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Die Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren

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Kalt- und Warmzeiten

Die Geschichte des Menschen beginnt im Eiszeitalter (Pleistozän). Bisher war dies nicht wichtig, denn die astronomisch bedingten Klimaschwankungen des Eiszeitalters wirkten sich vor allem in den höheren geographischen Breiten aus. Außerdem waren diese Schwankungen in dem bisher behandelten Zeitraum nicht sehr groß. Erst seit etwa 1 Million Jahren wurden die Kaltzeiten (Eiszeiten) intensiver und führten im Norden Eurasiens und in den Hochgebirgen zur Bildung ausgedehnter Gletscher. Durch diese Gletscher wurde viel Wasser gebunden, so dass der Meeresspiegel in den Kaltzeiten um mehr als 100 m abgesenkt war. Es entstanden Landbrücken zwischen England und dem Kontinent, zwischen Hinterindien und Java, zwischen Südkorea und Japan oder zwischen Sibirien und Alaska. Zwischen den Kaltzeiten gab es kürzere Warmzeiten mit heutigen Klimaverhältnissen, die für die älteste Besiedlung der gemäßigten Zonen besonders wichtig waren. Es ist dies auch der Moment, auf den Wechsel des irdischen Magnetfeldes hinzuweisen, der für die Gliederung des Zeitraums und die Datierung der Fundplätze wichtig ist. Das Magnetfeld hat mehrfach zwischen der heutigen (= normal) und einer entgegengesetzten Ausrichtung (= revers) gewechselt. Wir leben in der Brunhes-Epoche mit normaler Ausrichtung, die vor 780.000 Jahren begann. Davor lag seit 2,6 Millionen Jahren die Matuyama-Epoche mit reversem Magnetfeld. Innerhalb dieser großen Epochen gab es kürzere Events mit umgekehrter Magnetrichtung, so innerhalb der reversen Matuyama-Epoche den Olduvai-Event vor 1,95 bis 1,77 Millionen Jahren und den Jaramillo-Event vor 1,07 bis 1 Millionen Jahren mit normaler Ausrichtung des Magnetfeldes.

Levante-Korridor

In Afrika blieb die Situation in der Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren wie zuvor. Es gibt wichtige, fundreiche Acheuléenplätze mit Faustkeilen und Cleavern wie im Fundgebiet vor Olorgesailie (Kenia). Am Ufer eines ehemaligen Sees liegen Konzentrationen mit Knochen von Elefanten, Flusspferden, Zebras, Giraffen, Pavianen und dem ausgestorbenen Primaten Theropithecus sowie Faustkeilen und anderen Steinartefakten. Haufen von Pavianknochen sind wahrscheinlich Abfälle der Zerlegung dieser Tiere. Dieses Gebiet am Seeufer wurde vor 1 Million bis 750.000 Jahren über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder aufgesucht. In die gleiche Zeit gehört in Palästina der Fundplatz an der Jakobsbrücke (Gesher Benot Ya’aqov) im Jordantal. Dieser heute zerstörte Fundplatz lag in Fluss- und Seeablagerungen, die die Erhaltung vieler Pflanzenreste ermöglichten. Es sind zahlreiche Hölzer erhalten, darunter ein von den Menschen bearbeitetes „Brett“. Außerdem wurden Nussschalen und Steine mit Narbenfeldern, die als Nussknacker dienten, gefunden. Dies sind Hinweise auf die Nutzung pflanzlicher Ressourcen, die sicher ein wichtiger Teil der Nahrung waren, aber nur sehr selten überliefert sind. In diesem Milieu sind auch ungewöhnliche Dinge erhalten, so die kleinen Scheiben von Seelilienstengeln („Judentaler“), die sich mit ihrem zentralen Loch auffädeln lassen und vielleicht als Schmuck getragen wurden. Die Tierknochen stammen unter anderem von Elefanten, Rindern, Hirschen, Steinböcken und Gazellen. Ein Elefantenschädel trägt deutliche Spuren des Schlachtens. Um diesen Schädel herum lagen Steinartefakte und Holzstücke, die offensichtlich bei der Zerlegung verwendet wurden. Unter den Steinartefakten sind außer vielen Abschlägen auch Faustkeile und Cleaver zu finden. Die oft aus größeren Abschlägen hergestellten Faustkeile und die Cleaver sind aus Basalt. Die Funde von Gesher Benot Ya’aqov haben deutliche Beziehungen zu Afrika und unterstreichen so die Bedeutung des Levante-Korridors für den Weg von Afrika nach Eurasien.


Die Klimaschwankungen des Eiszeitalters, die Umkehrungen des Magnetfeldes (schwarz = normal, weiß = revers) und die Entwicklung im Altpaläolithikum. Ausschläge der Kurve nach links sind Kaltzeiten, Ausschläge nach rechts Warmzeiten, die mit ungeraden Zahlen nummeriert werden.

In Europa lieferte die Grotte du Vallonnet bei Nizza Belege für die Anwesenheit von Menschen in der Jaramillo-Zeit. Für die biostratigraphische Einordnung und Datierung sind vor allem die Kleintiere wichtig, die wegen ihrer schnelleren Generationenfolge Veränderungen eher erkennen lassen als die Großtiere. In der Grotte du Vallonnet kommt Allophaiomys pliocaenicus vor, eine Kleintierform, die diesen Abschnitt kennzeichnet. Die Großfauna beinhaltet unter anderem Südelefanten, Nashörner (Dicerorhinus etruscus), zebraartige Pferde und Rinder (Leptobos). Die Anwesenheit des Menschen und seine Beteiligung an der Fundsituation wird durch Steinartefakte belegt. Vor allem sind es Geröllgeräte und Abschläge von Geröllen, die teilweise wieder zusammengesetzt werden konnten. Die verwendeten Gerölle kommen in der unmittelbaren Umgebung der kleinen Höhle vor. Darüber hinaus gibt es zwei Feuersteinartefakte, von denen ein kleiner Abschlag nach mikroskopischen Untersuchungen Gebrauchsspuren trägt.

