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6. „Die katholische Kirche forderte mich auf, die Scheidung einzureichen“

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Interview1 mit Maria, geb. 1983

Maria, bitte erzähle kurz von deiner Verbindung zur katholischen Kirche: Bist du katholisch aufgewachsen? Und welche Rolle spielen Glauben und Kirche in deinem Leben?

Als Kind und vor allem als Jugendliche waren mir die Kirche und der Glaube immer sehr wichtig. Die Kirche war für mich ein Zuhause. Ein Ort, an dem ich vieles bekam, was ich sowohl zu Hause, als auch in der Schule nicht bekommen habe.

Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich mitten in der Pubertät war. Dadurch hatte ich weder in der Schule noch zu Hause eine gute Zeit. Ich hatte sie aber in der Kirche. Dort war mein Freundeskreis ein völlig anderer. Das war alles ganz anders als in der Schule, wo ich immer nur gesagt bekam, wie schlecht ich bin und wie wenig ich weiß. In meiner Gemeinde war ich wirklich sehr angesehen, selbst bei den erwachsenen Gemeindemitgliedern, die mir ihre Kinder anvertrauten, um mit ihnen Kinder- und Jugendarbeit zu machen. Letztlich rührten mein Selbstvertrauen und Glaube aus all diesen kirchlichen Erfahrungen. Ich wusste immer, wohin ich gehen konnte, wenn es mir nicht gut ging, ich mich allein fühlte und sonst keinen Ort hatte.

Als es dann später darum ging, was ich eigentlich mal machen möchte, war für mich relativ schnell klar, dass ich das weitermachen wollte, worin ich gut war und was mich erfüllte: kirchliche Jugendarbeit. Und da mir nicht nur der Sozialraum Kirche unfassbar wichtig war, sondern auch mein Glaube, war für mich relativ schnell klar, dass ich Theologie auf Diplom studieren wollte.

Zu der Zeit war mir aber schon klar, dass ich, wenn ich eine partnerschaftliche Beziehung eingehen würde, diese gerne mit einer Frau leben würde, und dass das wahrscheinlich zu Problemen führen könnte. Doch mit meinen 17 oder 18 Jahren hatte ich da noch so meine Visionen. Ich ging beispielsweise ins Studium mit der Gewissheit: Na ja, entweder ich werde irgendwann gekündigt oder ich habe die Möglichkeit, die Kirche von innen zu verändern.

Als Angestellte in der Jugendarbeit der katholischen Kirche – wie war dein Privatleben mit dem Arbeitsverhältnis vereinbar?

Ich war von 2013 an bei der katholischen Kirche angestellt. Zunächst in einem Diaspora-Bistum, dort habe ich im Bereich der Jugendpastoral gearbeitet, und dann bin ich in ein West-Bistum gewechselt, wo ich in der Jugendarbeit und Katechese tätig war. 2019 wurde mir gekündigt.

Ich habe meine Arbeit sehr geliebt und mich gerne mit den Jugendlichen über die Kirche, Gott, die Welt und ihren Glauben ausgetauscht. Ich wollte ihnen einen Ort schaffen, an dem sie offen und ohne Angst oder Scham ihre Fragen stellen konnten. Gleichzeitig waren diese Gespräche für mich nie einfach. Denn redet man über seinen Glauben, redet man immer auch über sich selbst. Darüber, wer man ist. Das geht immer an die Substanz.

Irgendwann habe ich für mich entschieden: Ich werde niemals vor Jugendlichen lügen. Ich wollte, dass die Jugendlichen genau das von mir bekommen, was ich auch von ihnen bekomme – nämlich Ehrlichkeit. Mir war immer klar, ich muss ich selbst sein. Aber auch, dass ich immer einen Teil von mir ausklammern muss, weil den die Kirche nicht toll findet. Doch dann wurde mir bewusst: Ich will den Jugendlichen nicht aufbürden, dass sie mein Geheimnis, was dazu führen kann, dass ich gekündigt werde, mittragen müssen. Weil, wenn sie darüber reden, kann es ja passieren, dass ich gekündigt werde. Und dann fühlt sich vielleicht am Ende irgendjemand schuldig für etwas, für das die Person überhaupt nichts kann.

