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Vorwort: Figuratives Wissen
ОглавлениеDas Wörterbuch der philosophischen Metaphern hat einen einfachen, klar bestimmten Zweck. Es erläutert die Funktion von Sprachbildern in der Entfaltung des Denkens und des Wissens.
Das vorliegende Wörterbuch ist ein Nachschlagewerk, keineswegs aber ein Nachschlagewerk nur für Fachleute und Spezialisten. Zu seinen Adressaten zählt, neben den wissenschaftlichen Fächern, auch die sprachinteressierte Öffentlichkeit. Das Wörterbuch der philosophischen Metaphern versteht sich als Arbeitsinstrument, deshalb bietet jeder Artikel einen wissenschaftlichen Apparat und nennt weiterführende Literatur. Gleichwohl vertritt es weder ein exklusives Programm noch eine bestimmte Schule. Statt eine spezielle Methode schematisch umzusetzen, dokumentieren die versammelten Beiträge die Vielfalt der metaphorologischen Schwerpunktbildungen und Vorgehensweisen. Im Sinne einer Zwischenbilanz geben sie deren Leistungsumfang wieder und möchten zu weiteren, fächerübergreifenden Forschungen anregen.
1 Vorgeschichte – In seiner lexikalischen Form ist das Wörterbuch der philosophischen Metaphern ein Vorhaben ohne Beispiel. Nie zuvor ist der figurative Bestand des philosophischen Denkens repräsentativ erschlossen, noch nie ist der Bedeutungswandel bis in die unmittelbare Gegenwart hinein verfolgt und die vorstellungsleitende Funktion der Metaphern in einem Panorama spezifischer Entwicklungslinien komparativ erfaßt worden.
(1) Vico – Die Beispiellosigkeit des Projekts ist erstaunlich und erklärlich zugleich. Erstaunlich zunächst, weil Anregungen längst vorliegen. Das Bedürfnis nach einem Metaphernwörterbuch ist bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lautgeworden, mitten im Zeitalter der auch theoriesprachlich bewegten Aufklärung. Im Einleitungsteil zur dritten, posthum erschienenen Ausgabe seiner Neuen Wissenschaft von 1744 skizziert GIOVANNI BATTISTA VICO die Umrisse eines vocabolario mentale, das jene „phantastischen Allgemeinbegriffe“ (generi fantastici) und „Bilder“ (immagini) versammeln soll, die den Idiomen aller Zeiten zugrunde liegen und in denen, wie Vico in diesem 35. Capoverso weiter ausführt, „die ewige ideale Geschichte“ selber spricht. Daß sich die Aufmerksamkeit der Philosophie, wie hier bei Vico, der Sprache als ihrem bevorzugten Medium zuwendet, ist keine Geringfügigkeit. Von SOKRATES und SENECA bis zu HOBBES, BERKELEY und HEGEL reichen die Versuche, das Wissen der wahren Wissenschaft von dem abzusetzen, worin es sich darstellt, und Denken und Sprechen, ratio und oratio strikt getrennt zu halten. Der Geist soll sich frei entfalten, unbeirrt von den Bedeutungsschwankungen der Wörter und ungehindert von der Autorität der Schrift.
Vicos Erneuerung des philosophischen Denkens als Philologie schert aus dieser Traditionslinie aus. Die Sprache ist für ihn nicht nur das Mittel, das den Weg zur Wahrheit ebnet und zu diesem Zweck der logifizierenden Bearbeitung bedarf, sondern ein authentisches Zeugnis, das um ebendieser Qualität willen lexikalisch erschlossen werden soll. Vicos Auffassung ist voraussetzungsreich, aber in seiner Zeit alles andere als ungewöhnlich. Das Konzept der großen Philologie folgt der These der Sprachverwiesenheit des Wissens, die um die Wende zum 18. Jahrhundert so unterschiedliche Fragestellungen provoziert hat wie die Sprachursprungsforschung, die Hermeneutik oder die Begründungsfähigkeit des Wissens rein aus Begriffen. Speziell die Scienza nuova verbindet dieses neue Vertrauen in die Aufschlußkraft der Sprache mit dem Gedanken, daß die historisch-empirische Vielfalt der Zeichen auf allgemeinen Merkmalen bildhafter Sprachformen beruht, aus deren Bestand diese Vielfalt entspringt und sich in Raum und Zeit erneuert. Offenkundig ist dieses Verhältnis als Wech selbeziehung gedacht: Die unendliche Verschiedenheit sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten beruht demnach auf der Stabilität einiger weniger Elementarfiguren (universali fantastici), während umgekehrt dieses Reservoir ein Potential vorhält, dessen Dynamik die ganze Geschichte der menschlichen Sprachentwicklung übergreift.
Die Umwertung der Sprache von einem bloßen Instrument der Benennung äußerer Wirklichkeit zu einer kulturellen Tatsache, die eigene Wahrheitsansprüche geltend macht, manifestiert sich für Vico exemplarisch in der Metapher. Als „lichtvollste“ und zugleich „notwendigste“ aller Tropen (cap. 404) stellen Metaphern Ordnungsentwürfe für komplexe Situationen bereit und erbringen damit eine Orientierungsleistung, die sie der philosophischen Aufmerksamkeit besonders empfehlen. Die Betonung dieser Qualität macht Vico zum Antiplatoniker. Das System der Verweisungen, das die Metaphern stiften, existiert nicht als überempirische Systematik aus Ideen, sondern bezieht den ganzen Komplex seiner äußeren Voraussetzungen mit ein, und das ist – in der an dieser Stelle gebotenen Knappheit der Formulierung – das Orientierungsverlangen menschlicher Geistestätigkeit. Die Metapher, die Vico aufgrund der Vielfalt ihrer eidetischen, etymologischen, semantischen und epistemologischen Verweisungen an gleicher Stelle auch als „kleinen Mythos“ vorstellt, ist die treue Begleiterin des Selbsterfindungsprozesses, den die von Natur aus „bedürftigen“ Menschen (cap. 819) am Beginn der Zeiten anstoßen mußten und seither vorantreiben.
Das konventionelle, die anthropologischen Bezüge in Reichweite rückende Argument der kreatürlichen Beschränktheit, demzufolge den zur Erlangung der vollen Wahrheit unfähigen Menschen mit der indirekten Auskunft von Bildern und Metaphern am besten gedient sei, ist hier vorausgesetzt, wird aber umgedeutet. Vicos immagini sind nicht mehr nur Verlegenheiten, sondern Auskunftsmittel, die von der „Natur der menschlichen Dinge“ künden und das Material für eine ganze „Metaphysik des menschlichen Geistes“ (cap. 347) bereitstellen. Die Metaphern bergen den wahren Reichtum des armen Wesens, das der Mensch von Natur ist. Was Vico den nachfolgenden Metapherntheorien mit auf den Weg gibt, ist vor allem diese Intuition: Die Metapher gewährt Einsichten in die Welt dieses Wesens, das, um sich in der fremden Wirklichkeit zurechtzufinden, der Kompensation seiner Schwäche durch Zeichen, Bilder und Symbole bedarf, in denen diese Wirklichkeit immer schon als die seine vor es hintritt. Die Metapher ist, mit einem Wort, eine Figur des Wissens.
(2) Sulzer – Für das Vorhaben eines Wörterbuchs der philosophischen Metaphern fällt an dieser Stelle eine hübsche Pointe ab, wie sie ein Ideenhistoriker alter Schule nicht treffender hätte ersinnen können: Der Kreis schließt sich.
Und doch ist die Vorgeschichte des Wörterbuchs der philosophischen Metaphern mit dieser Rekapitulation noch keineswegs ausgeschöpft. Vor allem jene letztgenannte Wendung der vichianischen Argumentation, derzufolge die metaphorischen Bestände als Anthropologica aufzufassen seien – als sprechende Dokumente, die von den Konditionen des Menschseins zeugen –, ist schon wenig später erneut Anlaß gewesen, ein philosophisches Metaphernwörterbuch anzuregen. Auch hier, und schon in Kenntnis der großen Encyclopédie, gipfelt das Werben für die Ergiebigkeit des Metaphernstudiums im Plan einer lexikalischen Präsentation. Als Zeugnisse menschlicher Welt- und Daseinserfahrung, so der Schweizer Theologe und Ästhetiker JOHANN GEORG SULZER, seien die in die Sprache eingesenkten Bilder ideale Gegenstände, um den Scharfsinn, die Findigkeit und Einbildungskraft menschlicher Geistestätigkeit aufzuweisen. Das hatte schon Vico gesagt. Doch weit konkreter als dessen Gedankenspiel über Sinn und Zweck eines vocabulario mentale und zudem konzeptionell durchdacht, dürfte Sulzers Anregung von 1767 der erste seriöse Entwurf eines Wörterbuchs der philosophischen Metaphern sein, der überhaupt jemals vorgelegt worden ist.
