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Die afrikanischen Wurzeln des modernen Menschen

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Während in Europa der Neandertaler entstand, entwickelte sich zur gleichen Zeit in Afrika aus späten Formen des Homo erectus der anatomisch moderne Mensch, Homo sapiens. Das technologisch-kulturelle Pendant zum europäischen Mittelpaläolithikum, dessen Reichweite sowohl Nordafrika als auch Westasien einschloss, ist im subsaharischen Afrika das Middle Stone Age. Seine Definition ist noch unschärfer als die des Mittelpaläolithikums, da es teilweise sehr heterogene Technokomplexe umfasst. Die zeitliche Dimension des Middle Stone Age bewegt sich ebenfalls zwischen 300.000 und etwa 40.000 Jahren vor heute.

Technologische und kulturelle Innovationen

Technologische Innovationen des Middle Stone Age sind in der Steingerätetechnologie das Auftauchen von Klingen als Grundformen sowohl in Kapthurin, Kenia, als auch in Twin Rivers, Zambia. Die Nutzung von Farben ist ebenfalls früh im Middle Stone Age an diesen beiden Fundstellen belegt. Werkzeuge aus Knochen tauchen ab etwa 90.000 Jahren vor heute in Katanda, Westafrika, und Blombos Cave, Südafrika, auf. Einige der Ockerstücke aus Blombos Cave weisen zusätzlich abstrakte Gravierungen auf und werden auf etwa 70.000 Jahre vor heute datiert. Hinweise auf die Nutzung von Schmuck aus Muscheln liegen aus Ifri n’Ammar, Marokko, Blombos Cave, El Oued, Algerien, und Mugharet es-Skuhl, Israel, vor und gehören zu den ältesten Zeugnissen von Muschelschmuck in der menschlichen Entwickungsgeschichte. In Ifri n’Ammar reichen sie bis 95.000 Jahre vor heute zurück.

Anatomisch moderne Menschen

Diese kulturellen Innovationen werden in Afrika von Veränderungen der Morphologie des späten Homo erectus begleitet. Vor etwa 195.000 Jahren vor heute tauchen an den Fundstellen Omo und Herto in Äthiopien erstmals Humanfossilien auf, die morphologisch als älteste Formen des anatomisch modernen Menschen betrachtet werden können. Von Ostafrika aus breitete sich der anatomisch moderne Mensch offenbar weiter aus und erreichte zwischen 100.000 und 70.000 Jahren vor heute Südafrika, belegt durch Funde in Klasies River Mouth, Blombos Cave und Border Cave. Den Vorderen Orient erreichte er, belegt durch Humanfossilien in Qafzeh und Skuhl, etwa zur gleichen Zeit. In etwa 100.000 Jahre hatte er von seinem wahrscheinlichen Entstehungszentrum im Ostafrikanischen Hochland aus den Norden und Süden des Kontinents erreicht. Ob über das Horn von Afrika eine Besiedlung der Arabischen Halbinsel und von dort eine Ausbreitung nach Südasien erfolgte, ist zur Zeit noch Spekulation.

Die Steingerätetechnologie der modernen Menschen war zu diesem Zeitpunkt heterogen. Sie entsprach in Südafrika dem Middle Stone Age, im Vorderen Orient und in Nordafrika dem Mittelpaläolithikum. Vom Vorderen Orient aus erfolgte dann die weitere Expansion nach Europa und Asien. Dieser, durch die Humanfossilien belegte Expansionsprozess wird auch durch genetische Analysen bestätigt. In Europa sind Humanfossilien des anatomisch modernen Menschen vor 37.000 Jahren erstmals in Pestera cu Oase, Rumänien, nachweisbar.

