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7. „Gott liebt ihn, ob getauft oder nicht!“
Carla Bieling, geb. 1974
Meine Frau habe ich in der katholischen Jugendarbeit kennengelernt. Wir waren drei Jahre befreundet, bevor wir uns ineinander verliebten.
Als Arbeitnehmerin beim Bistum musste ich meine Lebensform verschweigen. Das konnte ich nur, weil ich mich in meinem Team geoutet habe und somit dieser Raum nicht mehr durch ein Schweigen- und Verstellen-Müssen geprägt war, sondern durch Offenheit. In den darauffolgenden Wochen starteten wir unsere Teamsitzungen fortan mit einer Austauschrunde über unsere Glaubenserfahrungen. Schnell stellte sich dabei heraus, dass nicht nur ich an dieser Kirche litt.
Trotzdem konnte ich die Doppelmoral irgendwann nicht mehr ertragen. Ich entfernte mich innerlich immer mehr von dieser Kirche und hätte ich 2003 beim Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) nicht das Netzwerk katholischer Lesben (NkaL) kennengelernt, hätte ich vermutlich meinen Glauben ganz verloren.
Im NkaL lernte ich ehemalige Ordensfrauen, aktive Gemeindereferentinnen, katholische Theologinnen und viele andere Frauen kennen und wir feierten einmal im Halbjahr gemeinsam Gottesdienst. In diesem durften alle Gefühle vorkommen; wir konnten authentisch sein, alles vor Gott tragen und uns so gegenseitig stärken und stützen. Wir waren nicht mehr allein mit dem Gefühl, von unserer Mutter (Kirche) nicht gewollt zu sein – aussortiert, verboten und abgestempelt. Wir haben viel miteinander geweint, aber auch gelacht. Es waren sehr intensive Gottesdienste, die wir reihum vorbereiteten und in denen unsere Fragen, Zweifel und leidvollen Erfahrungen stets einen Platz hatten. Und irgendeine hat immer für unsere Kirche gebetet, dass sie irgendwann alle ihre Kinder wieder annehmen kann – ohne in sündig und keusch zu unterteilen. Sie zu akzeptieren, wie sie sind – mit ihrem Wunsch verantwortliche Partnerschaften zu leben, ihren Glauben leben zu dürfen und offen zu ihrer Vielfalt zu stehen. Ohne Bewertungen, ohne Abwertungen.
Später gründeten meine Frau und ich eine Familie und wir bekamen zwei Söhne. Den Erstgeborenen ließen wir in seinem ersten Lebensjahr durch einen befreundeten Ordenspriester taufen.
Als das zweite Kind kam, wurde ich von meinem Arbeitgeber rausgeworfen – nicht rechtlich (ich habe einen Aufhebungsvertrag unterschrieben), aber sehr wohl emotional.
Der zweite Sohn wurde nicht getauft. Mit vier Operationen in seinen ersten anderthalb Lebensjahren hatten wir zunächst diese Sorgen. Anschließend kam er ins Trotzalter und einen Zweijährigen, der „Nein, ich will das nicht“ bei seiner Taufe ruft, das wollten wir auf keinen Fall.
Drei Jahre später näherten wir uns durch einen Priester mit einem innovativen Projekt (Kirche am See) der kath. Kirchengemeinde wieder etwas an. Dort bereitete jede Woche eine andere Gruppe den Gottesdienst vor und so bekamen auch Randgruppen eine Stimme. Und die Einladung Gottes an alle – ohne Selektion und Bewertung – fand wieder ein glaubwürdiges Gesicht! Doch dann wurde ein schon länger schwelender Konflikt im pastoralen Team durch die Versetzung des innovativen Priesters vom Bistum gelöst. Das zerstörte unser neugewonnenes Vertrauen wieder und der angedachte Tauftermin platzte.
Etwas später kam die Phase, in der unsere Söhne Gottesdienste stinklangweilig fanden, und wir sie irgendwann nicht mehr bewegen konnten, mitzukommen. Als beim Älteren die Erstkommunion anstand, war aber für ihn klar: „Das will ich auch.“
Und der Jüngere, der so manchen Weggottesdienst miterlebt hatte und Gefallen an den tollen Aktionen und dem Fest gefunden hatte, stimmt mit ein: Ja, das wolle er auch! Wir warteten ab, denn das Fest und die Geschenke sollten nicht seine einzige Motivation sein.