Es ist bemerkenswert, wie weit der Vorstoß Sulzers konzeptionell auf die späteren, im Gefolge der sprachwissenschaftlichen Wende erfolgten Rehabilitierungen des Metaphorischen vorausgreift. Das gilt zunächst für das Verhältnis von Denken und Sprechen, das Sulzer – wie neben ihm JOHANN GOTTFRIED HERDER und wenig später auch WILHELM VON HUMBOLDT – für unauflöslich hält. Auf der Basis dieser Hauptthese regt Sulzer an, das sprachliche Zeugnis in seinen funktionalen Bezügen zu sehen. Es soll nicht nur Aufschluß geben über die Empirie der endlichen Vernunft, sondern auch über deren Wirkungsweise und Arbeit im Diskurs. Auf diese Weise kommen die Metaphern gleich zweifach in den Blick: Als „natürliche Zeichen“ markieren sie den Entwicklungsstand einer zeiträumlich begrenzten Sprachgemeinschaft, als Ausdrucksgestalten der Phantasie beleben sie die „Cultur des Verstandes“. Die Sprachnot, so Sulzer, läßt die Menschen zu Metaphern greifen, aber sie zwingt sie auch, die verbliebenen Möglichkeiten auszuschöpfen und die Formen des Ausdrucks zu vervollkommnen. Die Philosophie ist für Sulzer ein fortgesetztes Sprachereignis, dessen Wortfindungen das Denken beflügeln und sich in der Zeit zu einer nachträglich entzifferbaren Geschichte der Vernunft verdichten. Über Generationen hinweg füllt demnach die „Genealogie der Wörter“ ein Archiv, in dem die Geschichte des menschlichen Wissens gespeichert ist. Vor diesem in den hellsten Farben ausgemalten Hintergrund erscheint die Sammlung und verständige Ordnung der sprachbildlichen Zeugnisse als bare Selbstverständlichkeit. Zur Förderung einer fächerübergeifenden Allianz von sciences und belles-lettres, von „Philosophen“ und „schönen Geistern“, wirbt Sulzer für die Idee, „daß sich ein Philosoph des übermäßigen Ansehens, in welchem die Wörterbücher stehen, dazu bediente, ein Wörterbuch von den reichsten Metaphern zu liefern. Ein wohl ausgearbeitetes Werk von dieser Art, würde ein wahrer Schatz seyn, und ungemein viel zur Beförderung der philosophischen Kenntnisse in allen Gattungen beytragen.“ Vor allem zwei konzeptionelle Entscheidungen Sulzers verdienen hervorgehoben zu werden: Zum einen die Anerkennung der Metapher als legitime Sprachform der Philosophie sowie, zweitens, die Begründung der Metapherngeschichte als Quellenkorpus einer historischen Anthropologie.
(3) Kant – Die Wörterbuch-Initiative Sulzers ist verpufft und rasch vergessen worden. Es mag sogar sein, daß sie trotz der weitläufigen Erklärungen, mit denen der Schweizer Philosoph seine Anregung begleitet hat, auch von ihm selbst hauptsächlich rhetorisch gemeint war – als Provokation und als Weckruf, um den Anteil bildlicher Rede an der Genese des Wissens herauszustellen und für etwas zu werben, was man heute ein interdisziplinäres Projekt nennen würde. Jedenfalls war sich Sulzer der Widerstände, die sein Lob der Metapher hervorrufen mußte, durchaus bewußt. Und hier ist nun erneut der Punkt erreicht, von dem aus der Aufschub des Wörterbuch-Projekts um zweieinhalb Jahrhunderte ebenso erstaunlich wie erklärlich erscheint: erstaunlich angesichts der konzeptionellen Vorleistungen, erklärlich angesichts der Abwehr, die der Einsatz metaphorischer Rede lange Zeit hervorgerufen hat. Die Vorbehalte der Rhetorikkritik sind Legion, sie reichen zurück bis in die Antike und sind noch vor nicht allzu langer Zeit mit solcher Vehemenz bekräftigt worden, daß sich der Gedanke an eine Würdigung durch lexikalische Präsentation von vornherein verbot.
Nehmen wir, als auch in diesem Fall beredten Zeugen, IMMANUEL KANT, der die klassischen Bedenken mustergültig aufgreift. Dem Denken seines Schülers Herder, der im übrigen mit den Schriften Sulzers vertraut war, legt Kant in seiner Rezension von 1785 die ganz und gar rhetorisch gemeinte Frage vor, ob nicht der „poetische Geist“ von ihm Besitz ergriffen habe, ob dieser Autor nicht von Äquivokationen verführt sei, ob er nicht die Differenz von schöner Literatur und Philosophie mißachte und ob, wie Kant nun seinerseits in szenischer Darstellung hinzusetzt, dieser Autor nicht kühne Metaphern und poetische Bilder verwende, um „den Körper der Gedanken wie unter einer Vertugade zu verstecken“, statt ihn – so die bemerkenswerte und offenbar auf CHARLES BATTEUX zurückgehende Gegenempfehlung – „wie unter einem durchscheinenden Gewande angenehm hervorschimmern zu lassen.“
Die Sorge Kants gilt der Grenze der Philosophie. Der Logos soll sich hüten, die Trennlinie zu mißachten, die das Fach von anderen Formen des Wissens und der Weltkenntnis unterscheidet, vor allem von der Literatur, der Religion und der Kunst. Die philosophische Kritik der Metapher gilt der bildlichen Evokation, die verborgene Sinnwelten heraufbeschwört, sie gilt der Durchsetzung fragwürdiger Autoritäten, denen sie den Anschein von Legitimität verschafft, und sie gilt schließlich der trügerischen Evidenz metapherngeleiteter Argumentationswege. Metaphern – so der von Kant erneuerte Einwand – beschreiben, sie beweisen nicht. Figura non probat.
Angesichts der Massivität der Einwände war es nur folgerichtig, daß die Rhetorikkritik von den Zeitgenossen als Unterlassungsgebot verstanden und beherzigt worden ist. Die Folgenlosigkeit der Initiativen Vicos und Sulzers wäre damit erklärt. Diese Lesart, in der die Philosophie sich im Namen des Begriffs und des Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit einen Ikonoklasmus selbst verordnet, ist jedoch, wie mir scheint, allzu einseitig und vordergründig. Auch Kant ist in diesem Punkt keineswegs so eindeutig, wie es zunächst scheinen mag. Gewiß, auf der einen Seite greift seine Herder-Kritik einen alten Vorstellungszusammenhang auf, der den Weg der Erkenntnis als Folge von Entbergungen verständlich macht: die Vorstellung der nackten Wahrheit. Der Suggestivität der Szene folgend, wird die Metapher als sprachlicher Schleier vorgestellt, der beiseitegezogen und entfernt werden muß, damit die Wahrheit unverhüllt hervortreten kann. Die Standarderwartung bestätigt sich: Die Metapher ist der Sache in der Weise äußerlich wie auch das Kleid dem Körper äußerlich ist.
Doch Kant bleibt bei dieser Urszene des aufklärerischen Willens zum Wissen nicht stehen. Es gelte vielmehr, fährt er fort, den Gedanken „wie unter einem durchscheinenden Gewande angenehm hervorschimmern zu lassen“. Mit dieser Weiterführung wird das Bedenken variiert, und diese Variation ist entscheidend: Metaphern dürfen nicht nur sein, sie sollen auch sein. Ihre Domäne ist das Durchscheinende, die Zone des Übergangs zwischen vollkommener Opazität und reiner Transparenz. Der Schleier, von dem Kant an dieser Stelle spricht, ist nicht der Schleier der Natur, der die Evidenz der Wahrheit verbirgt, sondern der Schleier der Worte, der die unsichtbare Wahrheit sehen läßt und sprachlich enthüllt. Ist diese Umwertung erst einmal vollzogen, ist zugleich klargestellt, daß der figurative Bestand der philosophischen Sprache mehr ist als nur Beiwerk, das überwunden werden muß. Auch aus philosophischer Sicht verlangt die Metapher nach einer eigenen, ihrer diskursiven und semantischen Pragmatik angemessenen Erörterung.