Das hat mir mein Arbeiten teilweise sehr schwer gemacht und mir in vielen Gesprächen nicht erlaubt, in die Tiefe zu gehen, obwohl ich wusste, dass es nötig gewesen wäre – vor allem für die Jugendlichen. Gleichzeitig hatte ich die ganze Zeit auch immer befreundete Priester, die selbst schwul waren. Bei ihnen war das dann kein Problem, denn häufig wussten wir es einfach; wie so eine Subkultur innerhalb der katholischen Kirche. Und das fand ich immer sehr schräg, dass es das gibt, und wir sprechen hier nicht von einer kleinen Gruppe. Schon im Studium haben wir geunkt: Wenn alle Menschen, die homosexuell sind, aus der katholischen Kirche aussteigen, dann hat die Kirche bald kein Personal mehr.

Also der Spannungsbogen ist irgendwann vonseiten der Kirche gebrochen und das hat dazu geführt, dass dir gekündigt wurde?

Genau. Als ich im Diaspora-Bistum kurz davor war, dass es hätte in Richtung Kündigung gehen können, habe ich selbst gekündigt. Das war insgesamt sehr unschön. Ich hatte einen Chef, der immer hinter mir und noch einem anderen Kollegen, der schwul ist, her war. Er hat uns in meiner Erinnerung keine Woche in Ruhe gelassen. Immer hat er Andeutungen gemacht und war sowieso sehr übergriffig in seinem Gebaren. Die Situation, die mich dann dazu gebracht hat zu kündigen, war während einer öffentlichen Veranstaltung mit Jugendlichen und Eltern, als irgendein Wort fiel. Ich war aber gerade unterwegs und er rief mir nur hinterher: „Dich hätte man im Mittelalter auf dem Scheiterhaufen verbrannt!“ Danach war mir klar: Okay, ich muss hier weg. Das geht nicht mehr.

Ich wechselte in das West-Bistum. Das war eine andere Welt. Während man in der Diaspora als gläubige Christin jemand Besonderes ist, eine von ganz wenigen, ist man im Westen eine von vielen – in einer Millionenstadt. Nachdem ich meine Frau kennengelernt habe, sind wir in der Stadt händchenhaltend herumgelaufen. Das hätte ich mich in dem Diaspora-Bistum nie getraut, da hätte man mich sofort erkannt.

Mein Privatleben entwickelte sich dann plötzlich in großen Schritten weiter. Und uns war klar: Wir wollen eine Familie gründen, Kinder haben. Und damit auch: Wenn ich die Kinder austrage, muss meine Frau sie adoptieren, und das ist ein Grund, warum wir heiraten müssen – ganz abgesehen davon, dass wir es sowieso sehr gern wollten. Ich habe mich dann durch einen Rechtsanwalt beraten lassen.

Als ich schwanger war, haben wir einen Hochzeitstermin festgelegt, der sechs Wochen vor dem Geburtstermin und damit schon im Zeitraum des Mutterschutzes lag. Wir wollten auf Nummer sicher gehen: dass ich im Mutterschutz bin, in der Hoffnung, dass sie sich dann nicht trauen würden, mich zu kündigen, aber auch, damit ich genügend Zeit habe, eine neue Stelle zu finden.

Vier Wochen vor der Geburt rief mich mein Arbeitgeber an und erkundigte sich bei mir, ob ich denn geheiratet hätte. Ein anderer Name stehe nun auf den Unterlagen und man wollte gleich die Heiratsurkunde sehen. Aber dann kam erst mal nichts mehr.

Zur Geburt unseres Sohnes im August traf eine umständlich formulierte Glückwunschkarte von allen Kollegen ein. Die Dankeskarten, die wir später verschickt haben, hat mein Chef, wie wir erfuhren, gleich alle aus dem Verkehr gezogen – es stand auch der Name meiner Frau darauf. Ja und dann, … dann habe ich gewartet.

Im Jahr darauf, kurz nach Ostern, habe ich dann eine Abmahnung erhalten, von meinem Chef mit einer Einladung zum Gespräch. Und da eröffnete er mir dann: So könnte ich natürlich nicht wiederkommen. Im Laufe des Gesprächs sagte er mir dann, dass es für ihn am einfachsten wäre, wenn ich mich scheiden ließe. Oder er könne mich aus der Verkündigung versetzen und mich beispielsweise als Reinigungskraft einstellen.

