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2. Kurzüberblick zum Stand der aktuellen Konzeption der Bildungsberichterstattung in Deutschland
ОглавлениеDer Nationale Bildungsbericht (AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012) fungierte in der letzten Dekade sicherlich maßgeblich als Orientierung für andere Formen der Bildungsberichterstattung in Deutschland, nicht zuletzt aufgrund seiner prominenten Platzierung im Zuge der Gesamtstrategie zum Monitoring des Bildungswesens der KMK (2006), aber auch, weil er als einziges Bestandteil dieser Monitoringstrategie über alle Bildungsbereiche Auskunft gibt und sich nicht allein auf den schulischen Bereich beschränkt. Aufgrund seiner innerdeutschen Prominenz in der Bildungsberichterstattung und angesichts der noch mangelnden synoptischen Aufarbeitung anderer deutscher Berichtssysteme (Landesbildungsberichte, kommunale und regionale Bildungsberichte, problemzentrierte Bildungsberichte, usw.), wird sich in den folgenden Ausführungen zu Zielsetzungen, inhaltlicher Rahmung und Indikatorenwahl somit vor allem auf den Nationalen Bildungsbericht beschränkt.
Mit dem Nationalen Bildungsbericht wird angestrebt, Transparenz um das Bildungsgeschehen in Deutschland für die allgemeine, interessierte Öffentlichkeit herzustellen und eine datenbasierte Grundlage für die Diskussion um die Weiterentwicklung des Bildungssystems und für politische Entscheidungen bereitzustellen (vgl. DÖBERT/KLIEME 2010). Über die regelmäßige zweijährige Berichtslegung, die Fortschreibung eines überschaubaren Kerndatensatzes und eine öffentlich zugängliche Homepage mit ergänzenden Informationen zum Abruf soll diese gewünschte Transparenz geschaffen werden. Hierüber wird ein verlässliches und umfassendes, d.h. sämtliche Bildungsbereiche/Dimensionen von Bildung berücksichtigendes Monitoringsystem angestrebt (vgl. ebd.).
Wesentlich für die inhaltliche Rahmung der nationalen Bildungsberichterstattung ist ein zielorientiertes Bildungsverständnis, das sich in drei Dimensionen unterscheidet: individuelle Regulationsfähigkeit, gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit sowie Humanressourcen (vgl. AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012; DÖBERT 2009). Mit der individuellen Regulationsfähigkeit werden kognitive, motivationale und soziale Kompetenzen des Individuums betont, welche für erfolgreiches Planen und Gestalten des Lebens in der Gesellschaft erforderlich sind. Die Beförderung von gesellschaftlicher Teilhabe und die Sicherung von Chancengleichheit durch Bildungsinstitutionen hebt auf zentrale humanitäre Ansprüche der demokratischen Gesellschaft ab (vgl. TIPPELT 2009b). Die Bereithaltung und Sicherung von Humanressourcen durch Bildung bezieht sich schließlich insbesondere auf das ökonomische System und die Vermittlung von Fertigkeiten und Qualifikationen, die dem Einzelnen den Übergang in die Erwerbsarbeit ermöglichen. Ein solches Bildungsverständnis ist weniger wissenschaftlich bildungstheoretisch reflektiert, als dass es vor allem eine übergeordnete inhaltliche Zielvorstellung von Bildung vorgibt und hierbei sowohl die individuelle als auch die gesellschaftliche Dimension von Bildung berücksichtigt, aber keine weitere inhaltliche Deklination vornimmt (also z.B. eine konkrete Herleitung der verwendeten Indikatoren über diese Rahmengebung). Es handelt sich somit um ein vor allem alltagstheoretisches Bildungsverständnis, das sich z.B. über gemessene Kompetenzen und formale Abschlüsse definiert (vgl. WEISHAUPT 2012).
