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4. Johann von Besser: Die Ruhestatt der Liebe / oder die schooß der geliebten (1695)
ОглавлениеDas berüchtigte, 240 Alexandriner umfassende Gedicht Die Ruhestatt der Liebe / oder die schooß der geliebten1 von Johann von Besser beschreibt, wie Claudians Epithalamium eingangs eine nackte, schlafende Frau beobachtet. Allerdings substituiert Besser die Venus mit der Schäferdame Chloris, die nicht von dem Hochzeitstrubel, sondern von ihrem Verehrer Celadon durch eine nicht einvernehmliche sexuelle Handlung geweckt wird. Daraufhin muss sich Celadon für sein Fehlverhalten rechtfertigen, schafft es durch seine apologetische Rhetorik jedoch, Chloris wieder für sich zu gewinnen. Das Gedicht endet mit dem einvernehmlich vollzogenen Beischlaf. Während der Götterapparat also getilgt und die Handlungsführung auf die beiden Liebenden verschoben ist, lässt sich die intertextuelle Beziehung der beiden Gedichte durch die Eingangsszene bei Besser nachweisen, in der er unmissverständlich die Eingangsverse von Claudians Epithalamium zitiert:
1 | Bey diesen brennenden und schwülen sommertagen Ließ Chloris sich einmahl in ihren garten tragen/ Und suchte vor dem brand der sonnen eine klufft/ Von kühler witterung und schattenreicher lufft. |
5 | Sie setzte sich erhitzt bey einem baume nieder/ Und streckte bald darauff die perlen-volle glieder In das noch frische gras/ geruhiger zu seyn/ Und schlieff auch/ wie sie lag/ halb von der seiten ein. Ihr alabaster-leib war nur mit flor bekleidet/ |
10 | Und weilen man den zwang nicht bey der hitze leidet/ Ward ihre blosse brust im grünen klee gespürt/ Die zur gemächligkeit sie eben auffgeschnürt. Der sanffte westen-wind/ bereit sie abzukühlen/ Ließ seinen othem gleich auff diese wellen spielen/ |
15 | Und bließ mit stillem hauch bey ihrer süssen ruh Ihr aus der floren hand die weichsten blumen zu. Es wiegte gleichsam sie sein angenehmes weben; Doch als er sich bemüht den leichten rock zu heben/ Riß endlich unversehns von der gestreckten schooß |
20 | Der vorgeschürzte flor mit seinem gürtel los. (V. 1–20) |
Das Bild der sich auf das Gras legenden Göttin2 gibt Besser nahezu wörtlich wieder (V. 6–7), wobei er „sidereos“ nicht mit „glänzend/strahlend“ übersetzt, sondern preziös-metaphorisch mit „perlen-voll“ (V. 6). Ferner bieten die Verse 10–11 eine ziemlich getreue Übersetzung von Claudians Versen 6–7: „ora decet neclecta sopor; fastidit amictum aestus et exuto translucent pectore frondes“. Offensichtlich übernimmt Besser also nicht nur das Motiv der schlafenden, nackten Venus und projiziert es auf „Chloris“ (V. 2), sondern schließt auch textuell wörtlich an die lateinische Vorlage an. Damit lässt sich Bessers Ruhestatt der Liebe eindeutig als Parodie von Claudians Epithalamium bestimmen.3
In alexandrinischen Reimpaaren mit wechselndem Versgeschlecht amplifiziert Besser im epischen Ausmaß das erotische Moment und steigert es ins pornographische. Dabei fokussiert die Beschreibung wie in der anonymen Übersetzung das weibliche Geschlechtsteil. Geschickt wird der Leser als Komplize in Mitwissenschaft gezogen, indem das lyrische Ich sich und den Leser dreifach mit „uns“ apostrophiert (V. 23–26), bevor die Betrachtung in 26 Versen bildlich beschrieben und dem Leser dadurch tatsächlich eine Art Mitsicht geboten wird. Die akkumulatio von petrarkistischen Preziosen-Metaphern („castell von marmor“ „in einem liljenthal“ „eingang von rubin“ „schatten-werck von myrthen“ „von helffenbein […] hüffte“ (V. 29–37)) spitzt Besser kunstvoll zu, indem er zwei abschließende Metaphern anaphorisch mit der antithetischen Pointe verklammert:
Kein apffel kan so frisch sich an dem stengel halten/
Kein purpur-pfirsig ist so sanfft und zart gespalten/
Kein kleiner raum der welt hat so viel überfluß/