In seiner Kritik der Urteilskraft hat Kant zu dieser Erörterung aufgerufen und die Form des Begriffs mit der Emanzipation der Anschauungsfunktion konfrontiert. Entscheidend ist hier die Überwindung jener habituellen Ausschließung, die zum Entscheid zwischen begrifflicher und bildlicher Rede drängt, und ihre Ersetzung durch ein Modell der Kohabitation. Gerade weil den Vernunftbegriffen („Gott“, „Welt“, „Freiheit“) eine bildliche Anschauung im Sinne vollkommener Adäquatheit niemals entsprechen werde, bedürfe es besonderer Metaphern, argumentiert Kant, die er in der Sprache seiner Zeit „Symbole“ nennt. Der Einsatz dieser Sprachzeichen ist durch die Vorgabe der gemeinsamen Regel gerechtfertigt, nach der sie selbst sowie der durch sie bezeichnete Gegenstand „zu reflektieren“ ist. Die Metapher, von der in diesem § 59 die Rede ist, dient dem Verstehen nicht durch die Evidenz einer prompt einleuchtenden Anschauung, sondern dadurch, daß sie dazu auffordert, die Stimmigkeit des Weltbegreifens selbsttätig zu erzeugen. Diese Metaphern evozieren, was ROLAND BARTHES den effet de réel genannt hat. Sie operieren nicht bestätigend und illustrativ, sondern schöpferisch und gestaltgebend. Obwohl Kant am Uneigentlichkeitsvorbehalt gegenüber der bildlichen Rede festhält, um gefährliche, durch Scheinevidenzen nahegelegte Fehlschlüsse zu vermeiden, ist doch klar, daß mit der aufschließenden Funktion der Metapher eine neue Qualität zur Geltung gebracht ist. Auf engstem Raum entwirft Kant die Perspektive einer genuin philosophischen Zweckbindung der Metapher und rückt die entschlossene Erweiterung, ja Umkehrung jener Faustregel in den Blick, wonach Metaphern Begriffe nicht ersetzen können. Die Metaphern, von denen Kant an dieser Stelle spricht, widerstehen der Terminologisierung, weil sie selbst bereits terminologisch sind. Sie sind dem Denken nicht äußerlich, wie die seit Cicero tradierte Metaphernmetaphorik der „Kleidung“ suggeriert, sondern gehören dem Gegenstand in dem Sinne zu, daß wir ihn nur haben durch die Metapher und in der Konsequenz ihrer bildlichen Gestalt. Von dieser Bestimmung herkommend, läßt sich nun sagen: Metaphern können Begriffe nicht ersetzen, denn es gibt kein Denken ohne Begriffe; aber es genügt nicht, Begriffe zu haben, um zu denken.
2 Konzeption – Die Bedeutung dieser Vorleistungen für die Metapherngeschichtsforschung dürfte schwerlich zu überschätzen sein. Sie liegt darin, der Rationalität der Metapher die so lange verweigerte Anerkennung, wie sie bereits Vico und Sulzer gefordert hatten, nun endlich auch argumentativ erschlossen zu haben. Seither wendet sich die Philosophie den eigenen, in vermeintlich gesicherten Gedankenbahnen verborgenen Voraussetzungen zu und entdeckt als ihre neue Aufgabe die Auseinandersetzung mit den Imaginationswelten, die das Wirken der Vernunft vorgreifend strukturieren. Damit ist nun neben der Rhetorik und der Poetik auch die Philosophie aufgerufen, bei der Arbeit an der Metapher ihren Anteil zu leisten.
(1) Intrakulturalität – Kant ist sich der Gewagtheit seiner Grenzverschiebung bewußt gewesen. Das „Geschäft“ der symbolischen Praxis, für das er auch den alten Begriff der Hypotypose anbietet, habe „eine tiefere Untersuchung verdient“, versichert er, es sei aber hier „nicht der Ort, sich dabei aufzuhalten“. Für lange Zeit war dies ein letztes Wort. HEINRICH VON KLEIST hat die von Kant geteilte Skepsis gegenüber der Rhetorik als Rückzug in die Isolation einseitiger Beschränktheit gedeutet und aus ihr ebenjenen Bruch zwischen den künstlerischen, wissenschaftlichen, literarischen und philosophischen Formen des Wissens herausgelesen, dem Sulzer mit seinem Wörterbuchprojekt hatte zuvorkommen wollen. Jenseits der Jahrhundertgrenze wird nun der Eindruck unabweislich, daß das integrative und, wenn man so will, transdisziplinäre Wissensmodell der frühen Metaphorologen dem Druck der Partikularisierung nicht standgehalten hat. Die Menschen ließen sich „in zwei Klassen abteilen“, so lautet der am 10. Dezember 1810 in die Berliner Abendblätter eingerückte Bescheid: „in solche, die sich auf eine Metapher und 2) in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus“.
Bei dem Verzicht auf ein Vorhaben, dessen Zweckmäßigkeit soeben noch offenkundig gewesen war, ist es lange Zeit geblieben. Die Standards der Rhetorikkritik erwiesen sich als übermächtig. Sie verloren erst an Gewicht, als zahlreiche Einzelwissenschaften und mit ihnen auch die Philosophie daran gingen, den sprachlichen Status des Denkens und Wissens zu analysieren. Die Tragweite der sprachwissenschaftlichen Wende, deren Folgen seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend deutlich geworden sind, war außerordentlich. Sie zeigte sich in den Analysen des Sprachgebrauchs, die in den angelsächsischen Ländern Verbreitung fanden, aber auch in den Initiativen des Strukturalismus, in der analyse des discours sowie in der postheideggerianischen Hermeneutik. Obwohl die speziellen Theoriewege vor dem Hintergrund nationaler Traditionen verstanden werden müssen, deren spezielle Blickführungen bis heute nachwirken, kommen sie doch in der Gemeinsamkeit überein, die Sprachlichkeit des Weltverhältnisses als Ausgangsproblem zu begreifen. Weit nachdrücklicher als in der Vergangenheit, als die Strategien der Marginalisierung zunächst die Oberhand behielten, sind diese Fragestellungen inzwischen von einem breiten Interesse an diskursiven Prozessen, an den Formen des Wissens und deren Implikationen getragen, die längst den Horizont eines europäischen Bildertransfers haben hervortreten lassen. Europa, mit diesen Worten leitete HARALD WEINRICH vor Jahren die Rehabilitation des Rhetorischen und speziell den Einstieg in die „diachronische Metaphorik“ ein, sei eine „Bildfeldgemeinschaft“. Man mag darüber streiten, ob so elementar orientierende Metaphern wie „Kreis“, „Licht“ oder „Weg“ sich durch die erklärte Beschränkung auf europäische Denktraditionen angemessen beschreiben lassen, wird aber auf der anderen Seite nicht übersehen dürfen, daß die Konvention der wortmonographischen Darstellung jenes unsichtbare, das einzelne Motiv umschließende Gespinst schon kaum mehr erfaßt, aus dem die Pathosformeln kultureller Zugehörigkeit hervorgehen. Solche Sorgen beschäftigen deshalb das spezielle Vorhaben einer lexikalischen Präsentation, die ja keineswegs als ein letztes Wort verstanden werden will, zunächst nur am Rande. Das Hauptinteresse der historischen Analysen gilt nicht der Inventarisierung der Zeugnisse und Belege, sondern dem Versuch, die „kognitiven Ansprüche der Metapher“ (MARY B. HESSE) und überhaupt das Aussagepotential der Figuren „nicht-propositionaler Erkenntnis“ (GOTTFRIED GABRIEL) in theoretischen Texten aufzuweisen und ihren Leistungsumfang zu erschließen.
(2) Metaphorologie – Bahnbrechend für diese Fragestellungen war das Werk eines Philosophen, der vor gut fünfzig Jahren, damals noch am Beginn seines akademischen Werdegangs, das zu dieser Zeit in seiner vollen Tragweite noch gar nicht absehbare Projekt der „Metaphorologie“ ins Leben gerufen hat. Ich spreche von HANS BLUMENBERG. Auffällig wurde Blumenbergs rhetorische Passion in der längst legendären Abhandlung über das Licht als Metapher der Wahrheit von 1957. Ende der siebziger Jahre setzte dann die Publikation eines Aufsatzes über die Theorie der Unbegrifflichkeit eine weitere konzeptionelle Zäsur. War die Metaphernanalyse anfangs als Ergänzung der philosophischen Begriffsgeschichte gedacht gewesen, um eine philosophische Theorie der Metapher lediglich anzudeuten, so veränderte der Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit von 1979 die Situation entscheidend. Die Arbeit an der Metapher sah sich nun in den weiteren Zusammenhang der Frage gestellt, welche Voraussetzungen denn überhaupt den Durchsetzungserfolg und die Beharrungskraft der einschlägigen Sprachbilder in Philosophie und Wissenschaften begünstigen. Die seinerzeit angeregte Schärfung der Aufmerksamkeit für das lebensweltliche Wurzelwerk geistigen Abstrahierens, für den „Motivierungsrückhalt aller Theorie“, ist inzwischen vielfältig aufgegriffen und in zahlreichen metapherngeschichtlichen Einzelstudien fruchtbar gemacht worden. Auch das Wörterbuch der philosophischen Metaphern steht in dieser Tradition, es ist Bestätigung und Reverenzerweis zugleich. Obwohl etwas derartiges niemals vorgesehen war, fügt sich das Panorama der Einzelbeiträge nun zu einer Hommage an Hans Blumenberg. Im übrigen bestätigt die Originalität des Zugriffs, die jeder der nachfolgenden Einzelartikel für sich in Anspruch nehmen darf, was in so konsequenter Durchführung nicht zu erwarten war: daß die Rezeption der originalen Metaphorologie weder eine Sache der lautstarken Proklamation noch der akribischen Imitation sein kann, sondern nur eine Sache der subtilen Fortentwicklung.
