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11. „Ich musste meine Heimat verlassen, um lebendig zu bleiben“
ОглавлениеAlexander Stojanowic, Pfarrer, geb. 1979
Ich bin in Halle an der Saale als jüngstes von drei Kindern geboren worden und habe bis zu meinem 18. Lebensjahr auf einem mitteldeutschen Dorf in einer Diaspora-Gemeinde gelebt. Ich war mir von Anfang an durch das offene Klima in meiner Familie bewusst, wer und wie ich bin. Nach dem Abitur habe ich eine Lehre zum Krankenpfleger in einem katholischen Krankenhaus begonnen. Als wir gegen Ende der Probezeit in der Klasse unsere Ausbildungsverträge bekamen, gab es dort einen Paragrafen, in dem der Verstoß gegen die katholische Sitten- und Morallehre als Kündigungsgrund dargestellt worden ist. Ein Mitschüler und ich sahen uns daraufhin in die Augen und mit dem ganzen Kurs lachten wir einmal herzlich darüber. Denn nach den Wochen, die wir schon in diesem Haus arbeiteten, hatten wir mitbekommen, wie ernst diese Aussage genommen wurde. Wenn doch, dann hätte einem Großteil der Belegschaft gekündigt werden müssen. Für mich war das das erste Mal, und ich ging immer offen damit um, dass ich spürte: Mein Leben steht unter Beobachtung.
Ich brach dann meine Lehre ab und habe meinen Lebensplan fortgesetzt: Ich wurde Priesteramtskandidat und zog in ein Seminar. Ich freute mich darauf, in einem geistlichen Haus zu leben, meinen Alltag vom Gebet in der Gemeinschaft begleiten zu lassen und endlich Theologie studieren zu können. Das waren meine Vorstellungen. Die Realität sah bedauerlicherweise anders aus. Die einzelnen Personen und ihre Persönlichkeiten zählten nicht und hatten im „Haus“ auch keinen Platz in der Ausbildungsstruktur, bis auf die Semestergespräche, dann aber meist, wenn das eigene Verhalten bei der Hausleitung Fragen aufwarf oder sogar Ablehnung hervorrief.
Die Frage von Sexualität in einem Haus voller Männer, von denen der Großteil jung und agil war, wurde in fünf Jahren, soweit ich mich erinnere, nur an einem Bildungswochenende gestreift, dann aber in so verklärter Form und stringent heterosexuell-stereotyp, dass es gut drei Viertel der „Mannschaft“ nichts anging. Wenn sonst das Thema auf Sexualität kam, dann war es immer negativ konnotiert und schon gar nicht ging es um einen Prozess in der priesterlichen Lebensform, die alle damals anstrebten.
Blicke ich auf meine Zeit dort zurück, dann war in den ganzen Jahren ein überwiegender Teil der Leute LGBTI*Q+-Personen. Untereinander haben sich die Gruppen und einzelne Personen gefunden und ausgetauscht, doch nach außen hin wurde von den meisten die Hauslinie gestützt; man wollte seine „Laufbahn“ ja auch nicht gefährden.
Ich suchte mir meinen Weg selbst – außerhalb des Priesterseminars. Wo ich wirkliche Offenheit und Wertschätzung fand, war die Studentengemeinde und mit Kommilitonen anderer Fakultäten, was wiederum dazu führte, dass meine Abwesenheit im Haus bemerkt und negativ bewertet wurde. Schwul war ich immer und ich habe es auch nie geleugnet. Ich glaube heute, mein Glück war, dass die Hausleitung mit dem Thema gar nicht umgehen konnte und deshalb jedes Gespräch und auch Situationen vermied, in denen es hätte angesprochen werden müssen.
Wie viele andere hatte auch ich in dieser Zeit sexuelle Begegnungen und Beziehungen. Das war nicht ungewöhnlich, aber eben nicht gesprächsfähig. Da ich aber zölibatär leben wollte – und das nicht nur, weil mir jemand sagte, ich müsse es, sondern weil ich verstand, worum es dabei ging, und das als Lebensentwurf für mich hätte annehmen können –, habe ich viel darüber gelesen und letztlich meine Diplomarbeit in Pastoraltheologie über die praktische Lebbarkeit des Zölibates geschrieben. Ich glaube, das machte die Hausleitung nervös, auch weil zum einen meine Arbeit bemerkt worden war, andererseits weil meine Mitseminaristen wussten, woran ich arbeitete und Fragen stellten und wir untereinander viel diskutierten. Letztlich wurde eine Tradition unterbrochen: Das „Bildungswochenende“ im Priesterseminar, an dem die Diplomarbeiten vorgestellt werden sollten, wurde abgesagt. Daraufhin bat mich der damalige Studentenpfarrer, meine Arbeit in der Studentengemeinde vorzustellen und statt der eher begrenzten Zahl Menschen im Priesterseminar, waren es an diesem Abend in der Studentengemeinde über 80 Menschen aus allen Bereichen der theologischen Fakultät und anderer Fakultäten. Das Interesse an diesem Thema ist bis heute groß, gerade dann, wenn es die Möglichkeit gibt, offen darüber und miteinander zu reden und zu diskutieren.
