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3. Kritik und Aktualität

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Anders zeichnet in seiner Medienphilosophie das Bild eines geschlossenen, allumfassenden und deterministischen medialen Systems, das dem Subjekt kein Freiheitspotenzial mehr zugesteht. Diese charakteristische Hermetik resultiert aus einer „produktiven Einseitigkeit“, die sich Anders aus heuristischen Gründen leistet und die den analytischen Blick „überdeterminiert auf ‚die‘ Technik“ richtet (Greiff 1992: 208). Sie ist darüber hinaus Folge des phänomenologisch-ontologischen Paradigmas des „In-der-Welt-seins“, das Anders’ technikkritischem Denken zugrunde liegt. Die Hermetik dieses Modells hat er in seiner frühen Anthropologie selbst kritisiert, indem er das In-Sein prinzipiell als ein „Insein in Distanz“ gefasst hat (Anders 1930). In seiner späteren Heideggerkritik monierte er zudem, dass das Subjekt-Objekt-Verhältnis dialektisch zu fassen wäre (vgl. Anders 2001). Beide Aspekte vernachlässigt Anders in seiner Technik- und Medienphilosophie: Für ihn sind genau jene Momente der Distanz und der Freiheit durch das technisch-medial geprägte In-der-Welt-sein gefährdet oder obsolet. Anders’ hermetisches und überdeterminiertes mediales Weltmodell ist schließlich die Bedingung für seine These von der Systemneutralität der Technik und der Medien, die alle anderen (sozioökonomischen) Faktoren zur Marginalie oder zu einem technologischen Epiphänomen schrumpfen lässt. Nur selten weicht Anders von seinem strengen Paradigma ab und lässt ansatzweise potentielle Freiräume oder Auswege erahnen: So etwa, wenn er die theoretische Möglichkeit einer ‚richtigen‘ Globalisierung via Fernsehen im Sinn der Herstellung eines „moralischen Gegenwartshorizontes“ andeutet und als wünschenswert begrüßt, „wenn richtig durchgeführt“ (Anders 1956: 134). Andererseits ist es gerade Anders’ Einseitigkeit, die „Verluste erkennen [lässt], wo andere schieren Fortschritt sehen“, und seine frühe Medienkritik bisweilen „prophetisch und aktuell“ macht (Greiff 1992: 209; Dietz 2005: 3).

Angesichts der Interaktivität neuer digitaler Medien scheint Anders’ These von der unilateralen Beziehung zur Welt obsolet, zumal auch das Fernsehen diese Interaktionsformen nach Möglichkeit integriert (vgl. Dietz 2005: 8f.). Tatsächlich wird im digitalen Raum Interaktion jedoch weitgehend bloß simuliert, deren technische und soziale Steuerung bleibt latent. Im Hinblick auf die „Social Media“ scheinen drei wesentliche Momente der Anders’schen Medientheorie in potenzierter Form aufzutreten: die Wirklichkeitskonstruktion und die konformistische Prägung via Filterblase sowie der solistische Massenkonsum, d.h. die Existenz als Masseneremit. Digitalisierung verstärkt so gesehen den medialen Scheincharakter. Im Hinblick auf die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung liegt das auf der Hand. Anders’ These von der Bild-Wirklichkeits-Inversion mit all ihren psychologischen, sozialen und ontologischen Konsequenzen erhält damit eine erhöhte Triftigkeit (vgl. Dries 2012: 380). Schließlich erscheint Anders’ (1956: 56) Kritik der „Ikonomanie“, insbesondere der Fotografie, verbunden mit seiner Diagnose eines ‚postliterarischen Analphabetentums‘ (Anders 1956: 3) angesichts der Allgegenwart digitaler Bilder und Selfies höchst zeitgemäß. Seine Daseinsberechtigung erhält das Selbst im und durch sein reproduzierbares Bild. Anders’ strenger Blick auf die Medienlandschaft und seine These vom Weltverlust könnte schließlich auch im Sinn einer von ihm bloß angedeuteten und noch zu realisierenden ‚richtigen‘ Globalisierung im Sinn eines ‚Weltgewinns‘ gelesen werden.

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