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2 Lernen und Lehren während der Pandemie

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„Ich habe jeden Sonntag mit meiner Tochter die Mails von ihrem Lehrer sortiert und einen Wochenplan für sie erstellt“

(O-Ton einer Mutter von 3 Kindern im Juni 2020)

Im Kontext der globalen Ausbreitung von COVID-19 stellte die Schließung jeglicher Bildungseinrichtungen (Schulen, Universitäten, außerinstitutionelle Lernorte) weltweit eines der wichtigsten Mittel zur Eindämmung der Pandemie dar. In Deutschland erfolgte die Schließung aller Bildungseinrichtungen am 18. März 2020 für zunächst sieben Wochen, Ausnahmeregelungen gab es lediglich in Schulen für Kinder und Jugendliche mit Eltern in sog. systemrelevanten Berufen. Ab dem 4. Mai durften ausgewählte Lerngruppen – Abschlussklassen und zum Teil auch Lernende mit besonderem Unterstützungsbedarf – nach und nach in den eingeschränkten Regelbetrieb mit erheblich reduzierter Präsenzzeit wechseln, dies erfolgte mit großen bundesland- und zum Teil sogar schulspezifischen Unterschieden (vgl. für einen Überblick über Maßnahmen und Regelungen Fickermann/Edelstein 2020: 10–13, Fickermann/Edelstein 2021a: 8–17 sowie Reintjes et al. 2021: 7–11). Eine Vielzahl von Schüler:innen hatte erst ab Mitte Juni erstmals wieder Zutritt zu ihrer Schule, das entspricht einer Präsenzunterbrechung, die mehr als das Doppelte der Sommerferienzeit beträgt, und auch nach der Schulöffnung gab es wenig Kontinuität. Die sich dynamisch entfaltende Pandemiesituation führte dazu, dass grade Schulen wenig bis keine Planungssicherheit hatten und sowohl für das weitgehende Aussetzen als auch für hybride Modelle des Lernens kreative Konzepte und Lösungen in möglichst kurzer Zeit entwickeln und umsetzen mussten. Für viele Lehrkräfte, Schulleitungen, Schüler:innen und Familien wurde der Schulbesuch reduziert auf eine wochenweise Planung, die wiederum jederzeit durchbrochen werden konnte von Quarantänemaßnahmen.

Angesichts der fast schon unüberschaubaren Vielfalt an Regelungen zu Schulöffnungen und unterschiedlichsten Planungsstrategien ist es nahezu unmöglich, die Fülle ebendieser zu erfassen. Hinzu kam, dass die Bundesländer ab November 2020 eigene Stufenpläne – meist in Form von Ampelsystemen – in Abhängigkeit von lokalen Inzidenzzahlen entwickeln konnten, um regional auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können. Eine einheitliche Schulschließung kam nach der inzwischen 21-monatigen Pandemiesituation erneut am 16. Dezember 2020 durch den vorgezogenen Start der Weihnachtsferien zustande. Diesmal blieben die Schulen bis Mitte Februar bundesweit geschlossen (neun Wochen, wieder mit Ausnahmeregelungen zur Betreuung), danach kam es erneut zu regionalen Stufenplänen, etwa Ende April 2021 waren alle Schulen weitestgehend im eingeschränkten Regelbetrieb. Universitäten und auch außerinstitutionelle Bildungsorte blieben im gesamten Zeitraum nur stark eingeschränkt zugänglich oder sogar gänzlich geschlossen.

In der Schule lassen sich – nach bisherigem Stand – somit zwei größere ‚Lockdowns‘ ausmachen, die das Lernen und Lehren von Grund auf veränderten, wobei der zweite Lockdown Ende November mit etwa fünf Monaten deutlich länger anhielt als der erste. In der Summe blieben in Deutschland Schulen 34 Wochen (teilweise oder vollständig) geschlossen, teils deutlich länger als im Vergleich zu anderen (west-)europäischen Ländern.1

