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1. Einführung der Herausgeber

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1.

Dietrich Bonhoeffer wurde am 4. Februar 1906 geboren; nicht einmal 39 Jahre alt fand er den Tod im Morgengrauen des 9. Aprils 1945 im Konzentrationslager von Flossenbürg, von einem SS-Standgericht hingerichtet am Galgen. Diese Lebensdaten sind immer wieder Anlass für ein Bonhoeffer-Gedenken. Der protestantische Theologe und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hat heutzutage ein öffentliches, ein kirchliches und theologisches sowie ein gesellschaftliches und politisches Interesse erweckt, das Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Menschen mit anregender Aufmerksamkeit wahrnimmt. Die Bedeutung Bonhoeffers geht weit über den Raum der Kirche hinaus, theologisch hat er eine weltweite, auch die katholische Lehre inspirierende Anerkennung, dem Frieden Christi zu leben, erfahren. Seine Wahrnehmung aber gibt Anstöße im weiten Sinne des Wortes: erweiternde Anregung vs. anstößige Ablehnung.

Anstößig war Dietrich Bonhoeffer, weil er seine theologische Existenz, die Bibelauslegung und seine christliche Botschaft auf seine Erfahrungswelt der Politik, Kirche und Geschichte richtete. Er wollte die „Relevanz“ seiner Erkenntnisse an der Wirklichkeit messen, d.h. Stellung nehmen, verändern und reformieren. Bis zum Äußersten verlangte er Wahrhaftigkeit im Denken und Handeln. Das fasziniert an seinem Tun.

Historisch erklärt sich manches, warum Kirche und Christen mit Bonhoeffer nicht ins Reine kamen, war er doch ihr Mahner und Kritiker schon vor dem Beginn des NS-Regimes 1933. Dessen menschenverachtende Ideologie und menschenvernichtende Politik des hochmütigen und herrischen Rassismus erspürte er früh – berühmt sind seine Worte gegen Antisemitismus und den sog. ‚Arierparagraphen‘, man müsse dem Rad in die Speichen fallen. Für die Kirche wurde Bonhoeffer anstößig, weil er in der Lage war, die Zeichen der Zeit zu deuten. Daher lehnte er die Kooperation der Deutschen Christen mit dem Nationalsozialismus ab. Der große Erfolg eines protestantischen Gegenentwurfs im Predigerseminar in Finkenwalde blieb Bonhoeffer letztlich versagt; dieser Ansatz lässt jedoch Geist und Format einer tiefen Christlichkeit erkennen.

Anstößig wurde Dietrich Bonhoeffer besonders durch seine Tätigkeit im aktiven Widerstand gegen das NS-Regime, als er den Kampf gegen ein Regime des Unrechts, das die von Gott gegebene Ordnung verletze, aufnahm und so am Ende als Märtyrer aus dem Leben schied. Seine Friedenstheologie auf dem Fundament der Bergpredigt ist grundlegend christlich, auch wenn die Berührungen zum aktiven Pazifismus eines Mahatma Gandhi spürbar sind. Doch für die Vertreter der Kirche war Widerstand gegen den Staat in den vierziger Jahren nicht zulässig – und diese Haltung währte lange Jahrzehnte fort. So versteht sich, wie schwer es nach dem Weltkrieg der Kirche fiel, Bonhoeffer als Christenmensch und als Theologen der Bekennenden Kirche anzuerkennen.

Bonhoeffers programmatische Worte aus der Haft am Ende seines Lebens: „Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie Kirche für andere ist“ können nicht nur als Vermächtnis und Auftrag für uns heute verstanden werden, sondern sind zugleich auch Mahnung für die verfasste Kirche, immer neu nach ihrem Grund in Jesus Christus zu fragen. Theologie und Leben Dietrich Bonhoeffers haben eine Strahlkraft für alle Menschen, die sich in christlicher Gläubigkeit „von guten Mächten“ geborgen fühlen.

2.

