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1. Mystik1
ОглавлениеEs kommt nicht von ungefähr, dass zurzeit – wenn man etwa an den Namen Kurt Flasch2 denkt – eine heftige Debatte stattfindet, z.B. ob Meister Eckhart, der große deutsche Prediger, Philosoph und Sprachschöpfer des Mittelalters, der gemeinhin als Mystiker geführt wurde und wird, überhaupt als Mystiker zu bezeichnen ist. Dabei zeigt sich auch und vor allem: Der Begriff ‚Mystik‘ ist schwer zu definieren. Hier kann nur ein vorsichtiger Definitionsversuch unternommen werden. Sicher ist: Er ist abgeleitet vom griech. mystikós‚ ‚geheimnisvoll, geheim‘, und dieser Begriff wiederum hat etwas mit der Vorstellung geschlossener Augen zu tun. Man kann dem zweierlei entnehmen: Mystische Lehren können – vor den Blicken verborgen – Geheimlehren sein, und es geht der Mystik um die Durchdringung des Geheimen, Geheimnisvollen und Verborgenen. Dies geschieht – bildlich gesprochen – mit geschlossenen Augen, also in höchster Konzentration auf das Innere. Mystik wird weiter gemeinhin als unmittelbare und erlebnishafte Erfahrung des Göttlichen oder Transzendenten definiert. Dabei werden in der Regel das gewöhnliche Bewusstsein und die verstandesmäßige Erkenntnis überstiegen. Ziel der Mystik ist die Vereinigung, christlich als unio mystica gefasst, mit dem absoluten Seinsgrund. Mittel sind häufig Askese, Meditation und Kontemplation. Für den christlichen Bereich des Mittelalters kann Mystik etwa mit Thomas von Aquin oder Bonaventura als cognitio dei experimentalis definiert werden, d.h. also als erfahrungshafte Gotteserkenntnis. Dabei ist jedoch zu differenzieren: Zu dem Phänomen, das man gemeinhin als mystisch zu fassen versucht, gehören einerseits unmittelbar erlebte oder von Gott gnadenhaft geschenkte Visionen, Auditionen, sensuelle Wahrnehmungen einerseits, auf der anderen Seite aber auch häufig die theoretisch-philosophische Reflexion entweder über Phänomene der Mystik oder über die Einung mit Gott. Man kann deshalb von verschiedenen Textsorten ausgehen, die sich in zwei Richtungen einteilen lassen, einmal in die praktische, sogenannte Erlebensmystik und andererseits in die spekulative, theoretisch-philosophisch-orientierte Mystik (so bei Eckhart). Als Literatur- und Textwissenschaftler haben wir es zudem immer mit Texten zu tun, d.h. mit inszenierter Wirklichkeit, die literaturimmanenten Gesetzen folgt.
Wenn man von erfahrungshafter Gotteserkenntnis redet, werden in diesem Bereich autobiographische oder pseudo-autobiographische Erlebnisberichte dominieren, auf der anderen Seite theologisch-philosophische theoretische Reflexionen, die man als Mystologie bezeichnen kann, und Lehrschriften über den mystischen Weg (Mystagogie). Mechthilds Fließendes Licht der Gottheit wäre besonders dem Erlebnisbereich zuzuordnen, wobei auch Tendenzen zum Lehrhaften erkennbar und Literarisierungsstrategien unübersehbar sind.