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III.
ОглавлениеDieser Mann hat nun ein Werk hinterlassen, das übersehbar ist. Kein sehr dicker Band ist unter den Büchern. Keine verbesserten und veränderten Neuauflagen sind zu vergleichen und zu studieren. Es beginnt mit sehr gerafften und geschlossenen Arbeiten und endet mit posthumen Fragmenten. Es fängt an mit einer souveränen Fähigkeit zu argumentieren und sich der Fülle der theologischen Gesprächspartner zu stellen und es schließt ab weit vorn bei der ungemütlichen, ungesicherten Vorhut. Es ist schwer, mit dem schwerfälligen Gros zu folgen und die Verbindung nach vorn intakt zu halten.
1. Mit 21 Jahren schrieb er das eben wieder aufgelegte Buch „Sanctorum Communio“, eine strenge dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche. Ernst Wolf, der es wieder herausgegeben hat, sagt davon: Diese Dissertation sei „fast unbekannt geblieben oder es geworden“ aber sie sei „innerhalb der verhältnismäßig geringen Zahl neuerer Monographien zur Lehre von der Kirche wohl die scharfsinnigste und vielleicht tiefsinnigste Behandlung der Frage nach der wesenhaften Struktur der Kirche …“ (SC 5).
Es folgte „Akt und Sein“, die Habilitationsschrift 1930/31… Mit einigen Aufsätzen, der Antrittsvorlesung und der sehr schönen Rede zu Harnacks Begräbnis im Namen von dessen Schülern (1930) bezeichnen diese zwei Bücher die erste Periode. Es sind strenge systematische Untersuchungen – so geschlossen wie schwer lesbar. Aber in beiden wird schon deutlich, wie es Bonhoeffer um die erdhafte, empirische ecclesia geht, die Gegenwart Christi in der damaligen konsistorialen Volkskirche. „Liebe und tiefer dogmatischer Einblick in den Sinn der Geschichtlichkeit der Kirche haben es Luther schwer gemacht, sich von der römischen Kirche loszureißen. Ressentiment und dogmatischer Leichtsinn sollen uns nicht kurzer Hand unsere geschichtliche evangelische Kirche nehmen können“ (SC 166). – „Die Versammlung der Gläubigen bleibt unsere Mutter“ (SC 171). Er fragt nach der Soziologie des Leibes Christi. „Christus als Gemeinde existierend“ (so der ständig wiederkehrende Begriff) hat seine eigentümliche Gestalt mitten unter uns als eine Personengemeinschaft, als Kollektivperson und (leider auch) als ein Herrschaftsverband. Die Offenbarung Gottes ist nichts anderes als Christus mitten unter uns als Gemeinde existierend; diese ist eine Gemeinschaft, in der man stellvertretend für einander da ist. Einige der frühen Freunde Bonhoeffers meinen, Karl Barth sei von dem hier schon bei Bonhoeffer auftauchenden Begriff der „Mitmenschlichkeit“ angeregt worden. Die zentralen Begriffe aus den letzten erregenden Blättern der Gefängniszeit, die Stellvertretung und das Füreinanderdasein, sind hier schon voll entwickelt.
[…]
2. So kreist sein Denken um die Gegenwärtigkeit Christi in der Kirche. Bisher hatte es sein Schwergewicht in der Herausarbeitung, daß Christus in der armseligen empirischen Kirche am Ort gegenwärtig sei. Später wird es sein Schwergewicht haben in der Verantwortung, daß es auch wirklich Christus sei, der da gegenwärtig ist und kein neuer oder zahmer Herr. Das verändert mit dem Wechsel der Atmosphäre für das Theologisieren um 1933 den ganzen Stil der folgenden Periode. Das Predigen rückt in den Vordergrund. Die Schrift wird befragt. Bonhoeffer ist sich nicht mehr sicher, ob er bei der Systematik bleiben soll. Seine ganze Leidenschaft ist bei der Auslegung von Stücken des Neuen und vor allem auch des Alten Testaments. Reich und fruchtbar ist seine Exegese, und es ist zu hoffen, daß aus dieser Zeit noch dies und das zugänglich gemacht werden kann. Das Argumentieren tritt in den Hintergrund; die Stimme Christi zu vernehmen und das Gehörte weiterzugeben, bedarf aller Aufmerksamkeit; und wenn es ans Argumentieren kommt, hat es eine neue gefährliche Schärfe. Stellung beziehen ist kein Spiel mehr, sondern confessio und damnamus.