Biostratigraphisch gehört der Taman-Fauna-Komplex, der von mehreren Fundstellen auf der Taman-Halbinsel zwischen dem Asowschen Meer und dem Schwarzen Meer bekannt ist, zum Beispiel nach dem Vorkommen von Allophaiomys pliocaenicus, in den gleichen Abschnitt wie die Funde aus der Grotte du Vallonnet. Charakteristisch für diese Taman-Fauna sind eine spätere Form der Südelefanten, Riesennashörner (Elasmotherium caucasicum), Pferde (Equus cf. suessenbornensis), Rinder (Bison cf. schoetensacki) sowie der Wölfe (Canis tamanensis), Säbelzahnkatzen und großen Hyänen. Es scheint, als gäbe es zusammen mit der Taman-Fauna auch Hinweise auf die Anwesenheit von Menschen. Vom Fundplatz Kurgan Cimbal werden zwei bearbeitete Knochen beschrieben, und unsere Grabungsmannschaft von Il’skaja hat in Bogatyri an der Steilküste des Asowschen Meeres bei den Knochen Steinartefakte (Abschläge, ein Kern) gefunden. Außerdem fanden wir vor dem Profil mit dem Knochenkonglomerat kleine angebrannte, an den Kanten feuergeschwärzte fossilisierte Knochenstückchen. Möglicherweise ist dies ein Hinweis auf die Nutzung des Feuers.

Beherrschung des Feuers – Europa

Die Beherrschung des Feuers als ein entscheidender Schritt in unserer Geschichte kann kaum überbewertet werden. Das Feuer war ein wirksamer Schutz vor Raubtieren, besonders vor den Raubkatzen, den bis dahin schlimmsten Feinden unserer Art. Der Besitz des Feuers war aber auch von entscheidender sozialer Bedeutung. Man saß um das Feuer herum, die Feuerstelle wurde zum Mittelpunkt der Gruppe und des Lebens. Nur der Mensch beherrscht das Feuer, und wenn draußen ein Löwe brüllte, so war man sich einig: ein Tier. Die Beherrschung des Feuers war die definitive Trennung von Mensch und Tier. Das Feuer wärmte und ermöglichte den Aufenthalt in kühlen Gebieten. Insofern würde die Annahme gut passen, dass die Ausbreitung des Menschen in die gemäßigte Zone erst mit dem Besitz des Feuers möglich wurde. Aus Afrika wurden Hinweise auf Feuereinwirkung an Fundplätzen vor etwa 1,4 Millionen Jahren publiziert. So gibt es aus Bed II aus Olduvai (Fundplatz FxJj20) gebrannten Lehm und in Koobi Fora am Turkana-See durch Feuer geröteten Lehm und Steine mit Hitzespuren. In Chesowanga am Baringo-See (Kenia) wurden ebenfalls feuergerötete Sedimente sowie Holzkohlen entdeckt. Aus der Höhlenruine von Swartkrans in Südafrika stammen verbrannte Knochen. In Chesowanga und Swartkrans ergaben entsprechende Untersuchungen, dass das Feuer hier eine Hitze von 400 bis 600 °C entwickelte. In keinem dieser Beispiele gibt es Feuerstellen und auch sonst keine Hinweise auf die entscheidende Rolle des Feuers; so ist es auch in dem hier interessierenden Zeitraum von 1 bis 0,5 Millionen Jahren. In Gesher Benot Ya’aqov wurden Holzkohleflitter und Steinartefakte mit Hitzespuren gefunden, aus deren Verteilung eine Feuerstelle rekonstruiert wurde. Die feuergeschwärzten Knochenstückchen von Bogatyri auf der Taman-Halbinsel wurden schon erwähnt. Aus der Höhlenfüllung von Šandalja (Kroatien), in der viele Tierknochen und ein Geröllgerät gefunden wurden, gibt es an einigen Knochen Feuerspuren. In San Quirce in Nordwestspanien wurden Konzentrationen von Holzkohlen gefunden, bei denen es sich vielleicht um Reste von Feuerstellen handelt. Von Miesenheim im Nettetal bei Andernach stammen ein paar durch Hitze veränderte Quarzartefakte. Auch aus diesem Zeitraum gibt es also keine eindeutigen Feuerstellen und kaum Hinweise auf die planmäßige Nutzung des Feuers. Deshalb ist die einleuchtende Erklärung für die Besiedlung der gemäßigten Zone nordwärts der Alpen mit dem Besitz des Feuers durch die Funde noch nicht zu belegen. Die ältesten planmäßig angelegten Feuerstellen kennen wir von Vertesszölös (Ungarn), doch für diesen Travertin-Fundplatz im Atalér-Tal unweit von Budapest gibt es sehr unterschiedliche Datierungen. Gesicherter erscheint die Einordnung durch die Fauna: Sowohl bei den Kleintieren als auch bei den Großtieren gibt es Parallelen zu den Fundstellen von Mauer, Miesenheim und Boxgrove, die an das Ende des hier diskutierten Abschnitts, in eine Warmzeit vor etwa 600.000 Jahren, eingeordnet werden. In die gleiche Richtung weist auch das Vorkommen einer Säbelzahnkatze (Machairodontinea indet.) in Vertesszölös, denn diese Raubkatzen sind nach verbreiteter Auffassung vor etwa 500.000 Jahren ausgestorben. Von Vertesszölös kennen wir also die vielleicht ältesten Feuerstellen, doch dieser Fundplatz gehört nicht an den Anfang der ältesten Besiedlung der gemäßigten Zone. Solche ältesten Hinweise sind vielmehr die Einzelfunde von Geröllgeräten in Kärlich im Rheinland und Cerveny copec bei Brünn (Mähren), die in die Jaramillo-Zeit vor 1,07 bis 1 Millionen Jahren gehören.