Ein Jahr später: Der Jüngere wünscht sich getauft zu werden, aber es klappt terminlich nicht auf Anhieb. Nach ein paar Wochen war es ihm dann auch nicht mehr so wichtig … In dem Alter geht das schnell.
Am ersten Tag des dritten Schuljahrs wurde das Thema Taufe dann wieder aktuell, und zwar durch die Fragen: „Bist du getauft? Willst du zur Erstkommunion?“ Da war für ihn ganz klar: „Mami, ich wusste bis jetzt gar nicht, warum ich so froh bin – jetzt weiß ich, warum ich so froh bin – ich freu mich so doll auf meine Taufe und auf meine Erstkommunion!“
Die Taufe haben wir dann innerhalb der nächsten vierzehn Tage festgemacht und in der Woche darauf eine sehr authentische Taufe gefeiert. Mit einem Kind, das von innen heraus gestrahlt hat! (Obwohl ich ihm im Vorfeld auch ganz klar gesagt habe, dass er sich nicht für uns taufen lassen muss. Gott liebt ihn so, wie er ist – ganz egal, ob er getauft ist oder nicht.) Es war wunderbar, das erleben zu dürfen.
Meine Frau und ich sind dieses Jahr seit 20 Jahren zusammen und haben so manchen Sturm gemeinsam durchgestanden, Verantwortung übernommen und uns ganz offensiv mit unserem Glauben auseinandergesetzt. Trotzdem wird uns noch immer ein offizieller Segen für unsere Beziehung in der katholischen Kirche abgesprochen. Auch wenn wir „unter der Hand“ schon mehrfach das Angebot bekamen …
Freundinnen von uns sind konvertiert und mittlerweile evangelisch getraut. Sie sind damit sehr zufrieden. Vor zwölf Jahren haben wir einen Gottesdienst in unserem Garten gefeiert mit einem Versprechen und dem Segen Gottes, den alle Anwesenden für uns erbeten haben. Eine damals noch katholische Freundin und Theologin hat durch den Gottesdienst geführt. Auch sie konvertierte und leitet mittlerweile regelmäßig evangelische Gottesdienste.
8. „Zuerst Vater, dann Mutter von vier katholisch getauften Kindern“
Barbara, geb. 1969
Katholisch sozialisiert, mit einer unbeschwerten und im Rückblick glücklichen Jugend in einem katholischen Internat beschenkt, war es mir selbstverständlich, meine ersten Kinder katholisch zu taufen und zu erziehen.
Warum aber gab es bei meinem jüngsten Kind, einem Nachzügler, dann Zweifel, ob das auch für ihn eine gute Idee ist? Und warum haben wir uns dann doch entschieden, ihn nicht nur zu taufen, sondern auch katholisch zu taufen?
Unsere Ehe ist konfessionsverbindend; lutherisch wäre eine Option gewesen. Ausschlag gegeben hat letztlich, dass wir in der katholischen Gemeinde, der wir verbunden sind, willkommen sind. Dass die Menschen, die uns dort geistlich nahestehen, uns annehmen, wie wir sind: Unsere Ehe ist nicht nur konfessionsverbindend, sondern lesbisch. Unser Kind ist daher offensichtlich mit Spendersamen gezeugt. Und einige Gemeindemitglieder wissen auch, dass ich früher für meine drei älteren und mittlerweile erwachsenen Kinder Vater war und dass ich vor inzwischen 20 Jahren akzeptiert habe, in dieser Welt eine Frau zu sein. Einzelne wissen auch darum, dass ich von meiner damaligen Frau, der Mutter der drei älteren Kinder, geschieden und folglich also auch noch wiederverheiratet bin.
Ich kann mir gut Gemeinden vorstellen, in denen wir nicht willkommen sind, ob nun katholisch wie lutherisch. Wo jeder einzelne der genannten Lebensumstände als „Sünde“ gilt, die mit persönlicher Ablehnung geahndet wird. Wie mag sich das wohl irgendwann im Religions- oder Kommunionsunterricht verhalten? Wenn das Kind auf eine Person trifft, die sich verpflichtet fühlt, ihm zu erklären, dass Mami und Mama in die Hölle kommen, weil sie „in Sünde leben“, in „furchtbarer Sünde, in Todsünde“?
