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Physiologische Voraussetzung

Die Ausdifferenzierung von Sprachen und Sprachfamilien ist ein Prozess, der von der Gegenwart bis weit in die Vorgeschichte zurückverfolgt werden kann. Ist es im Fall des Homo erectus vor 1,9 bis 0,4 Millionen Jahren die Fähigkeit zu symbolischer Tätigkeit, die eine Vorbedingung für die Verwendung rudimentärer Sprache erfüllt, so ist beim Homo neanderthalensis (400.000 bis 30.000 Jahre) mit dem „Sprachknochen“ auch eine entscheidende physiologische Voraussetzung nachgewiesen. Die Entwicklung von einfachen Protosprachen, die nonverbale Kommunikationsstrategien wie Mimik, Gestik und Posen um lautnachahmende Signale und Interjektionen ergänzen, über verschiedene Zwischenstufen hin zu komplexen Sprachen spielt sich vollständig im Dunkel der Vorzeit ab. Alle bekannten Sprachen der Erde – die gegenwärtig etwa 6400 lebenden Sprachen, die historisch überlieferten Sprachen und die durch historisch-vergleichende Rekonstruktion erschlossenen Sprachen – sind ungeachtet verschiedener Archaismen von komplexer Struktur. Man nimmt an, dass dieses Entwicklungsstadium vor mehr als 60.000 Jahren erreicht wurde, da es auch die Sprachen Australiens und Neuguineas, wohin Menschen in dieser Zeit gelangten, prägt.

Differenzierte Sprachfamilien

Über die Ausbildung und Verselbständigung von Dialekten und über die Fusionsprozesse im Sprachkontakt kann prinzipiell jede Sprache den Ausgangspunkt einer Sprachfamilie bilden. Da sich die großen, in sich vielfach differenzierten Sprachfamilien der Welt wie die uralische (u.a. mit Ungarisch, Finnisch, Saamisch-Lappisch), altaische (Turksprachen, mongolische, tungusische Sprachen), afroasiatische (semitische, kuschitische Sprachen, Berber-, Tschadsprachen), sino-tibetische (Chinesisch, Tibeto-Birmanisch), austronesische (malaio-polynesische und Formosa-Sprachgruppen) und indogermanische Sprachfamilie, die Niger-Kongo-Sprachen, die nilo-saharanischen Sprachen, die Sprachfamilien Amerikas und viele weitere sämtlich in vorhistorischer Zeit bildeten, sind die ihnen jeweils zugrundeliegenden Idiome nicht unmittelbar zu fassen und in unterschiedlichem Ausmaß Gegenstand linguistischer Rekonstruktion. Ansatz und Umfang sowohl einzelner Sprachfamilien – etwa der altaischen – als auch übergreifender Makrofamilien wie Eurasisch oder Nostratisch unterliegen konträrer Diskussion. Die Sprachfamilien der modernen Welt umfassen teils nur wenige Sprachen (Eskimo-Aleutisch: 11), teils mehr als tausend (Niger-Kongo-Sprachen: 1436, Austronesisch: 1236), nicht wenige Sprachen gelten als isoliert (Baskisch, Ainu, Japanisch). Die Sprachendichte der einzelnen Erdregionen variiert beträchtlich (Europa: 143, Papua-Neuguinea: mehr als 850).

Genetische Sprachverwandtschaft

Der Ansatz von Sprachfamilien beruht auf der Annahme genetischer Sprachverwandtschaft. Verwandte Sprachen zeigen systemhafte Gemeinsamkeiten auf allen Ebenen des Sprachbaus – Lautsystem, Morphologie, Lexikon und Syntax –, die weder durch Zufall noch durch Entlehnung zu erklären sind und auf ein gemeinsames linguistisches Erbe zurückgeführt werden. Demgegenüber äußert sich die engere Verwandtschaft einzelner Sprachzweige innerhalb einer Sprachfamilie in gemeinsam durchgeführten Neuerungen. Das in der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts zunächst vorherrschende Bild eines Baumes, das die Differenzierung von Sprachen ausgehend vom Stamm – der Grundsprache – über die (Sprach-)Zweige bis hin zu den Einzelsprachen modellhaft veranschaulicht, wird durch das Bild der Welle ergänzt: Spracherscheinungen breiten sich wellenförmig von einem Zentrum aus und überschreiten dabei die Grenzen sprachgenetisch etablierter Verwandtschaft. Grundsätzlich beruhen sprachhistorische Überlegungen auf der Annahme, dass sich sprachlicher Wandel nicht in chaotischer Willkür, sondern nach feststellbaren Regeln vollzieht, im Wechselspiel von Lautgesetzen und Analogien, wobei Lautgesetze nicht von allgemeiner Gültigkeit, sondern nach Ort und Zeit ihres Wirkens festgelegt sind.

wbg Weltgeschichte Bd. I

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