„Modernes menschliches Verhalten“ – Vorderer Orient als früheste Kontaktstelle

Wenn die Hypothese zutrifft, dass ausschließlich der anatomisch moderne Mensch Träger „modernen menschlichen Verhaltens“ war, könnten die zeitgleichen außerafrikanischen Populationen die technologisch-kulturellen Innovationen, die mit dem modernen menschlichen Verhalten verbunden werden, nur durch Akkulturation übernommen haben. Die ältesten Nachweise dieser Innovationen in den Neandertalerpopulationen oder bei anderen Nachfolgern des späten Homo erectus in Asien dürften in diesem Fall frühestens mit dem Auftauchen des anatomisch modernen Menschen in den jeweiligen Lebensräumen vorliegen. Daher kommt dem chronologischen Vergleich der kulturellen Innovationen entscheidende Bedeutung zu. Auf den ersten Blick wird deutlich, dass sowohl in Europa als auch in Afrika frühe Innovationen vorliegen. Manche der Innovationen sind in Afrika älter, traten aber in Europa bereits deutlich vor dem Auftauchen des anatomisch modernen Menschen auf. Dieser scheidet daher als Vermittler der neuen kulturellen Merkmale aus. Allein ein Blick auf die Steingerätetechnologie zeigt, dass es keine Technologie gibt, die ausschließlich dem anatomisch modernen Menschen zugewiesen werden könnte. Besondere Beachtung verdient die Situation im Vorderen Orient, der frühesten Kontaktstelle zwischen Homo neanderthalensis und Homo sapiens. Zwischen 100.000 und 40.000 Jahren vor heute liegen hier Humanfossilien sowohl des frühen Homo sapiens als auch des Neandertalers vor. Die Verteilung der Fundplätze macht eine Nutzung desselben Lebensraumes durch beide Menschenformen wahrscheinlich. Erstaunlich ist, dass die kulturellen Hinterlassenschaften beider dem Mittelpaläolithikum zugewiesen werden können und keine Unterschiede erkennen lassen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Hypothese der Exklusivität „modernen Verhaltens“ beim anatomisch modernen Menschen keine überzeugende Grundlage hat. Menschenform und Lebensform bildeten im Jungpleistozän keine Einheit. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass unterschiedliche Lebensräume unterschiedliche Lebensformen und kulturelle Anpassungen erforderten, die unabhängig von der jeweiligen Menschenform aus einem gemeinsamen Fundus an Wissen und Erkenntnis geschöpft wurden.

RAO-Hypothese

Der späte Ursprung des anatomisch modernen Menschen in Afrika, zusammengefasst in der RAO-Hypothese (Recent African Origin), gilt als gesichert und wird sowohl durch morphologische Merkmale an Skelettfunden als auch durch genetische Merkmale des aktuellen Genpools bestätigt. Multiregionale Entwicklungsszenarien, die eine unabhängige Entstehung des modernen Menschen in Afrika, Europa und Asien postulieren, haben heute als Alternativen ausgedient. Die strenge Sichtweise der RAO-Hypothese schließt eine Vermischung zwischen Vertretern des modernen Menschen und den indigenen Populationen in Europa und Asien aus und ist daher strittig. Denn das Migrationsgeschehen und die Kontaktgeschichte zwischen dem anatomisch modernen Menschen und den in Europa und Asien lebenden indigenen menschlichen Populationen sind weitgehend ungeklärt. Da sich kulturelle Innovationen und Menschenform nicht deckungsgleich übereinander legen, ergibt sich ein überaus komplexes, mosaikartiges Bild des Geschehens. Auf Grund der guten Datenbasis in Europa wird die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den Populationen heute stellvertretend an dem Verhältnis zwischen Neandertaler und dem anatomisch modernen Menschen geführt.


Recent-African-Origin-Hypothese (Out of Africa 2)

