts – genauer: nichts Menschliches – ist ohne Sprache, kann hier natürlich nicht einmal ansatzweise detaillierter eingegangen werden; sie war und ist in den verschiedenen Wissenschaften umstritten, und ihre Beantwortung hängt von der Definition der in diesem Zusammenhang relevanten Begriffe ab (Was ist Sprache? Was ist Denken? Was ist Fühlen? …). Auf jeden Fall muss zwischen „Sprache“ und „Sprechen“ (konkrete Realisierung von Sprache) unterschieden werden, und es ist unstrittig, dass Sprache nicht nur Kommunikationsmittel ist, sondern auch menschliches Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen und Handeln – wie auch immer – beeinflusst.

Theologie ist immer und Religion wohl auch immer (vgl. jedoch Punkt 7) an Sprache gebunden, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass es dabei um Sprechen (und Schreiben), Hören (und Lesen) geht, sondern auch deshalb, weil sich Nachdenken über Religion und jede religiöse Praxis nicht losgelöst von Sprache vollzieht.

2. Bindung von Religion und Theologie an Sprache bedeutet genauer Bindung an bestimmte einzelne Sprachen, die sich nicht nur lautlich und grammatisch, sondern vor allem auch semantisch unterscheiden, die die „Welt“, das „Außersprachliche“ unterschiedlich darstellen, die unterschiedliche Muster, Perspektiven, „Brillen“, „Weltansichten“ (Wilhelm von Humboldt) bieten. Dies gilt in besonderem Maße für die „Buchreligionen“, deren grundlegende Texte in bestimmten Sprachen

 etwa in Hebräisch, Griechisch, Arabisch – geschrieben wurden und deren Aussagen damit von den – vor allem (wort)semantischen – Strukturen dieser Sprachen abhängen. Dies gilt aber auch für alle anderen Religionen und Weltanschauungen, denn in ihnen spielen fiktionale und nicht-fiktionale Texte verschiedener Texttypen

 etwa Erzählungen, Parabeln, Glaubensbekenntnisse, Dogmen, Gebete, Lieder – eine wenn auch unterschiedlich wichtige Rolle.

Weil die Struktur einer Sprache von so großer Bedeutung für die Konstitution und Rezeption eines Textes ist, kommt der Frage nach dem Verhältnis von Urtext und Übersetzung eine große Relevanz zu, und daher muss jede Reflexion über Sprache und Religion die in der Philosophie, aber auch in der Theologie und Linguistik entwickelten hermeneutischen Theorien und Verfahren einbeziehen.

3. Theologie und Sprachwissenschaft haben sich in ihren Erkenntnissen wechselseitig beeinflusst. Man muss aber deutlich betonen, dass in der Theologie – wie auch in der Philosophie und Jurisprudenz – Einsichten gewonnen wurden, mit denen sich die Linguistik, die ja eine vergleichsweise junge Wissenschaft ist, erst sehr viel später befasst hat. In den Religionen gab es immer ein Sprach-Denken; man war sich der Bedeutung der Sprache bzw. der Sprachen immer bewusst. Es sei hier nur auf einige wichtige Stellen der Bibel verwiesen, in denen es in sehr unterschiedlicher Weise um Sprache geht: Gen. 1, 3 ff. (Gott spricht und benennt seine Schöpfung), Gen. 2, 19 f. (Adam gibt den Tieren Namen), Gen. 11, 1 - 9 (Turmbau zu Babel – Gott „verwirrt“ die Sprache), Joh. 1, 1 („Im Anfang war das Wort“), Apg. 2, 3 - 13 (Feuerzungen, Sprechen in fremden Sprachen).3

Viele Probleme, mit denen sich Linguisten und Sprachphilosophen erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts intensiver beschäftigt haben4 , wurden also in religiösen und theologischen Schriften schon seit Jahrhunderten benannt und behandelt. Und umgekehrt hat die neuere Linguistik, insbesondere die Semantik und Pragmatik (vor allem die Sprechakttheorie), religiöses und theologisches Denken und Handeln – etwa in der Homiletik – beeinflusst.

Allerdings gibt es kaum Zusammenarbeit zwischen Theologen und Linguisten, was, wenn ich richtig sehe, vor allem daran liegt, dass sich Linguisten zu wenig für die religiöse Sprache interessieren. In dem Sammelband von Kaempfert (1983) stammen fast alle Beiträge von Theologen, und auch in dem vorliegenden Band kommen eine deutliche Mehrheit der Autorinnen und Autoren aus der Theologie. Nach wie vor ist wohl der Satz gültig, den Kaempfert (1983, S. 6) vor über 25 Jahren schrieb: „Die Methoden der modernen Linguistik sind auf unserem Gebiet noch kaum mehr als im Ansatz angewandt und erprobt worden.“ Aber das Interesse der Linguisten an diesem Thema scheint größer zu werden. Es sei hier nur auf die von Albrecht Greule und Elżbieta Kucharska-Dreiß herausgegebene Reihe „Theolinguistica“ hingewiesen, die seit 2008 erscheint und in der in verschiedenen Einzelbänden sprachtheologische Fragen behandelt werden.