Asien – Lachsfang

Natürlich blieb in der Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren der Süden Eurasiens besiedelt. Auf Java gehört der berühmte Pithecanthropus erectus in diesen Abschnitt. Im südlichen Tadschikistan, an der Grenze zu Afghanistan, gibt es mehr als 100 m mächtige Lößablagerungen, die von den vom Pamir kommenden Flüssen durchschnitten und aufgeschlossen sind. Hier herrscht ein trockenes Steppenklima, die Flüsse bringen jedoch viel Wasser. Im Tal des Obi Mazar entdeckte man in den verschiedenen Lößetagen eine ganze Anzahl von Fundplätzen. Der Fundplatz Karatau gehört nach der Lößstratigraphie in den Abschnitt vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren. Die Artefakte sind aus Geröllen des Obi Mazar gearbeitet. Die Abschläge von diesen Geröllen haben oft wie bei einer Apfelsinenscheibe einen dicken, mit Geröllrinde bedeckten Rücken und eigneten sich ohne weitere Bearbeitung hervorragend als Messer. In Süd-Ossetien, am Südhang des Großen Kaukasus, liegt im Tal des Džodžori die Höhle Kudaro I. Aus Schicht 5 gibt es eine umfangreiche Fauna, darunter Knochen von Nashorn, Hirsch, Wisent und Steinbock, die als Jagdbeutereste in die Höhle gelangten. Ungewöhnlicherweise gibt es hier außerdem viele Reste (Gräten, Wirbel) vom Lachs (Salmo trutta labrax). Da in der Höhle sehr viele Knochen vom Höhlenbären gefunden wurden, wurde zunächst vermutet, dass die Lachse von Bären gefischt und verzehrt worden seien. Spezielle Untersuchungen ergaben jedoch, dass die Zusammensetzung der Lachsreste nicht den von Bären erbeuteten Lachsen, sondern zum Beispiel neolithischen Küchenabfällen entspricht. Es scheint also, dass die altpaläolithischen Menschen hier in größerem Umfang Lachse gefangen haben.

Kaukasus

Für die Steinartefakte wurden die in der Umgebung der Höhle vorkommenden Gesteine (Quarzit, Kalkstein, Schiefer, Feuerstein) verwendet. Die Faustkeile sind meist aus Quarzit und Schiefer, die kleinen Werkzeugformen und die Abschläge dagegen aus Feuerstein. Das Kaukasusgebiet ist ein nach Norden reichender Zipfel der Verbreitung von Faustkeilen, die in Mittel- und Osteuropa in dieser Zeit sonst meist fehlen. Unter den Steinartefakten ist auch eine Doppelspitze (limace) aus Obsidian. Dieses vulkanische Glas kommt erst in einer Entfernung von mehreren hundert Kilometern – zum Beispiel in der Džavacheti-Kette in Georgien und im anschließenden Vulkangebiet in Armenien – vor. So ist dies eines der im Altpaläolithikum seltenen Beispiele für den Transport eines Steinwerkzeugs über eine größere Entfernung hinweg.

Westasien – Menschenschädel in Petralona

Während aus Armenien bisher keine gesicherten altpaläolithischen Funde bekannt sind beziehungsweise vielversprechende Untersuchungen in diesem Vulkangebiet erst begonnen haben, kennen wir aus dem südwestlich anschließenden Gebiet der Türkei immerhin drei Fundplätze aus der Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren. Am ältesten sind die Funde von Dursunlu bei Konya in Anatolien. Die teilweise aus Quarz und in bipolaer Technik gearbeiteten Artefakte gehören in die Zeit zwischen dem Jaramillo-Event und der Matuyama-Brunhes-Grenze. Gefunden wurden Abschläge und Kerne, aber keine Faustkeile oder deren Herstellungsabfälle. Auch aus der Höhle Yarimburgaz im europäischen Teil der Türkei westlich von Istanbul gibt es zusammen mit einer umfangreichen Fauna vor allem Abschläge sowie Geröllgeräte, aber keinerlei Hinweise auf Faustkeile. Dagegen wurden im unteren Teil der Schichtenfolge von Kaletepe Deresi Acheuléenfunde mit Faustkeilen und Cleavern entdeckt. Diese Höhle liegt auf dem zentralanatolischen Plateau in 1600 m Höhe in einem vom Vulkanismus geprägten Gebiet. Die untersten Schichten mit den Acheuléenfunden liegen unmittelbar auf vulkanischen Ablagerungen mit einem Alter von 1,1 +/–0,02 Millionen Jahren. Für die Herstellung von Geröllgeräten und großen Abschlägen wurden grobkörnigere Gesteine (Rhyolit, Andesit, Basalt) verwendet. Anders als sonst sind die Faustkeile und Cleaver dagegen aus dem glasigen, gut zu spaltenden Obsidian gearbeitet. Es stellt sich die Frage, ob diese Obsidian-Faustkeile für die gleichen groben Arbeiten benutzt werden konnten wie die bisher aus Afrika und dem Jordantal beschriebenen, durchweg aus zäheren Gesteinen (Kalkstein, Basalt, Quarzit) hergestellten Faustkeile. Außerdem ist erneut zu fragen, wie der Gegensatz zwischen den Acheuléenfunden mit Faustkeilen und Cleavern – außer Kaletepe Deresi auch der wichtige Fundplatz Latamné im südlich anschließenden Syrien – und Funden des Developed Oldowan wie Dursunlu und Yarimburgaz zu interpretieren ist. Zum Developed Oldowan gehören auch die Artefakte aus der großen Höhle von Petralona bei Saloniki (Griechenland). In einer beeindruckenden Schichtenfolge mit vielen Resten der Groß- und Kleinfauna wurden in fast allen Horizonten Abschläge und Trümmer aus Quarz gefunden. Wie in der nicht sehr weit entfernten Höhle Yarimburgaz tragen die kleinen Abschläge oft retuschierte Buchten oder gezähnte Kanten, manchmal auch eine durchgehend retuschierte Schaberkante. Berühmt ist der in Petralona gefundene, ausgezeichnet erhaltene Menschenschädel, dessen Entdeckung in Kalzitablagerungen oberhalb der Höhlensedimente allerdings etwas eigenartig war.

