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4. Post-Bildung
ОглавлениеFür Bildungs- als Erfahrungsprozesse ist die Distanzstruktur der Verzögerung konstitutiv. Dieser Zusammenhang ist insofern bedeutsam, als von hieraus verstehbar wird, wie derzeit eine ökonomische Logik durch die Effizienzrationalität der Beschleunigung Bildungsprozesse verhindert, den Anpassungsdruck erhöht, um Distanzleistungen nicht zu gestatten. So wird kritische, distanzierte Nachdenklichkeit marginalisiert und verhindert. Der Mensch braucht Umwege, Irrtümer und Irrwege, die den Raum des Intelligiblen ausmachen. Menschliche Kultur wäre ohne die begriffliche Fähigkeit der Distanz und der Verzögerung nicht denkbar. Kulturgüter sind Umständlichkeiten, die die schnellen und naiven Lösungen des Menschen verhindern, durch die die Menschen auf Distanz zur Welt gehen und sie dadurch zuallererst verstehen lernen (vgl. hierzu ausführlich DÖRPINGHAUS/UPHOFF 2012, Kap. 7).
Die Post-Bildung, also die bloße Verwaltung von Vorgängen, die ohne sinnvolle Anbindung als Bildung bezeichnet werden, zielt auf Formen der Anpassung und des Unpolitischen ab. Sie verhindert Bedingungen der Möglichkeit von Bildung, die als Verzögerungen bestimmbar sind. In der Post-Bildung sind keine Distanzleistungen erwünscht, während Kompetenzen vielmehr den unpolitischen Anpassungswillen beflügeln sollen. Doch Anpassungsleistungen sind keine Distanzleistungen und umgekehrt. Damit ist zugleich eine Differenz markiert, die Bildung von ihrer Verwaltung und einer „Post-Bildung“ als nicht legitimen und sinnvollen Gebrauch unterscheidet. Die Post-Bildung gehört daher in den Kontext der Verdummung (vgl. DÖRPINGHAUS 2009). Das Wesen der Post-Bildung ist ein Außerkraftsetzen von Bildung durch deren Verwaltung und Kontrolle. Die Post-Bildung zeigt sich wertfrei, ethisch uninteressiert, inhaltsfern, reflexionsneutral, verantwortungslos, dafür anpassungswillig, problemdevot und evaluativ. Die Motivation, die Offenheit für Welt, die Bildung mit dem Interesse an etwas, der Neugier und der Empfänglichkeit für die Welt der Begriffe verbindet, wird zu einer extrinsischen Aufforderung, schlichtweg Folge zu leisten. Daher gibt es ohne Bildungsbegriff einen nicht einmal erklärbaren unüberbrückbaren Praxiskonflikt. Während die Post-Bildung nicht an der Bildung interessiert ist, ist genau dies das eigentliche Interesse der pädagogischen Praxis, die von der Post-Bildung verwaltet wird. Daher besteht die Logik der Post-Bildung darin, mit so wenig Mitteln wie möglich zu verbergen, dass es mit ihr nicht um Bildung geht. Vermeintliche Bildungsziele können dann nur noch die permanente Anpassung an vorgegebene Ordnungsmuster, die Ausbildung von Kompetenzen für solche Anpassungsleistungen und deren auf Dauer gestellte Kontrolle sein.
Während die Verwaltung einer Post-Bildung zur Kontrolle die Positivität braucht, ist der Bildungsbegriff nur in der Negativität beschreibbar. Die wenigsten wissenschaftlichen Phänomene sind aber in ihrer bloßen Positivität und Sichtbarkeit von Interesse. Bildung kann nicht Gegenstand einer schlichten positiven Untersuchung sein, sie ist vielmehr Gegenstand einer negativen Wissenschaft, die die Bedingungen ihrer Möglichkeit nach Maßgabe ihres begrifflichen Gehalts erwägt, das heißt, erstens, nach einem sinnvollen Gebrauch fragt und, zweitens, die Bedingungen ihrer Möglichkeit in den Blick nimmt. Nach den Bedingungen der Möglichkeit zu fragen eröffnet allererst einen Spielraum dann für das je Spezifische, Konkrete oder Individuelle (vgl. ebd., S. 12). Erst durch den Bildungsbegriff und seiner Klärung der Bedingungen von Möglichkeiten (logische, soziale, kulturelle, materielle u. s. w.) erhalten empirische Befunde und professionsbezogene Überzeugungen praxisrelevante Prägnanz. Das Nichtsichtbare im Sichtbaren ist die Provokation für die Wissenschaft. Immanuel Kant hat mit seiner Transzendentalphilosophie den Versuch gemacht, eine Wissenschaft vom Nichtsichtbaren, d. i. vom Begrifflichen zu gründen.9 Den Einbruch dieser noumenalen, negativen Dimension menschlicher Existenz und Freiheit als begriffliche Fähigkeit (Spontaneität) in den Bereich des Empirischen nennt Kant Erfahrung. Die Post-Bildung kennt keine Erfahrung, daher muss sie sich eigene institutionelle Formen (z.B. PISA o. Ä.) ihrer Selbstreflexion erschaffen.