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2.2 Ansprache von Pastor Franz Hildebrandt5

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„Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen sehnen sich nach Dir.“ (2. Chron. 20,12)

Im Mai 1932, ein paar Monate vor Hitlers Machtergreifung, stand Dietrich Bonhoeffer auf der Kanzel der Dreifaltigkeitskirche in Berlin und predigte über diesen Text. Er war damals Studentenpfarrer der Technischen Hochschule neben seiner Privatdozentur an der Universität. Der Text hat ihn lange zuvor und lange hernach beschäftigt, und heute dürfen wir ihn brauchen als die Überschrift zu dem Bilde seines Lebens, das uns vor Augen steht. Wir hätten unsern Freund und Bruder schlecht verstanden, wenn wir uns hier ins Biographische verlieren wollten; aber die persönliche Erinnerung mag die Illustration abgeben zu dem Wort, das im Zentrum seines Denkens stand und in dessen Dienst er sich vermehrt hat.

Er stammt aus akademischem Haus, und zum Akademiker schien er geboren. Der Gelehrtentradition seiner Väter, der Bildung und Kultur seiner Familie hat er sich nicht geschämt, und die theologische Mode der Humanistenverachtung hat er nie mitgemacht. Er kannte seine Klassiker in Kunst, Musik und Literatur, ehe er sie kritisierte: er wußte zu lesen und zuzuhören, ehe er ein Urteil abgab, in der Dissertation über die Sanctorum Communio und der Habilitationsschrift über „Akt und Sein“, geschah es mit einem Grad von Reife und einer Kraft der Konzentration, die es fast unglaubhaft machten, daß der Verfasser eben erst 21 oder 24 Jahre alt war. Sie konnten stolz auf ihn sein zu Hause in der Wangenheimstraße, stolz auf ihn wie auf seine älteren Brüder, von denen einer sein Los geteilt, einer jung im vorigen Krieg gefallen und nur einer noch am Leben ist, bis zur Stunde in Unkenntnis über Dietrichs Schicksal …

„Wir wissen nicht, was wir tun sollen.“ Vor dem jungen Theologen stand das Problem des christlichen Lebens und Handelns. Vorläufige und konventionelle Antworten befriedigten ihn nicht. Mit sokratischer Gründlichkeit fragte er weiter, wo die anderen aufhörten; und sein Fragen teilte sich den Schülern mit. Es zeigte sich sehr bald, daß seine eigenste Begabung auf erzieherischem Felde lag. Die Konfirmandenklasse im Berliner Norden, mit der er drei Monate lang in engster Gemeinschaft hauste, war das Vorspiel zu Plänen, die später im Seminar von Finkenwalde ihre Verwirklichung fanden. Dazwischen, wenn er nur gewollt hätte, hätte eine gesicherte und glänzende akademische Zukunft ihm offen gestanden.

Stattdessen ging er nach London. Es war nicht die erste Tätigkeit im Ausland; er war als Vikar in Barcelona und als Austauschstudent und -dozent in New York gewesen. Wichtige ökumenische Fäden hatten sich geknüpft. Aber die Abreise im Herbst 1933 war doch von besonderer, demonstrativer Bedeutung. Sie bezeichnete den klaren Bruch mit der Kirche des Dritten Reichs. Als er sich weigerte, unter falscher Flagge zurückzusteuern, sagte ihm einer der neuen Amtsträger: „Was seid ihr doch für komplizierte Menschen!“ Er kannte Dietrich Bonhoeffer schlecht. Seine Kompliziertheit war nicht von der Art, daß sie ihn zwischen Recht und Unrecht schwanken ließ. Seine Vertiefung in das ethische Problem war keine selbstgefällige Freude an der Problematik dialektischer Theologie. Das Suchen mußte aus Ziel führen, das Fragen erlangt Antwort.

In den 18 Monaten, die er in London verbrachte, begann die endgültige Klärung seines Kurses. Von dem, was er als Pfarrer von St. Pauls und Sydenham getan hat, muß an anderer Stelle berichtet werden; seine Gemeindemitglieder, die unter uns sind, wissen alle, wie die kurze Spanne seines Wirkens in ihre Geschichte eingegriffen hat, und wer als Gast mit ihm in Forest Hill gewohnt hat, kann diese Zeit nie vergessen. Eine Predigt ist mir deutlich im Gedächtnis, die er damals am Totensonntag hielt über den Text: „Aber sie sind im Frieden“, und in der er den Fall eines Patienten erzählte, der von den Ärzten aufgegeben und bewußtlos, schwebend zwischen Tod und Leben und gleichsam über die Grenze schauernd ausrief: „Gott, ist das schön!“ In manchen Gesprächen jener Tage erklärte er, daß es eigentlich genug für einen Christenmenschen sei, 36 oder 37 Jahre alt geworden zu sein.