Als in der Chloris schooß der weisse nabel-schluß. (V. 41–44)
Dabei ist dieses hyperbolische Zwischenfazit durchaus als selbstironischer Kommentar auf die eigene Programmatik zu deuten. Denn Besser stellt mit der weiblichen Scham ohnehin ein pikantes Thema vor, weshalb die übermäßige Länge der Illustration übertrieben, fast unangemessen, wenn nicht gar pornographisch erscheint. Gerade dies ist jedoch Teil des galanten Programms, das Besser wie folgt zusammenfasst: „Das liebste/ das man kennt/ und doch sich scheut zu nennen/ Weil auch das blosse wort uns schon vermag zu brennen“ (V. 25–26). Paralyptisch täuscht das lyrische Ich Hemmungen gegenüber der selbst vorgebrachten Thematik vor, um dann in epischer Breite das weibliche Geschlechtsteil zu beschreiben. Die ‚insistierende Nennung‘ ist hierbei jedoch Teil der arguten Technik, mit der die Beschreibung der weiblichen Scham künstlich überformt wird und an Schärfe verliert. Insofern ist Bessers Ruhestatt der Liebe als Probe aufs Exempel für die galante Poetologie zu verstehen4, die Besser freilich auf die Spitze treibt. Denn während in Claudians Epithalamium noch eine Anleitung für die Sexualität in der Ehe gegeben (V. 130–138) und in der Übersetzung die betrachtete Göttin zum Objekt der imaginierten Sexualität transformiert wird, gestaltet Besser auch den sexuellen Akt aus. Die raumdeiktischen Demonstrativpronomen antizipieren die nachstehende Aktbeschreibung bereits in der vorhergehenden Naturschilderung:
Die brunnen wollten sich durch diesen garten winden
Die blumen glaubten hier ihr blumen-feld zu finden
Die Nymphen waren selbst wie halb darein vernarrt. (V. 49–51)
Doch dabei belässt es Besser nicht, sondern schildert in aller Deutlichkeit die Penetration durch Celadons Hand, die sich unmissverständlich als Vergewaltigung herausstellt:
65 | Was halff ihm alle furcht vor dem geliebten weibe? Die finger glitten aus auff dem polirten leibe/ Und rollten mit gewalt vor das gelobte land/ Das eine hole faust in allem überspannt. […] |
81 | Er wuste nicht was er vor hitze sollt beginnen; Er fieng wie weiches wachs vor ohnmacht an zu rinnen/ Und hätt/ ich weiß nicht was/ vor raserey vollbracht/ Wenn Chloris nicht davon zum unglück auffgewacht. |
85 | Sie stieß/ noch voller schlaffs/ mit ihren beyden händen/ Den frembd- und kühnen gast von ihren weissen Lenden/ Der ihre zarte schooß durchwühlet und verheert/ Und sprach/ als sie ihn sah: du bist des stranges werth. (V. 65–88) |
Claudians Gleichnis der schlafenden Venus für die erwachende eheliche Sexualität invertiert Besser ironisch-grotesk, indem er seine weibliche Protagonistin durch den Sexualakt erwachen lässt. Dirk Niefanger hat bereits darauf hingewiesen, dass „ein wesentlicher Teil der Barockerotik […] aus dem Reiz des Verdeckens und der mehrstufigen Fiktionalisierung der Sexualität“5 entsteht. Ferner konnte er zeigen, wie Benjamin Neukirch in seinen Sylvia-Gedichten „die üblichen Grenzen erotischer Lyrik um 1700 – im Sinne einer aemulatio – überschreitet“6, indem er die Imagination des Sprechers in die Brüste der Frau projiziert. Johann von Besser geht jedoch noch einen Schritt weiter, wenn er die Imagination in die Darstellung einer konkreten sexuellen Handlung überführt. Freilich hält er teilweise an den verdeckenden Fiktionalisierungsstrategien fest, die für die Barockerotik maßgeblich sind; mit dem extensiven Gebrauch von Metaphern z.B. stellt Besser eine Diskrepanz zwischen der konkreten Vorstellung des Geschilderten und der sprachlichen Realisierung her. Dagegen wird die sexuelle Handlung durch die drastische Beschreibung ihrer Folgen und der von Chloris gewünschten Konsequenzen unverkennbar deutlich und das Vexierspiel der vorangegangenen Fiktionalisierung dechiffriert: „Der ihre zarte schooß durchwühlet und verheert/ Und sprach/ als sie ihn sah: du bist des stranges werth“ (V. 87–88).