Diese zweite Periode reicht von „Schöpfung und Fall“ (1934)über die „Nachfolge“ (1937) bis etwa zum „Gemeinsamen Leben“ (1938).
Die alte Frage ist geblieben, was der Leib Christi sei. Und es gibt immer neue Gelegenheiten und Herausforderungen, das zu verstehen und zu beschreiben. Wie er in der Form der Bekennenden Kirche unter den anderen Bekenntnissen der Oekumene existiert (Bonhoeffer trifft als Mitglied der Vorbereitungskommission der Bekennenden Kirche für Oxford 1937 auf die Delegation der Marahrens’schen Reichskirchenregierung). Wie der Leib Christi sich von seinen Verfälschungen im Kirchenkampf befreit. Was seine Lebensgesetze sind im täglichen Leben einer christlichen Gemeinschaft.
„Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“ ist der Aufsatz in der Evangelischen Theologie 1936, der einen Sturm entfesselt hat, entzündet an dem wieder und wieder isoliert zitierten Satz: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche trennt, scheidet sich vom Heil“ (Ev. Th. 1936, S. 231). Gollwitzer stellte kritische Fragen und Bonhoeffer antwortete wieder mit „Fragen“ (Ev. Th. 1936, S. 405ff.). Ich fürchte, er wäre uns heute ein unbequemer Zeitgenosse in der Auseinandersetzung um den Charakter der Evangelischen Kirche in Deutschland.
„Ist die Bekenntnisunion mit den Reformierten für den Lutheraner ein definitiv verbotener Weg? Verbietet es das Wort Gottes ein für allemal, die nicht wegzuleugnenden Lehrdifferenzen zwischen Reformierten und Lutheranern in der Einen Bekennenden Kirche zu ertragen? Oder bleibt gerade für ein rechtes Verständnis der lutherischen Bekenntnisse auch diese Möglichkeit offen für das Wort Gottes selbst? Bleibt sie aber endgültig verschlossen, dann ist die Bekennende Kirche wirklich nicht Kirche, sondern eben eine der vielen genannten Größen, die der Unwahrheit und Verfälschung des Evangeliums Raum gibt …“ (Ev. Th. 1936, S. 409).
Hätte es Bonhoeffer mit angesehen, das Wort „Union“ unter die nicht mehr stubenreinen Begriffe fallen zu lassen?
In dem anderen Aufsatz, „Die Bekennende Kirche und die Oekumene“ (Ev, Th. 1935, S. 245–261), trägt er seine Sorge vor, daß wir den Schritt Christi mit seinen zertrennten Kirchen verpassen könnten, im Zurückbleiben oder auch im Vorschnellen, mit Subtraktion- und Additionsverfahren. Nicht eine etwa endlich gefundene und zu beschließende Lösung der alten Differenzen, die einmal unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden sind, bringt die Einheit voran, sondern daß die Getrennten in einer gegenwärtigen Not und Herausforderung den Namen Christi gemeinsam aussprechen – und dieses dann allerdings dankbar wahrhaben wollen.
„Die Bekennende Kirche ist die Kirche, die nicht aus ihrer Reinheit, sondern in ihrer Unreinheit lebt – die Kirche der Sünder; die Kirche der Buße und der Gnade, die Kirche, die allein durch Christus, allein durch die Gnade, allein durch den Glauben leben kann. Als solche Kirche, die täglich in der Buße steht, ist sie Kirche, die ihre Schuld an der Zerrissenheit der Christenheit bekennt … sie ist frei für das Hören auf den anderen, der sie zur Buße ruft … Weil diese Kirche nicht aus sich selbst, sondern von außen her ihr Leben empfängt, darum existiert sie immer schon in jedem Wort, das sie sagt, von der Ökumene her. Das ist ihre innerste Nötigung zur ökumenischen Arbeit“ (S. 260).
