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5. „Ich weiß einfach, dass Gott mich so liebt“
ОглавлениеEva, geb. 1977
Ich habe immer viel Glück gehabt. Meine Eltern haben mir das Gefühl gegeben, dass sie mich lieben, egal, wie gut ich in der Schule bin, egal, was für Spielkamerad*innen ich nach Hause bringe, egal, wie ich meine Freizeit verbringe, egal, welche Ausbildung ich wähle, … Das hat sicherlich meine Gottesbeziehung am meisten beeinflusst. Ich habe bis heute das Gefühl, dass Gott den Menschen liebt, egal, was er tut (solange er niemandem schadet) und dass Gott sich wünscht, dass jeder Mensch glücklich ist, mit sich glücklich ist.
Bis zum sechsten Schuljahr war ich auf katholischen Schulen; weniger weil mein Elternhaus besonders religiös ist, sondern weil es die Schulen mit dem kürzesten Schulweg waren.
In der 5. Klasse wurde das Wort „schwul“ von Mitschülern als Schimpfwort benutzt. Das war das erste Mal, dass ich das Wort gehört habe. Meine Eltern haben mir in Ruhe die Begriffe heterosexuell, lesbisch, schwul und bi erklärt und zwar so, dass ich es als „normal“ verstand, eins davon zu sein. Die Klassenlehrerin hat ähnlich gesprochen. Damals habe ich mir noch keine großen Gedanken über meine Sexualität gemacht.
In Klasse 11 hatte ich dann evangelischen Religionsunterricht. Bei uns wurde nicht immer streng nach Konfessionen getrennt. Eine Unterrichtseinheit beschäftigte sich mit Liebe und Partnerschaft. In einer Doppelstunde hatte die Lehrerin junge Leute von der HuK und der LuK (Homosexuelle und Kirche bzw. Lesben und Kirche) eingeladen. Zu dem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich lesbisch bin. Ich fand die Stunde sehr positiv.
Von der 4. Klasse an war ich Messdienerin und das bis zum Abitur. Ein Mitministrant (ein Jahr älter) war der erste homosexuelle Mensch, den ich persönlich kannte (abgesehen von den Buchhändlerinnen im Frauenbuchladen, die ich eher nur vom Sehen kannte). Trotzdem habe ich mich ihm gegenüber nicht wirklich geoutet. Ich wollte mit meinem Outing warten, bis ich meine erste Freundin hatte. Das hat bedauerlicherweise etwas länger gedauert. Aber indirekt habe ich mich schon geoutet, da ich beispielsweise ins schwule Café ging. Es war aber nicht wirklich Thema. Durch meinen Mitministranten habe ich Homosexualität weiter als etwas Normales kennengelernt.
Ein für mich und meine Beziehung zum Thema Homosexualität prägendes Ereignis war der Fastenbrief des Bischofs. (Ich denke, es war etwa 1994, vielleicht aber auch nicht der Fastenbrief, vielleicht auch nicht vom Bischof, aber irgendetwas in der Art). In diesem wurde Homosexualität (zumindest ihr Ausleben) als schlecht und nicht den katholischen Werten entsprechend bezeichnet. Das Schreiben sollte vom Pfarrer in der Messe vorgelesen werden. Ich hatte schon vorher von seinem Inhalt mitbekommen und mir war zu dem Zeitpunkt bewusst, dass die vorherrschende katholische Lehre Homosexualität ablehnt. Das passte natürlich überhaupt nicht zu meinem Verständnis, dass Homosexualität ganz normal ist. Ich war an dem Sonntag Messdienerin und hatte mir vorgenommen, dass das mein Ende mit der katholischen Kirche bedeuten würde, sollte der Pfarrer den Brief vorlesen und die Meinung des Bischofs vertreten. Mein Plan sah vor, dass dies mein letzter Einsatz als Messdienerin sein und dass ich der Kirche den Rücken zuwenden würde.
Doch dann passierte etwas Überraschendes: Statt den Brief vorzulesen, sagte unser Pfarrer, dass er diesen zwar vorlesen solle, dass er aber sicher sei, dass es in unserer Gemeinde viele schwule und lesbische Mitglieder gäbe und dass diese es oft ohnehin schon schwer hätten, akzeptiert zu werden, nur weil sie jemanden lieben würden, und dass er es einfach nicht richtig fände, sie jetzt auch noch weiter zu verurteilen. Deswegen werde er diesen Brief nicht vorlesen. Ich weiß noch, wie ich dachte: Na toll, jetzt muss ich also doch in der Kirche bleiben!