Im Zuge der Lockdowns – und darin insbesondere der vollständigen Schulschließungen – mussten die Schulen jegliches Lernen auf Distanzlernen und damit sowohl auf synchrone Formate unter Rückgriff auf digitale Instrumente als auch asynchrone Formate umstellen. Alle Bildungseinrichtungen, ganz besonders jedoch die Schulen, sind mit den Möglichkeiten des Distanzlernens sehr unterschiedlich umgegangen. Wie genau sich die abrupte Umstellung auf Distanzlernen an Schulen ausgestaltet hat, ist inzwischen Gegenstand zahlreicher Studien. So lagen bereits recht früh im Pandemieverlauf (teils repräsentative) Erhebungen zur konkreten Ausgestaltung des Distanzlernens und zum Einsatz digitaler Lehr-Lern-Tools vor (vgl. z.B. Eickelmann/Drossel 2020, Huebener et al. 2020, Geis-Thöne 2020, Tengler et al. 2020, Wößmann et al. 2020). Insgesamt kommen diese Studien zum Fazit, dass synchrone Lernumgebungen in Form von Videokonferenzen im Vergleich zu asynchronen Lernangeboten, bei denen Materialien und Aufgaben zwar teils digital per Mail oder Lernplattform abgerufen, aber weitgehend selbstständig bearbeitet werden müssen, nicht die Regel darstellten. Das Aufrechterhalten des Kontakts per Videokonferenz fand in 20–30 % der Fälle statt (vgl. Eickelmann/Drossel 2020: 17; Huebener et al. 2020: 870; Wößmann et al. 2020: 33). Huebener et al. (2020: 871) machen hierbei zudem einen deutlichen Schultypeffekt aus: An Gymnasien wurden synchrone Formate deutlich häufiger eingesetzt als an anderen weiterführenden Schulformen sowie insbesondere an Primarschulen. In sog. Akademikerhaushalten finden sich dabei häufiger Formen des direkten Kontakts (per Videokonferenz oder individuellen Gesprächen) als in Nicht-Akademikerfamilien (vgl. Wößmann et al. 2020: 33). An diesem grundsätzlichen Gefälle ändert sich auch im zweiten Lockdown nichts, obwohl der Anteil an Videokonferenztools als Mittel des Distanzunterrichts hier steigt (vgl. Wößmann et al. 2021: 48). Nur ein Teil des Unterrichts bzw. nur einige Schüler:innen hatten somit die Möglichkeit, in der gewohnten Lerngruppe und v.a. in direkter Interaktion mit der Lehrkraft zu lernen. Für die meisten anderen bedeuteten die Lockdowns die Umstellung auf ein weitgehend selbstverantwortliches und auch selbstorganisiertes Lernen. Besonders alarmierend ist dabei die Tendenz, dass asynchron selbstorganisierte und digital abgegebene Lernprodukte zum Teil keine Rückmeldung durch Lehrkräfte erfuhren. Laut einer Elternbefragung zum Homeschooling im ersten Lockdown übermittelten knapp zwei Drittel der Schüler:innen ihre bearbeiteten Aufgaben digital und erhielten dazu nicht selbstverständlich – d.h. in 20–25 % der Fälle selten oder niemals – eine Rückmeldung (vgl. Wildemann/Hosenfeld 2020: 24–27 sowie Wößmann et al. 2021: 48).

Für die jeweils involvierten Akteur:innen stellte diese Umstellung eine teils große Herausforderung dar: So mussten Schulen die Infektionssicherheit dort gewährleisten, wo der Zugang zu Schulen möglich gemacht wurde, sie mussten in sehr kurzer Zeit unterschiedlichste Maßnahmen und Verordnungen umsetzen und auch die Infrastruktur für digitales Lernen für ihre Schüler:innen im Homeschooling bereitstellen. Von Lehrenden wurde ein hohes Maß an Flexibilität im Umgang mit individuellen Bedarfen, ein teils sehr hohes Engagement sowie die zügige und weitgehend selbstständige Umstellung auf Distanzlehrformate erwartet. Lernende standen vor der Aufgabe, sich selbst zu organisieren (z.B. mithilfe von – teils selbst erstellten – Wochenplänen), selbstverantwortlich zu handeln und z.B. eigenständig auf Probleme aufmerksam machen, sich selbst zum Lernen zu motivieren und unter Ablenkung selbstdiszipliniert zu arbeiten. Digitale Medienkompetenzen sowie das Vorhandensein kompetenter Personen im familiären Umfeld wurden dabei fast schon vorausgesetzt (vgl. Frohn 2020: 67, 71f., 73). Eltern waren mehr denn je in der Pflicht, Lernverläufe technisch und inhaltlich zu ermöglichen und zu unterstützen.

