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Fernando Alonso

"Ich führe das Leben eines Roboters"


WM-Spitzenreiter Fernando Alonso (Michael Probst/dapd)

Offen wie nie spricht WM-Spitzenreiter Fernando Alonso über die großen Opfer, die ein Formel-1-Pilot bringen muss

Senor Alonso, wieso hadern Sie mit der Technik?

Fernando Alonso: Wir bei Ferrari wissen immer noch nicht, wo wir technisch ei­gent­lich stehen. Ich vermute, dass das auch für die meisten unserer Kon­kur­ren­ten zutrifft. Wir wissen aber, was wir zu tun haben. Wir müssen hart arbeiten, um unsere Defizite zu beheben. Um mehr geht es nicht. Der Weg, den wir zu gehen haben, ist klar de­fi­niert.

Wenn Sie nicht wissen, wo das Problem liegt, dann arbeiten Sie doch quasi im Dunklen.

So kann man das sehen. Aber in der Formel 1 läuft es so: Wenn Sie die Nummer eins sind, müssen Sie arbeiten und forschen oder von mir aus ex­pe­ri­men­tie­ren, um nicht von der Kon­kur­renz überholt zu werden. Wenn sie Dritter sind, müssen Sie dasselbe tun, um Erster zu werden. Der Un­ter­schied in diesem Jahr: Ein Zeit­ge­winn von zwei Zehn­tel­se­kun­den kann drei Plätze in der Star­tauf­stel­lung bedeuten. Wenn Sie mich also nach Ferrari und der WM-Füh­rung fragen, dann lautet die Antwort: Wir sind im Moment nicht die Besten.

Trotzdem gelten Sie nach dem Rennen in Monte Carlo als Topfa­vo­rit auf den Titel.

Das ist nett, aber es sind noch 14 schwere Rennen zu fahren. Der Ausgang ist völlig offen. Bis jetzt kann noch niemand be­haup­ten, das beste Auto zu haben. Ich stimme zu, dass ich im Moment in einer etwas besseren Position bin, weil ich die meisten WM-Punkte habe. Das entspannt einen ein wenig, aber auch nicht wirklich.

Wann wird der Ferrari wieder ein un­um­strit­te­nes Sie­ger-Auto sein?

Ich denke, dass wir uns seit Barcelona in einem Auf­wärts­trend befinden. Vorher waren wir nicht kon­kur­renz­fä­hig. Jetzt hoffe ich, dass wir im Qua­lify­ing re­gel­mä­ßig unter den ersten zehn sind und im Rennen am Ende unter den ersten fünf oder sechs. Ab dem Grand Prix von England in Sil­ver­stone Anfang Juli sollten wir re­gel­mä­ßig in der Lage sein, auf das Podium zu fahren. Das hoffe ich zu­min­dest.

Sie sprechen einmal pro Woche mit Kon­zern-Chef Luca di Mon­te­ze­mo­lo. Was will er von Ihnen wissen?

Er ist ein sehr mo­ti­vie­ren­der Mensch. Er ist eine große Un­ter­stüt­zung mit seinem un­ein­ge­schränk­ten In­ter­es­se, aber auch mit seinem klar erklärten Ziel, dass Ferrari Grands Prix gewinnen muss. Er fragt alles ab: die Ent­wick­lung seit dem letzten Rennen, meinen Eindruck vom Auto, meine Ein­schät­zung für das nächste Rennen. Er versteht eine Menge von der Technik der Autos und der Formel 1 ins­ge­samt. Es gibt eine enge Ver­bin­dung zwischen ihm und den Tech­ni­kern zu Hause in der Fabrik. Ich bin als Fahrer ein Teil dieser Kette.

Lautet seine wich­tigste Frage: Wann werden wir wieder gewinnen?

Ja. Er hat eine große Lei­den­schaft für Höchst­leis­tun­gen. Er ist sehr am­bi­tio­niert, doch es gibt noch mehr Gründe, warum wir ihn brauchen.

Welche?