Das Werk Dietrich Bonhoeffers umfasst in der gegenwärtig zugänglichen Gesamtausgabe1 17 Bände mit ca. 12.000 Seiten. Hinzu kommen noch einige Zusatzbände. Die Sekundärliteratur ist schon im deutschsprachigen Raum kaum noch überschaubar, jedes Jahr werden neue Nachträge veröffentlicht.

Es versteht sich daher von selbst, dass in diesem Band in der Reihe „Neue Wege der Forschung“ nur ein allerkleinster Ausschnitt des Werkes Bonhoeffers und seiner Interpretation von Theologen und Nicht-Theologen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als erste Einführung in Bonhoeffers Denken und Leben (der Zusammenhang von „Leben und Werk“ ist bei Bonhoeffer besonders wichtig) geboten werden kann. Oft mussten wir schmerzhafte Kompromisse machen, was die Auswahl der Texte und vor allem auch, was Kürzungen in der Literatur über Bonhoeffer anbelangt. Bei den Originaltexten Bonhoeffers haben wir allerdings nicht gekürzt, denn es ist in sich schon eine Auswahl, die weitere Kürzungen um des Gesamtzusammenhangs willen nicht sinnvoll erschienen ließ. Die Kürzungen, die wir bei den Fremdtexten vornehmen mussten (in den Herausgeberanmerkungen in den meisten Fällen auch quantitativ ausgewiesen, wenn es mehr als 10 %, im höchsten Fall aber 50 % waren) wurden nach folgenden Gesichtspunkten getroffen:

a.

Situationsbedingte Erläuterungen bzw. Veranschaulichungen von theologischen Grundaussagen, die gegenwärtig für den Leser nicht mehr gut nachvollziehbar sind (z.B. wenn situativ zur Veranschaulichung eines Gedankens Bonhoeffers auf in einer bestimmten Zeit (etwa die Biafra-Krise in den sechziger Jahren) höchst aktuelle Zusammenhänge verwiesen wird, die heute jedoch obsolet sind).

b.

Theologische Spezialdiskussionen, die innertheologisch ein wissenschaftliches Zeitgespräch aufgreifen und einen (heute manchmal nur noch schwer nachvollziehbaren) theologischen Expertenstreit betreffen.

c.

Die in manchen Artikeln anzutreffende Überfülle an klugen Anmerkungen mit vielen Nebenthemen und Sonderproblemen, die auch nur wieder für den Spezialisten und akribischen Experten interessant sind. Das betrifft in den Anmerkungen auch die Fülle an Hinweisen auf weitere Literatur, wissenschaftliche Expertendiskussionen usw. Zeitgebunden waren diese Hinweise in den Anmerkungen zwar um der Korrektheit der eigenen Positionsbestimmung (gegenüber anderen Positionen) wichtig, haben sich aber heute oft überholt und sind vor allem für den ersten Einstieg in die Theologie und das Leben Bonhoeffers nicht so wichtig.

3.

In diesem Buch wollen wir eine erste Einführung in Bonhoeffers Denken und in die Bonhoeffer-Interpretation bieten. Wir haben an Leserinnen und Leser gedacht, die nach einem ersten Zugang zu Bonhoeffers Leben und Denken suchen. In der Suche nach der Auswahl der Texte Bonhoeffers und seiner Interpreten haben wir uns daher von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

a.

Die Originaltexte Bonhoeffers sind sog. „klassische“ Texte, die immer wieder in der Literatur zitiert werden. Das betrifft z.B. den berühmten „Entwurf für eine Arbeit“ (bei uns unter 7.1 abgedruckt), aus seinen Gefängnisbriefen „Widerstand und Ergebung“ und über die „Neugestaltung der Kirche nach dem Kriege“. Es gibt kaum Texte, in denen nicht kontrovers darauf Bezug genommen wird. Das betrifft aber auch Texte aus anderen klassischen Werken wie „Nachfolge“, „Bergpredigt“ und die „Ethik“.

b.

