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2 Die dunkle Seite Gottes
ОглавлениеEin exklusiver Monotheismus erzwingt die Annahme, dass JHWH selbst Ursprung des Bösen sein müsse (Jes 45,7). In den altorientalischen Kulturen des 1. Jahrtausends v. Chr. war dieses Problem noch nicht präsent. Darum ist es unmöglich, die reiche Palette der dämonischen Wesen aus Literatur und Ikonographie des Alten Orients einfach auf die biblische Texte zu übertragen. In vorhellenistischer Zeit wurde noch angenommen, dass Gottheiten und Dämonen ambivalent für oder gegen die Menschen handelten. Bösartiges Handeln wurde als Ärger verstanden, den der Mensch durch sein schlechtes Verhalten provoziert hatte. So bewahrten Götter und Dämonen die kosmische Ordnung und die soziale Gerechtigkeit. Dieser Gedanke findet sich auch in der Hebräischen Bibel. Einige Texte schreiben JHWH dämonische Aspekte zu (Gen 32; Ex 4,24; Dtn 32,23–24; 1 Sam 26,19; 2 Sam 24,1; 1 Kön 22,20–23; Ez 20,25) oder stellen bös artige Mächte in den Dienst von JHWH (Hab 3,5). Im Buch Hiob (→ Gerechter, leidender) ist es JHWH selbst, der auf böswillige Art agiert. Der Satan erscheint zwar in der Rolle dessen, der JHWH dazu antreibt, Hiob auf die Probe zu stellen, doch JHWH übernimmt durch sein Eingeständnis, dass er Hiob grundlos verderben ließ (Hiob 2,3), die ganze Verantwortung für das Unglück, das sich über Hiob ergießt, auf sich. Der Satan wird unter der Kontrolle JHWHs gehalten und taucht am Schluss des Buches nicht wieder auf. Die scheinbare Darstellung von JHWH als Opfer des Satans ist einer der Ursprünge der späteren Dämonologie, die den Satan als den Anführer aller dämonischen Mächte verstand, obgleich das Buch Hiob dieser Schlussfolgerung faktisch widerspricht. Dieser hermeneutische Vorgang ist weitverbreitet: Ein Text bringt ein bestimmtes Konzept in Umlauf, obwohl der Text selbst diesem Konzept widerspricht. Im vorliegenden Fall ist dieser Vorgang paradox, da im antiken Mittelmeerraum Dämonen nicht grundsätzlich „böse“ waren, sondern der Sphäre von Ungewissheit und ambivalenten Mächten angehörten (FRANKFURTER 2011, 129). Der mehrdeutige „Schwellenzustand“ der antiken Dämonen situiert diese geographisch zwischen einem „hier“ und einem „dort“. Ihr Ort ist „jenseits“ des Dorfes und „vor“ dem heiligen Gebiet. Wilde und isolierte Gegenden werden von Dämonen durchschweift, bewohnte Gebiete hingegen sind Schutzgebiete der sicheren Mächte. Demzufolge sind in Ägypten die Götter Seth und Reshef fremde Götter. In der Bibel wird Baal gleichermaßen geschildert. Die Liminalität wird vermindert und die Dämonen werden gebändigt, indem ihre Namen oder ein Zauberspruch aufgesagt werden. Hierzu gehören alle Bräuche, mit denen der Dämon durch Erzähltechniken unter Kontrolle gebracht, abgelenkt oder weitergeschickt werden kann (z.B. Ex 4,24–26).
Obwohl der Dämonisierungsprozess der Götter – mit Ausnahme von JHWH – oft als Konsequenz der Entwicklung eines exklusiven Monotheismus verstanden wird, kann doch eine ähnliche Tendenz bei benachbarten Kulturen wie z.B. dem hellenistischen Ägypten beobachtet werden. Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt das Ende des Glaubens an die allmächtigen Götter der Schöpfung, sondern eher das Aufkommen einer Mehrzahl von intermediären Geistern und moralisch zweideutigen Wesen. Solche Zwischenwesen können sowohl das tägliche Leben auf der Erde wie auch die Reise der Kranken in die Unterwelt beeinflussen (LUCARELLI 2011, 109).