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1.3.1 Technischer Fortschritt und Massenproduktion

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Um das Jahr 1500 betrug das jährliche weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) rund 240 Milliarden US-Dollar (MADDISON 1995: 19). Dies entspricht ungefähr dem heutigen BIP von Polen. Um 1820 erzielte das Welt-BIP einen Wert von 695 Milliarden Dollar, bis zum Jahr 1900 wuchs es fast sprunghaft auf 1,98 Billionen Dollar an. 1950 betrug es 5,37 Billionen Dollar und 1992 waren es satte 28 Billionen. Demnach war die Weltwirtschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts etwa 120mal größer als die von 1500 (MCNEILL 2003: 20).

Ausgangspunkt der wirtschaftlichen Expansion war die industrielle Revolution in England im 18. Jahrhundert. Von dort aus erfasste die Industrialisierungswelle nach und nach andere europäische Staaten sowie die USA und Japan. Die industrielle Revolution gilt in erster Linie als eine technische Revolution. Sie etablierte ein völlig neues mechanisiertes Produktionssystem. Agrarisch dominierte Länder wurden in moderne Industriegesellschaften transformiert. Arbeitsmaschinen ersetzten in immer mehr Bereichen der Arbeitswelt die Handarbeit. Industrielle Fertigungsmethoden lösten zunehmend die manufakturelle Herstellung ab.

Seinen Einzug hielt der Mechanisierungsprozess mit innovativen Spinnmaschinen und Webstühlen in der Textilherstellung, was zur Entwicklung einer neuen Sparte führte: der Maschinenindustrie. Ingenieure und Maschinenbauer ebneten durch Typisierung, Normierung, Präzisionsfertigung und Austauschbau sukzessive den Weg zur arbeitsteiligen und kostengünstigen Massenfertigung. Der Wandel setzte sich in allen wichtigen Bereichen der Arbeitswelt fort, insbesondere in der Chemie- und Elektroindustrie (dazu ausführlich: WEBER 1997 sowie KÖNIG 1997). Auch die Landwirtschaft verzeichnete rasante Fortschritte. Neben ihrer Mechanisierung steigerten Neuerungen wie die mineralische Düngung oder die Diversifizierung des Anbaus den Ernteertrag beträchtlich. Durch die Produktivitätssteigerung ging die Zahl der im Primärsektor Beschäftigten zwischen 1800 und 1900 um die Hälfte zurück. Erst auf diese Weise konnte überhaupt das notwendige Arbeitskräftepotential für die aufkommenden Industrieunternehmen freigesetzt werden.

Die zunehmende Mechanisierung der Arbeitswelt brachte einen hohen Zuwachs an Produktivität. Das bedeutet: Durch den Maschineneinsatz erhöhte sich die Menge der hergestellten Produkte bei gleichzeitigem Rückgang der Arbeitskräfte. In den USA, dem Vorreiterland der industriellen Massenproduktion, wurden beispielsweise in den 1880er Jahren Zigarettenmaschinen entwickelt, die an einem Arbeitstag 100.000 Glimmstängel ausstießen. 30 solcher Maschinen reichten aus, um den gesamten amerikanischen Markt zu versorgen (KÖNIG 1997: 430).

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begannen in den USA Planer und Ingenieure zusehends damit, Innovationen im Maschinenbau mit arbeitsorganisatorischen Neuerungen zu verbinden. Als Vertreter der Rationalisierungsbewegung benutzten sie Begriffe wie „Effizienz“ und „Management“ als Richtschnur für die Umsetzung einer straffen Arbeitsorganisation in Industrieunternehmen. Einer der führenden Köpfe der Bewegung war Frederick Winslow Taylor, dessen Name heute zum Synonym für Arbeitszerlegung, Arbeitsverdichtung und Dequalifizierung geworden ist („Taylorismus“). Taylors Ziel lag darin, in die bislang durch Erfahrung und Faustregeln dominierte Arbeitspraxis wissenschaftliche Methoden einzuführen. Hierfür zerlegte er komplexe Arbeitsprozesse in Teilschritte und bestimmte per Stoppuhr, wie viel Zeit für ihre Umsetzung nötig war. Taylors Überzeugung nach gab es für jede Arbeit eine optimale Form der Ausführung – „the one best way“. Dieses Optimum galt es zu ermitteln und den Arbeitern anzulernen.

