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DIE KAPPADOKISCHE MAUER – NORDGRENZE DES ASSYRISCHEN REICHES?
ОглавлениеAndreas Müller-Karpe
Zum Abschluss verschiedener Eroberungszüge in das anatolische Hochland ließ Sargon II., mächtiger König Assyriens, in seinem 10. Regierungsjahr (713 v. Chr.) eine Reihe von Festungen anlegen, um die Grenzen der neu gewonnenen Territorien abzusichern. Seine Taten schildert er eindrucksvoll in ausführlichen Annalen, die auf den reliefgeschmückten Wänden seines neuen Palastes in Khorsabad (Nordirak) eingemeißelt sind. Dem Keilschrifttext ist zu entnehmen, dass die Befestigungen so effektiv gewesen seien, dass man aus den feindlichen Ländern des Nordens »nicht mehr (nach Assyrien) herauskommen kann«. Dies bedeutet, dass unter Sargon eine völlige Abriegelung gegenüber den Ländern Musku (den Phrygern im westlichen Zentralanatolien), Urartu (in Ostanatolien) und in der Mitte gegenüber dem Land Kasku (Kappadokien und Pontus) angestrebt wurde (Abb. 1). War das assyrische Reich bis dahin auf eine stete Expansion in alle Richtungen hin ausgerichtet, so manifestierte dieser Befehl, nun eine dauerhafte Grenzbefestigung anzulegen, allem Anschein nach den Entschluss, nicht mehr weiter nach Norden vordringen zu wollen.
Die reichen Eisenerzvorkommen, hauptsächlich aber auch die Kupfer- und Silberminen des Taurus, waren unter assyrische Kontrolle gebracht und die verschiedenen späthethitischen Fürstentümer zerschlagen worden. Die nördlich anschließenden weiten Steppen des anatolischen Plateaus dürften aus assyrischer Sicht wohl nicht mehr so interessant gewesen sein – an Rohstoffen boten sie nichts, was man nicht schon hatte.
Doch wo lagen die Festungen, die Sargon zum Teil namentlich erwähnt? Wie war der Grenzverlauf im Gelände? Wenn diese Grenze so dicht gemacht werden konnte, dass »nichts mehr herauskommen kann«, so ist eine durchgängige Anlage, etwa ein Wall und Graben oder eine Mauer, zu erwarten. Bislang ist es noch nicht gelungen, die einzelnen Festungen zu lokalisieren. Erst seit einigen Jahren ist aber der Rest einer sich über viele Kilometer erstreckenden Grenzmauer bekannt, bei dem es sich um einen Abschnitt der gesuchten Anlage handeln könnte.
Insbesondere auf dem Bergrücken der »Kulmaç Dağları«, nur 2,5 km südlich der hethitischen Stadtruine Kuşaklı-Sarissa, ist der Mauerrest noch gut im Gelände zu verfolgen (Abb. 2, 3, 4 und 5). Erhalten ist meist nur noch die unterste Steinlage einer durchschnittlich 1,2 m starken Mauer. Sie besteht aus zwei Schalen auffälligerweise senkrecht gestellter Steinplatten und einer Füllung ohne Mörtel verlegter Lesesteine. Möglicherweise war der Oberbau ursprünglich aus luftgetrockneten Lehmziegeln und Holz gebaut. Die Mauer war somit sicher keine unüberwindliche Wehranlage, sondern ist mehr als Demarkationslinie zu verstehen. Da sie jedoch zum Teil im Bereich steil abfallender Bergrücken oder oberhalb von Felsabbrüchen errichtet wurde, stellte sie durchaus ein Hindernis dar. Hauptsächlich sollte sie aber wohl von Ferne als Grenze wahrgenommen werden. Die Anlage ist damit in ihrer Funktion und Wirkung etwa mit der »Rätischen Mauer«, einem Teil des römischen Limes in Bayern, zu vergleichen, die sogar recht genau dieselbe Mauerstärke aufweist. Wie beim Limes, der in Bergregionen in der Regel entlang der Wasserscheide verlief, dabei allerdings stets etwas unterhalb des höchsten Punktes auf dem feindseitigen Hang, so folgt auch die kappadokische Mauer demselben Prinzip: Die Verteidiger konnten entsprechend immer bergab laufen. Die Mauerreste sind durchweg auf den dem Norden zugewandten Hängen etwas unterhalb der maximalen Höhe des Bergrückens anzutreffen. Damit ist der Norden eindeutig als Feindseite bestimmt. Der Mauerverlauf erstreckt sich generell Ost/West (bzw. Nordost/Südwest) analog der Längserstreckung der Gebirgszüge.
Abb. 1: Karte des Nordteils des Assyrischen Reiches mit Musku, Kasku, Urartu und dem Verlauf der kappadokischen Mauer.
Oberhalb Sarissas verläuft die kappadokische Mauer in rund 2000 m Höhe, in den östlich anschließenden Tecer Dağları auch in Bereichen über 2500 m, wie Satellitenbildern zu entnehmen ist. Im Gelände verifiziert ist dieses Bauwerk bislang auf rund 20 km Länge. Satellitenbilder geben jedoch Hinweise darauf, dass Reste dieser Mauer auf einer Strecke von über 100 km nachzuweisen sind, wenn auch mit großen Lücken. Zu finden sind solche Reste nur in den wenig erschlossenen Gebirgsregionen, in landwirtschaftlich genutzten Bereichen wurden hingegen die Steine abgetragen oder völlig verschliffen. Möglicherweise spiegeln dort aber noch einige Flurgrenzen oder Feldwege den ursprünglichen Verlauf wider. Entsprechende Untersuchungen stehen jedoch noch aus.