Als Verfahren der Rückübersetzung philosophischer Bildersprache in eine „eigentliche“, begriffssprachlich definierte Bedeutung wäre die Metaphorologie gründlich mißverstanden. Zwar leugnet sie keineswegs, daß Metaphern „Restbestände“ sein können, die sich durch definitionsfreudigere Sprachformen – vornehmlich also durch Begriffe – ersetzen lassen. Daneben aber treten jene von Kant als „Symbole“ apostrophierten Sprachbilder auf, die ihre philosophische Pointe darin haben, aufgrund ihrer begriffsadäquaten Funktion transformationsresistent zu sein. Solche Metaphern, von anderen Autoren auch „radikale Metaphern“ (ERNST CASSIRER), root metaphors (STEPHEN C. PEPPER), generative metaphors (MAX BLACK) oder métaphores vives (PAU L RICŒUR) genannt, sind „Grundbestände“ oder, wie Blumenberg auch sagt, „absolute“ Metaphern und bieten als solche besondere Anlässe philosophischer Reflexion. Blumenberg setzt die von Vico über Sulzer und Kant verlaufende Linie fort, wenn er die Metapher als die spezifische Ausdrucksgestalt des endlichen Wesens begreift, das unter dem Druck befristeter Lebenszeit gehalten ist, sich in den Grenzen seiner Situation einen Reim auf die Welt und die Ordnung der Dinge zu machen. Das Dasein im Provisorium motiviert den Griff zur Metapher – und umgekehrt: Die Metapher gewährt Aufschluß über das Dasein im Provisorium. Die Grundlagen des Logos sind demnach nicht rein logisch, sie sind anthropo-logisch verfaßt. Der Sammelname „Unbegrifflichkeit“ umgreift die hypothetische Summe der Zeugnisse für „die Ubiquität des Menschlichen“, das sicherzustellen Blumenberg – wohl nicht zufällig in einer Rede über Ernst Cassirer – als „elementare Obligation“ der philosophischen Arbeit bestimmt hat.
Rückt Blumenberg also einerseits ab vom Romantizismus der Unversehrtheit, von der emphatischen Hinwendung zu einer irgendwie rückholbaren „Unbefangenheit genuinen Ausdrucks“, so distanziert er sich zum anderen und ebenso entschieden von jener Art der Motiv-, Stoff- oder Toposgeschichte, die ihr Material auf einen zeitlos durchgehaltenen Bestand elementarer Grundfiguren zurückführen möchte und in thematischer Reihe sortiert. Nicht Identität und Konstanz sind die Leitbegriffe metaphorologischer Rekonstruktion, sondern Zeitlichkeit und Differenz. Historisches Verstehen verwirklicht sich für sie im Auflesen einer Bedeutung, die erst in der Verbindung mit dem vom rückblickenden Kommentar zu gewährenden Vorausblick auf das, was ihr durch Kritik und Rezeption faktisch zuwuchs, zu dem wird, was sie ist. Indem aber die Metaphorologie selbst nur eine, nämlich die jüngste Stufe in dem von ihr erschlossenen Prozeß ist, kommt sie niemals an den Punkt, ihren Lesern so etwas wie das Eigentliche des Bedeutens in seiner ursprünglichen Gestalt zu enthüllen. Die Metaphorologie zeigt die Selbstgegebenheit des Materials in der unüberbietbaren Vorläufigkeit seiner sprachlichen Präsenz, und sie selbst ist es, die so etwas hervorbringt wie Metaphern in Geschichten.
Metaphern, das wäre der Befund, indizieren Kontingenz – und sie kompensieren Kontingenz. Ihr Aufkommen oder Verschwinden, ihre Auffrischung oder Erstarrung läßt sich im einzelnen beschreiben und zu erzählbaren Geschichten verknüpfen, doch die Eindeutigkeit einer lexikalischen Norm springt nicht dabei heraus. Das ist der Grund, weshalb sich philosophische Metapherngeschichten nicht vollständig, und das hieße ja: zu Ende erzählen lassen. Bestätigen die relative Konstanz und die erstaunlich klar bestimmbare Kanonik den Rahmen der intrakulturellen Bildfeldgemeinschaft, so illustriert andererseits der permanente Wandel der Besetzungen und Ausdeutungen, daß bildliche Redeformen – wie auch die Begriffe – der Veränderung in der Zeit unterliegen. Metaphern, auch absolute Metaphern, haben Geschichte. Ihre Formbarkeit gestattet wechselnde Inanspruchnahmen, Ergänzungen, Unterschlagungen und Deformationen, in denen die Leistungsstärke des jeweiligen Sprachbildes ebenso zutage tritt wie seine Leistungsgrenze. Gemeinsam reagieren Metaphern auf Fragen, die wir haben, aber ohne letzte Gewißheit beantworten müssen; sie verkürzen Erkenntnisprozesse, deren Ausgang wir nicht abwarten können; und sie ersetzen Evidenzen, über die wir nicht und vielleicht auch niemals verfügen.
3 Durchführung – Halten wir fest: Die philosophische Metaphernanalyse reflektiert die Sprache des Wissens und seiner Geschichte, wie sie in Texten dokumentiert ist. Ihr deskriptiver Gestus verzichtet auf die Übernahme jener Einschließungen und Ausgrenzungen, wie sie das begriffsorientierte Denken bei der Bewältigung seines Pensums vornehmen muß. Wo dieses die philosophische Sprachwelt willkürlich beschränkt und auf die Konventionen der theoretischen Sprache zurücknimmt, insistiert die Metaphorologie auf der Zeugniskraft des Unbegrifflichen.
Die damit angebahnte Aufmerksamkeitsverschiebung wendet sich auf dem Umweg über die Metapher auch auf die Entstehung philosophisch-wissenschaftlicher Sprachformen zurück. Die Chance besteht darin, das vom jungen NIETZSCHE in kühnen Strichen vorweggenommene Programm einer Genealogie des Wissens und seiner Formen aufzunehmen und an die kulturelle Praxis der Begriffsbildung heranzukommen. Und umgekehrt: Ganz ebenso zeichnet diese Aufmerksamkeitsverschiebung die historische Ablösung von „eigentlicher“ und „uneigentlicher“ Bedeutung nach, die Verselbständigung der sprachbildlichen Übertragung bis hin zu der fragwürdigen, das Potential des metaphorischen Spiels unterbietenden Konsequenz einer Blockade der Begriffsform. Die weltbildkonstituierende Funktion der Metapher ist keine Beiläufigkeit, sie bedarf der sorgfältigen Rekonstruktion und des kritischen Urteils. Nichts liegt deshalb dem philosophischen Metaphernforscher ferner, als Metapher und Begriff gegeneinander auszuspielen. Metapher und Begriff koexistieren im Modus funktionaler Differenz. Aus dieser Vorbedingung ergibt sich das zentrale, das genuin philosophische Anliegen der philosophischen Metaphernforschung. Sie will erläutern, wie die Begriffe und wie überhaupt jene Formen des Weltbegreifens Kohärenz gewinnen, die in der Summe den Reflexionsraum des theoretischen Weltverhältnisses ausmachen.
Eine lexikalische Erfassung philosophisch einschlägiger Metaphernbestände hat Blumenberg wohl niemals erwogen. Und wie auch: Was seine metapherngeschichtlichen Schürfarbeiten zutage förderten, war zumeist viel zu ausladend und umfangreich, um in der disziplinierten Form eines Wörterbuchartikels Platz zu finden. Folgerichtig brachte Blumenberg auch keine Einwände vor und enthielt sich ganz bewußt der Stimme, als JOACHIM RITTER im ersten Band des Historischen Wörterbuchs der Philosophie mit Hinweis auf das metaphorologische Parallelprojekt feststellte, aus Kapazitätsgründen auf die Aufnahme von Metaphern in die Nomenklatur verzichten zu wollen. Die Absage Ritters war pragmatisch, nicht prinzipiell gemeint. Wie wenig fremd dem Neugründer der philosophischen Begriffsgeschichte der metaphorologische Blick gewesen ist, zeigt eine resümierende Einsicht, in der er, Jahrzehnte vor der eigenen Wörterbuch-Initiative, ein Referat über die Symboltheorie seines Lehrers Ernst Cassirer hatte gipfeln lassen: „Wir müssen den Logos verlassen, um ihn zu verstehen.“ Dieser eine, unscheinbare Satz des Jahres 1932 widerruft die ganze platonischidealistische Tradition der Begründung des Denkens aus dem eigenen Ursprung heraus. Selbst der genuin neuzeitliche, von FRANCIS BACON in seinem Essay über die Wahrheit angemahnte und dann von Kant systematisch durchgeführte Versuch, die Letztinstanzlichkeit der Vernunft dadurch zu retten, daß sie als Richterin über sich selbst auftritt, wird in den dezidiert modernen Konzepten der Historischen Semantik abgelöst durch den Gedanken, daß die Vernunft sich um ihrer selbst willen von sich freimachen und sich den kulturellen Tatsachen zuwenden muß, die sie mit ihren eigenen, äußeren Voraussetzungen konfrontieren. Für Begriffsgeschichte und Metaphorologie ist die damit vollzogene Öffnung des Vernunftraums gleichermaßen grundlegend, und es ist diese Gemeinsamkeit sowie die offen zum Ausdruck gebrachte Respektsbezeigung der beiden Inauguratoren, die sinnfällig macht, was auch heute noch allen Beteiligten klar ist: Begriffs- und Metapherngeschichte stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, nicht in einem Verhältnis der Konkurrenz oder der Alternative.