Nach dem Studium beginnt im Normalfall der Pastoralkurs – jedoch damals nicht für mich. Denn ich habe dem damaligen Personalchef meines Bistums gesagt, dass ich den Weg nur weitergehen will, wenn der Bischof weiß, dass ich schwul bin und er damit leben kann, einen schwulen Mann zu weihen. Nach einem Jahr im außerordentlichen Praktikum und dem Votum meines dortigen Mentors, hatte der Bischof seine Entscheidung getroffen. Nach der Devise der Zölibat gilt für alle Priester hat er entschieden, dass ich meinen Weg fortsetzen kann.
In der ganzen Zeit gab es zwei Gespräche zwischen dem Bischof und mir und ich bin auf sehr viel Unwissenheit und Praxisferne bezüglich des Themas „Homosexualität“ gestoßen, dennoch waren die Gespräche sehr wohlwollend.
Zölibatär zu leben war für mich ein schwerer Versuch, wohl auch, weil ich lange und viel darüber nachgedacht und gelesen habe und immer unzufrieden mit den Antworten blieb. Denn ich sah einerseits nirgendwo Priester, also Menschen, die so lebten wie ich, und die offen miteinander in der „Mitbrüderlichkeit“ und außerhalb eines Beichtgespräches über sich selbst, über ihre Gefühle und ihre Sexualität sprachen. Anderseits, wenn ich auf sie traf, meist schwule Priester wie ich, hatten sie das Thema Zölibat entweder eingemottet und abgestellt oder lebten in zwei Welten. Eine Welt, in der sie öffentlich der zölibatäre Priester waren und eine andere, in der sie als jemand anderes ihre Sexualität mit anderen Menschen auslebten. Das führte zu Situationen, in denen mir die Luft wegblieb.
In den Gemeinden habe ich kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich schwul bin. Wenn ich danach gefragt wurde, habe ich geantwortet. Das ermöglichte anderen, ihre eigene Sexualität in der Kirche als wertgeschätzt zu empfinden und verhinderte in der Jugendarbeit, dass über das Thema Sexualität geschwiegen wurde und sich krude Vorstellungen entwickelten. Anstrengend wurde es erst, als einige andere junge Erwachsene und ich eine queere Initiative im Bistum gründeten. Es wäre geduldet worden, wenn nur „Laien“ dabei gewesen wären, aber dass ich als Priester auf der Homepage offen zu meiner Sexualität stand, das wurde nicht gutgeheißen.
In den sich anschließenden Wochen und Monaten sah ich mich mit Verachtung und moralischen Anklagen konfrontiert. Es ging nicht darum, dass es eine Gruppe im Bistum gab, die sich queerer Themen annahm, sondern dass ich als Priester über meine Sexualität sprach und mich als Seelsorger zur Verfügung stellte. Seitens des Bistums war eine direkte Verbindung zwischen unserer Gruppe und dem Bistum in der Öffentlichkeit nicht erwünscht. Nach über einem Jahr gelang es uns, mit einer leitenden Person ein Gespräch zu führen. Unsere Arbeit wurde wahrgenommen, von Kollegen unterstützt und andererseits wurden wir ausgebootet.
Nach einem inneren Prozess entschied ich mich, so meinen Dienst nicht mehr fortführen zu können und zu wollen, denn so war das Ganze nicht mehr authentisch und ich musste den Bischof bitten, mich vom Dienst zu suspendieren.
Heute lebe und arbeite ich als evangelischer Pfarrer auf dem Land in einer Landeskirche, die einen eigenen Wagen auf dem CSD (Christopher Street Day) hat, in deren Fort-, Weiter- und Ausbildungsprogramm queere Thematiken in offenen Prozessen fest verankert sind und in einer Gesamtkirchengemeinde, in der ich und mein Partner von Anfang an als Einheit wahrgenommen und wertgeschätzt worden sind.
Mein Fazit: Zwei Seiten können nur einen Bruchteil andeuten. Ich hatte am Ende die Wahl, noch zehn Jahre weiterzukämpfen – auch gegen Intrigen und nicht nur an der queeren Front – und dann leer und gebeugt, nicht wesentlich weiter gekommen seiend mich in die Reihe enttäuschter und frustrierter Priester einzureihen. Denn ich gehe nicht davon aus, dass die römisch-katholische Kirche ein Ort mit hoher Lebensqualität für queere Menschen wird. Dafür besitzen das Thema Sexualität und Kirche selbst eine zu hohe Sprengkraft auf diversen Ebenen. Aber mit diesem Lebensertrag wollte ich meinem Schöpfer am Ende von allem nicht vor die Augen treten, wenn er mich fragt, was ich aus meinem Leben gemacht habe. Ich entschied mich zu gehen und meiner Berufung zu folgen, das Evangelium zu verkünden und Gemeinde aufzubauen. Das hätte ich, so wie ich bin, in der Römisch-katholischen Kirche nicht mehr gekonnt. Dennoch ist sie mir Heimat. Eine Heimat, die ich verlassen musste, um lebendig zu bleiben, und ich trage sie im Herzen.