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Zur Einführung
Überzeugungen mit Wahrheitsanspruch, so eine postmoderne Botschaft, gefährden die Demokratie. Wer an nicht verhandelbaren Wahrheiten oder unbedingten Überzeugungen festhält – etwa an religiösen oder sittlichen wie solchen, die Beginn, Ende und Würde des menschlichen Lebens betreffen –, gilt schnell als Friedensstörer. Eine offene, demokratisch verfasste Gesellschaft sei nun einmal ihrem Wesen nach pluralistisch. Wenngleich die Multikulti-Euphorie an eine Grenze gestoßen zu sein scheint: Im Spektrum der Meinungs-, Interessen- und Religionsvielfalt verstießen Wahrheitsansprüche gegen das Gebot der Toleranz.
Toleranz bedeutet dieser Botschaft zufolge nicht mehr, den anderen als Person auch dann zu achten, wenn er anderer Überzeugung ist. Sie räumt vielmehr allen Überzeugungen gleiche Gültigkeit ein. Dieser Relativismus gebietet Gleichgültigkeit gegenüber allen persönlichen Einsichten, Überzeugungen und Wahrheitsbekenntnissen und erhebt in letzter Konsequenz die Überzeugungslosigkeit zum Bildungsideal. Etwas als wahr behaupten, so die Botschaft, polarisiere und spalte die Gesellschaft, gefährde die Demokratie. Die Vorstellung, Wahrheit zu „besitzen“, sei stets eine Illusion. Wahrheit gebe es nicht oder sei unzugänglich. Mit ihrer postmodernen Dekonstruktion wird das auch philosophisch untermauert.
Schon das aufgeklärte Vertrauen der Moderne in die autonome menschliche Vernunft trug den Keim der Skepsis in sich. Nicht das „Ding an sich“ sei Gegenstand menschlicher Erkenntnis, erklärte Immanuel Kant, sondern die wahrgenommene Erscheinung. Die Verbindung zwischen menschlicher Vernunfterkenntnis und der Außenwirklichkeit geriet in Zweifel. Die Brücke trug wie selbstverständlich, solange die menschliche Vernunft an jener göttlichen teilhatte, der alle Wirklichkeit entspringt. Die Postmoderne radikalisiert den Zweifel, ob Sachverhalte in der Welt der Sprache solchen in der Außenwelt überhaupt entsprechen. Taugt aber solche Skepsis für das Alltagsleben?
„Meine Wahrheit – Deine Wahrheit...“: So lautet im praktischen Leben einstweilen die begütigende Schlichtungsformel. Wahrheit wird privatisiert, wie schon die Religion ins Private gedrängt wird. Allerdings gründen Menschenwürde und Menschenrechte entweder in einer ihnen innewohnenden Wahrheit; dann gelten sie unbedingt. Oder sie gelten nur gemäß Konvention; dann können sie auch anders vereinbart werden. Das aber dürfte weder dem Recht noch der Demokratie auf die Dauer gut bekommen. Schon vor Antritt seines Pontifikates als Papst Benedikt XVI. warnte Joseph Ratzinger vor einer „Diktatur des Relativismus“. Eine gerechtfertigte Warnung? An Wahrheit oder Moral, die Privatsache sind, ist der Staat nicht gebunden. Aus Privatem hält er sich heraus. Wird so nicht er, der Staat, herausgefordert, allein zu bestimmen, woran sich alle halten sollen? Er müsste alle Lebensbereiche verrechtlichen. Wird er sich dabei nicht – höchst demokratisch verfahrend – leiten lassen von einem öffentlichen – oft repressiven – Moralersatz namens political correctness?
Schon in der Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit?“ klingt eine geradezu postmoderne Vernunftskepsis an. Der Polytheismus seiner Herkunftskultur war relativistisch – bei hochentwickelter römischer Jurisprudenz. Sie fällt in seinem Urteil einer örtlich gebotenen politischen Korrektheit zum Opfer.
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