Dass ich lesbisch bin – damit habe ich eigentlich nie schlechte Erfahrungen gemacht. Diskutieren musste ich nur mit meiner polnischen Austauschschülerin. Sie ist sehr streng katholisch (kein Sex vor der Ehe, keine künstliche Verhütung usw.) und wollte von mir wissen, warum ich glaube, Homosexualität sei keine Sünde.
Bei diesem Gespräch habe ich gemerkt, welches Glück ich habe: Ich weiß, dass es keine Sünde ist, und dieses Wissen habe ich vielleicht gerade, weil ich lesbisch bin. Ich weiß einfach, dass Gott mich so liebt. Ich habe quasi durch mein Lesbischsein einen Wissensvorsprung.
Nach meinem Lehramtsstudium absolvierte ich mein Referendariat an einer katholischen Mädchenschule. Dort habe ich mich vor den Schülerinnen zwar nicht geoutet, aber später haben mir einige Schülerinnen erzählt, dass es Gerüchte gab. Zugegeben, ich sehe vielleicht schon ein wenig aus wie eine „Klischee-Lesbe“, aber ich hatte den Eindruck, dass die Schülerinnen das eher als positiv aufnahmen. Jedenfalls habe ich auch dort keine negativen Erlebnisse gehabt. Einzig im Lehrer*innenzimmer empfand ich es als komisch, dass Sexualität überhaupt noch ein Thema war. Dass Kolleg*innen überhaupt denken konnten, das Sexualleben könne den Job gefährden, fand ich absurd. Schließlich ging es dabei ja nicht um etwas Verwerfliches wie Sex mit Kindern oder Schüler*innen, sondern um einvernehmliche Beziehungen unter gleichberechtigten Erwachsenen.
Entsprechend entspannter fand ich dann meinen anschließenden Start an einer „normalen“ staatlichen Schule. Hier war Sexualität im Lehrer*innenzimmer kein Thema mehr.
Vor allen Schüler*innen oute ich mich nicht, einfach weil es sich selten anbietet. Auch meine Beziehung und meine eigene Position zu Sexualität thematisiere ich nur gelegentlich im Unterricht. Ich verheimliche sie auch nicht oder leugne sie gar – selbst nicht im Fach Religion. Das fände ich unehrlich und damit auch unchristlich. Als Schülerin hätte ich mir damals selbst eine lesbische Lehrerin als Vorbild gewünscht, wobei ich den Eindruck habe, dass das heute nicht mehr so wichtig ist.
Seit ich allerdings mit meiner Frau verpartnert bin, spreche ich schon manchmal auch den Schüler*innen gegenüber von „meiner Frau“. Auch hier habe ich noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Nur manchmal neugieriges Nachfragen erlebt. Aber bei den meisten Schüler*innen habe ich das Gefühl, dass sie das als genauso normal und „langweilig“ empfinden wie ich. (An der Stelle protestiert meine Frau: „Natürlich ist unsere Beziehung nicht langweilig, sondern unfassbar aufregend; jeden gemeinsamen Tag erlebe ich wie ein Wunder. Nur für Außenstehende hat unser Glück wahrscheinlich nicht mehr Bedeutung als jede andere Beziehung.“)
Nach meinem Verständnis führe ich ein Leben gemäß christlicher Werte. Ich weiß, dass es in der katholischen Kirche Stimmen gibt, die das anders sehen. Nur kann ich einfach nicht glauben, dass an einvernehmlicher Liebe, bei der man füreinander da ist, sich stützt und gegenseitig glücklich macht, etwas schlecht sein kann. Ich erfahre und fühle das anders.
Eine kirchliche Segnung war im Rahmen unserer Verpartnerung im Grunde kein Thema: Meine Frau kann mit Kirche nur wenig anfangen und auch ich gehe nur noch unregelmäßig in den Gottesdienst. Es hätte nicht zu uns gepasst. Im Rahmen einer kleinen Feier, einer Zeremonie, hat aber ein guter Freund, der Pfarrer ist, zusammen mit uns unsere Ringe gesegnet, und eine Freundin hat einen von uns ausgewählten Bibeltext vorgelesen. Insofern könnte man sagen, dass es eine Segnung unserer Beziehung gab. Wir sind aber froh, dass der Ort keine Kirche war. Und nicht weniger bedeutsam waren an diesem Tag die Reden unserer Eltern und guter Freund*innen.