Italien

In Italien sind aus dem Zeitraum vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren besonders die Funde von Isernia La Pileta in dem Vulkangebiet zwischen Rom und Neapel sowie Fundplätze im Becken von Venosa in Süditalien, auch einem Vulkangebiet, wichtig. In Isernia liegen die Funde in See- und Flussablagerungen. Es wurden eindrucksvolle Anhäufungen von Wisent-, Nashorn- und Elefantenknochen freigelegt. Außerdem sind Bär, Flusspferd, Wildschwein, Hirsch und Riesenhirsch belegt. Ein Teil der Knochen ist zerbrochen beziehungsweise wurde zur Gewinnung des Knochenmarks zerschlagen. Eine Datierung der vulkanischen Ablagerungen ergab für Isernia ein Alter von etwa 800.000 Jahren, in zeitlicher Nachbarschaft zur Matuyama-Brunhes-Grenze. Die Kleinfauna, vor allem das Vorkommen von arvicola cantiana, spricht dagegen für ein Alter von etwa 600.000 Jahren. Die durch die umfangreiche, gut erhaltene Groß- und Kleinfauna detailliert mögliche Umweltrekonstruktion lässt eine Waldsteppe des warm-gemäßigten Klimas rekonstruieren. Bei den Artefakten von Isernia handelt es sich weit vorherrschend um kleine Abschläge aus lokal verfügbaren Silices. Manchmal sind diese Abschläge an den Kanten gebuchtet oder gezähnt retuschiert. Außerdem gibt es Geröllgeräte, die hier aus Kalkstein gearbeitet sind, also sicher nicht die Kerne für die kleinen Abschläge waren. Faustkeile oder deren Herstellungsabfälle fehlen auch hier völlig. Am Fundplatz Venosa-Loreto gibt es eine 30 m mächtige Schichtenfolge mit Fundhorizonten aus dem Alt- und Mittelpaläolithikum. Die untere, hier interessierende Fundschicht scheint nach dem Entwicklungsstadium der Pferde (Equus aff. suessenbornensis) und Wisente (Bison schoetensacki cf. voigtstedtensis) etwas älter als Isernia zu sein. Außerdem wurden zahlreiche Knochen von Hirschen sowie Reste von Flusspferd, Elefant, Nashorn und Bär gefunden, die oft zur Gewinnung des Knochenmarks zerschlagen sind. Wie in Isernia konnte als Umwelt eine Waldsteppe des warm-gemäßigten Klimas rekonstruiert werden. Auch die Steinartefakte sind ähnlich wie in Isernia, das heißt sie bestehen meist aus kleinen Abschlägen, die teilweise gebuchtet oder gezähnt retuschiert sind, sowie aus Geröllgeräten aus Kalkstein. Außerdem wurde hier ein mandelförmiger Faustkeil aus Feuerstein gefunden. Am benachbarten Fundplatz Venosa-Notarchirico gibt es zwölf Fundschichten. Der untere Teil der Ablagerungen gehört in den Zeitraum vor 780.000 bis 500.000 Jahren. Die Fauna ist ähnlich wie in Loreto und enthält unter anderem Knochen von Waldelefant (Elephas antiquus), Dam- und Riesenhirsch, Auerochse und Wisent. In einigen Schichten wurden Geröllgeräte aus Kalkstein, Faustkeile aus Quarzit und Feuerstein sowie viele kleine Feuersteinabschläge gefunden. In anderen Schichten dominieren dagegen die kleinen Abschläge, während die Geröllgeräte aus Kalkstein selten sind und die Faustkeile völlig fehlen. Wir haben also hier an ein und demselben Fundplatz einen Wechsel von Schichten des Acheuléen und des Developed Oldowan. Diese Wechsellagerung scheint dafür zu sprechen, dass der Unterschied von Acheuléen und Developed Oldowan, der ausschließlich auf dem Vorkommen oder Fehlen von Faustkeilen basiert, durch die jeweils durchgeführten Arbeiten, für die man Faustkeile brauchte oder keine Faustkeile brauchte, bedingt ist. Ein wichtiger Menschenfund dieses Zeitraums ist der Schädel von Ceprano im Saccotal zwischen Rom und Neapel. Dieser etwa 700.000 Jahre alte Fund hat ein Schädelvolumen von ca 1200 cm3 und wurde als Homo erectus klassifiziert.

Iberische Halbinsel – Hinweise auf Kannibalismus?