Nicht nur einmal wurde ich außerhalb von Kirche – in meinem rational-naturwissenschaftlich geprägten Beruf, Privatleben und entschieden in queeren Bezügen – gefragt, was ich denn, gerade ich, bei „diesem Verein“ überhaupt noch wolle. Erstaunlicherweise habe ich mich selbst das nie gefragt. Im Gegenteil. Die Liebe meiner Eltern hat mir ein Urvertrauen geschenkt. Immer wieder haben sie beiläufig selbstverständlich Bezüge hergestellt auf den Schöpfergott, der uns Menschen liebt und der die Liebe ist, das Leben und die Lebensfreude. Dieses Urvertrauen in Gott ist in mir verankert. Und im Internat wurde für mich das vom Glauben getragene und getriebene Engagement der Ordensleute erfahrbar, dass die Lebens- und Liebeskraft, die aus Christus strömt, uns heute schon ein bisschen hilft „die Stadt auf der Höh‘“ zu bauen. „Freunde, wir fangen an“ war die Hymne meiner Schule. Und wie meine Internatsschule ist auch die Kirche, der meine Frau und ich verbunden sind, getragen von der besonderen Energie von Ordensleuten, in unserem Fall jetzt Jesuiten.
Zu meinem großen Glück ist auch meine Frau gläubig. Wir haben uns ironischerweise kennengelernt zu einer Zeit, als ich nach Transition, Scheidung und gescheiterten Liebschaften ernsthaft über ein Leben nach den Ratschlägen der evangelischen Räten nachdachte. Johanna wusste, dass ich in gleichgeschlechtlicher Beziehung gelebt hatte und suchte für sich selbst Orientierung – angesichts eines Spannungsfeldes von gleichgeschlechtlicher Zuneigung, frommer (die Homosexualität ablehnender) Sozialisierung und des eigenen Familien- und Kinderwunsches. Ich nahm sie mit in queere Bezüge. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, Gott in der Welt, über das Lesbisch-, Trans- und zugleich Christsein. Über die Verbindung von Naturwissenschaft, Skepsis und Glaube. Und da ich ja mit meinen drei Kindern aus dem Gröbsten raus war und eher über ein eheloses Leben nachdachte als über eine Beziehung, und sie ja Kinder und Familie wollte, haben wir beide – jede für sich – das Herzklopfen, das „Britzeln“, geschoben auf ein „Was weiß ich denn?“, jedenfalls nicht auf uns. Erst Monate später haben wir uns unsere Liebe ein- und zugestanden, spannenderweise im Anschluss an einen gemeinsamen sehr feierlichen Besuch einer Messe, das war zu Allerseelen 2008.
In einer Lebenskrise bin ich über säkulare und östliche Meditation auf christliche Meditation und kontemplative Exerzitien nach Pater Franz Jálics SJ gestoßen. Und ich habe mich getraut, mich darauf einzulassen. Gott sei Dank!
„Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein“, hat mal der Theologe Karl Rahner gesagt. In der Tat versuchen Menschen wie Franz Jálics SJ, Richard Rohr OFM, Willigis Jäger OSB, Kenneth S. Leong und viele weitere Zeitgenossen sowie alte Mystiker uns Brücken zu bauen. Brücken, die Christen als eine unmittelbare, persönlich geahnte oder erfahrene „Papa“(Abba)-Gottesbeziehung beschreiben. Brücken, die ein „Christ-inesisch“ in unsere Zeit übertragen. Es sind Brücken und Wege, Gott wieder in allen Dingen und Menschen zu finden.
Und währenddessen „verteidigen“ fehlgeleitete Kirchenfunktionäre Dogmen, die Menschen wegen ihrer Liebe aus der Gemeinschaft ausschließen, in deren Mitte die Verbindung steht. Sie beharren auf Dogmen, die Familien entzweien und Kinder mit schrägen Loyalitätskonflikten konfrontieren.
Ich bin überzeugt, dass der Weg aus dieser Groteske durch die persönlich erfahrene Liebe Gottes führt. Durch Begegnung – wie dem Gespräch über gleichgeschlechtliche christliche Paare am Schönstätter Eheweg mit einer Frau auf dem Katholikentag. Und durch Einsicht im Gebet.
Wir haben unseren Jüngsten, in einer lesbischen Ehe gezeugten und geborenen Sohn katholisch getauft aus Liebe zum Leben. Nicht nur, weil „katholisch“ für uns Heimat ist, sondern auch, weil „katholikos“ (griech. für „allumfassend, allgemein, universal“) keine Marke ist, sondern Programm. Diese allumfassende Kirche ist noch nicht vollendet, aber im Werden, und wir sind heute schon mit eingeschlossen, mit unserem Sohn und mit unserer Ehe.