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5. Anerkennung als Kategorie in der Bildungsberichterstattung
ОглавлениеWenn Anerkennung als Kategorie in der Bildungsberichterstattung berücksichtigt werden soll, wie wir es in diesem Beitrag vorhaben, kann das gemäß der Intention der nationalen Bildungsberichterstattung, „Grundwissen über Bildung in Deutschland“ (AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012, S. 1) zu liefern, nur auf Basis von Indikatoren beschreibend geschehen. Anerkennung kann hierbei zunächst verstanden werden als Praxis der sozialen Wertschätzung, die, im Anschluss an Honneth, positive Eigenschaften von Subjekten affirmiert (vgl. HONNETH 2004a). Stojanov stellt daran anknüpfend heraus, dass Anerkennung nur dann wirklich Anerkennung sei, „wenn der/die Andere um seiner/ihrer selbst willen in seiner/ihrer Subjektivität anerkannt wird“ (STOJANOV 2013, S. 66, Hervorheb. im Orig.), also Anerkennung nicht zu einem bestimmten Zweck gewährt wird. Anerkennungserfahrungen der Empathie, des Respektes und der Wertschätzung Heranwachsender in schulischen Interaktionserfahrungen tragen schließlich dazu bei, Herkunfts- und Sozialisationslimitierungen zu überschreiten (vgl. STOJANOV 2011). Dazu stellen Schulen unterschiedliche Ermöglichungsräume für Anerkennungserfahrung bereit. Betrachtet werden soll, ob die Bildungsberichterstattung Auskunft über Anerkennungsprozesse im oben benannten Sinne geben kann.
Dabei sind zunächst unabhängig von Datenverfügbarkeit oder verwendungsforschungsorientierten Zielsetzungen von Bildungsberichterstattung vor allem inhaltliche Prämissen leitend: Schule und die in ihr stattfindenden Bildungsprozesse werden vor dem Hintergrund anerkennungstheoretischer Überlegungen aufgefasst. Damit wird Schule zum Anerkennungsraum, der dazu beiträgt, dass Kinder und Jugendliche über dort gemachte Anerkennungserfahrungen (erlebt in den sozialen Interaktionen mit Lehrkräften, Peers etc.) zu Selbstbewusstsein, Selbstachtung, Selbstvertrauen und selbstbestimmten Befähigungen für eine gelingende Teilhabe an Gesellschaft gelangen. Eine solche Perspektive rückt zum einen die Notwendigkeit in den Vordergrund, zu identifizieren, was relevante Anerkennungsbedarfe von Kindern und Jugendlichen sind und fokussiert zum anderen das Interaktionsgeschehen in Schule selbst, also die Frage danach, inwiefern die soziale Praxis in Schule Wertschätzung beinhaltet, Fürsorge aufbietet und nicht nur formal Chancengleichheit zusichert, sondern auch umsetzt. Diese Sicht auf Schule wird gestützt durch das herangezogene Anerkennungsverständnis (vgl. ebd.), wonach der Schulbesuch von Kindern und Jugendlichen nicht allein zweckorientiert im Hinblick auf die Aktivierung von Lerntätigkeit etwa mit dem Ziel des Abschlusserwerbs aufzufassen ist, sondern auch als die Begegnung von Menschen, die sich in Interaktionsverhältnisse begeben und darin „um ihrer selbst willen“ Anerkennung bedürfen. Dies wird auch vor dem Hintergrund des schulpflichtbedingten, nicht freiwillige Schulbesuchs von Kindern relevant, wonach eben nicht unterstellt werden kann, dass eine sachlich zweckorientierte Haltung zur Schule bei allen Beteiligten vorliegt.