Auf der Iberischen Halbinsel gibt es aus der Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren in den Flussterrassen des Guadalquivir (Südwestspanien) in mehreren Etagen Steinartefakte. Während die ältesten Funde vom Beginn der Brunhes-Epoche keine Faustkeile enthalten, kommen in einem höheren Niveau mehrere Faustkeile vor. Etwa in die gleiche Zeit gehören die Acheuléenfunde, das heißt diejenigen mit Faustkeilen, von Laguna Medina bei Cádiz. Im Gegensatz dazu lieferte der südostspanische Freiland-Fundplatz Cullar-Baza eine reiche Fauna unter anderem mit Resten vom Steppenelefanten (Mammuthus tragontherii), etruskischen Nashorn, von einer stratigraphisch wichtigen Form des Riesenhirsches (Praemegaceros verticornis) und vom Pferd (Equus suessenbornensis) sowie von Kleintieren, aber nur sechs Abschläge und zwei Geröllgeräte. Der Fundplatz San Quirce in Nordwestspanien ist wichtig, weil hier mehrere Konzentrationen von Artefakten mit Geröllgeräten, Cleavern und teilweise gebuchtet oder gezähnt retuschierten Abschlägen sowie Anhäufungen von Holzkohle, bei denen es sich vielleicht um Reste von Feuerstellen handeln könnte, gefunden wurden. Leider gibt es in San Quirce keine Knochen, die weitere Aussagen zu dem Platz und besonders zu den eventuellen Feuerstellen erlauben würden. Am wichtigsten sind jedoch die Funde und Befunde in den Höhlen von Atapuerca unweit von Burgos. Beim Bau einer Eisenbahnlinie sind hier mehrere Höhlenfüllungen angeschnitten worden. Die ältesten Funde stammen aus der Sima del Elefante und sind bereits beschrieben worden. Aus der Gran Dolina gibt es besonders aus der Zeit kurz vor der Matuyama-Brunhes-Grenze vor 780.000 Jahren reiche Funde. Die Kleinfauna enthält unter anderem die stratigraphisch wichtigen Formen Mimomys savini und Pliomys episcopalis. Zu den Großtieren gehören unter anderem Pferd, Wildschwein, Hirsch, Reh und Auerochse, außerdem Bär und Hyäne. Diese Tiere, vor allem Reh und Wildschwein, scheinen auf eine stärker bewaldete Landschaft hinzuweisen. Die Steinartefakte der Gran Dolina sind aus Quarz, Sandstein und Feuerstein gearbeitet. Vor allem sind es kleine bis mittelgroße Abschläge, deren Kanten manchmal retuschiert sind. Dazu kommen einige Geröllgeräte, während Faustkeile und Cleaver fehlen. Es ist ein Inventar des Developed Oldowan, das von den Ausgräbern auch so klassifiziert wird – allerdings als Oldowan oder Mode I – während sonst die Bezeichnung Oldowan für europäische Funde nicht üblich ist. In Gran Dolina wurden außerdem mehr als dreißig menschliche Knochen gefunden, die zu vier Individuen gehören. Die Untersuchung dieser Menschenreste ergab Spuren und Knochenbrüche, die als Hinweise auf Kannibalismus interpretiert wurden. Die Menschenfunde von Atapuerca werden als Homo antecessor bezeichnet, während die übrigen Menschenfunde aus dem Altpaläolithikum Europas dem Homo heidelbergensis zugewiesen werden, der manchmal nach dem wichtigen Fundplatz Tautavel auch als Homo tautavelensis bezeichnet wird.

Espansion nördlich der Hochgebirge

Soweit die Übersicht zum Süden Eurasiens, der seit etwa 1,8 Millionen Jahren zum Verbreitungsgebiet der Menschen gehörte. Eine wichtige Erscheinung der Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren ist jedoch die Ausweitung des bewohnten Gebietes nach Norden in die gemäßigte Zone nördlich der Hochgebirge. Es war schon davon die Rede, dass die Voraussetzung für die Eroberung dieses neuen Biotops möglicherweise der Besitz des Feuers war, auch wenn die bisher verfügbaren Daten dies nicht beweisen können. Die Einzelfunde von Geröllgeräten von Kärlich und Cerveny copec, die einen ältesten Aufenthalt von Menschen in der Jaramillo-Zeit vor etwa 1 Million Jahren belegen könnten, wurden bereits erwähnt. Gesichert ist die Anwesenheit von Menschen in diesem Gebiet jedoch erst ab etwa 700.000 Jahren. Zu den ältesten Fundplätzen gehört Soleilhac im Vulkangebiet des französischen Zentralmassivs. Die Menschen haben sich auf einer Halbinsel oder Insel eines Kratersees aufgehalten. Es wird ein Wall aus Basaltbrocken und großen Knochen beschrieben, dessen Funktion – vielleicht als Abtrennung und Schutz des Wohnplatzes – nicht klar ist. Unter der Jagdbeute sind vor allem Reste des Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus). Neben diesen, mit einer Schulterhöhe von bis zu 4 m größten Elefanten wurden auch Knochen von Nashorn und Flusspferd sowie von Pferd, Hirsch, Wisent und Bär gefunden. Bei den Steinartefakten handelt es sich vor allem um Abschläge aus homogenen Silices. Die Kanten der Abschläge sind mitunter gebuchtet oder gezähnt oder auch als Schaberkante retuschiert. Außerdem wurden Geröllgeräte und ein Faustkeil aus Basalt gefunden.

