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Und es war Nacht

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Albert Camus, der französische Existentialist und Schriftsteller, hat in seinem Roman „Der Fall“ (1956) eine dieser Erfahrungen in allen Einzelheiten geschildert. Auf ebenso spannende wie bewegende Weise wird darin ein Szenario entfaltet, in dem sich der Leser und die Leserin wie in einem Spiegel wiederentdecken. Leitfigur dieses literarischen „Berichtes“ ist ein ehemaliger französischer Advokat, Jean-Baptiste Clamence, der in einer Amsterdamer Hafenkneipe mit dem bezeichnenden Namen „Hölle“ die Bekanntschaft von Fremden sucht und sich ihnen gegenüber in langen Gesprächen als „Buß-Richter“ zu erkennen gibt. Jedes Mal aber gerät dieses nächtliche Gespräch mit Fremden, selbst fremdesten Touristen, an der Bar zur großen Beichte seines Lebens: Wie er, der Anwalt aus besten Kreisen und mit sogenannten „edlen Fällen“ betraut, spät in der Nacht in Paris über eine Brücke geht und den tödlichen Sprung einer jungen Frau in die Seine miterlebt, ohne auch nur einen einzigen Versuch der Rettung zu unternehmen. Wie ein Kartenhaus bricht in der Nacht dann auch alles zusammen, was bis dahin seine Welt ausgemacht hat: die Großzügigkeit und das Mitgefühl, die Selbstlosigkeit und der Edelmut. Verzweifelt flieht er fortan vor der Erinnerung an sein Verhalten, sich im entscheidenden Augenblick herausgehalten zu haben, und stürzt sich doch unablässig in den Versuch, die Schuld seines Scheiterns unbarmherzig an sich abzubüßen – Abend für Abend, Nacht für Nacht, dieser Advokat und – besser noch – dieser Buß-Richter in der Hölle von so viel Selbstvorwürfen, Gewissensbissen und tiefgründiger Abscheu.

Mit den klassischen Bildern von Gericht, Hölle und Schuld scheint Albert Camus die Grundmuster abendländisch-christlicher Überlieferung, Sprache und Moral fortzuschreiben. Aber Camus, der Philosoph des Absurden und moderate Vertreter eines humanistischen Atheismus, führt gerade mithilfe dieser Begrifflichkeit die Weltanschauung und Moralvorstellung der säkularen Gesellschaften des Westens ad absurdum. Längst nämlich hat sich hierzulande die Angst vor dem zornigen Gott des Mittelalters in die grandiose Anmaßung des sogenannten modernen Menschen umgewandelt, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen und sich zum Richter über die Schöpfung, die Geschichte und die Zukunft zu machen. Mit dem Aufruhr des aufgeklärten, prometheischen Menschen wird Gott – dem christlichen Glauben zufolge der gerechte und gnädige Richter am Ende der Zeit – hier und heute durch viele selbsternannte Richter ersetzt, die in ihrer Radikalität und Gnadenlosigkeit selbst von den grausamen Gerichtsvorstellungen des Mittelalters nicht zu überbieten sind. Mit der Aussagekraft seines literarischen Werkes wie „Die Pest, „Sisyphus“ und „Der Fall“ und mit seiner spezifischen Artikulation einer „negativen Theologie“ hat Albert Camus das moderne Dasein des Menschen ohne Gott auf seine Weise zu Ende gedacht.

Dem Entsetzen täglich in die Fratze sehen

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