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Nach dieser Positionsbestimmung auf der Karte des neueren Philosophierens möchte ich nun den Fokus stark verengen und, aufbauend auf den referierten Überlegungen, drei konzeptionelle Grundsätze des vorliegenden Wörterbuchs vorstellen. Sie betreffen den Metaphernbegriff (1), das Leistungspotential der Metaphern (2) sowie schließlich den Status der lexikalischen Präsentationsform (3) selbst.
(1) Metaphernbegriff – Was sind Metaphern und wie funktionieren sie? Wenn wir von der Empfehlung des philosophischen Autors hören, den „Körper der Gedanken wie unter einem durchscheinenden Gewande angenehm hervorschimmern zu lassen“, so irritiert daran gleich mehreres: Das Aggregat der Körperlichkeit, das dem Denken zugeschrieben wird, aber auch die interpolierte Sichtbarkeit, die den Einsatz von verhüllenden Gewändern recht eigentlich erst motiviert. Wir haben es also gleich mit drei Bildfeldern zu tun: mit „Körpern“ und „Schleiern“, dazu, gleichsam vermittelnd, mit dem „Sehen“ (hier kausativ gefaßt als ein „Sehen lassen“). Auffällig werden diese Sprachformen, weil sie stören. Die Metapher enttäuscht die durch den thematischen Kontext geweckte Darstellungserwartung sprachlicher Präzision, erschüttert aber auch die Herkunftsbedeutungen des Bildfeldes selbst. Daß Gedanken Körper haben, ist überraschend, vielleicht auch neu, vor dem Hintergrund der mitgebrachten Vorstellungsgewohnheiten jedenfalls kontraintuitiv. Der auf diese Weise erzielte Effekt ist exemplarisch: Die Metapher fungiert als Regelverstoß, der sein Potential im Gebrauch ausspielt, also über die Aufmerksamkeitserregung in der sprachlichen, durch Konvention stabil gehaltenen Umgebung. Wie diese Wirkung zustande kommt, zeigt der Fall des Gewandes, das zugleich ein Schleier ist. Die Körperlichkeit des Gedankens suggeriert seine Sichtbarkeit, ja Greifbarkeit, die der distanzschaffende Schleier sogleich als unangemessen widerruft. Gedanken sind demnach etwas, das weder ganz nackt noch vollkommen verhüllt vor uns steht, sondern wie hinter Schleiern zugleich dargeboten und entzogen ist. Kühn zur Interpretation schreitend, können wir vielleicht so weit gehen zu sagen: Kants Szene ist eine kleine, fein komponierte Parabel über das metaphorische Sprechen in der Philosophie.
Metaphern erkennen wir daran, daß sie stören, daran also, wie DONALD DAVIDSON pointiert, daß sie „normalerweise falsch“ sind. Der Unterschied zwischen Metapher und Vergleich sei der, daß der Vergleich wahr (true) ist, die Metapher aber falsch (false). Dieser Befund läßt sich mühelos bestätigen: Gedanken haben keine Körper, und auf der Ebene der buchstäblichen Bedeutung ist nichts abwegiger als die Vorstellung, die Figuren des Wissens kämen „nackt“ daher oder auch „bekleidet“. Daß die Aussage dennoch hingenommen werden kann und wir sie nicht sogleich als Unfug abtun, liegt daran, daß wir die Unstimmigkeit überwinden und das, was die Metapher „sagt“, als Hörer und Leser selbst erzeugen. Wir sind die Komplizen des metaphorischen Geschehens, unsere Rezeptionskompetenz und Kombinationsgabe vollenden den Effekt. Wie von der Ironie darf auch von der Metapher gesagt werden: Sie will nicht geglaubt, sie will verstanden sein.
Metaphern sind Einladungen zur Interpretation, ja, bestimmter und umfassender noch: Sie zeigen die Welt im Horizont ihrer Deutbarkeit. Allerdings fordern sie dieses Interpretieren nicht lediglich heraus, sie helfen ihm auch auf die Sprünge. Das Wissen, das die Metaphern vermitteln, ist das Ergebnis einer kulturellen Praxis sprachbildinduzierten Weltverstehens, und es ist die Aufgabe der philosophischen Metaphernanalyse, diese für gewöhnlich stillschweigend erfolgende, in die Schächte des kulturellen Unbewußten abgedrängte Aktivität am ausgesuchten Beispiel vorzuführen und bewußtzumachen. Metaphernanalyse, erst recht in ihrer philosophischen Pointierung als Metaphorologie, ist zweite, ist potenzierte Reflexion. Das Pensum des Wörterbuchs der philosophischen Metaphern ist damit abgesteckt. Es will die metaphorische Bedeutung weder auflösen noch übersetzen (und damit erübrigen), sondern Funktionen erkunden und Effekte beschreiben (und damit der Kritik zuführen); es will Konventionsbildungen skizzieren, Brüche erläutern und all die Einzelschritte des „Umverstehens“ (Blumenberg) aufzeigen, die metaphorisches Wissen generieren und freisetzen. Anlage und Konzeption des Wörterbuchs versuchen diesen Vorsätzen zu entsprechen. Um die Komplexität der Wirkungszusammenhänge präsent zu halten, sind Lemmata wo immer möglich verbali- siert: also „Bauen“ und nicht „Gebäude“, „Gebären“ und nicht „Geburt“, „Richten“ und nicht „Gericht“. Die Verbalform signalisiert den Bezug auf ein Denken in Bewegung. Jede Metaphernanalyse ist eine Analyse von Metaphern in den materialen Bezügen ihres praktischen Gebrauchs.
Wiederholt war soeben von „Bild“ und „Szene“ die Rede. Die Frage ist aber: Sind Metaphern „Bilder“? Ich meine: ja. Bereits Sulzer nennt die Metapher ein Bild, welches durch Worte hervorgebracht werden kann. Die Abwehr der Bilderthese ist gleichwohl vehement, und sie hat eine lange Tradition. Sie entspringt dem Bedürfnis, die Gefahr einer Ontologisierung des Bildspenders abzuwehren. Demnach ist die metaphorische Funktion unabhängig davon, ob unser inneres Auge über bildliche Vorstellungen verfügt oder nicht. Die Metapher, argumentiert IVOR ARMSTRONG RICHARDS, ist kein Bildereignis, sie ist ein Sprachereignis. Dem kann man nur zustimmen. Der sprachliche Kontext der Aussage ist es, der das Wort überhaupt erst zur Metapher macht und das Bedeutungspotential freisetzt. Andererseits, so scheint mir, ist die seit der frühen Neuzeit geläufige und auch für Vico selbstverständliche Auffassung der Metapher als imago, als image oder auch als „Anschauungsform“ keineswegs zufällig entstanden. Die Bildlichkeit, die hier gemeint ist, darf allerdings nicht als Abbildlichkeit verstanden werden, sondern als funktionale Entsprechung einer visualisierten Struktur. Der damit aktualisierte Bildbegriff ist gebrochen und entschieden (ab-)bildkritisch. Ich erinnere daran, daß schon Kant diesen Selbsteinwand und seine latente Paradoxie offen ausstellt: Das Symbolische ist „untergelegte“ Anschauung dort, wo – wie Kant in jener Passage seiner Kritik hinzufügt – „keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann“. Ich leite aus dieser Erläuterung die These ab, daß Metaphern das Gesetz der Darstellung durch die Einführung von Regeln konterkarieren, die sich zwar auf der Ebene der Sprache entfalten, deren Gesetz aber im Prinzip ikonisch ist. Die gleichsam aus der Gegenrichtung kommende Anregung, die GOTTFRIED BOEHM im Anschluß an ARTHUR C. DANTO gegeben hat, nämlich Bilder als Metaphern zu verstehen, scheint mir diese Auffassung zu bestätigen. Boehms Bildmetapher stützt die Vermutung, daß Metaphern nonverbal, nämlich als Zeichen agieren können (also auch als gestische, als musikalische, als filmische Metaphern), um das außersprachliche Potential in den Raum der Sprache hineinzuziehen und dort zu entfalten. Ebendieser Zusammenhang und speziell der Faktor der „ikonischen Differenz“ liefert eine weitere Begründung dafür, weshalb zu den Metaphern, von denen in diesem Wörterbuch die Rede ist, bedeutungsäquivalente Ausdrücke normalsprachlicher oder begrifflicher Art nicht verfügbar sind, ja weshalb sie, wie besonders sinnfällig der „Blitz“ oder der „Schleier“, das „Bilden“ oder der „Übergang“, als nicht weiter ableitbare Metaphorisierungen des Metaphorischen selbst auftreten können. Die Unvermitteltheit des Metaphorischen ist Unvermittelbarkeit.