In Sachen Mo­ti­va­tion, Krea­ti­vi­tät und für den Aufbau einer gut funk­tio­nie­ren­den Or­ga­ni­sa­tion sind wir bei ihm sehr gut auf­ge­ho­ben.

Sie fahren jetzt schon mehr als zehn Jahre in der Formel 1. Empfinden Sie manchmal Mü­dig­keit?

Ja, und zwar nicht nur nach einem Rennen.

Wann noch?

Die Formel 1 ist ein sehr an­stren­gen­der Sport. Ich, wir Fahrer ins­ge­samt, sind keine Roboter. Aber wir führen das Leben eines Roboters. Man erlebt praktisch jeden Tag dieselben Abläufe. Ich muss mich wie ein olym­pi­scher Athlet auf meine Arbeit vor­be­rei­ten und mein ganzes Leben komplett danach aus­rich­ten. Es ist wie eine Art Tri­ath­lon. Sport, Si­mu­la­tor, Ernährung in sich immer wie­der­ho­len­den Abläufen. Dazu kommen Woche für Woche Ver­pflich­tun­gen mit den Geld­ge­bern, den Fans, der Presse. Mein Leben besteht zu 95 Prozent aus der Formel 1. Selbst wenn ich esse, esse ich das, was mein Arzt mir vor­schreibt.

Mögen Sie ein solches Leben?

Es ist im Prinzip okay. Eine Woche ist das lustig, zwei Wochen lang ist es auch noch okay, sogar ein oder zwei Monate. Aber nach sechs Monaten am Stück, erst recht nach ein paar Jahren, fühlt man sich gest­resst. Das geht Gott sei Dank vorbei, und am nächsten Tag fühlst du dich wieder glück­lich. Es ist ein Auf und Ab. Das ist nichts Un­ge­wöhn­li­ches. Jeder Hoch­leis­tungs­sport­ler in der Welt durchlebt das.

Wie lange wollen Sie noch so leben?

In den ver­gan­ge­nen drei Jahren hatte ich diese Situation unter Kon­trol­le. Ich habe aus der Erfahrung gelernt. Früher war ich manchmal über ein Jahr lang nicht immer hun­dert­pro­zen­tig mo­ti­viert, sondern nur zu 90 Prozent. Seit den ver­gan­ge­nen drei Jahren schaffe ich es, bei jedem Rennen voll­kom­men motiviert zu sein. Wenn es gelingt, dieses Leben mit dem per­ma­nen­ten Stress und der pau­sen­lo­sen Ex­trem­be­las­tung in den Griff zu bekommen, so wie es jetzt bei mir der Fall ist, kann ich noch viele Jahre For­mel-1-Ren­nen fahren. Seitdem mir das gelungen ist, fühle ich mich weniger müde, glück­li­cher und so motiviert wie nie zuvor in meiner Karriere. Ich habe gelernt, zwischen den wichtigen und den weniger wichtigen Dingen zu un­ter­schei­den. Ich glaube, ich habe die Formel 1 ver­stan­den. Deshalb kann ich länger Rennen fahren, als ich es mir früher einmal vor­ge­nom­men hatte.

Sie haben sich ent­schlos­sen, aus der Schweiz wieder zurück in Ihre Heimat Oviedo zu ziehen. Warum?

Es war Zeit, mich zu ver­än­dern. In der Schweiz hat es mir gut gefallen, die Le­bens­qua­li­tät war sehr hoch. Aber ich habe mich dort ein bisschen einsam gefühlt. Ich habe meine Familie und meine Freunde vermisst und natürlich die spanische Kultur: die Sprache, das Essen, meine Familie. Ich bin Spanier. Ich fühle so und wollte deshalb immer in Spanien leben. Also habe ich mir die Frage gestellt: Wann willst du zu­rück­ge­hen in die Heimat? In einem Jahr? In zehn? In 25? Und was spricht dagegen, es jetzt sofort zu tun? Mein Motto ist, das Leben so zu führen, so wie du es liebst. Also bin ich sofort nach Hause zu­rück­ge­kehrt.

Das Interview wurde von Burkhard Nupperney geführt und am 10. Juni 2012 veröffentlicht.

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