3. Die letzte Periode, die unter dem Veröffentlichungsverbot der Reichsschrifttumskammer stand und deren Manuskripte und Blätter im Schreibtisch verborgen, zeitweise bei der Gestapo lagen oder unter Dachziegeln geschoben überdauerten, hat nun posthum eine überraschende Wirkung hervorgerufen, zunächst durch die Briefe, dann durch die fragmentarische Ethik.
Ich habe viermal einen kräftigen Rumor um Bonhoeffer miterlebt. Da war der Rumor um den Satz vom Heil in der Bekennenden Kirche – man hielt Bonhoeffer für einen kompletten Schwärmer. Da war der andere um die teure Gnade – man hielt ihn für einen finsteren Pietisten. Da war der Rumor um die „Feindkontakte“ – man hält ihn für einen Hoch- und Landesverräter. Und nun der um das religionslose Christentum – auf einem Pfarrkonvent meinte ein wohlwollender Pfarrer: man dürfe doch hoffen, daß Bonhoeffer ganz am Ende zu seinem Glauben wieder zurückgefunden habe.
Der erste Rumor hat einmal viel Druckerschwärze beansprucht, er ist eingeschlafen, es ließe sich manches wieder aufwecken. Der zweite ist durch die neueren überdeckt, aber es ist doch gut zu wissen, daß der letzten Periode dies vorangegangen ist, wie eben Luthers Entdeckung der puren Gnade der bittere Kampf um den gnädigen Gott voranging. Der dritte bedarf aufmerksamer Beobachtung; er könnte sich festsetzen, nachdem der Vorsitzende im Braunschweiger Remer-Prozeß sein Entsetzen über den konspirierenden Pfarrer mit breitem Presseecho geäußert hat und nachdem Huppenkothen und Thorbeck, zwei Standgerichtsmitglieder aus der Nacht zum 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg, zunächst haben freigesprochen werden können. Wenn eine Gemeinschaft ihr Haus mit dem Namen Bonhoeffers nennt, sollte sie dafür besonders bedankt sein, wenn das in Richtung gegen den dritten Rumor eine Stellungnahme sein darf.
Der vierte ist nun in Gang gekommen und geht erst seiner vollen Stärke entgegen. Die einen spüren, daß ihnen eine große Befreiung ihres Glaubens an Christus durch Bonhoeffers Vorstoß widerfährt. Andere möchten ihm am liebsten einen Vorwurf machen, daß seine briefliche Meditation abbricht, als es gerade verspricht, aufregend und konkret zu werden: „Ich freue mich … schon, das Positive schreiben zu können“, ist sein letzter Satz zum Thema (WE 268). Ich habe lange Jahre gezögert, ehe ich den Mut fand, Auszüge aus den Briefen zu veröffentlichen. Zunächst dachte ich nur daran, die streng theologischen Entwürfe zugänglich zu machen. Aber ich merkte, daß es nötig war, sie in ihrer brieflichen Umgebung erscheinen zu lassen. Denn es sind Briefe, es sind nicht Diskussionsbeiträge. Das mag ihre Schwäche sein, es ist ebenso ihre Stärke. Diskussionsbeiträge kommen aus einem Lager und versuchen, Breschen in den Zaun des anderen Lagers zu reißen. Briefe aber reden von Person zu Person, und es ist schwerer, sich ihnen zu entziehen. Sie bitten und raten, sie drängen um Hilfe und suchen die Stelle, wo einer des neuen Wortes bedarf. Beiträge aber kommen mit der Diplomatie der Wissenschaft daher, die keine Blöße zeigen darf. Die Briefe sind unbekümmert um Sicherung und Allgemeingültigkeit und suchen den Menschen am gegenwärtigen Ort, in der gegenwärtigen Zeit und in den gegenwärtigen Umständen. Ein Professor hat mir geschrieben, „Widerstand und Ergebung“ läge als ein Brevier auf seinem Nachttisch. Das tut man nicht mit Dissertationen und kaum mit Episteln, aber mit Briefen, und sie setzen die Erkenntnis mächtiger in Bewegung als jene. Bonhoeffers Briefe gehen wohl einmal bis an die Grenze der Epistel, als er sich entschuldigt, daß er unversehens in die unleserliche deutsche Handschrift verfallen sei, die er nur anwende, wenn er für sich allein arbeite (WE 185 und 268). Bonhoeffer hat nicht die Form der Epistel gewählt, um in ihr eine Abhandlung besonders geschickt einzukleiden. Er hat Briefe hinterlassen, die um Rat und Hilfe in einer sehr dringenden Sache bitten und die uns an einer gegenwärtigen, gebundenen Stelle frei machen wollen. Da ist kein Katheder zwischen ihm und den Lesern und auch kein Talar. Man kann nur sagen, der Brief ist nicht an mich gerichtet, er betrifft mich nicht – oder man hört seine Stimme und dann begleitet sie einen in den Aufgaben, die er schon gesehen hat, und denen zehn Jahre Restauration nichts an Dringlichkeit haben nehmen können.