(2) Der metaphorische Effekt – Was leisten Metaphern? Wie operieren Metaphern im Text? Metaphorisches Wissen ist Orientierungswissen, es gibt vor, wie wir uns fremde, unzugängliche, überkomplexe oder anderweitig der Evidenz entzogene Sachverhalte denken. Diese Leistung ist aber, wenngleich geläufig, ihrerseits komplex. In dem gegebenen Beispiel hat die Metapher irritiert, weil es konventionswidrig ist, Gedanken Körper zuzuweisen. Diese Beobachtung ist verallgemeinerbar. Metaphern irritieren, indem sie konventionelle Erwartungen gezielt verletzen und auf diese Weise der Sprache, die doch allen gemeinsam ist, idiomatische und sogar idiosynkratische Äußerungen gestatten. In der Regel beeinträchtigt der so erzeugte Konflikt den Zweck der Mitteilung keineswegs. Im Gebrauch der Sprache wirkt die Strapazierung der Norm als Appell, bei der Situation blanken Unverständnisses nicht stehenzubleiben. Die Wiederherstellung einer neuen Stimmigkeit verlangt unsere Mitarbeit, bei der wir die neben der Irritation zweite und in gewissem Sinn gegenläufige Hauptfunktion des Metaphorischen verwirklichen: die Konsolidierung. Metaphern konsolidieren, indem sie Aussagen und Begriffe in einen neu gestifteten Zusammenhang einbinden und vorgreifend den Weg der Argumente abstecken. Haben wir erst einmal die Vorstellung zugelassen, daß Gedanken Körper haben, lassen sich diese Körper auf verschiedene Weise konkretisieren, sagen wir: als Elemente organisch strukturierter Ordnungen. Die Anschlußphantasie wird möglich, daß Gedanken sich entwickeln, im Fluß sind (einander „beeinflussen“) oder auch Gebäude bilden, die dann Aufbauten, Anbauten, Überbauten zulassen, wobei wir freilich gewärtigen müssen, daß nach der schließlich erreichten Festigung der Fundamente an Bewegungen des Denkens kaum noch zu denken ist.
Ich nenne diese Bildfelder wie das „Fließen“ oder das „Bauen“, wie „Richten“, „Schweben“ und „Wohnen“ Titelmetaphern, und im Wörterbuch der philosophischen Metaphern sind ausschließlich Bildfelder dieser Qualität vertreten. Eine Titelmetapher überschreibt einen kohärenten Vorstellungszusammenhang, der durch das Titelwort vorgegeben ist und dessen konkrete Gestalt zeiträumlich variieren kann. Die Tatsache, daß Metaphern Geschichte haben, ergibt sich zum einen aus der Vielfältigkeit ihres Gebrauchs in Texten, zum anderen aus dem Wandel der Bildvorstellung, die ihnen assoziiert sind. Das zeigt sich am deutlichsten da, wo Artefakte in assoziative Reichweite gestellt sind. Was „Spiegeln“ heißt, wird, sofern dabei nicht ausschließlich an Wasserflächen gedacht ist, im Detail durchaus variieren, je nachdem, ob dabei, wie in der Antike, polierte Stein- und Metallflächen im Spiel sind oder, wie in der frühen Neuzeit, konvexe Glaskörper, oder schließlich, wie seit dem 18. Jahrhundert, großflächige Standspiegel, die jetzt erstmals erschwinglich sind und jedermann die Gesamtgestalt seiner körperlichen Erscheinung vorstellig machen. Ähnlich evident sind diese Zusammenhänge im Fall der „Maschine“ oder des „Webens“, also bei textum. Wir haben es durchweg mit mentalen Voraussetzungen, mit Vorstellungen und Einstellungen zu tun, die in Auseinandersetzungen mit der Welt der Dinge konkret werden. Entscheidend ist aber nicht die metaphorische Korrelation zwischen „Bild“ und „Gegenstand“, sondern die Korrelation zwischen „Bild“ und „Vorstellung“, wobei hier gemeint sind jene Weltmodelle und Überzeugungen, die einer jeweiligen Sprechergemeinschaft gemeinsam sind und ihre Gemeinschaftlichkeit, und das heißt in diesem Zusammenhang: ihre Kultur definieren. Die von Vico bis Blumenberg herausgestellte anthropologische Valenz der Rhetorik bestätigt sich hier. Die Wahrheit der Metapher ist nicht referentiell, sie ist intersubjektiv, und ihre Geschichte ist die Geschichte ihres Gebrauchs im Rahmen kulturell definierter Verwendungsbezüge.
Titelmetaphern greifen aber nicht nur auf sachgeschichtliche und kulturhistorische Bezüge aus. Ihre Textfunktion, die auch die Bezeichnung „Titel“ rechtfertigt, besteht darin, einen imaginativen Raum zu entwerfen, ein champ sémantique im Sinne PAUL ZUMTHORS, dessen Aussagemöglichkeiten durch die Bildlogik des Titelwortes vorgreifend umgrenzt sind. Die Pragmatik der Metaphern erfüllt sich in dieser anleitenden Funktion, die der Regel folgt, über welche Gegenstände wie zu reden sei. Es handelt sich um eine Wirkungsweise, die sprachphilosophisch als „geregelte Polysemie“ verhandelt wird. Gemeint sind damit diejenigen Sinnressourcen, die faktisch aktualisiert werden, im Gegensatz zu solchen, die im Stadium der „semantischen Virtualität“ und somit in der Latenz verbleiben. Unter Berufung auf SAUSSURE und JAKOBSON hat Ricœur von einem metaphernspezifischen „Sinneffekt“ gesprochen, den die aktuelle Rede vor dem Hintergrund bestimmter Aussagemöglichkeiten hervorbringt. Wir können hier beobachten, wie sich die Zweideutigkeit metaphorischer Wirkung, das Schwanken zwischen Irritation und Konsolidierung, auf pragmatischer Ebene wiederholt. Metaphern begrenzen den Horizont des Sagbaren, und sie öffnen ihn zugleich, indem sie herbeiführen, was ich Redekonsequenzen nenne. Die Wahl einer bestimmten Titelmetapher legt – probaterweise unter Rückgriff auf Antonyme und Gegenbildlichkeiten („Licht“ vs. „Finsternis“, „Sprechen“ vs. „Schweigen“, „Hören“ vs. „Sehen“ …) – implizit fest, was überhaupt gesagt werden kann. Metaphern in Wissenschaft und Philosophie dienen offenbar vor allem diesem Zweck. Sie versorgen, wie THOMAS S. KUHN in vergleichbarem Zusammenhang gesagt hat, den Erkennenden nicht nur mit einer Landkarte – sagen wir: mit der Landkarte des Wissens –, sondern geben auch die Richtlinien vor, wie diese Landkarte zu erstellen sei. In ausgesuchten Fällen kann dieser Effekt dazu führen, die Redekonsequenz zu totalisieren und das Geschehen der Welt überhaupt als Erfüllung der einen Metapher zu sehen: als Auftritt blitzhafter Erscheinungen (mithin als „Keraunologie“), als Aggregation von Räumen („Chorologie“), als Folge von Übergängen (im Sinne einer „Schwellenkunde“ oder „Transitologie“) oder, wie Roland Barthes mit Blick auf das „Gewebe“ des „Textes“ gesagt hat, als „Hyphologie“. Obgleich „Metaphern“ und „Paradigmata“ nicht einfach gleichzusetzen sind, gestattet es das Szenario Kuhns, den metaphorischen Effekt genauer zu fassen. Man darf hier nicht an jene Bilder denken, die im Sinne musealer Kunstwerke Bedeutung beanspruchen, oder an Wörter, denen das Lexikon ihre Denotation zuweist. Lebendige Metaphern sind niemals Träger einer anderweitig angebbaren Bedeutung, ihr ganzes Sein ist Funktion. Die Rede von der Bildlichkeit der Metapher bestätigt diesen Effekt, indem sie das Muster kenntlich macht, auf dessen Bahnen Redekonsequenzen realisiert und vorangetrieben werden. Metaphern sind keine Landkarten, sondern legen die Richtlinien fest, wie Punkt, Linie und Fläche auf der Karte des Wissens zu verzeichnen sind.