Der tayloristische Zuschnitt von Arbeitsvorgängen bewirkte in der Regel eine Arbeitsverdichtung. Um die Arbeiter zu motivieren, ihre Leistung zu steigern und Drückebergerei aufzugeben, entwickelte Taylor ein Prämiensystem, welches hohe Arbeitsleistung belohnte. Seine Umsetzung verlangte ein Steuerungsund Überwachungssystem, das die Freiheit der Arbeiter bei der individuellen Arbeitsgestaltung und -leistung drastisch einschränkte und ihr Arbeitstempo bestimmte. Nicht umsonst klagten Arbeiter und Gewerkschaften in der Anfangsphase des Taylorismus über das unzumutbare Ausmaß der Arbeitsintensivierung und leisteten zunächst vehementen Widerstand.

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der industriellen Fertigung waren die Ideen des Automobilherstellers Henry Ford. Ford perfektionierte die Fließbandtechnik, indem er einzelne Elemente aus dem amerikanischen Maschinenbau und der Rationalisierungsbewegung konsequent am Produkt Auto in die betriebliche Wirklichkeit umsetzte und in wichtigen Punkten erweiterte (KÖNIG 1997: 438ff.). Ausgangspunkt seiner Maßnahmen waren die zeitgenössischen Bestrebungen zur Reduzierung der Typenvielfalt. Diese trieb er auf die Spitze, indem er 1908 beschloss, nur noch einen einzigen Autotypus – das legendäre Ford Modell T – zu bauen. Diese Beschränkung erlaubte es ihm, eine hochmoderne Fließbandfertigung mit eigens für diesen Zweck konzipierten Spezialmaschinen aufzubauen. Hierfür entwickelte er zunächst die zeitgenössischen Ansätze zur Fließfertigung weiter. 1913/14 mechanisierte er etwa den Teiletransport zwischen den einzelnen Arbeitsstationen durch Fließbänder, Ketten- und Seilzüge oder Rutschen. Sich bewegende Transportbänder waren damals an sich nichts Neues und unter anderem in Form von Rolltreppen oder in Schlachthöfen bereits in Gebrauch. Doch noch nie zuvor war ein technisch hochkomplexes Produkt wie das Automobil auf beweglichen Endlos-Montagebändern gefertigt worden. Weiterhin gelang es Ford, den Autobau in einzelne separierte Arbeitsschritte zu zerlegen, so dass die dadurch immer monotoner werdenden Verrichtungen auch von ungelernten Kräften übernommen werden konnten.

Durch die Fließbandfertigung erhöhte sich die Produktivität des Herstellungsprozesses enorm. Die Rationalisierung ermöglichte es Ford, die Preise für das Modell T drastisch zu senken. Mit den billigeren Autos erreichte er neue, weitaus größere Käufergruppen und leitete so die Massenmotorisierung ein. Vormals ein reiner Luxusgegenstand der Begüterten, entwickelte sich das Automobil nun zu einem Massenprodukt auch für den Mittelstand. Darüber hinaus erlaubten es die zusätzlichen Gewinne, dass Ford seinen Arbeitern, die dem Stress und der Monotonie der Fließbandarbeit standhalten mussten, weitaus höhere Löhne bezahlte als sonst in der Automobilindustrie üblich. Auf diese Weise erkaufte er sich ihre Zufriedenheit. Außerdem ermöglichte Ford der Arbeiterschaft auf diese Weise, Wohlstand und Kaufkraft aufzubauen und ihre Konsummöglichkeiten auszudehnen. Kurzum: Er ebnete den Weg in den Massenkonsum moderner Industriegesellschaften.

Insgesamt erhöhte sich durch die Einführung effizienterer Technik und einer effektiveren Arbeitsorganisation zwischen 1750 und 1990 der Wert der industriellen Arbeitsproduktivität um das 200fache. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stellten Arbeiter deshalb innerhalb von einer Woche so viel her wie ihre Vorgänger im 18. Jahrhundert in vier Jahren (MCNEILL 2003: 333).

Bei der historischen Betrachtung des Modernisierungsprozesses seit 1750 fällt auf, dass grundlegende technische Neuerungen wie die Dampfmaschine, Elektrizität oder Eisenbahn neue Märkte und Wachstumsindustrien schufen. Diese und andere neue Technologien, Produktionsverfahren, die Neuorganisation von Arbeitsabläufen oder die daraus hergestellten Produkte hatten weitreichende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen zur Folge. Vor allem innovative Technologiesysteme, die Energie-, Transport-, Kommunikations- und Produktionsnetzwerke miteinander verknüpften, waren Auslöser für neue wirtschaftliche Entwicklungstrends oder veränderten bereits bestehende Wirtschaftszweige tiefgreifend. Derartige Technologiesysteme werden als Basisinnovationen bezeichnet.