Faustkeile im Sommetal

Andere Fundplätze kennen wir aus dem Sommetal in Nordfrankreich. In Abbeville sind bis heute die Plätze Stade und Champ de Mars wichtig. Hier wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Kiesgruben in der 30-m-Terrasse der Somme viele Faustkeile gefunden, wobei das Vorherrschen der Faustkeile sicher durch die Auswahl der Kiesgrubenarbeiter bedingt ist, die für „schöne“ Funde Prämien erhielten. Die teilweise ovalen und langgestreckt-ovalen Faustkeile sind aus Feuerstein. Die Somme-Schotter bestehen größtenteils aus Feuersteingeröllen, die der Fluss aus kreidezeitlichen Ablagerungen aufgearbeitet hat. Viele Plätze in diesen Feuersteinschottern dürften von den Menschen vor allem zur Steinbearbeitung aufgesucht worden sein. Der homogene, gut spaltbare Kreide-Feuerstein ist für Werkzeuge, mit denen grobe Arbeiten ausgeführt werden sollten, nur bedingt geeignet, denn das glasige Gestein zerspringt leicht. Deshalb ist zu fragen, ob die regelmäßigen, sorgfältig bearbeiteten Feuerstein-Faustkeile für die gleichen Arbeiten wie die bisher beschriebenen groben Faustkeile aus zäheren Gesteinen dienten. Auf der anderen Seite bestehen aber auch viele neolithische Beile aus (geschliffenem) Feuerstein. Aus gleicher stratigraphischer Position stammen auch in St. Acheul, einem Vorort von Amiens, Funde, die von Gabriel de Mortillet zur Bezeichnung des Acheuléen gewählt wurden. Ein wichtiger Fundplatz lag in einer Kiesgrube in der Rue Marcelin Berthelot in St. Acheul. Hier gibt es außer Faustkeilen unterschiedlicher Form auch Abschläge, deren Kanten teilweise und meist unregelmäßig retuschiert sind. Bemerkenswert ist ein Kern für die Herstellung von Abschlägen, bei dem nicht nur die Schlagfläche zum Abtrennen der Abschläge vorbereitet wurde, wie wir es im Prinzip seit dem Oldowan und zum Beispiel von Dmanisi kennen, sondern bei dem auch die Abbaufläche präpariert wurde, um den dann abzutrennenden Abschlägen eine bestimmte, auf dem Kern vorbereitete Form zu geben. Diese für das Mittelpaläolithikum charakteristische Levallois-Technik hat ihre Vorläufer also bereits im Altpaläolithikum vor mehr als 500.000 Jahren.

Britische Inseln

An der Steilküste auf der französischen Seite der Straße von Calais, die in den Kaltzeiten eine Landbrücke zu den Britischen Inseln bildete, ist bei Wimereux ein Fundplatz angeschnitten, von dem viele Abschläge und Gerölle mit Abschlagnegativen stammen, die bei Niedrigwasser am Strand aufgelesen werden können. Nach der Stratigraphie an der Steilküste haben diese Funde ein Alter von mindestens 500.000 Jahren; sie können aber auch erheblich älter sein und zu den ältesten Belegen für die Besiedlung nördlich der Alpen gehören. Auf den Britischen Inseln, die in den Kaltzeiten mit dem Kontinent verbunden waren, gelangen wir in ein Gebiet, das in den kältesten Phasen des Eiszeitalters größtenteils vom Inlandeis bedeckt war. Ein erster großer Eisvorstoß (Anglian, Elster) erfolgte vor etwa 500.000 Jahren. Dabei wurde ein Flusssystem, der Midland-River, verschüttet und nach dem Rückzug des Eises durch das heutige System der Themse ersetzt. Fundplätze am ehemaligen Midland-River und dessen Nebenflüssen gehören folglich in die Zeit vor mehr als 500.000 Jahren und sind teilweise von Ablagerungen des Anglian-Eisvorstosses überdeckt. Dies gilt für die vielen Faustkeile von Warren Hill, die aus Kiesgruben mit Feuersteinschottern stammen und ebenso wie viele nordfranzösische Funde wegen der auffallenden Form der Faustkeile eine Auswahl der Steinartefakte darstellen, während die ehemals auch vorhandenen Abschläge nicht gesammelt wurden. Repräsentativer ist die Zusammensetzung der Funde von Waverley Wood, zu denen nicht nur Faustkeile, sondern auch Abschläge gehören. Ein Problem ist der Fundplatz High Lodge, denn von dort gibt es Feuersteinartefakte, die mit vielen retuschierten Schaberund Spitzenformen typisch mittelpaläolithisch sind und im Altpaläolithikum keine Parallelen haben. High Lodge lag am Midland-River, und die stratigraphische Position vor der Anglian-Vereisung scheint eindeutig. Trotzdem sind diese Funde für die Zeit vor mehr als 500.000 Jahren weltweit so ungewöhnlich, dass es bedenklich ist, dieses hohe Alter einfach zu akzeptieren. Wie könnte ein einzelner Fundplatz, für den es erst in der Zeit ab 300.000 Jahren Parallelen gibt, historisch interpretiert werden?

Boxgrove

Der wichtigste Fundplatz aus der Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahren ist jedoch Boxgrove an der Südküste Englands, außerhalb des vom Anglian-Eisvorstoß erreichten Gebietes. Boxgrove liegt auf einer ausgedehnten Plattform, die von Sanden und silts bedeckt ist. Die Slindon-silts, in denen die meisten Fundschichten liegen, wurden in einer Warmzeit an einer Lagune gebildet. Vor allem die Kleinfauna (u.a. Pliomys episcopalis, Arvicola cantiana) erlaubt eine Einordnung in die Zeit vor etwa 600.000 Jahren. Die Großfauna, vor allem wohl Jagdbeutereste, beinhaltet Nashorn, Riesenhirsch (Megaloceros cf. verticornis), Wolf und Bär (Ursus deningeri). Außerdem wurde ein menschlicher Schienbeinknochen gefunden. Die zahlreichen Artefakte sind aus örtlich vorkommendem Feuerstein gearbeitet. Es gibt mehrere Fundkonzentrationen, die in erster Linie Faustkeile und deren Herstellungsabfälle enthalten. Es ist das erste Mal, dass solche Arbeitsplätze zur Herstellung von Faustkeilen detailliert dokumentiert werden konnten. Die Faustkeile sind oval und sehr sorgfältig gearbeitet. Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Stücke für ähnliche Arbeiten wie die groben Faustkeile aus Afrika oder dem Jordantal dienten. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Faustkeilen um unterschiedliche Werkzeugformen, die von uns wegen ihrer Flächenbearbeitung auf Ober- und Unterseite zusammengefasst werden. In Boxgrove gibt es außerdem viele Abschläge, die teilweise bei der Herstellung der Faustkeile abfielen oder auch eigene Grundformen waren. Einige Abschläge haben retuschierte Schaberkanten oder Kratzerkappen.

