Читать книгу Bildung an ihren Grenzen - Группа авторов - Страница 12
5. Allgemeine Pädagogik als forschende Reflexionsdisziplin. Zwei Beispiele aus erziehungswissenschaftlichen Qualiflkationsarbeiten an der Uniwersytet Kardynała Stefana Wyszyńskiego in Warschau und der Humboldt-Universität zu Berlin
ОглавлениеWie eine allgemein-pädagogisch ausgewiesene Grundlagenforschung, die erziehungs-, bildungs- und institutionentheoretische Problemstellungen im Zusammenhang verfolgt, für erziehungswissenschaftliche Forschungsvorhaben bedeutsam werden kann, soll abschließend am Beispiel zweier BA-Arbeiten verdeutlicht werden, die von Studierenden an der Uniwersytet Kardynała Stefana Wyszyńskiego in Warschau und an der Humboldt-Universität zu Berlin verfasst worden sind. Die beiden Studierenden wählten für ihre Abschlussarbeiten Problemstellungen aus, die sie in einer allgemein-pädagogisch und erziehungsund bildungshistorisch ausgewiesenen Einführungsphase ihres Studiums kennengelernt hatten, und versuchten, diese an fachlichen Themen des von ihnen gewählten Studienschwerpunkts fruchtbar zu machen.
Die erste Arbeit schließt an ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziertes und an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedeltes Forschungsprojekt mit dem Namen ETiK (Entwicklung eines Testinstruments zu einer didaktisch und bildungstheoretisch ausgewiesenen Erfassung ethisch-moralischer Kompetenzen im Ethik-Unterricht an öffentlichen Schulen) an, das im Bereich der allgemein-pädagogischen Grundlagenforschung und der empirischen Bildungsforschung angesiedelt ist (vgl. Benner u.a. 2013). In ihm wird ein Modell und Instrument zur Erfassung moralischer Urteils- und Partizipationskompetenzen von 16-Jährigen entwickelt, die den Ethik-Unterricht an öffentlichen Schulen besuchen (vgl. für den Bereich religiöser Bildung BENNER u.a. 2011). In dem genannten Vorhaben wird moralische Kompetenz durch die drei Teilkompetenzen moralisches Grundwissen, moralische Urteils- und moralische Handlungskompetenz definiert, die ihrerseits nach Anspruchsniveaus differenziert werden. Das Berliner Team arbeitet gegenwärtig gemeinsam mit einem von Prof. Dariusz Stępkowski an der UKSW geleiteten Warschauer Team und einem an der KPH Wien/Krems von Prof. Dr. Georg Ritzer geleiteten Wiener Team sowie weiteren Teams in China, Dänemark, Österreich und der Schweiz daran, das entwickelte Modell und Instrument international zu erproben und dabei der Frage nachzugehen, inwieweit moralische Kompetenzen von 16-Jährigen heute universalistische Grundstrukturen aufweisen und wo insbesondere kulturelle und nationale Prägungen beobachtbar sind.
Während ihrer fünfjährigen Zusammenarbeit an der Uniwersytet Kardynała Stefana Wyszyńskiego haben die Autoren dieses Beitrags u.a. die BA-Arbeit einer Studentin betreut, die Testaufgaben aus dem Berliner Projekt zur Ermittlung moralischer Kompetenzen von polnischen Jugendlichen einsetzte und dabei die Antworten straffällig gewordener Schülerinnen und Schüler mit Antworten nicht-straffälliger Jugendlicher verglich:
Marta Zochowska: Moralische Urteilsfähigkeit 15-jähriger Jugendlicher aus polnischen Erziehungsheimen und Gymnasien. Eine vergleichende Analyse im Anschluss an das Berliner Projekt ETiK
Marta Zochowska studierte an der UKSW in der Studienrichtung Resozialisation. Sie besuchte die Vorlesung über „Bildung – Moral – Demokratie“ und lernte in dieser unterschiedliche Theorien und Modelle moralischer Erziehung und Bildung sowie den Forschungsansatz des Berliner DFG-Projekts ETiK kennen, in dem zwischen der Definition und Erfassung moralischer Grundkenntnisse, moralischer Urteils- und moralischer Handlungskompetenz unterschieden wird.
In ihrer BA-Arbeit vergleicht Frau Zochowska Kompetenzen von straffällig gewordenen polnischen Jugendlichen mit Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der Eingangsklasse der polnischen Oberstufe (Lyceum) unter Verwendung des im Berliner Projekt ETiK entwickelten Testinstruments zur Erfassung moralischer Kompetenzen von 15-Jährigen.
Sie begründet in ihrer BA-Arbeit die Auswahl von Aufgaben, die sie für ihre Untersuchung ausgewählt hat, mit Blick auf die Lebenssituation polnischer Jugendlicher, berichtet über die Ergebnisse ihrer Tests mit den von ihr ins Polnische übersetzten Aufgaben und vergleicht die Ergebnisse, die beide Schülergruppen hierbei erzielten.
Zu den Ergebnissen der BA-Arbeit von Frau Zochowska gehören u.a. Erkenntnisse wie die folgenden:
• von den in Berlin entwickelten Testaufgaben lassen sich die ausgewählten Aufgaben auch in Polen einsetzen;
• polnische Oberschüler erreichen nicht generell bessere Kompetenzwerte als pol nische Jugendliche, die sich im Jugendstrafvollzug befinden;
• bei Testaufgaben, die sich auf die Bearbeitung von Problemen eines solidarischen Handelns beziehen, ist die Urteils- und Handlungskompetenz von Jugendlichen, die sich in einer sozialpädagogischen Resozialisation befinden, sogar höher.