Vor dem Hintergrund dieser Prämissen ist die Kontextdimension dahingehend für die Bildungsberichterstattung zu berücksichtigen, inwiefern sie Auskunft über spezifische Anerkennungsbedarfe von Schülerinnen und Schülern gibt, inwiefern der Kontext von Schule verschiedene Anerkennungsräume ermöglicht und wie Schule sich zu diesen verhält. Neben üblichen Kontextmerkmalen in Bildungsberichten wie soziale, wirtschaftliche und demografische Lage und der Einbeziehung von schülerbezogenen Kontextvariablen wie z.B. ethnische und soziale Herkunft, gilt es weitere Indikatoren zu berücksichtigen, die Auskunft über spezifische Anerkennungsbedarfe geben. Hierunter können zum Beispiel Gesundheitsmerkmale (etwa die Krankmeldungsstatistik einer Schule) fallen oder die Analyse der an Schule stattfindenden systematischen Elternarbeit (Quantifizierung von entsprechenden Schulentwicklungsprogrammen/-projekten, Einbeziehung von Analysen zu deren Qualität). Gerade Letzteres verspricht aus der Anerkennungsperspektive besonderes Potential, da durch Elternarbeit das Interaktionsgeschehen in Schule um die Perspektive einer relevanten Akteursgruppe erweitert werden kann; Strukturen für die Identifikation spezifischer Anerkennungsbedarfe geschaffen werden und potentiellen Anerkennungskonflikten in Familie und Schule vorgebeugt werden kann.
Im Hinblick auf das Verhältnis von Schule zu anderen Anerkennungsräumen im Kontextbereich werden auch Informationen relevant, die Auskunft darüber geben, wie es um die Vernetzung im lokalen Raum von Schule bestellt ist (Quantifizierung und Einbeziehung von Analysen der Kooperationsprojekte von Schulen, z.B. Zusammenarbeit mit Vereinen). Der Einbezug außerschulischer Ressourcen und die Schaffung entsprechender kooperativer Strukturen durch Schule sind politisch durchaus anvisiert (vgl. entsprechende Hinweise in diversen Schulgesetzen zur Öffnung von Schule nach außen) und z.B. strukturell im Ganztagsschulprogramm vorgesehen. Anerkennungstheoretisch wird die Vernetzung von Schule zu anderen Anerkennungsräumen besonders bedeutsam, da Schule so ggf. relevante außerschulische Angebote auch zu kommunizieren vermag. Bildungsberichterstattung müsste demzufolge stärker die Vernetzungsaktivitäten von Schule dokumentieren und hier auch systematisch unterscheiden zwischen den Ganztags- und Halbtagsschulen.
Mit der Inputdimension wird aus Sicht der Anerkennungstheorie relevant, inwiefern Möglichkeiten zur Anerkennungserfahrung geschaffen werden und spezifischen Bedarfen begegnet werden. Abgesehen von strukturellen Angeboten wie etwa der Ganztagsschule, die mit ihren zum Unterricht zusätzlichen Angeboten noch einmal stärker auf das soziale Miteinander von Schülerinnen und Schüler abhebt, werden für eine Indikatorisierung in Bildungsberichten zum Beispiel die systematische Erschließung von Förderprogrammen7 bedeutsam. Neben einer reinen Quantifizierung eingesetzter Förderprogramme müssten diese weitergehend ins Verhältnis zu den Bedarfslagen gesetzt werden, z.B. Sprachförderprogramme in Relation zu vorgefundenen Fällen förderbedürftiger Kinder in den Sprachstandsfeststellungen (vgl. GRGIC/ECKHARDT 2011), oder Programme zur Unterstützung der inklusiven Beschulung vor dem Hintergrund des Stands der jeweiligen inklusiven Beschulung beispielsweise im Bundesland oder der betrachteten Kommune. In Bildungsberichterstattung übliche Indikatiorenbereiche des Inputs wie finanzielle und personelle Ressourcen müssen generell vorsichtig behandelt werden, da beispielsweise ein finanzielles „Mehr“ nicht gleichbedeutend mit einem „mehr“ an Qualität einhergeht (BARZ 2010). Dennoch wird in der Anerkennungsperspektive für Bildungsberichterstattung relevant, etwa Finanzierungsbeihilfen für die Ausübung von Vereinsaktivitäten im Rahmen des Ganztagsschulbesuchs systematisch zu erschließen oder abzubilden, inwiefern Investitionen in die Fortbildung von Lehrkräften etwa mit dem Ziel die Diagnosefähigkeit zu verbessern, getätigt werden (vgl. auch HERMSTEIN u.a. 2013).