Chronologie des Ausbreitungsprozesses

Wichtig ist zunächst, die Chronologie des Ausbreitungsprozesses der modernen Menschen zu verfolgen. Der zentrale Weg führte wahrscheinlich über den Vorderen Orient. Um 100.000 Jahren vor heute sind moderne Menschen dort nachweisbar. Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass ihre weitere Ausbreitung Richtung Nordosten erfolgte und dass es ihnen gelang, durch die Bergländer Vorderasiens hindurch nach Norden in die Hochebenen zwischen Kaspischem Meer und dem Aral-See vorzustoßen. Denn der chronologisch nächste Fundort mit Humanfossilien des anatomisch modernen Menschen ist Obi-Rakhmat, Usbekistan. Hier, von den Westhängen des Tienschan, liegen Reste eines jugendlichen Individuums vor, das möglicherweise eine Mischung von morphologischen Merkmalen der Neandertaler mit denen des anatomisch modernen Menschen aufweist. Die besondere Morphologie der Humanfossilien in dieser Region wird durch die Neuuntersuchung der Neandertalerreste aus Teshik Tash, Usbekistan, bestätigt. Die eindeutige Zuweisung des Kindes von Teshik Tash zur Gruppe der Neandertaler ist in Bewegung geraten, da morphologische Besonderheiten vorliegen. Die Humanfossilien aus Obi-Rakhmat werden auf etwa 74.000 Jahre vor heute datiert. Zugleich zeigt sich in der langen Abfolge von Obi-Rakhmat innerhalb der steinernen Inventare seit etwa 80.000 Jahren vor heute ein allmählicher Übergang vom Mittelpaläolithikum zu jungpaläolithischen Traditionen. Die Bearbeiter der Fundstelle sprechen daher von einer lokalen Entwicklung des Jungpaläolithikums aus mittelpaläolithischen Wurzeln. Diese Überlegungen decken sich mit Ergebnissen älterer Untersuchungen, die in Mittelasien das Entstehungsgebiet der jungpaläolithischen Klingentechnologie sehen. Sollten sich diese Überlegungen weiter erhärten, dann wären der technologische Wandel und das jungpaläolithische Werkzeugset von hier aus allmählich nach Europa vorgedrungen.

Dynamik des evolutiven Prozesses

Der älteste Hinweis auf die Anwesenheit des anatomisch modernen Menschen stammt aus der Höhle Pestera cu Oase in Rumänien, am westlichen Rand des Karpatenbogens gelegen. Die Morphologie des Fundes ist außergewöhnlich, da Merkmale des anatomisch modernen Menschen sich mit archaischen Merkmalen vereinigen. Diese Kombination belegt eine starke Dynamik des evolutiven Prozesses am Übergang von Neandertalern zum anatomisch modernen Menschen in Europa, der wohl nicht als einfacher Austausch zweier Populationen verstanden werden kann. Leider handelt es sich bei dem Fund aus Pestera cu Oase um einen isolierten Fund ohne begleitende Werkzeuginventare, so dass keine Aussage über die Sachkultur möglich ist.

Etwa 4000 Jahre jünger sind die folgenden Humanfossilien, die dem anatomisch modernen Menschen in Europa zugeschrieben werden können. Es handelt sich um die Funde aus der tschechischen Fundstelle Mladec. Von diesem Zeitpunkt an scheinen sich anatomisch moderne Menschen in ganz Europa etabliert zu haben. Eine Region, der in der Forschung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist die Iberische Halbinsel. Denn hier gibt es Hinweise auf ein besonders langes Überdauern der Neandertaler.

Wie der Austausch zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen stattgefunden hat, ist Anlass zahlreicher forschungsgeschichtlicher Kontroversen. Die Analyse wird dadurch erschwert, dass Skelettfunde früher anatomisch moderner Menschen aus dem kritischen Zeitfenster zwischen 40.000 und 30.000 Jahren vor heute in Europa sehr selten sind. Neben der archäologischen Befundsituation geht es auch um die biologische Definition des Artbegriffes. Können Homo neanderthalensis und Homo sapiens als biologisch getrennte Arten verstanden werden? Eine Vermischung beider Formen wäre in diesem Fall nicht möglich gewesen. Morphologische Besonderheiten an den Fossilien aus Obi-Rakhmat, Teshik Tash (beide in Usbekistan) oder Pestera cu Oase (= Die Höhle mit Knochen bei Anina) wären dann kein Ergebnis eines Hybridisierungsprozesses, sondern müssten anderweitig erklärt werden.

