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2. Entfaltung und Aderlass in der Spätantike
ОглавлениеVor der Gründung Konstantinopels war Alexandreia im Osten des Römischen Reiches die kulturell und ökonomisch wichtigste Stadt. Durch die geographische Geschlossenheit und dem wirtschaftlichen Reichtum entwickelte sich für den Erzbischof von Alexandreia eine besondere Machtfülle in seinem Gebiet. Die Ägyptische Kirche war selbstbewusst, in sich geschlossen und straff geführt. Mit seinen etwa 100 Bistümern im 4. Jh., die auch Libyen einschlossen und bis Nubien und Äthiopien ausstrahlten, war der Erzbischof von Alexandreia das einflussreichste Oberhaupt der östlichen Kirche. Die Schule von Alexandreia entwickelte sich überdies als das ausschlaggebende intellektuelle Zentrum, das u.a. mit Origenes, Klemens, Athanasios und Kyrillos die antike christliche Theologie nachhaltig prägte. Hinzu kommt die Entwicklung des christlichen Mönchtums in den Wüsten Ägyptens mit herausragenden Gestalten wie Antonios, Pachomios und Shenute von Atripe, die der Kirche spirituelle Kraft und Führung gaben. Bis zur arabischen Eroberung stand Alexandreia mit der neu gegründeten Kaiserstadt am Bosporus im Konkurrenzkampf, und so auch die Metropoliten bzw. Patriarchen der beiden Städte. Diese Rivalitäten bildeten das kirchenpolitische Substrat zu den christologischen Auseinandersetzungen des 5. und 6. Jh..
Antiocheia, der Tradition nach die erste Cathedra Petri und die Stadt, wo gemäß Apg 11,26 die Anhänger Jesu erstmals „Christen“ genannt wurden, war das wichtigste frühchristliche Missionszentrum. Nach der Zerstörung Jerusalems war die Mittelmeermetropole jener Ort, von wo aus das Evangelium weiter nach Kleinasien, in den Kaukasus, nach Arabien und Persien getragen wurde. Antiocheia brachte bedeutende Kirchenväter und theologischen Denker hervor, unter ihnen Ignatios, Johannes Chrysostomos, Diodoros von Tarsus und Theodoros von Mopsuestia. Von hier aus entfalteten sich auch die großen asketisch-monastischen Bewegungen Syriens. Im frühen 4. Jh. umfasste die Metropolie Antiocheia fünfzehn Kirchenprovinzen, die von Zypern bis Mesopotamien und vom Sinai bis zum Kaukasus reichten. Allerdings war der geographische Raum nie so homogen wie jener in Ägypten. So war der Einfluss des Patriarchats v.a. jenseits des Römischen Reiches in Persien, Georgien und Armenien gering. Auch verlor das Patriarchat durch die Erhebung Konstantinopels (381), die Gründung des Patriarchats von Jerusalem (451) und die Autokephalie von Zypern auf dem Konzil von Ephesus (431) kontinuierlich an Gebieten und somit an politischem und kirchlichen Einfluss. Zypern war als Gründung von Paulus und Barnabas von alters her eine selbstständige Kirche. Zwar beanspruchte der Erzbischof von Antiocheia die Oberhoheit, doch das Konzil von Ephesus (431) bestätigte die traditionelle Unabhängigkeit. Im Bereich der griechischen Orthodoxie gilt der orthodoxe Metropolit von Zypern bis heute als der ehrwürdigste nach den Patriarchen der Pentarchie.
Der Bischof von Jerusalem war zunächst ein Suffragan des Metropoliten von Caesarea. Auch wenn die „Mutter aller Kirchen“ von jeher besonderes Ansehen genoss, wurde Jerusalem aufgrund der faktischen Auslöschung der Christengemeinden in den jüdisch-römischen Kriegen der ersten beiden Jahrhunderte erst auf dem Konzil von Chalkedon (451) zum Patriarchat erhoben, indem die ehemalige antiochenische Metropolien Caesarea, Skythopolis und Petra zuerkannt wurden.
Die christologischen Auseinandersetzungen um die Konzile von Ephesos (431) und Chalkedon (451), die weit bis in das 6. Jh. reichten, führten zur folgenschweren Aufsplitterung der Patriarchate von Alexandreia und Antiocheia. Alexandreia war das Zentrum der anti-chalkedonensischen Bewegung und sah durch das Bekenntnis von Chalkedon (451) den wahren Glauben des Kyrillos von Alexandreia verraten. Aber auch Antiocheia war nicht unwesentlich gegen das Konzil gestellt und hatte später mit Severos (512–518) einen Patriarchen, der in theologischer Brillanz die anti-chalkedonensische Christologie präzisierte. Erst die pro-chalkedonensische Restauration unter den Kaisern Justinos und Justinianos brachten die Wende, aber auch das endgültige Schisma. Lösten sich bis dahin Konzilsgegner und -befürworter auf den Bischofsstühlen ab, so erhob Kaiser Justinian 535–536 ausschließlich chalkedontreue Männer zu Bischöfen. Damit wurde die bischöfliche Hierarchie verdoppelt: Fortan gab es eine pro- und eine anti-chalcedonensische Linie.
Die Anti-Chalkedonenser wurden unter Militärdruck ins Exil, in die Wüste oder in den Untergrund gedrängt. Dennoch blieb fast das ganze Patriarchat von Alexandreia in der Opposition und bildet heute die koptisch-orthodoxe Kirche, während nur ein griechischer Rest kaisertreu („melkitisch“) und in der reichskirchlichen Pentarchie verblieb. Ebenso gespalten wurde das Patriarchat von Antiocheia, wobei vor allem die griechischsprachige Bevölkerung bei der Reichskirche verblieb. Das anti-chalkedonensische Bruchstück formte der große Teil der syro-aramäischen Christen, die heute die syrisch-orthodoxe Kirche bilden. Das Patriarchat von Jerusalem blieb mit großer Mehrheit pro-chalkedonensisch. Dies hat einerseits mit der Verteidigung der chalkedonischen Lehre durch die Mönche, vor allem des Sabas-Klosters, zu tun. Andererseits ist dies aber auch dem Umstand zu verdanken, dass hier der theologische Streit nicht in dem Ausmaß mit nicht-theologischen Faktoren vermischt wurde, wie in Ägypten und Syrien. Dort vermengte sich die Auflehnung gegen das Konzil mit Widerstand gegen die kaiserliche Religions- und Reichspolitik. Zypern war insgesamt außerhalb des Horizonts der Auseinandersetzungen und blieb pro-chalkedonensisch.