Wir verhehlen dabei nicht, dass es uns sehr schwer gefallen ist, wichtige Texte und Themen Bonhoeffers nicht berücksichtigen zu können. Um nur ein Beispiel zu nennen: In seinen Briefen aus der Haft („Widerstand und Ergebung“) hat er am Ende seines Lebens sowohl seine theologische Grundposition wie auch seine existentielle Lebenssituation in poetischen Worten (10 Gedichte aus dem Jahren 1943/1944) geäußert. Allein diese Gedichte zu dokumentieren und zu kommentieren, wäre eine eigene Monographie wert. Denn es stellt sich dabei die spannende Frage, warum Bonhoeffer auf einmal Theologie in Form von Poesie betrieben hat. Unseres Erachtens steht eine bewusst theologische Entscheidung dahinter2. Leider konnten wir auch anderen Themen wie „Akt und Sein“, „Schöpfung und Fall“, „die Christologie“3, „Gemeinsames Leben“, „Die Mandatenlehre“, „Die Vikarsausbildung“, „Das Bibelverständnis“ keinen eigenen Abschnitt widmen. Indirekt wird jedoch darauf in den abgedruckten Texten Bezug genommen. Wir können hier nur auf die Fülle an Literatur verweisen.

c.

Anderseits haben wir Themen aufgenommen, die gerade heute eine besondere Dringlichkeit gewinnen und denen dabei eine überaktuelle Bedeutung zukommt. Zum Beispiel war uns ganz wichtig, Bonhoeffers geradezu prophetische Stellungnahme zur Judenproblematik (der Arierparagraph) im Dritten Reich aufzunehmen und danach zu fragen, was Bonhoeffer für eine „Theologie nach Auschwitz“ uns mit den Weg gegeben hat (vgl. Abschnitt 4) Auch die immer wieder und gerade heute angesichts schwindender Mitgliedschaft in den großen Volkskirchen anstehenden Frage einer Kirchenreform (Abschnitt 7) bis hinein in ganz aktuelle Frage der durch Bonhoeffer angeregten „Neuordnung der Kirchenfinanzen“ (7.4) wäre hier zu nennen. Denn es gilt, Bonhoeffer nicht nur historisch zu gedenken und einzuordnen, sondern eben auch in die heutige Situation der Kirchen strittig zu übertragen. Dass dazu auch die „Friedensethik und Widerstandsbeteiligung“ (Abschnitt 5) gehört, versteht sich fast von selbst. Das betrifft am Ende aber auch die Frage nach der „Bonhoeffer-Rezeption“ (Abschnitt 8) in der Zeit nach 1945 (erst ganz langsam wurde Bonhoeffer bekannt und auch geschätzt, oft auch in kirchlichen Kreisen noch als „Verräter“ geschmäht) bis heute. Gerade die Rezeption Bonhoeffers ist bis heute bei aller Hochschätzung seiner Person sehr kontrovers geblieben.

d.

Was schließlich die Auswahl der Fremdtexte (Interpretationen Bonhoeffers) anbetrifft, so haben wir aus der Überfülle an zur Verfügung stehenden Literatur vor allem Texte ausgewählt, die nicht so schnell allgemein zugänglich sind, unseres Erachtens aber doch Grundgedanken Bonhoeffers aufgreifen und nach vorn hin fortschreiben. Dabei haben wir besonders darauf geachtet, Texte zu präsentieren, die von den Freunden und Vertrauten Bonhoeffers stammen (natürlich vor allem von seinem besten Freund Eberhard Bethge, dessen 1000 Seite lange fulminante Biographie bereits an dieser Stelle nur wärmstens empfohlen werden kann). Die heute kaum noch zugänglichen ersten Würdigungen Bonhoeffers nach dem Kriege im Jahr 1945 (in deutscher (!) Sprache in der Trinity-Church in London, siehe unter 2.1) waren uns als Einführung in seine Leben besonders wichtig, ebenso natürlich wie E. Bethges Parforce-Ritt durch das Leben Bonhoeffers selbst (2.2). Es sind also vor allem Texte über Bonhoeffer, die sich anschicken, sein Leben und sein Werk nicht nur zu würdigen, sondern in unsere heutige Zeit hinein weiter zu schreiben. Manche Interpretationen Bonhoeffers (z.B. was die Fortschreibung der „Kirchenreform“ 7.3 und 7.4 anbetrifft) mögen durchaus Kontroversen hervorrufen, das ist aber ganz im Sinne Bonhoeffers, der in seinem Leben nie Kontroversen (z.B. nicht nur mit den „Deutschen Christen“, sondern eben auch mit der „Bekennenden Kirche“) ausgewichen ist.