Mauer – Miesenheim

Nach dem Entwicklungsstand der Klein- und Großfauna gehört der 1907 in Neckarsanden bei Mauer gefundene Unterkiefer des Homo heidelbergensis in die gleiche Warmzeit wie Boxgrove. In der umfangreichen Fauna von Mauer kommen die gleichen Kleintiere vor. Die in den Sanden von Mauer gefundenen Knochen, unter anderem vom Waldelefanten, Nashorn, Flusspferd, Pferd, Hirsch, Reh, Wisent und Wildschwein, sind sicher keine Jagdbeutereste des Menschen, sondern stammen von einer natürlichen Sterbegemeinschaft, deren Knochen in einer Flussschleife des Neckars zusammengeschwemmt wurden. So gelangte auch der menschliche Unterkiefer hierher; die diesem Homo heidelbergensis zugeschriebenen Steinartefakte sind entweder Naturprodukte wie die Heidelberger-Kultur oder, ohne sicheren Zusammenhang mit dem Unterkiefer und den Tierknochen, wie später gefundene Chalzedonstücke. Nach der übereinstimmenden Zusammensetzung der Fauna und der stratigraphischen Position haben die Funde der untersten Schicht von Achenheim bei Straßburg und vor allem die mittelrheinischen Fundplätze Kärlich G und Miesenheim ein vergleichbares Alter wie Boxgrove und der Unterkiefer des Homo heidelbergensis. Die Kleinfauna von Kärlich G zeigt das erste Auftreten von Arvicola cantiana, während in den älteren Schichten dieses wichtigen Profils deren Vorläufer Mimomys savini vorkommt. Die in dieser Schicht gesammelten Knochen von Großtieren stammen unter anderem von Nashorn, Pferd und Hirsch, darunter die stratigraphisch wichtige Riesenhirschform Megaloceros verticornis, die auch in Boxgrove vorkommt. Die gefundenen Steinartefakte (Abschläge, Kerne) aus Quarz und Quarzit haben keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Tierknochen, denn die Knochen und die Artefakte von Kärlich G sind Sammelfunde aus mehreren Jahrzehnten. Dagegen konnten in Miesenheim planmäßige Ausgrabungen durchgeführt werden. Ursprünglich lag der Platz an einem Altarm des Rheins, dessen Bett heute 50 m tiefer liegt. Das Fundplatzgelände ist von Verwerfungen durchzogen, die möglicherweise bei der Bildung der benachbarten Schlackenvulkane – Plaidter Hummerich, Korretsberg, Wannengruppe – vor etwa 200.000 Jahren entstanden. Dadurch wurde das ursprüngliche Gelände stark verändert. Für das Alter von Miesenheim ist neben der Biostratigraphie eine Vulkanablagerung über der Fundschicht wichtig, die den oberen Teil einer Bachrinne ausfüllt und ein Alter von 460.000 Jahren hat. Die Funde liegen in und dicht unter einer dunklen Anmoor-Schicht, die als Ablagerung eines sumpfigen Gewässers entstand. Hierzu passt die umfangreiche Schneckenfauna, in der Arten, die im Sumpf am Ufer periodischer Gewässer oder in vegetationsreichen stehenden Gewässern leben (z.B. Planorbis carinatus), besonders häufig sind. Dazu kommen Landmollusken, unter denen aber auch Vertreter feuchter und sehr feuchter Standorte vorherrschen. Hinzu kommen einige Waldformen sowie Schnecken offener Biotope, deren Schalen ins Wasser gespült wurden und die die Vegetation der Umgebung charakterisieren. Die in Miesenheim gefundenen Schneckenarten haben heute ihren Verbreitungsschwerpunkt im südöstlichen Mitteleuropa. Dies lässt darauf schließen, dass das Klima am Mittelrhein damals etwas kontinentaler als heute war.

Umwelt

Auch die sehr umfangreiche Kleinfauna enthält viele Arten feuchter Standorte. Hierzu gehören der Biber und ein ausgestorbener Großbiber (Trogontherium cuvieri), aber auch die Schermaus (Wasserratte, Arvicola cantiana), die für die biostratigraphische Einordnung des Fundplatzes wichtig ist. Dagegen lebten die Hamster im offenen Grasland und die Langschwanzmäuse (Apodemus silvaticus) und Schläfer (Eliomys quercinus, Muscardinus avellanarius) im Wald. Diese Kleintierreste stammen zumindest teilweise aus den Gewöllen von Raubvögeln. So erklären sich die Hinweise auf unterschiedliche Biotope durch das Jagdgebiet der Raubvögel. Die Knochen der Großtiere sind hervorragend erhalten. Die unbeschädigte Knochenoberfläche weist darauf hin, dass die Knochen sofort ins Wasser gerieten und dort unter Luftabschluss sowohl für Raubtiere als auch für Nager unzugänglich eingebettet wurden. Vorherrschend handelt es sich um Knochen, Zähne und Geweih von Reh und Hirsch. Das Reh war größer als die heute am Mittelrhein lebenden Tiere, die Miesenheimer Hirsche entsprachen dem heutigen Rotwild. Der Elefant ist bisher nur durch eine einzelne Backenzahnlamelle, die vermutlich vom Steppenelefanten (Mammuthus trogontherii) stammt, vertreten. Etwas besser und mit mindestens zwei Individuen ist das etruskische Nashorn belegt, das auch in Mauer und Boxgrove vorkommt. Ebenfalls aus Mauer bekannt, ist das große mittelpleistozäne Pferd (Equus mosbachensis). Die Knochen dieser Großtiere vervollständigen zunächst die Biotophinweise. Das Reh und vielleicht der Hirsch, wohl auch das etruskische Nashorn lebten im Wald. Dagegen waren der Steppenelefant und besonders das Pferd Tiere der offenen Graslandschaft. Wir dürfen also annehmen, dass in der Umgebung des Tümpels Wald und Lichtungen vorhanden waren – wie es bereits die Kleinfauna nahelegt. Wie oft an altpaläolithischen Fundplätzen, so ist es auch in Miesenheim schwierig, den Anteil des Menschen an dem Zustandekommen der Fundsituation abzuschätzen. Obwohl die Knochenoberflächen sehr gut erhalten sind, konnten keine eindeutigen Schnittspuren erkannt werden, wie sie beim Zerwirken des Tieres oder beim Abtrennen des Fleisches entstehen können. Auch die zahlreichen Knochenbrüche können meist nicht auf menschliche Tätigkeit zurückgeführt werden. Insbesondere die Längs- und Querbrüche der Knochen entstanden wahrscheinlich im Sediment. Es gibt allerdings wenige Langknochen vom Hirsch mit gebogenen Bruchkanten, die möglicherweise beim Zerschlagen der Röhrenknochen durch den Menschen entstanden.