Zwei-Arten-Modell

Die biologisch orientierte Fraktion innerhalb der Archäologie und Paläoanthropologie geht von dem Zwei-Arten-Modell aus. Sie findet Unterstützung durch paläogenetische Untersuchungen. Der Vergleich genetischer Daten der mitochondrialen DNA zwischen Neandertalern und heutigen Menschen gibt keinen Hinweis auf einen erkennbaren Beitrag von Neandertalern zum modernen Genpool. Allerdings kann ein solcher Beitrag auf Grund der Analysetechniken grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Die Neandertaler-DNA erlaubt unter Umständen ohnehin keine Aussage zur Frage der Vermischung, da Abstammungslinien der Neandertaler auch bei einer Vermischung mit modernen Menschen im modernen Genpool durch Gendrift verlorengegangen sein können. Alle statistischen Berechnungen der genetischen Verhältnisse stehen und fallen mit der konkreten demographischen Geschichte der spätpleistozänen Populationen in Europa, Afrika und Westasien. Da wir es in Europa und Asien mit hochmobilen Populationen in einem Risikolebensraum zu tun haben, der immer wieder zum Aussterben einzelner Gruppen geführt hat, ist diese Geschichte extrem komplex. Der fragmentarischen Datengrundlage fehlt bisher das erforderliche Auflösungsvermögen zur Klärung dieser Fragen.

Grad der biologischen Distanz

Einigkeit besteht darin, dass der Stammbaum des Menschen eher einem Busch ähnelt und verschiedene Menschenformen zeitgleich nebeneinander gelebt haben, von denen heute nur der moderne Mensch übrig geblieben ist. Umstritten ist der Grad der biologischen Distanz zwischen den verschiedenen Formen. Der Prozess der Artbildung benötigt in der Regel lange Zeiträume von mehreren hunderttausend bis Millionen Jahren und gleichzeitig eine konstante geographische Trennung der Populationen. Für die Kontaktgeschichte des modernen Menschen mit den indigenen Populationen ist die Frage der Artbildung von zentraler Bedeutung. War eine Vermischung der Populationen biologisch überhaupt möglich oder war die biologische Distanz bereits zu groß?

Nachweis archaischer Gene

Eine empirische Basis kann nur durch Vergleiche mit den Verhältnissen bei anderen Säugetierarten geschaffen werden. Der Beginn der genetischen Trennung des anatomisch modernen Menschen von den außerafrikanischen Populationen lag im längsten Fall etwa 1,7 Millionen Jahre zurück. In diesem Fall wird der Auszug des Homo erectus aus Afrika als Startpunkt gewählt. Im kürzesten Falle geschah die genetische Trennung vor nur 200.000 Jahren, wenn das erste Auftreten des anatomisch modernen Menschen in Afrika als Startpunkt gewählt wird. Das Verhältnis des gemeinen Schimpansen mit dem Zwergschimpansen kann als Vergleich herangezogen werden. Es gibt keine Hinweise darauf, weder in Gefangenschaft noch in freier Wildbahn, dass sich beide Arten erfolgreich gepaart haben. Die genetische Trennung beider wird in der Forschung unterschiedlich rekonstruiert, wobei die geschätzte Zeitspanne nach neuesten Überlegungen etwa 1,3 Millionen Jahre betragen soll. Die Verbreitungsgebiete zwischen beiden Arten haben keine Überlappungen. Der Zeitpunkt der Trennung des Neandertalers von der Homo-erectus-Linie, die zum anatomisch modernen Menschen führte, wird auf etwa 600.000 Jahre vor heute geschätzt. Die eigentliche Herausbildung der Neandertaler aus der europäischen Population des Homo erectus wird sogar noch später mit einem Trennungsereignis, das nur 250.000 Jahre zurücklag, verbunden. Beide Rekonstruktionen liegen deutlich unter den Daten der beiden Schimpansenarten, so dass auf dieser chronometrischen Basis die Wahrscheinlichkeit einer Aufspaltung der menschlichen Gruppen in Europa und Afrika in zwei Arten gering ist. Zudem waren die menschlichen Populationen des Pleistozäns hochmobile Gruppen, die sich – im Gegensatz zu den beiden Schimpansenarten – kontinentübergreifend in unterschiedlichen Habitaten bewegten. Eine artspezifische Trennung zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen wird zudem durch den Nachweis zahlreicher genetischer Regionen im modernen Genom des Menschen, die Hinweise auf eine Einmischung archaischer Gene aufweisen, überaus unwahrscheinlich. Dass bisher keine direkten Nachweise von Neandertalern im Genom des modernen Menschen nachweisbar sind, kann daher kaum auf artspezifische Barrieren zurückgeführt werden. Es müssen andere Erklärungen gesucht werden.

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