Читать книгу Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie - Группа авторов - Страница 4

1 Zugewanderte im deutschen Bildungssystem

Оглавление

Massumi und von Dewitz definieren Neuzugewanderte als „Kinder und Jugendliche […], die im schulpflichtigen Alter (sechs Jahre oder älter) nach Deutschland migrieren und zu diesem Zeitpunkt über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse verfügen“, wobei Deutschkenntnisse dann als „nur gering“ gelten, wenn sie „nicht als ausreichend angesehen werden, um erfolgreich am Unterricht in einer Regelklasse an einer deutschen Schule teilzunehmen“ (Massumi/von Dewitz 2015: 13). Der Begriff ist also ursprünglich auf das schulische Sprachlernen bezogen und stellt heraus, dass Partizipation an einem (in diesem Fall schulischen) Regelsystem denjenigen vorbehalten zu sein scheint, deren Deutschkenntnisse als ausreichend eingestuft werden. Dabei ist nicht klar definiert, was im Einzelfall ausreichend bedeutet. Ebenso unklar ist, wer darüber entscheidet, wann Deutschkenntnisse ausreichen und wie überprüft wird, ob sie ausreichen. Trotz dieser substantiellen Lücken wird Sprache, oder genauer sprachliche Fähigkeiten im Deutschen, zur Voraussetzung für soziale Teilhabe gemacht. Dies ist keinesfalls auf die von Massumi und von Dewitz zurückgehende Begriffsdefinition zurückzuführen, vielmehr bildet diese eine gängige Praxis ab: Kompetenzen in der Mehrheitssprache werden bei Zugewanderten zur notwendigen Voraussetzung für Partizipation im weiteren Sinne, d.h. sowohl im Kontext von Bildungsinstitutionen als auch gesamtgesellschaftlich, gemacht. Im Kontext von Integrationsmaßnahmen kommt der Ausbildung ‚ausreichender‘ Sprachkenntnisse im Deutschen somit eine Schlüsselfunktion zu.

Entscheidend am Begriff Neuzugewanderte ist zudem das dem Partizip vorangestellte Adjektiv neu. Es suggeriert, dass es einen Unterschied gibt zwischen neu zugewanderten und zugewanderten Personen, der wiederum an Sprachfähigkeiten festgemacht wird. Werden nämlich Deutschkenntnisse als ausreichend eingestuft, so verliert eine neu zugewanderte Person lediglich das Attribut ‚neu‘ – zugewandert bleibt sie trotzdem. In Bildungsstatistiken werden Zugewanderte dabei häufig in einer Sammelkategorie wie Personen/Schüler:innen mit Migrationshintergrund oder nicht-deutscher Herkunftssprache oder auch DaZ-Lerner:innen subsummiert, häufig ohne zusätzliche Differenzierung individueller Bildungs- und/oder Sprachbiographien.

Die vorgestellte Definition von Massumi und von Dewitz (2015) bezieht sich explizit auf Kinder und Jugendliche in der Schule. Basierend auf der hier vorgenommenen Auslegung der Definition lässt sich der Begriff jedoch auch auf (junge) Erwachsene übertragen. Auch jenseits schulischer Bildungsinstitutionen wird hier für Zugewanderte Sprache zur Bedingung für Partizipation gemacht. Die Parallelen zeigen sich besonders darin, dass beispielsweise der Studienzugang vom Nachweis sprachlicher Fertigkeiten (mit) abhängig ist. Zugewanderte Erwachsene sind, je nach Aufenthaltsstatus, teils verpflichtet zum Besuch sog. Integrationskurse, die im Grunde Sprachkurse sind, und zum Ablegen entsprechender Sprachprüfungen. Sprachkompetenzen fungieren dann als Zugangsvoraussetzung zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Sozialer Teilhabe ist, vereinfacht gesagt, ein Sprachkurs vorgeschaltet. Dieser Usus findet sich in ähnlicher Form auch in der Schule in Form sog. Vorbereitungsklassen, die dem Aufbau grundlegender Deutschkenntnisse dienen, bevor zugewanderte Schüler:innen in Regelklassen übergehen dürfen. Zugleich ist die Art der Beschulung bei neu zugewanderten Schüler:innen, wie die Gruppe selbst, in enormem Maße heterogen. Das Spektrum der Beschulungsmodelle reicht von vollständig separierten Klassen bis hin zu vollständiger Inklusion in Regelklassen von Beginn an. Dazwischen finden sich unterschiedliche teilinklusive bzw. teilseparierende Modelle (vgl. für einen Überblick Ahrenholz et al. 2016, Decker-Ernst 2017, Massumi/von Dewitz 2015).

Jenseits des konkreten Lernorts und auch jenseits konkreter individueller Bedarfe, die aus einem komplexen Ineinandergreifen unterschiedlichster individueller sowie externer Lernfaktoren erwachsen, ist das Erwerben grundlegender Kenntnisse im Deutschen für alle Neuzugewanderten das wichtigste und auch drängendste Lernziel. Dieses Ziel ist, wenn man so will, der kleinste gemeinsame Nenner für die hochgradig heterogene Lerngruppe. Die COVID-19-Pandemie und die damit einhergehende Verlagerung jeglichen Lernens in die Distanz stellt für diese Gruppe einen tiefen Einschnitt in den elementaren Sprachlernprozess dar.

Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie

Подняться наверх