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Schule – zwei soziologische Schlaglichter
ОглавлениеAn dieser Stelle sollen nur zwei Perspektiven angeführt werden, die Schlaglichter auf institutionelle Charakteristika von Schule werfen: die des so genannten Neo-Institutionalismus und der soziologischen Differenzierungstheorie. Besonders der soziologische Neo-Institutionalismus um John Meyer an der Stanford University hat die enge Beziehung von Schule und der Prägung nationaler Mitgliedschaft untersucht (Meyer / Boli / Ramirez 1997, Boli / Ramirez / Meyer 1985; Ramirez / Boli 1987). Es geht hier gar nicht darum zu entscheiden, ob der Neo-Institutionalismus, der Funktionalismus oder Marxistische Theorien recht haben; ob Schule, im Sinne öffentlich organisierter, finanzierter und verantworteter Veranstaltung, entstanden ist, weil sie funktional ist für die Gesellschaft und ihre Qualifikationsanforderungen, weil sie gesellschaftliche Machtverhältnisse legitimiert und reproduziert oder weil sie gesellschaftliche Mitgliedschaft befördert, also dazu beiträgt, Schule als Imaginierte Gemeinschaft, als imagined community, um das berühmte Wort Benedict Andersons aufzugreifen, zu perpetuieren. Vielmehr wird der Neo-Institutionalismus in den Blick genommen, weil er sich auf die grundsätzliche Integrationsfunktion von Schule bezieht – für die „eigenen“ Kinder. „Eigen“ kann Unterschiedliches heißen. Es kann heißen, dass nur die Kinder, die einer als Abstammungsgemeinschaft sich verstehenden Nation angehören, auch der Schulpflicht unterliegen. Dies ist historisch in Deutschland der Fall gewesen, zumindest teilweise. Es kann auch heißen, dass Kinder im Namen der Nation angerufen, interpelliert werden, im Sinne Etienne Balibars. In jedem Falle ist die Schule verstrickt mit dem nationalen Kollektiv, in das sie eingebettet ist – ein wichtiges Indiz hierfür ist nach wie vor die Bedeutung von schulischer Sprachenpolitik, die in engem Zusammenhang steht mit der gesamtgesellschaftlichen Sprachenpolitik eines Landes. Sprache ist ein hervorragendes Beispiel für die Manifestation von Anerkennungskämpfen in Form von Zugehörigkeiten. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass Inklusion immer auch eine exkludierende Kehrseite hat – auch in der Schule. Niklas Luhmann, das ist der zweite Soziologe, von dem die Rede sein soll, hat mit seiner Differenzierungstheorie sehr deutlich unterstrichen, dass Schule an sich noch nicht hinreichend in Gesellschaft inkludiert. In funktional differenzierten Gesellschaften ist sie die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe, die in unserer Gesellschaft wesentlich über die Integration in den Arbeitsmarkt gesichert ist. Ohne entsprechende Bildungstitel und Bildungszertifikate ist eine Teilhabe an höherer Bildung oder an Ausbildung nicht möglich, wenn diese nicht jenseits des regulierten Arbeitsmarktes stattfinden soll. Der Schultheoretiker Helmut Fend (2006) hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass zur grundsätzlichen Integrationsfunktion auch die Qualifikations-, Allokations- und Selektionsfunktion der Schule tritt – von der Legitimationsfunktion ganz zu schweigen. Die schulischen Qualifikationen manifestieren sich letztlich in entsprechenden Abschlüssen, die wiederum Berufs- und Lebenschancen zuweisen. Da der Markt segmentiert und zudem noch hierarchisch gegliedert ist, erklärt sich auch die Selektionsfunktion. Begehrte Bildungstitel und Bildungszertifikate würden ihren Wert verlieren, würden sie ohne Unterschied an alle vergeben werden. Gleichzeitig gilt das meritokratische Prinzip, wodurch am Ende alle das Gefühl haben, dass sie den Platz einnehmen, den sie verdienen. Hinzu kommt, dass Schule nicht nur nach Leistung funktioniert, das hat der PISA-Ländervergleich hinreichend gezeigt, sondern auch nach anderen Gesichtspunkten, welche durchaus zu Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten führen. Dies soll verdeutlichen, dass sich jede Form des „Schulbashings“ oder „Lehrerbashings“ verbietet; solche pauschalen Zuschreibungen gehen an der Realität vorbei. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die Lehrerinnen und Lehrer die widersprüchlichen Anforderungen deutlich spüren und sich zu ihnen verhalten müssen. So hat beispielsweise die Erwartung, hohe Leistungen aller Schülerinnen und Schüler zu generieren, eine Fokussierung auf Stoffvermittlung zur Folge – zulasten des Erziehungsauftrags, den die Schule ja auch hat. Die Erwartung, möglichst alle zum Erfolg zu führen, impliziert, dass die individuelle Förderung nur in geringem Umfange realisiert werden kann. Insgesamt sind die schulischen Steuerungsformen und Steuerungsinstrumente heute so ausgerichtet, dass sie vor allem die Leistung in den Blick nehmen, und nach Maßgabe der aktuellen Diskussionen sind diese Leistungen vor allem in den naturwissenschaftlich-mathematisch-technischen, den so genannten MINT-Fächern zu erbringen und selbstverständlich in der Verkehrssprache Deutsch. Eine auf den einzelnen Schüler oder die einzelne Schülerin bezogene Individualförderung ist da nur schwer möglich.