So bleibt er ökumenisch in seiner Haltung, stärker vielleicht als irgendein anderer deutscher Theologe seiner Generation; so weigert er sich, aktiv mit der Waffe in den zweiten Weltkrieg einzutreten, so erneuert er die Verbindung mit den englischen Brüdern, als schon die Grenzen geschlossen sind und Reisen ins neutrale Ausland gefährlicher werden als je. Das Dilemma der deutschen Christenheit in ihrer Isolierung wird immer ärger; wie in der Geschichte von Samson droht eines Mannes Arm das ganze Haus mit sich zu Fall zu bringen; und draußen rührt sich mit seltensten Ausnahmen, keine Stimme, die verstände, und keine Hand, die hilft. Politische Aktion wird unvermeidlich. „Warum“, so hat Dietrich bei seinem letzten Besuch hier gefragt, „sollen immer nur die schlechten Leute Revolution machen?“

In diesem Kampf setze er, wie sein Bruder, seine Schwäger, seine Freunde, alles aufs Spiel. Der Ausgang war zumindest ungewiß, nicht nur für die Person, sondern für die Sache. Der Bischof hat von den apokalyptischen Tönen gesprochen, die in seiner letzten Stockholmer Unterredung mit ihm anklangen; der Untergang Deutschlands, ja Europas, schien ihm zur Gewißheit geworden. Aber auch jetzt noch und gerade jetzt behielt das Wort seine Geltung: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen sehen nach Dir.“ Auch die letzten zwei Jahre im Gefängnis und in der unerwarteten Möglichkeit der Seelsorge dort, und die letzten beiden Monate seit dem Todesurteil über die zwei Brüder, können ihm nichts anderes gewesen sein als ein neues höheres Stadium der Nachfolge. Von der Gnade des Martyriums hatte er in seinem Buch geschrieben. Und der Text seiner allerersten Predigt war: „Also auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Es ist vielleicht bezeichnend, daß wir wenig gute Bilder von ihm haben; er war den Photographen abhold; und die besten Aufnahmen zeigen ihn im Kreise seiner Eltern und Geschwister, denen er aufs engste zugehörte und die ihn bis zum bitteren Ende begleitet haben: die Eltern zur Gerichtsverhandlung, zwei Schwäger ins Konzentrationslagern und ein Bruder in den Tod. An einem der glücklichsten, freiesten und tapfersten Häuser in Deutschland, das so seiner Kinder beraubt worden ist, zeigt sich in den grellsten Farben, wo die wahren Opfer dieses Krieges zu suchen sind. Uns will Sprache und Hoffnung versagen; wir wissen nicht, was wir tun sollen. Aber laßt uns nicht hier haltmachen, sondern dem Text folgen: unsere Augen sehen nach Dir. In dieser Wendung von der quälenden Frage in die getroste Nachfolge Christi liegt doch das Geheiminis der Person Dietrich Bonhoeffers und sein Vermächtnis an uns. Man kann es an der Entwicklung seines Stils verfolgen, wie von den ersten abstrakten Untersuchungen bis zu den letzten Seiten der „Nachfolge“ alles immer unbeschwerter und einfältiger wird: „Auf diesen nicht einmal hundert Seiten“, schreibt ein Kritiker seiner Genesisauslegung, „steht mehr drin als in vielen dicken theologischen Wälzern; jedes Wort ist überlegt und jeder Satz sitzt.“ Es ist in seinem Leben nicht anders gegangen. Das Joch, das er auf sich nahm, war sanft und die Last seines Herrn leicht, der Blick klärte sich ihm in dem Maße, in dem er auf Jesus sah, hinweg von sich selbst, und was er einst vor Jahren von der Hoffnung des Christen schrieb, ging ihm in Erfüllung: „Er wird, was er war, oder doch nie war, ein Kind.“

Dietrich Bonhoeffer

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