Die Berichtslegung folgt mit ihrer Anordnung der Indikatoren der aus der Schuleffektivitätsforschung entliehenen Heuristik des Kontext-Input-Prozess-Output-Modells, was wiederum eher einem produktionsorientierten Bildungsverständnis nahekommt (vgl. Rürup u.a. 2010). Demnach werden Bildungsprozesse durch zentrale Kontextvariablen (z.B. demografische oder wirtschaftliche Entwicklungen) sowie durch inputgebende Maßnahmen (z.B. finanzielle Ressourcen, Personalqualifikation, rechtliche Regelungen) bedingt und führen schließlich zu dem Bildungsoutput wie z.B. Kompetenzen und Abschlüssen sowie den Outcomes, also gesellschaftlichen Erträgen wie einem gelingenden Übergang in das Erwerbsleben, Wohlstand, gesellschaftliche Partizipation etc. Komplettiert wird diese Analyseperspektive mit dem Ansatz des System-Modellings, wonach das Bildungssystem als Mehrebenensystem aufgefasst wird, „in dem individuelle, interaktive, organisationale und systemische Faktoren erfasst und verknüpft werden“ (Rürup u.a. 2010, S. 382). Aus dieser Gesamtkonzeption ergeben sich schließlich die zentralen Indikatorenbereiche des Berichts:
• „Kontextebene: Demografie, Wirtschaft und öffentliche Finanzen, Familienstruktur
• Inputebene: Bildungsausgaben, Personalressourcen, Bildungsangebote/Bildungseinrichtungen, Bildungsbeteiligung/Bildungsteilnehmer
• Prozessebene: Umgang mit Bildungszeit, Übergänge, Qualitätssicherung/Evaluierung
• Wirkungsebene: Kompetenzen, Abschlüsse, Bildungserträge“ (Weishaupt 2012, Döbert & Klieme 2010).
Mit der bewusst gesetzten Absicht, über „Bildung im Lebenslauf“ zu berichten, werden die zentralen bildungsbiografisch relevanten Bildungsbereiche (Elementarbereich, Schulbildung, berufliche Bildung, Hochschule, usw.) zum Gegenstand der Berichtslegung. Ergänzend legt der Nationale Bildungsbericht jeweils einen thematischen Schwerpunkt fest, der besondere Berücksichtigung in der Auswahl der herangezogenen Indikatoren findet (z.B. Migration, Demografie). Dem besonderen Anliegen, Bildungsprozesse über den individuellen Lebensverlauf darstellen zu können, kommt der Bildungsbericht allerdings noch nicht in gewünschtem Maße nach, da dafür erforderliche Längsschnittdaten bisher fehlen (vgl. AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012). Vielmehr berücksichtigt der Bildungsbericht vor allem die Erhebungen der amtlichen Statistik und unterliegt demzufolge den damit einhergehenden Restriktionen der Datenverfügbarkeit sowie landesspezifischen statistischen und rechtlichen Besonderheiten.
Die inzwischen in fast allen Bundesländern vorhandenen Landesbildungsberichte folgen häufig dem nationalen Bericht bezüglich des Kontext-Input-Prozess-Output-Schemas und der zentralen Indikatorenauswahl. Allerdings unterscheiden sich die Landesberichte in Aufbau (z.B. Berücksichtigung sämtlicher Bildungsbereiche versus alleinigen Fokus auf das Schulsystem) und thematischen Schwerpunktsetzungen voneinander. Noch mehr Vielfalt findet sich in der wachsenden kommunalen Bildungsberichterstattung, zu welcher allerdings bislang systematisierende Forschungsarbeiten fehlen, die Auskunft über theoretische Fundierung, Indikatorenauswahl, Datenquellen und Konzeptionen der kommunalen Bildungsberichte geben2.
Neben den zumeist politisch initiierten Bildungsberichten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene stehen unterschiedliche, vor allem problemzentrierte Bildungsberichte, die Analysen des Bildungssystems unter einem spezifischen thematischen, oft kritischen Fokus durchführen (z.B. die Gerechtigkeitsperspektive im Chancenspiegel, vgl. BERKEMEYER u.a., 2013 oder die ökonomische Perspektive im Bildungsmonitor, vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2013). Gegenüber der vorrangig politisch geförderten Bildungsberichterstattung weisen diese Berichte zum Teil vergleichsweise vertiefte theoretische Rahmungen auf und bieten häufig stärker kritische Diskussionsvarianten3 für die Befundlagen. Allerdings greifen auch diese Berichtssysteme überwiegend – nicht zuletzt auch der Datenverfügbarkeit geschuldet – auf die üblichen Indikatoren zurück.