Nachdem nun vom Vatikan deutlich gesagt wurde, dass Segnungen homosexueller Paare durch die katholische Kirche nicht möglich sind, bin ich umso glücklicher, dass unsere Segnung nicht in einer Kirche stattgefunden hat und dass der Pfarrer für uns in erster Linie ein Freund und nur in zweiter Linie Pfarrer ist. Auf die Segnung einer Institution, die unsere Liebe nicht als gleichwertig erkennt, kann ich verzichten. Ich brauche keine halbherzige Erklärung, in der mir zwar Verständnis und Begleitung angeboten werden, aber in der meine Beziehung als „in der Heiligen Schrift nicht vorgesehen“ abgetan wird. Ich verstehe die Botschaft der Heiligen Schrift anders.
Insgesamt kann ich sagen, dass ich gute Erfahrungen gemacht habe, dass ich von Anfang an von meinen Eltern gestärkt wurde und dass mich wahrscheinlich vor allem Letzteres in meiner Gottesbeziehung geprägt hat. Begriffe wie „Sünde“ passen nicht in mein Gottesbild, zumindest nicht im Zusammenhang mit Sexualität. Im Gegenteil, ich halte es für Sünde, anderen Menschen einzureden, dass ihre Liebe eine Sünde sei. Wer sagt, dass der homosexuelle Mensch zwar kein Sünder sei, dass Gott ihn genauso liebe wie seine heterosexuelle Schwester, ihm aber gleichzeitig erklärt, dass das Ausleben seiner Sexualität Sünde sei, der liebt ihn eben doch nicht. Eine Partnerschaft kann einem Menschen so viel geben. In diesem Sinne ist sie für mich Sakrament: Ich kann dort so viel Liebe erfahren, die die Liebe Gottes spiegelt. Und dieses Sakrament nicht allen Menschen zuzugestehen, das halte ich für Sünde und für zutiefst unchristlich.
Natürlich erhoffe ich mir von der Kirche, dass das irgendwann alle verstehen. Ich habe große Hoffnung, weil es für die Jugendlichen, die ich erlebe, größtenteils heutzutage kein Thema mehr ist. Aber wenn ich sehe, wie viele hohe Würdenträger immer noch behaupten, Homosexualität, außerehelicher Sex, Selbstbefriedigung, … (alles Dinge, die ich für normal, gesund, wichtig oder uninteressant halte) wären Sünde und dass es der Kirche und der Gesellschaft schaden würde, sie als normal zu bezeichnen, habe ich wieder nur sehr wenig Hoffnung. Und auch, wenn ich sehe, wie sich Würdenträger mit Menschen umgeben, die ihnen einfach nur blind nach dem Mund reden. So ist keine Entwicklung, Weiterbildung möglich. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Für mich ist das nicht einmal mehr traurig. Es zeigt doch nur, wie viel Angst sie offenbar vor bzw. um ihre eigene Sexualität haben müssen, wenn sie sich in die Sexualität anderer einmischen müssen.
Als Lehrerin versuche ich meine Schüler*innen so zu erziehen, dass sie lernen, mündige Christ*innen und Bürger*innen zu werden, die ihre Nächsten lieben wie sich selbst. Und dazu gehört für mich auch das Annehmen der jeweiligen Sexualität. Sie sollen sich dabei von niemandem unter Druck setzen lassen und selbst niemanden unter Druck setzen.
Dass die katholische Kirche überhaupt noch über Themen wie Homosexualität, Ehescheidung, Masturbation diskutiert, zeigt eigentlich nur, wie weit sie sich schon vom wirklichen Leben, von wirklicher Bedeutung entfernt hat. Als ob das noch Themen wären, über die man reden muss!
Klimakrise, Armut, soziale Ungleichheit, Egoismus, Rassismus, Angst vor Fremden, Verschwörungstheorien – das sind Themen, um die es heutzutage gehen muss, für die wir Lösungen brauchen. Hier kann und muss man etwas bewegen. Hier können wir christliche Werte gebrauchen!