Hinsichtlich der Prozessdimension wird aus anerkennungstheoretischer Sicht besonders bedeutsam, das Interaktionsgeschehen auf der Mikroebene und die qualitative Ausgestaltung von Beziehungen zu betrachten. Zu berücksichtigen wären demnach für Bildungsberichterstattung Forschungen zu Lehr-Lernprozessen und zur Unterrichtsqualität. Von Interesse aus der Anerkennungsperspektive wäre etwa die Analyse von Feedbackkulturen, konkret inwiefern Schülerrückmeldungen eingebunden (verstanden als eine Möglichkeit der Artikulation von Anerkennungsbedarfen) werden oder in welcher Weise mit Schülerfehlern umgegangen wird. Auch klimabezogene Faktoren wie Umgangston oder das Bemühen um angstfreie Lernatmosphäre zielen auf Anerkennungsaspekte ab. Inwiefern z.B. standardisierte Schulinspektionsdaten hier in aggregierter Form auch auf höheren Ebenen als der Einzelschulen berücksichtigt oder z.B. Kulturvariabeln in die Erhebung der Hintergrundvariablen von Lernstandsmessungen eingespeist werden können, ist bezogen auf die Umsetzung offen, aber theoretisch durchaus vorstellbar. Berücksichtigt Bildungsberichterstattung stärker auch Programmanalysen, so wären Indikatoren wie die notenergänzende Implementierung anderer Beurteilungsinstrumente in Schule als Indikator vorstellbar, da unterstellt werden kann, dass Verbalzeugnisse, Portfolios oder z.B. Lerntagebücher mehr Potential zum Erfahren von Anerkennung aufweisen als die klassische Notengebung. Anerkennung wird besonders auf Ebene der sozialen Beziehungen erlebt, dennoch spielt die Ebene der Institution bei der Schaffung von Strukturen, die Anerkennungserfahrungen für die Akteure begünstigen, eine Rolle. Beschränkt man die Anerkennungsperspektive daher nicht allein auf die Schüler-Lehrer- und Schüler-Schüler-Beziehung, so sind beispielsweise Indikatoren bedeutsam, die Auskunft zur innerschulischen Kooperationspraxis oder Gesundheitszuständen von Lehrkräften (Krankmeldungen) geben.
Die Outputdimension wird hier für die exemplarische Beschreibung anerkennungsrelevanter Indikatoren der Bildungsberichterstattung vernachlässigt. In unserer theoretischen Perspektive wäre innerhalb dieser Dimension besonders die Berücksichtigung deklarierter Bildungsziele bedeutsam, also etwa die Absolventen und Abgänger von Schule dahingehend zu betrachten, inwiefern sie befähigt sind, an der Gesellschaft gelingend teilzuhaben, inwiefern sie individuelle Regulationsfähigkeit aufweisen, inwiefern sie zu Selbstbewusstsein gelangt sind und inwieweit sie Chancengleichheit in und durch Schule erfahren haben. Hierüber geben die in der Bildungsberichterstattung in der Regel betrachteten Zertifikats- und Kompetenzerwerbindikatoren nur begrenzt Auskunft. Sicherlich in der Anerkennungsperspektive auch von Interesse wären zum Beispiel Erkenntnisse über Wertorientierungen der Schülerinnen und Schüler oder etwa Toleranzeinstellungen und -verhalten. Generell stellen Output-Indikatoren jedoch hier insofern eine Herausforderung dar, als der jeweilig betrachtete Output nicht unmittelbar nur alleinig auf Schule zurückführbar ist, es sich also nicht explizit um Schul-Output handelt. Anerkennungserfahrungen, die sich beispielsweise günstig auf das Selbstkonzept auswirken, werden zudem nicht ausschließlich in Schule erlebt, sondern besonders auch in anderen Lebensbereichen wie Familie, Peers, etc. Auch in den anderen betrachteten Dimensionen spielen Anerkennungserfahrungen aus verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen eine Rolle, allerdings ist hier vielmehr die Frage leitend, wie sich Schule hierzu verhält; demgegenüber fragt die Outputdimension stärker nach den Resultaten von Schule.