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2.3.4 Sprachenvielfalt – Sprachenpolitik

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Sprachenvielfalt ist also auch Kultur- und Wissenschaftsvielfalt, und Kultur- und Wissenschaftsvielfalt ist Sprachenvielfalt. Beide sind dialektisch miteinander verbunden und stellen damit ein Bereicherungspotenzial und nicht Rückständigkeit dar. Weinrich (1994) hat an mehreren Stellen darauf hingewiesen, dass Wissenschaft überhaupt nur aus Sprache bestehe, ohne diese gar nicht denkbar sei (siehe dazu auch Lerneinheit 8.3 in diesem Band). Wissenschaft ohne Veröffentlichung, also Bezug auf veröffentlichte Ergebnisse und Erkenntnisse, ohne Versprachlichung in Schrift oder Wort, sei im Prinzip gar keine Wissenschaft, weil erst die Veröffentlichung wissenschaftliche Primate, wie das der Überprüfbarkeit, ermögliche. Aber auch der Prozess der Erkenntnisgewinnung läuft durch und durch über Sprache, von der Aufnahme der Forschungsergebnisse anderer Kollegen und Kolleginnen, über die Kommunikation im Labor, die kritische Diskussion in Konferenzen und auf Tagungen bis hin zur Verfertigung von Lehrbüchern.

Hier zeigt sich deutlich, dass die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung durch und durch und von Anfang an ein kommunikativer Prozess ist, an dem die sprachliche Fassung einen wesentlichen Anteil hat. Und das gilt für alle Wissenschaften, nicht nur für die notorisch sprachförmigen Geisteswissenschaften (Weinrich 1994: 163).

Wenn es insgesamt eine so weitreichende gegenseitige Abhängigkeit von Sprache, Kultur und Wissenschaft gibt, dann ist das Konzept der Lingua Franca ein differenzierteres, als es die Sprachen- und Bildungspolitik in vielen Ländern wahrnimmt. Aus einer differenzierteren Sicht ergeben sich folglich nicht nur sprach- und kulturdidaktische Konsequenzen, sondern gravierende Auswirkungen auf die Sprachen- und Bildungspolitik.

Einsprachigkeit, auch in Form einer Verkehrssprache (und ersten Fremdsprache) wie dem Englischen oder gar dem kulturfremden Esperanto, führt nicht automatisch zu Fortschritten oder internationalem Anschluss in Bildung, Wissenschaft und Alltag. Es gibt offensichtlich natürliche gesellschaftliche Gründe für die bereits existierende kulturelle und sprachliche Vielfalt. Also ist nicht Einsprachigkeit, sondern die Kultivierung der Kulturen zu fördern, und zwar gerade dadurch, dass Maßnahmen der Vermittlung zwischen Kulturen und die Entwicklung daraus entstehender weiterer (zweiter, dritter, vierter und fünfter) Perspektiven angestrebt werden. Darin eingeschlossen sind Dritte-Ort-Kulturen, die sich in interkulturellen Alltagssituationen manifestieren und im Wechselspiel mit den Ausgangskulturen ihrer Mitglieder stehen.

Eine Förderung derart verstandener Multikulturalität könnte folgendermaßen geschehen: Durch eine Sprachen-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die nicht Einsprachigkeit (oder einsprachige Fremdsprachigkeit) im Sinne eines naiven Verständnisses von Globalisierung propagiert, sondern den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und hermeneutischen Nutzen geistesgeschichtlicher Pluralität erkennt. Die also in Arbeits- und Lebenseinheiten wie etwa der Europäischen Union mehrere Verkehrssprachen fördert, mehrere Arbeitssprachen in die Lehrpläne aufnimmt und auch den Bestand an Regionalsprachen fördert (vergleiche hierzu auch die Vorschläge von Seidlhofer (2001) und die phonologischen Untersuchungen von Jenkins (2000)). Um dafür Ressourcen zu schaffen, könnte sich der Englisch-Fremdsprachenunterricht viel stärker als bisher auf die Vermittlung der Varianten der Lingua Franca Englisch konzentrieren, die ohnehin zunehmend Allgemeingut werden, und den Anteil der lingua culturae Englisch in den Lehrplänen ähnlich gewichten, wie den anderer Verkehrs- oder Regionalsprachen auch. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen und einige Lehrpläne europäischer Länder haben diese Intentionen in Richtung einer Mehrsprachigkeit zwar formell in der einen oder anderen Weise aufgenommen, aber bei der Umsetzung einer gelebten, brauchbaren Mehrsprachigkeit durch die Schulen – zum Beispiel durch eine Mehrsprachendidaktik oder qualitativ hochwertigen Output – fehlt es noch weit.

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