Wie Lehrkräfte, Schüler:innen, aber auch Eltern mit dieser Situation umgegangen sind, ist ebenfalls Gegenstand von inzwischen zahlreichen (und in der Zahl wachsenden) teils repräsentativen Befragungen (vgl. z.B. Andresen et al. 2020a, 2020b; Demski et al. 2021; Dietrich et al. 2021; Geis-Thöne 2020; Grewenig et al. 2020; Holtgrewe et al. 2020; Huber/Helm 2020; Leibniz Institut 2020, 2021; Wildemann/Hosenfeld 2020; Wößmann et al. 2020, 2021). Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich zum einen folgern, dass sich die Lernzeit im Mittel für die meisten Schüler:innen deutlich reduziert hat (vgl. Wößmann et al 2020: 28; Wößmann et al. 2021: 38), am stärksten bei leistungsschwächeren Kindern und Jugendlichen aus Nicht-Akademiker-Haushalten (vgl. z.B. Dietrich et al. 2021: 357f.; Grewenig et al. 2020: 7f.; Wößmann et al. 2020: 28). Nicht nur Schüler:innen beschreiben Situationen der Überforderung mit den Anforderungen des Distanzlernens (vgl. Holtgrewe et al. 2020: 3f.), auch ihre Eltern sehen die implizite Anforderung, das Lernen zu Hause zu unterstützen, mehrheitlich als wenig erfolgreich an und schätzen den Lernzuwachs im Vergleich zum Präsenzunterricht als (z.T. deutlich) geringer ein (vgl. Leibniz Institut 2020: 7). Grundsätzlich kommt eine Reihe von Studien zu dem Befund, dass individuelle und familiäre Ressourcen als Voraussetzung für selbstverantwortliches Lernen teils stark divergieren und dabei häufig vom familiären Bildungshintergrund abhängig zu sein scheinen (vgl. u.a. Fuchs-Schündeln et al. 2020, Grewenig et al. 2020). Die technische Ausstattung stellt sich dabei zunächst nicht für alle als grundsätzliche Hürde dar, denn die meisten Jugendlichen verfügen zumindest über einen Zugang zu Computern, Laptops oder Tablets (abhängig vom sozialen Status, im Mittel knapp 90 % der 12- und 14-Jährigen, vgl. Geis-Thöne 2020: 11). Rude stellt dar, dass dies auch auf 85 % der Kinder mit Migrationshintergrund zutrifft, bei geflüchteten Kindern liegt der Anteil hingegen unter 50 % (vgl. Rude 2020: 49). Deutlich weniger haben jedoch Zugriff auf einen eigenen Computer (ca. 28 % der 12-Jährigen und 40 % der 14-Jährigen, vgl. Geis-Töhne 2020: 12). Entscheidender als die technischen Ressourcen sind jedoch Faktoren wie die individuelle Lesekompetenz (vgl. Leibniz-Institut 2021: 3) oder auch allgemeine motivationale Faktoren (vgl. z.B. Wildemann/Hosenfeld 2020: 9–13) sowie die grundsätzliche Erreichbarkeit von Schüler:innen (vgl. Einschätzung der Lehrer:innen in Eickelmann/Drossel 2020: 16).

Insgesamt, so lässt sich mit inzwischen großer Sicherheit sagen, entscheidet der individuelle familiäre Bildungshintergrund sowie die individuelle Leistungsstärke (wobei beide Faktoren teils co-abhängig sind) in einem hohen Maße darüber, wie gut oder schlecht Schüler:innen mit dem Distanzlernen umgehen (konnten). Angesichts dieses Befundes stellt sich die unmittelbare Frage nach individuellen sowie gesamtgesellschaftlichen Folgen dieses Auseinanderklaffens. Bildungsökonomische Studien prognostizieren hierzu volkswirtschaftliche Langzeitschäden, die durch Unterrichtsausfall verursacht werden können (vgl. z.B. Wößmann 2020). Auf Lernentwicklung hin ausgerichtete Studien weisen zugleich recht deutlich darauf hin, dass Schulschließungen eine Form der Lernunterbrechung darstellen und Lernstagnationen sowie Lernrückstände hervorrufen, wobei auch hier ohnehin bildungsbenachteiligte Lerner:innen in besonderem Maße von solchen Folgen betroffen sind (vgl. für einen systematischen Überblick Hammerstein et al. 2021 sowie im Besonderen für Deutschland Depping et al. 2021 sowie Schult et al. 2021). Schüler:innen und Eltern bestätigen die Sorge, dass die Schulschließungen zu teils deutlichen Lernrückständen führen (vgl. IfD 2021: 32).

Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie

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