Wer Christus in einer religionslosen, mündigen Welt sei, diese Frage hat er zurückgelassen. Wie diese Frage wieder in seinen Lebensumständen, in dem Kontakt mit angespannt tätigen Menschen verwurzelt ist, zeigt ein Brief, der mir jetzt wieder in die Hände fiel:
„25.6.42 (im D-Zug Berlin-München): … Meine in der letzten Zeit doch stark auf dem weltlichen Sektor liegende Tätigkeit gibt mir immer wieder zu denken. Ich wundere mich, daß ich tagelang ohne die Bibel lebe und leben kann – ich würde es dann nicht als Gehorsam, sondern als Autosuggestion empfinden, wenn ich mich dazu zwingen würde. Ich verstehe, daß solche Autosuggestion eine große Hilfe sein könnte und ist, aber ich fürchte auf diese Weise eine echte Erfahrung zu verfälschen und letzten Endes doch nicht die echte Hilfe zu erfahren. Wenn ich dann wieder die Bibel aufschlage, ist sie mir neu und beglückend wie nie, und ich möchte einmal wieder predigen. Ich weiß, daß ich nur meine eigenen Bücher aufzuschlagen brauche, um zu hören, was sich gegen dies alles sagen läßt. Ich will mich auch nicht rechtfertigen, sondern ich erkenne, daß ich „geistlich“ viel reichere Zeiten gehabt habe. Aber ich spüre, wie in mir der Widerstand gegen alles „Religiöse“ wächst. Oft bis zu einer instinktiven Abscheu, – was sicher auch nicht gut ist. Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muß ich immerfort denken; an Echtheit, an Leben, an Freiheit, und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich. Verstehst Du? Das sind alles gar keine neuen Gedanken und Einsichten; aber da ich glaube, daß mir hier jetzt ein Knoten platzen soll, lasse ich den Dingen ihren Lauf und setze mich nicht zur Wehr. In diesem Sinne verstehe ich eben auch meine jetzige Tätigkeit auf dem weltlichen Sektor.“
Zum Thema selbst einige Hinweise.
a) Zunächst sollte man den früheren Bonhoeffer nicht von dem letzten trennen und jenen etwa löschen, im Namen eines neuen Programmes: „Nicht-religiöse Interpretation“. Das meiste, was er jetzt sagt, ist – wenn auch nicht so scharf erfaßt – in früheren Schriften schon angesetzt. Es geht dem Bonhoeffer dieser letzten Periode um die gleiche kostbare Gegenwärtigkeit Christi wie dem der ersten und zweiten. Es sind keine Sorgen der Exegese und der Interpretation zunächst, die einer am Schreibtisch hat, sondern Bonhoeffer ist von der brennenden Glaubens- und Lebensfrage getrieben, „wer Christus für uns heute eigentlich ist“ (WE 178). Das bedeutet aber, daß man nicht darauf hoffen kann, die Forderung der „nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe“8 (WE 233) am Schreibtisch zu erfüllen. Es wird kein Nachschlagewerk geben, in dem man alles Nötige auf „weltlich“, auf „nicht-religiös“ nachsucht, wenn man eine wirksamere Evangeliums-Crusade unter Modernen zu starten gedenkt. Zunächst wird mehr zu zahlen sein als ein monatlicher Subskriptionspreis. Bonhoeffer hat selbst deutlich genug gemacht, daß seine Frage eine an die Existenz der Kirche ist und erst dann eine an ihr „Gedächtnis“, die Theologie (AS 124). Das allzu ungeduldige Fragen, was Bonhoeffer wohl gemeint haben könnte, will es aber umgekehrt. Wir werden hier gewiß nicht wissen, was wir nicht tun. Rezepte werden erst aufgeschrieben, nachdem man das Kochen probiert, hat. Es ist nicht ausgemacht, wer hier Kompetenteres zu sagen hat: das Katheder oder ein Versuch wie etwa Mainz-Kastel.