4. Die beiden zentralen Begriffe Sprache und Religion sind – das mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen – schwierig zu bestimmen, und noch schwieriger ist es, sich auf bestimmte Definitionen zu einigen, d.h. aus der Fülle der Definitionen die für den Dialog zwischen Theologen und Linguisten geeigneten auszuwählen, gegeneinander abzugrenzen, eventuell auch zu verändern und zu verbinden. Bei „Sprache“ müssen die system- und handlungsbezogenen Begriffe einbezogen und die wichtigsten Elemente des Wortfelds – besonders „Sprache“, „Kommunikation“, „Gespräch“, „Diskurs“ – berücksichtigt werden. Was „Religion“ angeht, so scheint es hier besonders schwierig zu sein, den Begriffsumfang zu bestimmen. Einerseits gibt es einen sehr weit gefassten Religionsbegriff: Weil nach der Auffassung der meisten Religionen Gott oder das Göttliche überall und in Allem ist, neigen manche Theologen und Religionswissenschaftler zu einem nahezu alle weltlichen Phänomene umfassenden Begriff. Auf diese Weise kann das Thema „Sprache und Religion“ schnell zum Thema „Sprache und Welt“ werden. Es ist daher sinnvoll, einen engeren Begriff zu wählen – wie er auch in der Alltagswirklichkeit verwendet wird. Vielleicht kann man sich am „Religionsmonitor 2008“ orientieren, der den Versuch macht, die Religionen der Welt repräsentativ darzustellen und zu vergleichen. In ihm heißt es: „Der „Religionsmonitor“ orientiert sich an einem substanziellen Religionsbegriff […]. Das wesentliche Merkmal religiösen Erlebens und Verhaltens besteht danach im Bezug zur Transzendenz. Dieser Bezug wird jedoch nicht auf ein theistisches Transzendenzkonzept verengt. Um den Gültigkeitsbereich des „Religionsmonitors“ möglichst weit zu fassen, werden vielmehr sowohl theistische als pantheistische Transzendenzvorstellungen und damit verbundene Praxis- und Erfahrungsformen berücksichtigt.“ (Bertelsmann Stiftung 2007, S. 19)5.

5.Beim Thema Sprache und Religion ist es sinnvoll, sich zunächst vor allem auf die christliche Religion zu konzentrieren, nicht weil die anderen Religionen weniger wichtig sind oder abgewertet werden sollen, sondern weil man sich – in unserem Kulturkreis – meist mit der christlichen Religion befasst hat und weil sich daher die vorliegende Literatur überwiegend auf diese Religion bezieht. Freilich müssen die hier gewonnenen Erkenntnisse mit denen aus anderen Religionen in Beziehung gesetzt werden, schon deshalb, um zu zeigen, ob und gegebenenfalls wie bei unterschiedlichen religiösen Überzeugungen – etwa zwischen den monotheistischen Religionen und dem Buddhismus – auch unterschiedliche Sprachstrukturen eine Rolle spielen.

6. Für das Verständnis von Geschichte und Gegenwart muss auch die (quasi-) religiöse Sprache außerhalb von Religion und Theologie erörtert werden, also ihre Verwendung im Alltagsleben, in verschiedenen Ideologien, in der Politik, besonders auch in diktatorischen Systemen (etwa im Nationalsozialismus oder in kommunistischen Staaten). Hier muss eine Typologie der – meist metaphorischen – Übertragungen von religiösen bzw. theologischen Wörtern und Wendungen entwickelt und durch Beispiele belegt und illustriert werden. Und gerade hier wird sich die erkenntnisleitende Funktion des zugrundeliegenden Religionsbegriffs (vgl. Punkt 4) erweisen.

7. Und schließlich ist die Frage von Bedeutung, ob und inwiefern es eine Religion ohne Sprache, eine Religion des Schweigens gibt. Vor allem durch die „Neuentdeckung“ der Mystik, der Ignatianischen Exerzitien, durch Zen und andere Einflüsse östlicher Religionen, durch verschiedene Formen der Meditation hat sich eine neue Kultur der „Sprachlosigkeit“, des Schweigens und der Stille entwickelt. Gegen die etablierte Theologie und die vorherrschende religiöse, besonders auch liturgische Praxis der Kirchen wird behauptet, mit „Gott“, dem „Göttlichen“, dem „Urgrund“ könne man nur oder vor allem in Verbindung treten, wenn auf Sprache, auf Worte verzichtet werde. Diese These kann hier natürlich nicht weiter diskutiert werden; es muss aber gefragt werden, ob Menschen, die Sprache besitzen, überhaupt etwas völlig ohne Sprache wahrnehmen, denken oder tun können und ob nicht zumindest das Nachdenken und die Kommunikation über die „Sprachlosigkeit“ und das Schweigen auf Sprache angewiesen ist.

Literatur

Bertelsmann Stiftung 2007: Religionsmonitor 2008. Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus).

Greule, Albrecht/Kucharska-Dreiß, Elżbieta (Hrsg.) 2008 f.: Theolinguistica. Bisher 2 Bde. Regensburg (Universitätsverlag).

Hoberg, Rudolf 2005: Sprache und Religion. Eine Projektskizze. In: Dungs, Susanne/Ludwig, Heiner (Hrsg.): profan-sinnlich-religiös. Theologische Lektüren der Postmoderne. Festschrift für Uwe Gerber. Frankfurt/M. (Lang).

Kaempfert, Manfred (Hrsg.) 1983: Probleme der religiösen Sprache. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft).

Kasper, Walter u.a. (Hrsg.) 2006: Lexikon für Theologie und Kirche. 11 Bde. Freiburg (Herder).

Luther, Martin 1972: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Wittenberg 1545. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft).

Sprache und Religion

Подняться наверх