(3) Das Wörterbuch als Konzeption und Idee – Was kann ein Wörterbuch der philosophischen Metaphern leisten? Was darf von ihm erwartet werden? Wer sich einen Baum vorstelle, bemerkt PAUL VALÉRY zu Beginn seiner Leonardo-Studien, der müsse sich auch einen Himmel vorstellen und einen Grund, in dem er den Baum verwurzelt sehe. Die in dieser Szene waltende Logik ist offenbar eine Logik des Bildes, und sie ist zugleich eine Logik der Redekonsequenzen. Metaphern verpflichten.
Das Beispiel führt aber noch auf einen weiteren Punkt, den Aspekt der Elementarisierung. Das metaphorische Spiel artikuliert Wirklichkeitserfahrungen in Denkmustern, die durch und durch anthropomorph sind. Daß es auch in der Welt des Wissens etwas gibt, das wir als „Sehen“ erschließen oder als „Schmecken“ und „Hören“, daß wir auch im „Raum“ der Erkenntnis „Wege“, „Berge“ und „Bauten“ markieren oder „Tiefen“ ermessen, ist immer schon und unabweislich mit Bezug nicht auf irgendwelche, sondern auf menschliche Erfahrungstatsachen, Sinnesleistungen und Proportionsverhältnisse gesagt. Metaphorik, und absolute Metaphorik im besonderen, ist mimetisch. Ihre Appelle an den Horizont der menschlichen Merkwelt führen das Denken an den vertrauten Imaginationsrouten ihrer Figurativität entlang, die das Weltverstehen anleiten und anleiten können, solange sie menschlichen Formaten folgen. Und umgekehrt: Während die Metaphorik die Muster der menschlichen Merkwelt aufgreift, objektiviert sich das Humanum im überschaubaren Bestand verschleißresistenter Sprachbilder und der von ihnen aufgerufenen Modelle. Die figurativen Vorgaben der Metaphorik versichern uns, daß die Welt, selbst wenn wir sie nicht und womöglich niemals vollständig durchdringen werden, vorgreifend als „Maschine“, als „Buch“ oder als „Bühne“ aufgefaßt werden darf, deren Funktionsweisen sie dem Verstehen „blitzhaft“ erschließen, oder daß alles „fließt“ oder alles „steht“, daß die Ordnung der Dinge „sichtbar“ und vielleicht sogar „lesbar“ ist. Infolge dieses Herkunftszusammenhangs, der das Bedürfnis nach Metaphern und zugleich die Überschaubarkeit und Beharrlichkeit dieses Sprachbestandes plausibel macht, ist die Zahl der Titelmetaphern auffallend klein – so klein, daß die Bearbeitung der markantesten Aussagen in einem einbändigen Lese- und Nachschlagewerk Platz findet. Mit der Konzeption und Verwirklichung dieses Wörterbuchs habe ich mich festgelegt und sage: Es sind vierzig.
Warum diese Zahl? Weil, wenn ich so formulieren darf, die Zahl Vierzig semantischen Mehrwert und in diesem Sinne Signalcharakter hat, neununddreißig und einundvierzig aber nicht. Weit davon entfernt, ein Dogma zu sein, schließt die Forciertheit der runden Zahl das Eingeständnis ein, daß ein Rest von Kontingenz nicht zu tilgen ist. Die runde Zahl ist, mit einem Wort, selbst ein metaphorisches Signal. Sie unterstreicht, daß der Kreis der Titelmetaphern, die dem philosophischen Denken geläufig sind, offenkundig begrenzt ist, ohne allerdings genau bezifferbar zu sein. Die faktische Liste der einschlägigen Sprachbilder ist niemals die vollständige Liste, es bleiben immer ein paar Kandidaten übrig. Als Herausgeber bin ich mir der Lücken bewußt – ich erinnere nur an „Arbeit“ oder „Spiel“, an „Jagd“ oder „Werkzeug“, von „Kreis“ und „Kugel“ zu schweigen. Über diese und andere Fälle läßt sich streiten, doch daß Lücken überhaupt bleiben, halte ich in der Tat für unvermeidlich.
Vollständigkeit ist nicht zu erreichen – nicht in der Nomenklatur und erst recht nicht auf der Ebene der speziellen Belege. Aber darauf kommt es auch nicht an. Entscheidend ist vielmehr das Signal, daß die behandelten Metaphern einen Kreis von Gegenständen bilden, dessen Umfang keineswegs beliebig zu erweitern ist. Tatsächlich kann die Titelmetapher dem Anspruch einer kulturellen Tatsache nur genügen, wenn sie identifizierbar bleibt, und das heißt: Es dürfen ihrer nicht zu viele sein, und sie müssen immer wieder vorkommen. Die im Wörterbuch der philosophischen Metaphern versammelten Sprachbilder haben ebendiese Qualität. Die von Blumenberg so genannte Bedingung der „ikonischen Konstanz“ erfüllen, wie sich nun zeigt, nicht nur traditionelle Motive von der Art der „Spur“, der „Grenze“, des „Meeres“ oder des „Traums“, sondern auch vermeintliche Modernismen wie der „Code“ oder das „Netz“. Moderne und Gegenwart partizipieren am Bildbestand der von ihnen abgelösten Kulturformen. Sie zitieren diesen Befund, sie verformen ihn und dehnen die Grenzen seines semantischen Potentials. Gefragt, was Metaphern seien, würde ich deshalb zu einer funktionalen Bestimmung greifen: Metaphern sind Erzählungen, die sich als Einzelwort maskieren.
Warum aber erfolgt diese Zusammenschau in Form eines Wörterbuchs? Die Gattung des Wörterbuchs wird, es ist offenkundig, in diesen Jahren stark und vielleicht übermäßig strapaziert, die ironischen Einwürfe sind verdient. Schon Herder tadelt den Wörterbucheffekt, der für den Autor der Kritischen Wäldchen darin besteht, „die lebenden Sachen“ durch die „tote, entschlafene Letternseele“ zu ersetzen und alles, was lebendige Erfahrung heißt, um der übersichtlichen Ordnung willen beiseite zu setzen. Dieser Standarderwartung einer inventarisierenden Lexikographie, die andernorts Erforschtes zusammenzieht und verwertungsfreundlich aufbereitet, setzte bereits Herder die Idee des „Originalwerks“ entgegen, die Idee einer generativen Lexikographie. Wie exemplarisch bei PIERRE BAYLE oder VOLTAIRE erhebt dieses Wörterbuchkonzept den Anspruch, selbst Primärliteratur zu sein und über die eigene kritische Praxis philosophisches Profil zu entwickeln. Kein Zweifel, daß auch Sulzer diese Erwartung teilte. Die lexikalisch erfaßten Metaphern könnten „auf wichtige Entdeckungen führen“, versichert er, da „der Fortgang der Vernunft sehr von der Vollkommenheit des metaphorischen Theils der Sprache“ abhängig sei.
Nach der Verdrängung dieses emphatisch aufklärerischen Konzepts, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dem nun einseitig auf die Thesaurisierung des positiven Wissens bedachten Modell der Enzyklopädie weichen mußte, haben Ricœur und Davidson den Einwand vorgetragen, daß ein Wörterbuch nicht der Ort sei, um anzugeben, was eine Metapher bedeute. Der Einwand Ricœurs ist, daß Metaphern nicht am Wort hängen, sondern kontextabhängig seien und deshalb im Rahmen ihrer Umgebung analysiert werden müßten; der Einwand Davidsons ist, daß jede Metaphernanalyse – ein klassischer Topos der englischen Poetologie – taste verlange, mithin dem Muster des „Schmeckens“ und „Abschmeckens“ folge. Das Auftreten der Metapher muß demnach als ein schöpferisches Ereignis verstanden werden, das, statt endgültige Einsichten zu verbreiten, immer neue Formen und Wirkungen hervorbringt. Je wohlgeratener und lebendiger die Metapher, so das Argument, desto geringer die Erfolgsaussichten der Denotation und der Lexikalisierung.