Die zweite BA-Arbeit wurde von einer Studentin verfasst, die neben den erziehungswissenschaftlichen Studienschwerpunkten solche im Bereich der Musikpädagogik gesetzt hatte. In ihrer Abschlussarbeit legte sie die in Abschnitt III vorgestellte allgemein-pädagogische Differenzierung pädagogischer Handlungsformen in solche einer disziplinierenden, unterrichtenden und beratenden Erziehung auf zwei musikpädagogische Projekte aus. Von diesen bereitete das eine die Aufführung von Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ mit den Berliner Philharmonikern vor und entwickelte das andere eine Aufführungskonzeption zu Homers Odyssee, die an einer Berliner Grundschule realisiert wurde. Beide Projekte sind umfassend durch Filme dokumentiert, die eine Rekonstruktion ihrer Arbeitsweisen unter Problemstellungen einer disziplinierenden, unterrichtenden und beratenden Erziehung erlauben.
Maria Ispas: Möglichkeiten und Grenzen der pädagogischen Handlungsformen Disziplinierung, Unterricht und Beratung in musikpädagogischen Konzepten. Eine systematische Analyse anhand zweier musikpädagogischer Beispiele.
Frau Ispas besuchte die allgemein-pädagogische Einführungsveranstaltung in den BA-Studiengang an der Humboldt-Universität zu Berlin, entschied sich nach Absolvierung eines Praktikums an der Komischen Oper Berlin, ihre BA-Arbeit über ein musikpädagogisches Thema zu schreiben, ein Thema, für dessen Betreuung ich von der Sache her gänzlich inkompetent bin, das mich aber auf Grund des Berufs meiner Frau, die Musiklehrerin und Musikerin ist, interessiert.
Wir vereinbarten als Thema die Frage, welche Bedeutung den drei pädagogischen Handlungsformen einer pädagogische Gewalt ausübenden Erziehung, einer Erziehung durch Unterricht und einer den Übergang zu selbstverantwortetem Handeln beratend unterstützenden Erziehung in musikpädagogischen Kontexten zukommt, und Frau Ispas wählte als Exempla zwei Projekte aus:
• das verfilmte Projekt „Rhythm is it“, das die Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigent Sir Simon Rattle mit 250 Kindern und Jugendlichen aus 25 Nationen unter Mithilfe und Anleitung des Choreografen und Tanzpädagogen Royston Maldoom durchführten und mit der Aufführung von Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ abschlossen,
• und das ebenfalls im Film festgehaltene Projekt „Odyssee“, das die Tanzpädagogin Nadja Raszewski mit dem Kollegium und den Schülerinnen und Schülern der Schweizerhofgrundschule in Berlin Zehlendorf durchgeführt hat.
Frau Ispas analysierte nicht nur die beiden Filme, sondern auch ein bereits vorliegendes Interview mit den Hauptakteuren des Projekts zur Aufführung von Strawinskys „Sacre du printemps“ und führte ein nach der Bedeutung regierender, unterrichtlicher und beratender pädagogischer Maßnahmen fragendes Interview mit der das Odyssee-Projekt koordinierenden Tanzpädagogin.
In einem Vergleich der Konzepte und Maßnahmen arbeitete Frau Ispas heraus, dass in beiden Projekten alle drei Formen pädagogischen Handelns, wenn auch in unterschiedlicher Weise, zum Zuge kamen:
• In dem renommierten Projekt „Rhythm is it“ wurden disziplinierende und beratende Maßnahmen insbesondere zum Zwecke der Qualitätssicherung des Vorhabens eingesetzt, auf Erfahrungen und Umgang der Schülerinnen und Schüler erweiternde unterrichtliche Maßnahmen dagegen weitgehend verzichtet.
• in dem Grundschulprojekt „Odyssee“ wurden dagegen disziplinierende Maßnahmen mit Blick auf die geplante Aufführung begründet, unterrichtliche Maßnahmen zum Verständnis der Odyssee herangezogen und beratende Maßnahmen zur Lösung aufführungstechnischer, sozialisatorischer und interaktiver Probleme herangezogen.
• Zum wissenschaftlichen Ertrag der Arbeit gehört, dass sie zwei Modelle interpretiert, von denen das eine – durchaus legitim – pädagogische Maßnahmen im Dienste der Kunst und das andere – ebenso legitim – ästhetische Praxis im Dienste der Erziehung einsetzt.
Vergleicht man die Qualifikationsarbeiten und das DFG-Projekt ETiK mit den vorangegangenen Ausführungen über eine mögliche fruchtbare Zusammenarbeit zwischen philosophischer Pädagogik und erziehungswissenschaftlicher Forschung, so wird deutlich, dass in den angesprochenen Vorhaben nicht alle Forderungen erfüllt werden, die zuvor in systematischer Absicht für eine anspruchsvolle Verknüpfung von Erziehungstheorie, Bildungstheorie und erziehungswissenschaftlicher Forschung entwickelt wurden.
Das zeigt, dass wir uns mit unseren Überlegungen mitten in einem aktuellen Forschungsfeld bewegen, für das erziehungs- und bildungsphilosophische Diskurse zentral, aber allein nicht ausreichend sind. Wir arbeiten daran, die Verknüpfungsmöglichkeiten weiterzuentwickeln und hoffen, damit einen Beitrag zur Entwicklung einer forschenden Erziehungsphilosophie und Allgemeinen Pädagogik leisten zu können.