Es stellt sich die Frage, warum für den Mauerbau gerade die Anhöhen der Tecer Dağları und Kulmaç Dağları gewählt wurden. Gibt es doch im östlichen Kappadokien zahlreiche gleichfalls Ost-Weststreichende Gebirgszüge und Hügelketten, die nicht weniger für eine solche Anlage geeignet gewesen wären. Betrachtet man jedoch das Gewässernetz des Gebietes, so wird sehr schnell klar, dass eine der überregional bedeutendsten Wasserscheiden auf diesen Bergrücken verläuft: Sämtliche an den jeweiligen Nordhängen entspringenden Bäche fließen in den längsten anatolischen Fluss, den Halys/Kızılırmak, der in das Schwarze Meer mündet. Die südlich entspringenden Gewässer fließen hingegen in den Euphrat und damit den persisch-arabischen Golf bzw. gelangen über den Ceyhan in das Mittelmeer. An der Südseite der höchsten Erhebung der Kulmaç Dağları, dem Karatonos Dağ (in hethitischer Zeit möglicherweise der Berg Sarissa gut 20 km südwestlich der gleichnamigen Stadt), verlief hierbei die Grenze zwischen dem Flusssystem des Euphrats und den Richtung Mittelmeer fließenden Gewässern. Die Quellen der Nordseite entwässern wie erwähnt zum Schwarzen Meer. Somit wurde eine entscheidende geografische Grenzlinie für die politisch-militärische Grenzziehung genutzt. Dies dürfte kaum zufällig sein, vielmehr ist damit zu rechnen, dass nach dieser Wasserscheide gezielt gesucht und mit Bedacht gerade an ihr entlang die Mauer gebaut wurde.
Somit dürften nicht nur militärisch-fortifikatorische Gründe für die Wahl der Trasse verantwortlich gewesen sein, denn es hätte wenige Kilometer nördlich oder südlich mitunter durchaus steilere Bergrücken oder Felsgrate gegeben. Wahrscheinlicher ist, dass die Idee ausschlaggebend war, in diesem Gebiet bis zu den Quellen all der Flüsse und Bäche vorzudringen, die den Euphrat als einer der beiden Lebensadern des assyrischen Reiches speisten.
Gestützt wird diese These durch die Belege für Expeditionen verschiedener assyrischer Könige zu dem sogenannten Tigristunnel bei Bırkleyn, der in jener Zeit für die Quelle dieses Flusses gehalten wurde. Dort seitens dieser Könige hinterlassene Felsreliefs und Inschriften zeigen, wie wichtig den Assyrern die konkrete Stelle war, wo das Wasser sichtbar aus dem Felsen floss.
Explizit heißt es beispielsweise in einem der Keilschrifttexte, die bereits Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) dort hatte anbringen lassen: »… das Gebiet von der Quelle des Tigris bis hin zur Quelle des Euphrats, vom Meer des Inneren Mazamma bis hin zum Meer des Landes Kaldu (Persisch-Arabischer Golf) zwang ich vor meine Füße nieder …« Auch wenn Salmanassar in seinem pathetischen Siegesbericht sicher stark übertrieben haben dürfte, so wird doch der Anspruch deutlich, das gesamte Gebiet von der Quelle der beiden großen Flüsse bis zu deren Mündung beherrschen zu wollen.
Abb. 2: Auf dem Bergrücken am Horizont verläuft die kappadokische Mauer in rund 2000 m Höhe oberhalb der hethitischen Stadt Ku aklı-Sarissa (50 km südlich der Provinzhauptstadt
Sivas)
Abb. 3: In der noch weitgehend unerforschten Gebirgsregion Ost-Kappadokiens konnten Reste der ehemals wohl über mehrere hundert Kilometer verlaufenden Grenzanlage entdeckt werden. Das Luftbild zeigt im Abendlicht den Wall auf dem Berggrat oberhalb Sarissa. Im Hintergrund die Gipfel der »Tecer Da˘gları«. Dort ist der Grenzverlauf noch ungeklärt.
Abb. 4: Die Ruine der kappadokischen Mauer ist als Steinwall auf der Wasserscheide zwischen Persisch-Arabischem Golf und Schwarzem Meer in einigen Abschnitten noch gut erhalten. Die Hubschrauber-Aufnahme zeigt den Verlauf der ehemaligen Grenzmauer auf dem Bergrücken der Kulmaç-Dağları in der Provinz Sivas.
Abb. 5: Als heller Streifen zeichnet sich die zerfallene kappadokische Mauer im Gelände über einer Felskante ab.
Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Grenzsicherung im Nordwesten des Reiches entlang dieser bedeutenden Wasserscheide verständlich werden. Doch erst durch eine noch ausstehende systematische Erfassung der Reste dieser Grenzbefestigung im Gelände und künftige Ausgrabungen werden sich nähere Anhaltspunkte zur Datierung und Bedeutung dieses wohl längsten Geländedenkmals Anatoliens gewinnen lassen.