So, wie Hymen bei Claudian vor der erwachenden Venus dafür Rechenschaft ablegen muss, dass er sie nicht früher über die bevorstehende Hochzeit informiert hat, muss sich Celadon für die an Chloris vorgenommene sexuelle Handlung rechtfertigen. Damit übernimmt Besser den rhetorischen Kunstgriff Claudians, der mit dem eingeleiteten Dialog den Gottheiten den Austausch über die Brautleute und damit den Einstieg in die Laudatio auf das Hochzeitspaar ermöglicht.7 Während bei Claudian jedoch dem Brautpaar und den Eltern der Brautleute gehuldigt wird, nutzt Besser den Dialog, um in Cedalons apologetischer Rede den Sexualakt zu ästhetisieren. In einer dreistufigen Argumentation hält Celadon zunächst eine „laudatio“ auf die weibliche Scham (V. 97–124), führt dann Beispiele aus der Natur und der Mythologie an, die sein Handeln begründen und rechtfertigen (V. 125–208), bevor er Chloris selbst für seinen forschen Vorstoß verantwortlich macht (V. 209–240) und sie schlussendlich besänftigt:
104 | Durch jene Demmerung die um dein auge tagt/ Durch deine tulpen-schooß/ durch deine nelcken-brüste/ Durch die von beyden mir noch unbekandten lüste/ Durch deine schöne hand die mich jetzt von sich stößt? Was hab ich denn verwürckt/ das zephyr dich entblößt? Daß ich es mit beschaut/ was dessen hauch verübet/ |
110 | Daß ich es angerührt/ was erd und himmel liebet/ Was selbst der Götter mund begierig hat geküst/ Und was der inbegriff von deiner schönheit ist. Es ist ja deine schooß der auszug aller zierde/ Der enge sammel-platz der schmeichelnden begierde/ |
115 | Das rund/ wo die Natur zusammen hat gedrängt/ Was sich nur reitzendes den gliedern eingemengt. Hier ist der kleine schatz der deinen reichthum zeiget/ Der lebendige thron der alle scepter beuget/ Der süsse zauber-kreyß/ der unsern geist bestrickt/ Und deß beschwehrungs-wort die felsen auch entzückt (V. 104–120) |
In anaphorisch verklammerten Parallelismen und anspielungsreicher, bildlicher Sprache überformt Besser die weibliche Scham ästhetisch. Mit der Zentrierung auf die weibliche Scham travestiert er jedoch gleichzeitig das so häufig in barocken Epithalamien vorgebrachte Schönheitslob. Vor allem die Metaphern, die das weibliche Geschlechtsteil mit Herrschaftsakzidenzien vergleichen, wirken komisierend, weil sie das Herrscher- und Frauenlob vulgär auf die weiblichen Geschlechtsteile bündelt.
Gleichsam wirkt Celadons Anschuldigung, Chloris sei selbst für den Übergriff verantwortlich, grotesk, weil sie das Opfer zum Täter verkehrt. Während mit der ‚insistierenden Nennung‘ die Schuldzuweisung jedoch ironisch gebrochen wird (das lyrische Ich erklärt: „Er fuhr voll eyffers auff/ um dieses unrechts willen“ (V. 229), variiert Besser die petrarkistische Liebeskonzeption, für die die Ablehnung des Liebhabers und die Unerfüllbarkeit seiner erotischen Wünsche konstitutiv sind, überraschend. Die erzürnte Chloris kommt selbst zu Wort und willigt zur Liebesvereinigung ein: „Sie zog/ nunmehr erweicht/ nach dem bezeugten haß/ Den ausgesöhnten feind mitleidig in das graß“ (V. 231–232).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bessers Ruhestatt der Liebe als aemulatio in zwei Diskursbereichen eingebunden ist. Einerseits ist die Ruhestatt der Liebe als Claudian-Rezeption zu lesen und damit im Kontext der kulturpatriotischen Nationalliteratur zu verorten, die seit Martin Opitz versucht, antike Vorbilder imitierend zu überbieten. Andererseits bricht Besser mit der streng imaginativen Tradition der erotischen Lyrik und damit auch ein eingängiges Tabu. Obwohl er mit den Preziosen-Metaphern das petrarkistische Liebesideal alludiert, sprengt seine Schilderung des sexuellen Übergriffs klar die Grenzen dieses Liebesideals, das die erfüllte Körperlichkeit höchstens imaginiert oder hypothetisch topisch (carpe diem) zulässt.