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Epilog:… denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder

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Der Epilog der Einführung kommt aus dem Römerbrief (3, 10–12, 17, 21–24). Da auch hier kein auslegender Kommentar beigefügt ist, muss die Bedeutung dieser Verse wiederum aus dem Zusammenhang erschlossen werden. Dabei scheinen mir die Autoren noch einmal das Richteramt der Siegermächte als heuchlerisch und anmaßend kritisieren zu wollen, indem sie die Sündhaftigkeit aller Menschen hervorheben. Wo alle schuldig sind, kann auch niemand gerecht urteilen.

3,10 Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.
11 Da ist keiner, der verständig sei; da ist keiner, der nach Gott frage.
12 Sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig geworden. Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer
17 und den Weg des Friedens wissen sie nicht
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten
22 Ich rede aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die da glauben.
23 Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.

Obwohl die reformatorische Versöhnungslehre irdische Gerechtigkeit nicht außer Kraft setzen wollte und dies über die Zwei-Reiche-Lehre und die strikte Trennung weltlicher und himmlischer Gerechtigkeit löste, scheinen die protestantischen Kirchensprecher diese Linie in dieser historischen Situation überschreiten zu wollen. Die paulinische Sünden- und Versöhnungslehre wird zum politischen Argument gegen die moralische Autorität der Alliierten, über Deutsche zu urteilen. Im Kontext der Denkschrift bedeutet „Da ist keiner, der gerecht ist“ konkret, dass alle Kriegsschuld auf sich geladen haben und somit keiner über andere richten darf. Die Schuld der Anderen (vgl. Thielicke/Diem 1947) wird mit Verweis auf die alliierten „Kriegsverbrechen“, die Bombenangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung, den Morgenthau-Plan, der Vertreibung Deutscher aus den Ostgebieten und die Situation deutscher Kriegsgefangener in unterschiedlichen Lagern begründet. Die Schuldhaftigkeit „aller“ entschuldet den Einzelnen, in der allgemeinen Solidarität der (Kriegs-)Schuld ist (außer Gott?) niemand mehr autorisiert zu richten. Diese Sündenlehre verwischt individuelle Unterschiede in einer großen Schuldhaftigkeit vor Gott und bagatellisiert NS-Verbrechen zu allgemeinen Sünden. In der Gleichheit „aller“ Sünder wird die Feststellung spezifischer Schuld belanglos. Mehr noch, sie wird zum Machtmissbrauch: Wo alle unterschiedslos Sünder sind, wird das Richten zur heuchlerischen Machtausübung, in der die mächtigen Schuldigen (die Sieger) über die ohnmächtigen Schuldigen (die Verlierer) zu Gericht sitzen. Indem die Autoren diese Sündenlehre auf menschliche Gerichtsbarkeit anwenden, stellen sie irdische Rechtsprechung grundsätzlich in Frage, da dem menschlichen Richter die moralische Autorität zu richten abgesprochen wird.

Misstrauen gegenüber dem Richten und (Ver-)Urteilen ist schon in neutestamentlichen Schriften angelegt. Das Richten anderer wird als eine Form der heuchlerischen Selbsterhebung und blinder Anmaßung kritisiert. Im Neuen Testament gibt es viele Textbelege für eine grundsätzliche „Solidarität der Schuld“ und die Präferenz der Vergebung vor dem Richten: So wird die Verurteilung des Stachels im Auge des Bruders mit Verweis auf den Balken im eigenen Auge relativiert (Mt 7, 5). Der Bruder des verlorenen Sohnes, der ihn vom Vater gemaßregelt sehen will, wird im Gleichnis getadelt (Lk 15, 11–32). Der Stein, der die Ehebrecherin treffen soll, fallt auf die heuchlerische Doppelmoral der richtenden Männer zurück (Joh 8, 1–11). Die Hartherzigkeit des Schalksknechts, der die Schulden seines sozial Untergebenen eintreibt, nachdem ihm die eigene Schuld durch seinen Herrn vergeben worden war, wird bestraft. Aus der Betonung der eigenen Schuldverflochtenheit entsteht Angst vor dem Richten. „Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“ (Lk 6,37) Solche Textstellen haben sich politisch in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zugunsten der NS-Täter ausgewirkt. Wo sich alle (und insbesondere auch die Justiz) in einer großen Solidarität der Schuld wissen, kann kein großes Interesse an Strafverfolgung aufkommen. Die neutestamentliche Ablehnung des Richtens verschärft damit Apathie und Lethargie. Die Solidarität der Sünde macht Schuld diffus, unfassbar und unsühnbar. Wo alle schuldig sind, ist niemand mehr haftbar. Solange Schuld kollektiv verstanden wird, kann sie im juristischen Sinne nicht verfolgt und bestraft werden. Die „Solidarität der Schuld“ schlägt dann in eine „Solidarität mit den TäterInnen“ um, deren Integration unter dem Deckmäntelchen der Versöhnung ohne große Reue und Buße vorangetrieben wird.

Von Gott reden im Land der Täter

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