Jagdstrategien

Der bisher wichtigste Hinweis auf menschliche Jagd ist ein schädelechtes Geweihstück vom Rothirsch. Das anhaftende Schädelstück ist herausgebrochen worden. Zwar geschieht derartiges gelegentlich auch, wenn Raubtiere einen Hirsch schlagen. Da jedoch die Anwesenheit des Menschen durch Steinartefakte gesichert ist, ist dieses Geweihstück mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Beleg für menschliche Tätigkeit. Da der Rothirsch sein Geweih von September bis März trägt, belegt das zuletzt diskutierte Geweihstück diese Jahreszeit. Das Reh ist mit mindestens neun Tieren (drei juvenile und sechs adulte Tiere) vertreten. Die Todeszeit der Jungtiere lag zwischen August und Winter; möglicherweise handelt es sich insgesamt um die Reste eines größeren Rudels, das hier in der sumpfigen Uferlandschaft gejagt und erlegt wurde. Das Pferd ist mit mindestens vier Individuen vertreten. Die Altersstruktur der Tiere lässt es möglich erscheinen, dass hier eine Familiengruppe repräsentiert ist. So ist es wahrscheinlich, dass die in Miesenheim gefundenen Tierknochen von verschiedenen Episoden stammen. Man kann vermuten, dass hier zu jeweils verschiedenen Jahreszeiten ein Rehrudel, ein Rudel Hirsche und eine Familiengruppe Pferde gejagt wurden. Von den genannten Tieren – Reh, Hirsch, Pferd – sind stets die Gliedmaßen und Schädelteile einschließlich der Zähne vorhanden. Das Rumpfskelett fehlt dagegen weitgehend. Ein völlig anderes Verteilungsbild zeigt ein Bovide. Von diesem alten Tier sind fast alle Teile des Skelettes vertreten, und es dürfte sich um ein hier verendetes Tier handeln.

Steintechnologie

Die Steinartefakte sind überwiegend aus Quarz, selten aus Quarzit und Kieselschiefer hergestellt. Alle verwendeten Gesteine kommen in den Flussschottern der näheren Umgebung vor. Die bisher gefundenen, nicht sehr zahlreichen Artefakte stammen aus Feuchtsedimenten; vermutlich aus einem Tümpel. Sie liegen also nicht dort, wo sie hergestellt oder verwendet wurden. Es ist zu vermuten, dass die Artefakte auf einem benachbarten Siedlungsplatz am Ufer zahlreicher sind. Zwei der Artefakte tragen Feuerspuren. Quarz wurde am Fundplatz bearbeitet. Es sind Kerne, Abschläge und viele kleine Absplisse erhalten. Aus Geröllquarzit sind nur wenige Abschläge und aus Kieselschiefer nur ein einziger Abschlag vorhanden. Das bisher wichtigste Steinartefakt ist ein größerer Abschlag aus feinkörnigem Süßwasserquarzit. Das Stück trägt an der dorsalen Kante des breiten Schlagflächenrestes eine retuschierte Arbeitskante. Es ist das einzige Artefakt aus diesem Rohmaterial und möglicherweise wurde es als fertiges Werkzeug von andernorts mitgebracht. Interessant ist ferner eine ovale Pflasterung aus Flussgeröllen. Diese ovale, etwa 5 m lange Fläche besteht aus einer einzigen Lage von Geröllen im sonst steinfreien Sediment und lässt sich geologisch kaum erklären. Es wäre sehr wichtig, die nur begonnenen Ausgrabungen in Miesenheim weiterzuführen, um so die Lebens- und Siedlungsweise des Homo heidelbergensis besser kennenzulernen.

Gemäßigte Umweltverhältnisse

Alle für die Zeit vor 1 bis 0,5 Millionen Jahre beschriebenen Fundplätze aus dem Gebiet nördlich der Alpen lassen auf gemäßigte Umweltverhältnisse schliessen. Die Menschen lebten in einer Waldsteppe; die Ausbreitung von dichtem Urwald wurde auch durch die Megaherbivoren verhindert. Das Klima entsprach weitgehend der Gegenwart, also einer Warmzeit des Eiszeitalters. Bisher gibt es keine Hinweise, dass das Gebiet nördlich der Hochgebirge auch in den Kaltphasen (Eiszeiten) dieses Zeitraums bewohnt war. Wahrscheinlich zogen sich die Menschen in den Kaltphasen nach Süden zurück.

wbg Weltgeschichte Bd. I

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