Ich habe es dann noch in einem Schreiben schriftlich bekommen, dass ich mich innerhalb von vier Wochen scheiden lassen muss. Als ich dann erklärte, dass das in Deutschland in dieser kurzen Zeit rechtlich überhaupt nicht möglich ist, bekam ich die zweite Abmahnung: Ich solle die Scheidung wenigstens innerhalb der Frist einreichen. Und dann eine Woche, bevor ich wieder hätte anfangen sollen zu arbeiten, fand nochmals ein persönliches Gespräch mit dem Chef statt, in dem er mir sagte, ich sei versetzt und solle mich scheiden lassen.

Ich sagte nur: „Wie stellst du dir das vor? Soll ich mein Kind verleugnen?“ Und konkreter: „Soll ich meinem Jungen von einem liebenden Gott erzählen, der ihn so, wie er ist, wunderbar geschaffen hat und ihn liebt, und ihm gleichzeitig sagen, dass ich so tun muss, als gäbe es weder ihn noch meine Frau, weil die Kirche, in der von dieser Liebe gepredigt wird, mich sonst rausschmeißt? Hat mein Sohn so überhaupt die Chance, eine unvoreingenommene Beziehung zu Gott aufzubauen?“

Er meinte nur, dass er mir dann kündigen muss. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass er persönlich mit meiner Lebensweise gar kein Problem hatte. Er musste es tun. Und das macht es dann auch schwer, sauer zu sein. Ich wäre so gern sauer, aber diese Person, die mir das angetan hat, ist hier einfach nicht der richtige Adressat.

Wie hat sich dein Verhältnis zur Kirche und zum Glauben nach der Kündigung verändert? Wie bindet ihr den Glauben in euer Familienleben ein?

Ich hatte gut zwei Jahre Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich gekündigt werde. Dass ich sehr gut war, in dem, was ich getan habe, dessen war ich mir bewusst. Auch, dass ich damit nicht aufhören wollte. Aber ich wusste ja, dass es so kommt. Ich musste also schauen, wo ich bleibe – mit meinem Glauben – und was das auch mit meinem Glauben macht. Ich bin sehr katholisch gewesen und gefühlt bin ich das immer noch. Mittlerweile trage ich überall ein, dass ich evangelisch bin, aber gefühlt bin ich das nicht. Am allerschlimmsten ist für mich aber, dass ich mein Zuhause verloren habe. Den Ort, der mir seit meiner frühesten Kindheit so viel gegeben und bedeutet hat.

Für meinen Sohn war es mir wichtig, dass er getauft wird, nicht so sehr die Konfession. Und mir selbst war es wichtig, das Eheversprechen an meine Frau auch in der Kirche, vor Gott zu sprechen. Wir haben dann evangelisch geheiratet mit einer tollen Pfarrerin, die mir in den letzten Jahren den Weg in die evangelische Kirche geebnet hat. Als mein Zuhause in der katholischen Kirche wegfiel, hat sie mir die Tür aufgemacht in die evangelische Kirche. Diese kann mir mein Zuhause aus der Kindheit nicht zurückgeben, aber wenigstens etwas auf dem Weg dahin sein.

Heute ist es mir sehr wichtig, meinen mittlerweile drei Söhnen den Weg zu Gott zu öffnen – unabhängig davon, was ich mit der Kirche als Institution erlebt habe. Und ihnen mit meinem Handeln meinen Glauben auch vorzuleben. Und das tun wir auch gemeinsam. Wäre die Situation eine andere, wären meine Söhne heute sicher katholisch. Es gibt so viele Dinge, wie die Messdienerarbeit zum Beispiel, die mir als Kind so wichtig waren. Das ist schon traurig, dass sie diese Erfahrung nicht machen können.

Ich bin selbst noch nicht in der Lage, ehrenamtlich wieder aktiv zu werden. Ich glaube, ich bin da noch im Trauerprozess. Schließlich habe ich nicht nur einen Job verloren. Sondern es war … – das war etwas, was man anders verarbeiten muss. Es ist ein Abschied. Und da bin ich noch nicht mit durch.

Was mich auch manchmal so ärgert, ist, dass ich von dieser Institution diskriminiert werde. Und ich kann mich nicht davon frei machen. Ich glaube, wenn ich wütender sein könnte, dann könnte ich das Ganze schneller verarbeiten, aber das kann ich nicht.

1Gekürzte und überarbeitete Fassung auf Grundlage des Interviews.

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