b) Der Terminus „die mündige Welt“ hat Zweifel und Fragen hervorgerufen. Die Analyse stimme nicht zu unserer Umgebung und Bonhoeffer führe eine neue Anknüpfungstheologie herauf, nun mit einem negativen Anknüpfungspunkt, dem negativum absolutum.
Bonhoeffer hätte sicher nicht bestritten, daß es noch einen zähen Bestand an „Religion“ um ihn herum gab: auch ohne daß er die späteren Restaurierungen und die erstaunlich erwachten religiösen Geborgenheitsbedürfnisse noch miterlebte! Er weiß auch einiges über die ungeheuerlichen Entmündigungsversuche moderner Staaten zu sagen, wie man leicht in der „Ethik“ feststellen kann. Ebenso hat er kaum die Selbstverständlichkeit übersehen, daß Christus auch Herr der Religiösen ist und sein wird. Er hat auch nicht lieblos Altes zerbrochen, wo es noch lebt. Welche Rolle spielen in den Briefen die Paul-Gerhardt-Lieder! Aber er möchte in der Mixtur und der Verzahnung der Zeitalter mit Christus offene Augen für die neuen Ströme haben. Und er meint eben, daß von Feuerbach und Marx her eine Welt schon heraufgekommen ist, der man im Namen Christi keine „religiösen Bedingungen“ stellen und der man nicht mit der ausgesparten religiösen Provinz kommen kann. Nicht um ihrer willen, sondern um Christi willen. Bonhoeffer hat sehr genau um die Gefahren des „Anknüpfungspunktes“ gewußt und diese moderne Welt nicht ernster genommen, als ihr zukommt. Aber er wollte nachkommen, wie und wo Christus sie ernst nimmt und dahinter möglichst wenig zurückbleiben. Es scheint mir wichtig, zu beobachten, daß Bonhoeffer nie mehr das Wort „Säkularisierung“ gebraucht. Er spürt in dem häufigen Gebrauch dieser Formel das Rückschauen der Kirche in eine goldene Zeit, das nur Schwäche ist. Darum redet er nur noch von der „Mündigkeit“ der Welt. Mit Christus ist er fähig, ohne Romantik und Betäubung gegenwärtig zu sein. Und er ist schon darauf gespannt, wie Christus seinen merkwürdig ohnmächtigen Angriff auf die militant mündige Welt auszuführen beginnt. In den letzten Lebenstagen ließ er sich von einem Mitgefangenen, einem Neffen Molotows, Russisch beibringen und er lehrte diesen, was das Christentum sei!
c) Was mag er diesem Manne gesagt haben? Ob es sich wohl ablesen läßt an den entscheidenden Stellen der Briefe? Ob dort nicht doch schon die Ansätze der nicht-religiösen Interpretation sichtbar sind? Da, wo er den großen Sprung vom Glauben an den Deus ex machina zu der Teilnahme an der Ohnmacht Gottes in der Welt vollzieht? An dem Gedicht „Christen und Heiden“ hat ihm viel gelegen. Er meinte, daß es in Kürze alles aussage: „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not …“ – „Menschen gehen zu Gott in Seiner Not …“ (WE 246f.). Christ werden heißt nun nicht mehr, an die eigenen Fragen und Ängste denken, sondern sich mit Christus in die gottlose Welt hineinbegeben und ihre Gottferne teilen, „sich in den Weg Jesu Christi mit hineinreißen lassen“ (WE 244). Das erst verwandelt die Oster-Repetition in ein Oster-Kerygma. Bonhoeffer gewinnt hier eine seltene, unorthodoxe Freiheit, mit neuen und zwingend einfachen Worten von der Person Jesu zu reden, ohne einen Augenblick den Anschein zu erwecken, als wäre dieser etwa nicht sein Gott. „Bonhoeffer war einer der sehr wenigen Menschen, die ich jemals getroffen habe, für die Gott real und immer nahe war“, erzählt Payne Best, ein englischer Genosse seiner letzten Tage, der vorher nichts von ihm gewußt hatte.
