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2.2 Die konsumgerechte Welt

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Die medialen Phantome erheben Anders zufolge einen Realitätsanspruch. Wenn aber Phantome real werden, dann wird die Realität phantomhaft: „Alles Wirkliche wird phantomhaft, alles Fiktive wirklich“ (Anders 1956: 142). Anders expliziert diese These anhand der phänomenologischen Diagnose von der „Verbiederung der Welt“: Die Welt erscheint angesichts ihrer medialen Vermittlung als vertraut, übersichtlich und beherrschbar; die Dinge wirken distanzlos, die Differenz von Relevantem und Irrelevantem ist neutralisiert.

Dieses Verbiederungsphänomen wird zum einen technisch begründet: Das „Kleinformat“ des Bildschirms verwandle jedes reale Ereignis in eine „Nippesszene“ (Anders 1956: 151f.). Zum anderen liefert Anders (1956: 121) eine sozioökonomische Erklärung, die auf die konstatierte Warenlogik der Sendung Bezug nimmt: Verbiederung ist ein „Neutralisierungsphänomen“ und der „fundamentale Neutralisator von heute“ sei „der Warencharakter aller Erscheinungen.“ Primär handle es sich allerdings um ein Komplementärphänomen zur technisch-industriell bedingten Entfremdung des Menschen von alltäglichen und beruflichen Arbeitsprozessen, vom Produkt seiner Tätigkeit und vom gesamten Warenuniversum (Anders verwendet statt „Entfremdung“ zuweilen den Begriff „Verfremdung“). Verbiederung erfüllt die Funktion, diese Entfremdungsphänomene zu verschleiern, indem die Welt als „Universum der Gemütlichkeit“ dargeboten wird (Anders 1956: 125; vgl. Oppolzer 1997: 465f.).

Verantwortlich für die höhere ontologische Dignität der Sendung gegenüber der Realität sind darüber hinaus zwei latente ontologische Maximen, die für eine fortgeschrittene technisch-industrielle Rationalität charakteristisch sind. Gemäß dem „ersten Axiom der Wirtschafts-Ontologie“ („Das nur Einmalige ist nicht“, Anders 1956: 179) besitzen weder das Einmalige und Individuelle, noch das Allgemeine und Ideale höchste ontologische Dignität, sondern eine dritte Entität: die Serie. Das „zweite Axiom der Wirtschafts-Ontologie“ („Unverwertbares ist nicht“) verbindet Anders (1956: 183) mit einer Kritik am Anthropozentrismus insbesondere Heidegger’scher Prägung. Medienontologisch bedeutet Anders’ Befund zum einen, dass nur das ‚ist‘, was gesendet wird, und zum anderen, dass die Realität zum Rohstoff für die Sendung wird: „Die Tagesereignisse müssen ihren Kopien zuvorkommend nachkommen.“ (Anders 1956: 190)

Anders hat seine medienphilosophische Diagnose abschließend in drei Kurzformeln zusammengefasst: „Die Welt ist ‚passend‘“, „Die Welt verschwindet“, „Die Welt ist post-ideologisch“ (Anders 1956: 193). Damit ist gesagt, dass in einem medialen Transformationsprozess die Welt dem Menschen konsumgerecht angepasst wird, dass die Welt als Ware zum Genussmittel und „Schlaraffenland“ (Anders 1980: 335) umgestaltet wird und ihre Authentizität, Unabsehbarkeit und Widerständigkeit verliert, dass sich die Welt als „Medium der Distanzen“ (Anders 1980: 350) in ihren Raum- und Zeitkategorien auflöst, dass schließlich die Welt als Ideologie auftritt und damit ausdrückliche Ideologien obsolet werden. War für Marx die Verwirklichung der Wahrheit das Telos eines postideologischen Zustands, so hat sich dieser nach Anders heute im Sinn einer Verwirklichung der Unwahrheit durchgesetzt.

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