4.

Was am Ende die technische Präsentation der Texte anbetrifft, so haben wir die Herausgeber-Vorbemerkungen zu den einzelnen Abschnitten immer so strukturiert, dass zu den folgenden Texten kurze Lesehilfen und Anmerkungen angeboten werden. In diesen Vorbemerkungen werden Zitate aus den dann folgenden Texten ohne weitere Quellenangabe dargeboten. Wenn in den Vorbemerkungen Zitate ohne Quellenangabe angeführt werden, stammen sie aus den Texten, die in dem betreffenden Absatz auf die Vorbemerkungen folgen.

Was die dann folgenden Texte betrifft:

Bei Texten aus DBW sind die Anmerkungen in DBW weggelassen. Bei allen übrigen Texten sind weithin (wenn nicht aus oben genannten Gründen gestrichen) die Anmerkungen, die sich in den Originalvorlagen finden, übernommen worden. Gelegentliche Erläuterungen der Herausgeber Karl Martin, Detlef Bald und Axel Denecke sind Fußnoten, die durch ein vorangestelltes „Hg:“ besonders gekennzeichnet sind, wenn es nicht aus dem Zusammenhang selbst ersichtlich ist. Dabei haben wir versucht darauf zu achten, dass theologische Spezialbegriffe, wenn sie nicht ganz zu vermeiden waren, durch uns kommentierend als Herausgeber-Anmerkungen erläutert werden.

Entstanden ist dieses Buch in Kooperation mit dem „Dietrich-Bonhoeffer-Verein“ (dbv), der seit über 30 Jahren das Erbe Bonhoeffers in die Praxis unserer Kirchen zu übertragen versucht.

Nun bleibt uns nicht nur der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und ihrer Lektorin, Cana Nurtsch, zu danken für die gute Zusammenarbeit und die Präsentation von „Dietrich Bonhoeffer“ in dieser anspruchsvollen wissenschaftlichen Reihe, sondern auch zu hoffen, dass alle Leserinnen und Leser einen ersten Zugang zu Dietrich Bonhoeffer finden, der sie ermuntert, Weiteres von und über Bonhoeffer zu lesen und das Gelesene zu vertiefen und zu erweitern.

Berlin, Hannover und München, September 2014

Karl Martin † Axel Denecke Detlef Bald

Anmerkungen

1 Die gesammelten Werke Dietrich Bonhoeffers (in Folge abgekürzt: DBW) sind im Gütersloher Verlagshaus (ehemals auch Christian Kaiser Verlag) ab 1988 herausgegeben worden.

2 Für Interessierte: Vgl. dazu die Monographie von A. Denecke, Gott ist bei uns … Theo-Poesie. Bonhoeffers späte Wende hin zu einer poetischen Theologie, Sonderausgabe der Zeitschrift „Verantwortung“, Berlin 2014.

3 Es ist z.B. für uns besonders schmerzlich, nicht die tiefsinnige und mehr als nur geistreiche Vorlesung Bonhoeffers aus dem Jahr 1933 „Wer ist und wer war Jesus Christus?“ (vgl. DBW 13) mit seiner ganz eigenständigen Stellungnahme zur altkirchlichen und lutherisch-reformierten Christologie präsentieren zu können. Aber das gehört eben schon zum theologischen Spezialwissen und nicht zu einer ersten Einführung in Bonhoeffers Denken.

Dietrich Bonhoeffer

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