Nach heute vorherrschender Meinung treten Basisinnovationen in zyklischen Abständen gehäuft auf und können Phasen des wirtschaftlichen Wachstums auslösen, die etwa 50 bis 70 Jahre andauern (SCHÄTZL 1996: 201). Sobald die Innovationskraft der jeweiligen Technologie erschöpft ist, tritt eine Phase der Rezession und Depression ein. Diese Abschwungphase wird in der Regel durch eine erneute Aufschwungphase infolge neuer grundlegender technischtechnologischer Erfindungen abgelöst. Solche durch Basisinnovationen ausgelöste Abfolgen von Konjunkturphasen und Rezessionen werden nach dem russischen Agrarökonom Nikolai Kondratieff Kondratieff-Zyklen oder allgemein lange Wellen genannt. Kondratieff hatte Anfang des 20. Jahrhunderts versucht, die Existenz langer Wellen anhand des Zusammenspiels der Roheisenerzeugung und Arbeitslöhne in England sowie der Außenhandelsumsätze und des Kohleverbrauchs in Frankreich nachzuweisen (BATHELT & GLÜCKLER 2002: 247) und lieferte erste Hinweise auf zyklische Schwankungen in der Wirtschaftsentwicklung kapitalistischer Industrieländer. Den entscheidenden Beitrag zur Entwicklung einer Theorie der langen Wellen leistete jedoch der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, der einen Zusammenhang zwischen technischen Neuerungen und dem „schaarenweisen“ Auftreten von Unternehmen, die sich der Basisinnovationen bedienen und deren Innovationskräfte sich über Rückkopplungseffekte auch auf vor- und nachgelagerte Sektoren ausdehnen, herstellte.

Seit Beginn der industriellen Revolution lassen sich fünf Wellen ausmachen. Jede Welle wurde von bestimmten Industriesektoren getragen, in denen wichtige Basisinnovationen eingeführt wurden. Die erste lange Welle (1790–1840) wurde durch die Erfindung der Dampfmaschine und Fortschritte in der Textil- und Eisenindustrie geprägt. Die zweite lange Welle (1840–1890) begründeten Neuerungen im Verkehrswesen wie die Eisenbahn und die Schifffahrt auf der Grundlage der Dampfkraft. Die Entdeckung und Nutzbarmachung der Elektrizität war schließlich für die dritte lange Welle (1890–1940) verantwortlich. Im gleichen Zeitraum erfolgten bedeutende Innovationen in der Elektro-, Chemie- und Automobilindustrie, wie z.B. der Durchbruch des Verbrennungsmotors sowie die zunehmende Nutzung von Öl und Kunststoffen. Die dritte lange Welle wurde somit durch eine Kombination von mehreren bedeutenden Erfindungen geprägt. Die vierte lange Welle (1950–1990) wird durch Erfindungen im Bereich der Elektronik und Computerindustrie, der Petrochemie und der Verarbeitung synthetischer Materialien getragen. Eine fünfte, noch andauernde Welle begann sich in den 1980er und 1990er Jahren durch eine Reihe von Innovationen auf dem Gebiet erneuerbarer Energietechnologien, der Robotik, Mikroelektronik, Biotechnologie, Material- und Werkstoffkunde sowie Informations- und Kommunikationstechnologien herauszubilden (KNOX & MARSTON 2008: 71ff.). Darüber hinaus spielen in der fünften Welle zunehmend auch Konzepte und Technologien im Rahmen der medizinischen Versorgung, erneuerbarer Energien, der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz eine wichtige Rolle.

Jede Innovation bringt eine neue Nachfrage nach entsprechenden Rohstoffen hervor und verändert Anforderungen an Handel und Arbeitsmärkte. Jeder Zyklus prägt wiederum mehrere Jahrzehnte lang die Wirtschaft der Regionen, in denen die betroffenen Industriesektoren angesiedelt sind. Während die grundlegenden Erfindungen der ersten langen Welle vor allem in England stattfanden, traten in der zweiten Welle neben England auch Deutschland und teilweise die USA hinzu. Die dritte lange Welle konzentrierte sich vor allem auf die USA und Deutschland. Mit der vierten Welle blieb der Fokus aufgrund wichtiger Innovationen in der Computer- und Halbleiterindustrie teils in den USA, verlagerte sich aber auch teilweise nach Japan. So entwickelten sich von Welle zu Welle neue regionale Standortschwerpunkte mit einer hohen Konzentration der jeweils dominierenden Industriesektoren (BATHELT & GLÜCKLER 2002: 249). Die neue fünfte Welle wird neben den bisherigen Industriestaaten nun erstmals durch den kontinentalasiatischen Wirtschaftsraum mitgeprägt.