Am Ende dieses Vorworts ist klar, was von solchen Bedenken zu halten ist: Sie sind vollkommen berechtigt. Wer die Funktion von Bildfeldern in der Sprache beschreiben will, muß sie, erstens, im Zusammenhang ihrer syntaktischen, semantischen und historischen Voraussetzungen zur Kenntnis nehmen. Ihre besondere Qualität der Begriffsäquivalenz verdankt die Titelmetapher ihrer „systematischen“ Funktion (DIRK WESTERKAMP), die sie immer nur in der bestimmten Umgebung eines konkreten Textes entfaltet. Diese systematische Funktion im bestimmten Kontext ist irreduzibel. Von dem verbreiteten Univerbalismus der metapherngeschichtlichen Praxis, den auch das vorliegende Wörterbuch aufgreift und fortsetzt, lasse sich deshalb niemand täuschen: Er hat pragmatische Gründe – Gründe der Konzentration und der Konvention –, ist aber weder Ultima ratio noch Programm. Blumenbergs späte Bestimmung des Metaphernbegriffs als Fall von Unbegrifflichkeit reagiert auf genau diese Analysebedingung pragmatischer und überhaupt nur auf der Ebene des Pragmatischen tolerierbarer Beschränkung. Das Konzept der Unbegrifflichkeit ermuntert zum Studium der sprachlichen, der situativen, der kulturellen Kontexte, in der die metaphorische Funktion sich systematisch entfaltet, und lenkt überdies die Aufmerksamkeit auf die Emergenz begrifflicher Formen vor dem Hintergrund des Vorbegrifflichen und Unbegrifflichen, des Nichtwissens und des Nichtverstehens. Es tut sich hier ein Kreis vornehmlich sprachphilosophischer, hermeneutischer und kulturtheoretischer Fragen auf, denen die Metaphorologie sich in Zukunft wird öffnen müssen. Und zweitens: Die so ermittelten Sinnbezüge existieren nicht an sich, sondern müssen aus bestimmten Situationen heraus erfaßt und mit anderen, vergleichbaren Situationen konfrontiert werden. In der historischen Rekonstruktion der simultanen Präsenzen treten jene Veränderungen und Verfehlungen hervor, jene Führungen und Verführungen, die den metaphorischen Effekt ausmachen und deren Prägnanz überhaupt erst in der Zusammenschau hervortritt. Metaphernanalyse, die sich in dieser Weise der metapherngeschichtlichen Befunde versichert, ist immer auch Metaphernkritik.
Für die Arbeit am Material kann deshalb die Devise nur lauten: Kontextoffenheit und Interpretationsfreudigkeit sind die Tugenden des Sprachbildforschers. Indirekt sind mit dieser Vorgabe auch die Grenzen markiert, die ein Metaphernwörterbuch – und zumal ein philosophisches Metaphernwörterbuch – im Blick haben muß. Es wird kein allgemeines Kriterium dafür anbieten können, ob eine Metapher für sich genommen „tot“ ist oder „lebendig“ – darüber zu entscheiden, ist Aufgabe der Interpretation; es wird kein Material zusammenstellen für jene Form der Rhetorik, die sich im Sinne Ricœurs als „Waffe des Mißtrauens“ begreift – die metaphernanalytische Praxis stabilisiert nicht Positionen, sondern erschließt Strategien der Stabilisierung; es wird nicht angeben können, wie Sprachbilder produziert werden – Metaphernfindung ist das Privileg der behandelten Texte und Kontexte; schließlich, und vor allem, wird es nicht festsetzen, was die Metaphern nun „eigentlich“ bedeuten – Metaphernanalyse, das ergibt sich aus den rezeptiven Formungen des Materials, ist ein unendlicher Prozeß.
Das Wörterbuch der philosophischen Metaphern weiß sich dem Gattungsverständnis der Aufklärung verbunden, demzufolge ein Wörterbuch, statt lediglich zu ordnen, mit eigener Stimme spricht. THEODOR W. ADORNO (im Vorwort zu seinen Stichworten von 1969) und auch Barthes (in seiner Eröffnungsvorlesung über das Neutrum) haben die ungebrochene, ja gesteigerte Aktualität dieses Wörterbuchtyps erläutert. Er bietet nicht Definitionen, sondern, so Barthes, „Szintillationen“. Der damit formulierte Anspruch ist gewaltig, und bei einseitiger Verschärfung untergräbt er sogar, wie das Ende der zwanziger Jahre entstandene Dictionnaire critique der Autorengruppe um GEORGES BATAILLE und MICHEL LEIRIS gezeigt hat, Anspruch und Idee des „Wörterbuchs“ selbst. Den Anspruch der Szintillation diskreditiert die avantgardistische Konsequenz der schönen Zerstörung jedoch keineswegs. Tatsächlich können das Aussagepotential und die Textstrategien unbegrifflicher Redeformen in Philosophie und Wissenschaft nur über hochkonzentrierte, auf Repräsentativität bedachte und von der Kenntnis der Texte und Kontexte getragene Lektüren erschlossen werden. Ein philosophisches Metaphernwörterbuch kann nicht lediglich konstatierend vorgehen und einschlägige „Stellen“ einfach auflisten, um sich beispielsweise in der Art einer Blütenlese als Inspirationsquelle für kreative Schreiber zu empfehlen. Es muß immer auch intervenierend, das heißt selektiv und interpretationsfreudig verfahren. Im Gegenzug darf es sich vom assoziativen Spiel der Zitatenschätze ebenso entlastet fühlen wie vom Anspruch einer erschöpfenden Reproduktion der Bestände. Vollständigkeit ist keine metaphorologische Kategorie.
Was dieser Band zu bieten hat, ist eine Folge kleiner, notwendigerweise fragmentarischer Monographien: Die Universalität eines philosophischen Metaphernwörterbuchs kann niemals eine stoffliche, sie muß eine sachliche sein. In diesem Sinne bietet das vorliegende Werk eine prägnante Auswahl von vierzig Titelmetaphern, die es den durch Gewohnheit gemilderten Zufälligkeiten der alphabetischen Ordnung gemäß präsentiert. Seine Einzelbeiträge sind Versuche, und erst die vergleichende Auswertung mag einmal so etwas ergeben wie allgemeine Empfehlungen zur Analyse philosophischer Metaphern. Da einstweilen ungewiß ist, ob solche Rezepturen überhaupt jemals verfügbar sind und ob die Einheitlichkeit metaphorologischer Lektüren überhaupt ein erstrebenswertes Forschungsziel sein kann (Blumenberg und Davidson haben dies mit Grund bezweifelt), hat das Wörterbuch der philosophischen Metaphern auf programmatische Vorgaben für seine Autoren von vornherein verzichtet. Entstanden ist ein Dokument metaphernanalytischer Vielfalt, dessen Geschlossenheit nicht durch die Verpflichtung auf eine bestimmte Methode sichergestellt ist, sondern durch die Gemeinsamkeit der Perspektive. Im Blick auf seine Metapher ermittelt und erläutert jeder Beitrag die speziellen Leistungspotentiale, indem er eminente Verwendungsweisen aufgreift und ihnen bis heute nachgeht. Auch hier setzt nicht die Vollständigkeit das Maß, sondern die Aufschlußkraft der Fragestellung, die in der allgemeinsten Formulierung lautet: Was leisten Metaphern in Philosophie und Wissenschaft? Wie agieren Metaphern in Texten, vornehmlich in der Textwelt der Philosophischen Bibliothek? Auf welche Weise präparieren Metaphern Aussagen? Inwieweit und in welcher Funktion sind sie beteiligt an der Strukturierung, an der Steuerung und Erzeugung des Wissens? Wie bestimmen sie das Weltverhältnis des Menschen, sein Handeln, sein Verhalten, seine Einstellungen, seine Erfahrungen und Erwartungen?
Die Beantwortung solcher Fragen verlangt nach einer schöpferischen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, die seinen Appell aufnimmt, aus der Distanz des Analytikers auf ihn eingeht und sich den Anforderungen des Interpretierens stellt. Der Umgang mit dem Bestand der absoluten Metaphern verlangt, wie schon die sprachinteressierten Denker des 18. Jahrhunderts wußten, jenen Geist, der im Französischen esprit heißt und der älteren, nichttrivialen Bedeutung des Wortes „Witz“ entspricht. Metaphern, das macht sie philosophisch interessant, geben zu denken. Für das Wörterbuch der philosophischen Metaphern ist der Schluß, der sich aus diesen Voraussetzungen ergibt, klar und unmißverständlich: Es ist und kann nur sein das Werk seiner Autoren und Leser.
Mit Freuden komme ich der Verpflichtung nach, all denen Dank zu sagen, die das Wörterbuch der philosophischen Metaphern ermöglicht haben. Von Anfang an hat Werner Oechslin das Vorhaben mitgetragen, ich erinnere mich gern an leidenschaftliche Debatten mit ihm und den Kollegen an der ETH Zürich. Wiederholt hat mich der Wilhelm Weischedel-Fonds in meinen Plänen bestärkt und, wie auch die FAZITStiftung, einen finanziellen Zuschuß gewährt. Verständnisvoll Anteil genommen haben auch die Kollegen und Mitarbeiter in Kiel, allen voran Dirk Westerkamp, dessen Unterstützung für das Gelingen des Unternehmens entscheidend war. Bei der Bewältigung der redaktionellen Aufgaben haben mir Bernd Villhauer vom Verlag, meine Mitarbeiter Kristina Kuhn, Eike Kathleen Beall, Nikolai Mähl und Tobias Schmidt sowie Claudia Brede-Konersmann als gewissenhafte Lektorin und kluge Ratgeberin zur Seite gestanden. Mein besonderer Dank gilt den Autoren, die ihre Zusagen auch unter widrigen Umständen eingehalten haben und denen das Verdienst zukommt, das Wörterbuch der philosophischen Metaphern mit ihrem Mut, ihrer Kompetenz und ihrem Engagement verwirklicht zu haben.