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2 Zum Motivbegriff 2.1 Verwendungsbereiche des Motivbegriffs und sein Gebrauch in der Musik
ОглавлениеVon einem „Motiv“ spricht man in einer ganzen Reihe höchst unterschiedlicher Bereiche: Zu ihnen gehören neben der Literatur die Photographie und die Malerei, die „Motive“ künstlerisch umsetzen. Aber auch die Psychologie kennt Motive und in der Rechtsprechung spielen sie eine entscheidende Rolle, doch für die Frage nach der Verwendung des Motivbegriffs in der Literatur braucht seiner Verwendung in diesen beiden Bereichen hier nicht weiter nachgegangen werden. Erhellend für die literarische Verwendung des Begriffs ist sein Gebrauch in der Musik, denn wie in der Musik von einem Motiv gesprochen wird, wirft ein Licht auf das, was ein Motiv in der Literatur ausmacht. Seine Verwendung in der bildenden Kunst und in der Photographie hingegen kann, sofern sie keine Übertragung aus der Literatur ist, häufig synonym zum Begriff des „Sujet“ verstanden werden.
Wie sehr in der Musik Motive wahrgenommen werden, zeigen die einfachen Beispiele der Abfolge von zwei Tönen im Terz- bzw. Quartabstand: Bereits Kinder assoziieren diese Abfolge bei der Terz mit dem Kuckucksruf (möglicherweise ohne je einen wirklichen Kuckuck gehört zu haben) und bei der Quart mit dem Martinshorn, wie es – in Deutschland zumindest – von der Feuerwehr als Warnsignal bei Einsatzfahrten verwendet wird.
Für die Musik lässt sich folgende Definition angeben: „Unter Motiv (movere = bewegen) versteht man die kleinste, selbständige und charakteristische Bewegungseinheit. Es ist die ‚einzelne Gebärde des musikalischen Affektes‘ (F. Nietzsche). Es gibt den entscheidenden Bewegungsimpuls für den weiteren Verlauf“ (GRABNER 165). Das Zitat aus einem einschlägigen Lehrbuch zeigt in der Verwendung des Wortes „Bewegung“ den metonymischen Zusammenhang von Musik und Tanz im Motivbegriff: Ein Motiv ist primär ein solches Element der Musik, das eine einzige Bewegung ist, weil es eine einzige Bewegung ermöglicht. Auch hat das Motiv, wie das Zitat von F. Nietzsche zeigt, eine gestische Seite, die Bewegung, die ja nicht per se eine Eigenschaft der Musik ist, sehr wohl aber von ihr ausgelöst wird, und sie ist nicht bloße physikalische Bewegung (die Bewegung der Luft durch Schwingungen), sondern bedeutungsvolle Bewegung. Das Motiv hat teil an der auslösenden Wirkung der Musik, verbindet diese mit dem physisch-performativen Charakter des Tanzes und der bedeutungstragenden Eigenschaft der Sprache, d.h. der Literatur. Entsprechend den Bestandteilen der Musik – Rhythmus, Melodie und Harmonie – gibt es rhythmische, melodische und harmonische Motive. Zwar werden zumeist kurze melodische Sequenzen mit dem Begriff des „Motivs“ assoziiert, doch ist es mitunter eben auch eine rhythmische Sequenz, die Motivcharakter besitzt, so etwa das Ostinato in Maurice Ravels „Boléro“, und in anderen Musikstücken sind es bestimmte Harmonien, aus denen die Musik sich entwickelt, sodass eben die Harmonien Motivcharakter haben, wie etwa im Adagio von Felix Mendelssohn-Bartholdys „Meeresstille und glückliche Fahrt“. Die Barockmusik hat in der Figurenlehre ein ganzes System der Zuordnungen musikalischer Gesten zu Gefühlen, Ereignissen und Handlungen entwickelt.
Wie die harmonischen Motive der Musik können literarische Motive stärker statisch und konstellativ sein oder aber wie bei rhythmischen und melodischen Motiven die Entwicklung stärker in den Vordergrund treten lassen. Die Literatur besitzt dabei freilich ihre eigene, von der Musik unterschiedene Struktur, mit eigenen Beschreibungsebenen und Bereichen. An diesen orientiert sich die Beschreibung literarischer Motive. Sie spricht von Person- oder Charaktermotiven, Raummotiven, Zeitmotiven und Situationsmotiven und kann Motive nach ihrer Verwendung in literarischen Genres als Dramen-, Märchen- oder lyrische Motive klassifizieren. Der Verwendung des Begriffs in der Musik analog ist die Vorstellung vom Motiv als einem kleinen Element in der Literatur, das eine Erzählung oder einen Teil einer Erzählung aus sich heraus entlässt und dem die Tendenz zur Wiederholung innewohnt.