In vielen Fällen lässt sich feststellen, dass sich mit dem Ablauf langer Wellen jeweils spezialisierte Industrieansiedlungen mit vielfältigen Arbeitsmarkt-, Informationssowie Zuliefer- und Absatzbeziehungen entwickelt haben. So waren beispielsweise die Standorte der Eisen- und Stahlindustrie der zweiten langen Welle aufgrund der Bedeutung von Transportkosten sehr stark rohstofforientiert und daher vor allem in der Nähe von Kohle- und Erzrevieren zu finden. Die Nähe zu Rohstoffvorkommen spielte für die tragenden Industrien der folgenden Wellen jedoch im weniger eine Rolle. Für die Unternehmen der Technologiebranchen wie der Computer- und Halbleiterindustrie sind stattdessen Agglomerationsfaktoren, wie die Nähe zu Forschungseinrichtungen und einem qualitativ hochwertigen Arbeitsmarkt, stärker von Bedeutung (BATHELT & GLÜCKLER 2002: 249f.).

Technische Innovationen, d.h. ihre Entwicklung, Durchsetzung und Verbreitung, bewirken aber auch eine enorme Zunahme des Ressourcenverbrauchs und die Verbreiterung der stofflichen Produktionsbasis. Das durch technische Innovationen hervorgerufene (materielle) Wachstum gilt vor allem in den Industriestaaten als Voraussetzung für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen, sozialem Aufstieg und weiterem technischem Fortschritt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Weltbevölkerung, ihr materieller Besitz sowie die damit verbundenen Rohstoff- und Energieflüsse infolge der gestiegenen Wirtschaftsleistung vervielfacht. Allein in den letzten 25 Jahren war eine Verdoppelung der industriellen Produktion zu verzeichnen, die Pro-Kopf-Wachstumsrate stieg aufgrund des Bevölkerungswachstums allerdings langsamer an; sie beanspruchte etwa 55 Jahre (MEADOWS ET AL. 2009: 6). Somit lassen sich in fast allen Produktions- und Rohstoffbereichen deutliche Zuwächse verzeichnen. Neben dem steigenden Verbrauch an Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas sowie wichtiger Industriemetalle betrifft dies vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse und insbesondere Grundnahrungsmittel wie Weizen und Reis. Dies hatte wiederum eine weltweite Intensivierung der Flächenbewirtschaftung und damit einen wachsenden Bedarf an Ackerflächen zur Folge (s. Tab. 2.1).

Tab. 2.1: Weltweites Wachstum ausgewählter Rohstoffe und Produkte von 1950 bis 2000 (MEADOWS ET AL. 2009: 8).


Neben der quantitativen Zunahme des Rohstoffverbrauchs spielt mittlerweile auch die steigende Vielfalt der nachgefragten Rohstoffe eine wichtige Rolle. Insbesondere „alltagstaugliche“ technische Innovationen der vierten und fünften lange Welle wie Informations- und Kommunikationstechnologien zeichnen sich durch eine ansteigende und bislang nie dagewesene Rohstoffvielfalt aus. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts kamen für deren Herstellung vorwiegend sogenannte Strukturmaterialien mit spezifischen mechanischen Eigenschaften zum Einsatz, die auf klassische Massenmetalle wie Eisen, Kupfer und Zink basierten. Zudem spielten Stahlveredler wie Nickel oder Molybdän bereits eine wichtige Rolle. Mit zunehmender technischer Weiterentwicklung wie beispielsweise im Bereich spezieller Legierungen oder der Entwicklung von Halbleitermaterialien stieg die Zahl der benötigten Rohstoffe und vor allem Metalle jedoch exponentiell an. In modernen elektronischen Kommunikationstechnologien finden sich oftmals über 70 verschiedene Metallsorten wieder. Teilweise handelt es sich um sehr seltene Metalle wie Indium, Gallium, Europium, Neodym oder Scandium, die zwar nur in geringsten Mengen zum Einsatz kommen, jedoch wichtige magnetische, elektrische, katalytische oder optische Funktionen erfüllen (ACHZET ET AL. 2011: 10f). Im Zuge der Technisierung spielt der Einsatz rohstoffintensiver Funktionsmaterialien, die nach genauen Rezepturen hergestellt werden, mittlerweile eine wichtige Rolle. Mit dieser Entwicklung hat der Rohstoffverbrauch eine bisher nie dagewesene Qualität erreicht und stößt zunehmend an Grenzen der Knappheit und ökologischen Verträglichkeit.

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