[…]
d) Endlich noch eine Bemerkung zu dem wiederholten Hinweis Bonhoeffers auf die Arkandisziplin, die altkirchliche Geheimhaltung des zentralen Gottesdienstes vor Außenstehenden (WE 180, 184). Sie gibt uns Rätsel auf und man kann sie leicht übersehen. Ich glaube aber, daß sie kein Feldweg neben der Hauptstraße ist … Es ist der Gedanke, der u.a. schon hinter der Formel von der billigen und teuren Gnade steckte. Es ist der Gedanke, daß die Kirche durch Zeiten des Schweigens zu gehen habe, da sie nur noch im Beten und Tun des Gerechten lebt (WE 207) …
Der Schutz des Zentralen vor der Profanierung im Arkanum heißt bei Bonhoeffer nicht die Errichtung einer unangreifbaren – nun doch wieder, religiösen Provinz. Das Bruderhaus in Finkenwalde war gerade kein refugium vor der Welt, sondern eine konzentriertere Ermöglichung eines Dienstes in und für die Welt. Bonhoeffer hatte keinen besonders ausgeprägten Sinn für Weihehandlungen. Nur „wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“, hat er mir in jenen Jahren einmal gesagt. Und vergessen waren die Sätze nie, die in einem Vortrag 1933 stehen („Dein Reich komme“ aus: Das kommende Reich, Furche-Verlag 1933 S. 29):
„Hinterweltlerisch sind wir, seit wir den bösen Kniff herausbekamen, religiös, ja sogar ‚christlich‘ zu sein auf Kosten der Erde. Im Hinterweltlertum läßt es sich prächtig leben. Man springt immer dort, wo das Leben peinlich und zudringlich zu werden beginnt, mit kühnem Abstoß in die Luft und schwingt sich erleichtert und unbekümmert in sogenannte ewige Gefilde.“
Nein, kein Rückzug, aber die Verantwortung, die kostbare Perle um der Welt willen nicht zu verschleudern. Die Verantwortung um den Zeitpunkt, um das „suum cuique“ (Ethik, 99) auch in der Verkündigung, um die Ermächtigung und die Besorgnis darum, daß nicht jedes Wort jederzeit in jeden Mund und vor jedes Ohr gehört. Jesus hat so oft geboten, zu schweigen, und an bestimmten Punkten nur drei Jüngern aus den vielen zugemutet, mit ihm zu sein.
Wie der frühe und der späte Bonhoeffer nicht zertrennt werden dürfen, so darf man auch nicht die Dialektik auflösen zwischen dem Bonhoeffer der Arkandisziplin und dem, der sich an die Welt verschwendet. Wer den einen für sich in Anspruch nimmt, soll nachdrücklich an den anderen erinnert werden. Man hörte nicht das Christuszeugnis, das er gibt. Man würde nicht einmal seine Persönlichkeit in ihrer Wirkung verstehen können, wenn man nicht die Existenz eines Arkanum in diesem Leben annähme und spürte, das jedem Dozieren und jeder geschwätzigen Ausbreitung entzogen blieb. Eben darum war er ja der gute Lehrer, weil so wenig an ihm dozierte; deshalb der gute Überzeuger, weil er die eigene Entscheidung nicht jedem zumutete. Er konnte sehr eindringlich sein, aber nie zudringlich. Die Offenheit und die Fähigkeit, jedem Menschen zuzuhören, hatte ihre Kraft gerade aus einem sensiblen Gefühl für die Distanz.